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3.2 Sokrates und Hippias

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In dem Dialog Hippias Maior – seine Authentizität ist nicht unumstritten – ist das Verhältnis von Schönheit und Sophistik, von Charakterschönheit und äußerem Glanz ausdrücklich Thema der Unterredung. Hippias, ein berühmter Sophist, wird in Platos Szenario, das zunächst ganz darauf abzuzielen scheint, den berühmten Mann der Lächerlichkeit preiszugeben, als Spezialist auf dem Gebiet des Schönen und der Beredsamkeit vorgeführt, dessen sich manche griechische Städte gerne als Gesandten bedienen – nur die Spartaner nicht, wie Sokrates spöttisch bemerkt. Den verschlungenen Gedankenpfaden dieses Dialogs können wir hier nicht im Einzelnen nachgehen. Nur die folgenden Punkte seien hervorgehoben. Hippias sieht sich nach einem burlesken Vorspiel bald mit der typisch sokratischen Frage konfrontiert, was das Schöne selbst sei, dem die verschiedenen schönen Dinge ihre Schönheit zu verdanken haben. Hippias als erfahrener Festredner ist um Antworten nicht verlegen, schöne Mädchen nennt er, schöne Pferde, Gold. Sogar schöne würdige Begräbnisse führt er an, von Sokrates einigermaßen in die Enge getrieben.17 Hippias gibt also Antworten, die ganz auf der Linie seiner Berufspraxis liegen, die aber dem Anspruch nicht genügen, das, was das Schöne selbst ist, anzugeben.

Eine wichtige Etappe im Gespräch, bei dem das Wesen des Schönen deutlichere Konturen anzunehmen beginnt, wird mit der Einführung des Begriffs des Passenden, des Schicklichen, des prepon erreicht. Das Passende, das, was sich gehört, bezieht sich in erster Linie auf das Äußere, das Dekorum. Bei der Frage des Sokrates, ob äußere Schönheit und glänzende Kleidung nicht auch unpassend und lächerlich sein können, etwa wenn sich hinter äußerem Prunk ein unbedeutender Mensch verbirgt (eine ziemlich grobe Anspielung auf Hippias und seine schönen Kleider), bleibt Hippias nach anfänglichen Bedenken doch standhaft. Schön sei das im ‚äußeren‘ Sinne Passende, dasjenige, was die Dinge schön erscheinen lässt. Somit sei das Passende eben nur der Schein, die Illusion der Schönheit und nicht diese selbst, wendet Sokrates ein. Und Hippias gibt sich geschlagen und kann nicht umhin Sokrates zuzustimmen: Das, was die Dinge nicht nur schön erscheinen lässt, sondern wirklich schön macht, sei bislang noch nicht gefunden. Das prepon, das was sich ziemt, könne es wohl nicht sein, denn dies bezeichne eben nur die scheinbare Schönheit. Doch wird der Leser an dieser Stelle zögern: Die Begriffe des Ziemlichen und des Passenden scheinen ja der Anlage des ganzen Gesprächs zufolge auf das wahrhaft Passende und Schickliche zu verweisen, also eine tiefere sittliche Bedeutung zu beinhalten, eine Möglichkeit, die Hippias bezeichnenderweise nicht ins Auge fasst. Dieser sieht keinen Anlass, dem, was prepon bedeuten kann, nämlich das wahrhaft Passende und Ziemliche, weiter nachzugehen. Auch vermag er nicht, an seinem Ausgangspunkt festzuhalten, dass es eben auch eine Schönheit des Aussehens, des Erscheinens gibt, die in ihrer Art wirklich ist und die, obschon sie nicht im absoluten Sinne schön genannt werden darf, doch nicht nur eine bloß scheinbare Schönheit ist.

Sokrates unternimmt nun einen neuen Vorstoß, der implizit früher Angedeutetes aufnimmt: Das Schöne ist eine Ursache des Guten, ein Mittel, um das Gute zustande zu bringen – ein Vorschlag, den Hippias sofort aufgreift. Doch schon macht sich eine neue Schwierigkeit bemerkbar: Wenn das Schöne ein Mittel, eine Ursache des Guten ist, so könne das Schöne seinerseits nicht etwas Gutes sein. Abgesehen von den abenteuerlichen logischen Ungereimtheiten (dass Wirkung und Ursache voneinander unterschieden sind, heißt ja nicht, dass sie nicht auch etwas gemeinsam haben können), muss diese Argumentation auch inhaltlich Bedenken wecken. Denn die Mittel, um das wahrhaft Gute (das Schöne in diesem Zusammenhang) zustande zu bringen, können doch selbst nicht außerhalb des Bereichs des Guten liegen. Das Gute als Wirkung setzt ja das Gute als Ursache, nämlich als Zweck des Handelns voraus. Zudem kann das Gute im sittlichen Sinne schwerlich aus dem sittlich Indifferenten oder gar dem Schlechten entspringen. So hindert nichts, vielmehr zwingt alles dazu, das ‚Schöne‘, sofern es die Ursache des Guten selbst ist, als etwas Gutes anzuerkennen. Auch in diesem Stadium der Argumentation zeigt sich wiederum aufseiten von Hippias ein äußerliches, ein nur technisches Verständnis von Mittel und Zweck, vom Guten und seinen Bedingungen. Denn dass es Sokrates mit dieser vermeintlichen Aporie wirklich Ernst ist, muss man bezweifeln. Vielmehr kann man diese ‚Schwierigkeit‘ wiederum als einen verdeckten Hinweis auf die Denkungsart der Sophisten (wie Plato sie sieht) lesen. Diese versprechen ja, wie Hippias, auf gleichsam technische Weise, durch die Magie der wohlgesetzten Worte, ihre Schüler zu Experten auf dem Gebiet der Gerechtigkeit machen zu können. Doch ist dies gerade die Haltung, die Sokrates zu Beginn des Dialogs verspottet hatte.

So irrt Hippias auf unklare Weise zwischen zwei Auffassungen des ‚Schönen‘ hin und her. Einerseits sieht er durchaus die innere Wesensverwandtschaft des Schönen mit dem Guten, dem „Göttlichen“, als dem, was in jeder Hinsicht schön genannt werden kann. Andererseits bleibt er – obwohl nicht konsequent genug – bei einem äußerlichen Verständnis des Schönen stehen: Das Schöne lasse nur etwas gut erscheinen, ohne es wirklich gut zu machen. So ist für Hippias Schönheit wesentlich eine Sache des Aussehens, der ‚Form‘, wenn man so will, und sie wird nicht dadurch in Mitleidenschaft gezogen, wenn der Inhalt schlecht oder hässlich ist. Sokrates dagegen hat offenbar das wahrhaft „Passende“ und Ziemliche vor Augen, das innere Gleichgewicht der Seele, die Übereinstimmung von Innen und Außen, von Wort und Tat, des Sichtbaren und des Hörbaren, die ‚dorische Harmonie‘, wie sie bei Plato auch genannt wird.18

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