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EINLEITUNG

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Das vorliegende Buch will ein Panorama eröffnen, einen Ausblick auf die weiträumige und auch zerklüftete Landschaft des europäischen Nachdenkens über das Schöne und die Künste, eine Landschaft, die hier in verschiedenen Richtungen durchquert wird. Folgende Eigenschaft ist für dieses Buch besonders charakteristisch und unterscheidet es in den Augen des Verfassers von vergleichbaren Unternehmungen: nämlich die Verbindung des im engeren Sinne Theoretischen mit einem ausgesprochenen Streben nach Veranschaulichung. Weit mehr als üblich versucht der Autor, die abstrakten Einsichten der Philosophen an den Phänomenen sowohl zu konkretisieren als auch sie zu überprüfen. In diesem Rahmen war dem Autor auch besonders daran gelegen, soweit wie möglich konkrete Kunstwerke zur Sprache zu bringen.

Dem Buch liegen Lehrveranstaltungen sowohl für Philosophiestudenten als auch für Kunst- und Architekturstudenten und für Studierende der Kunstwissenschaften zugrunde. Daher strebte der Autor von vornherein danach, beiden Seiten, der Theorie und dem Anschaulichen, zugleich gerecht zu werden, Intellekt und Fantasie des Hörers oder Lesers gleichermaßen anzusprechen. So etwa geht der Autor z.B. ausführlich auf die Orestie des Aischylos und des Orest des Euripides ein, die ihm sowohl als Kommentar und als Gegenbild zur platonischen Kritik an der Tragödie dienen und deren Besprechung das Kapitel über Aristoteles’ Tragödientheorie vorbereitet (Kap. II und III). In gleicher Absicht versucht er, Adornos Begriff des Kunstwerks ausführlich an Mahlers Vierter Symphonie zu erläutern, oder Nietzsches Konzeption des zukünftigen Menschen anhand von Romanfiguren von Dostojewskij kritisch zu beleuchten (Kap. XI). Den von Heidegger unterstrichenen „Ereignischarakter“ des Kunstwerks wiederum versucht er am Beispiel Cézannes zu verdeutlichen. In den kürzeren Abschnitten von mehr improvisatorischem Zuschnitt, etwa zum Film oder zur Fotografie, versucht der Verfasser, soweit wie möglich die Lebendigkeit und das Persönliche der mündlichen Darbietung zu bewahren.

Das Streben des Verfassers nach Veranschaulichung kommt auch darin zum Ausdruck, dass er versucht, nicht nur die Lehre, sondern auch das Lebensklima, das Lebensgefühl, die ethische, ästhetische oder metaphysische Gestimmtheit eines bestimmten Autors (oder gar einer bestimmten geschichtlichen Phase) zu skizzieren. Überlegungen zur Kunst und zum Schönen standen in der Tradition des europäischen Denkens oftmals nicht für sich, sondern waren in umfassendere Konzeptionen metaphysischen, ethischen oder erkenntnistheoretischen Charakters eingebettet. So ging es dem Verfasser dieses Buches einerseits darum, die Gedankenzüge, die Motivationen und die Mentalität dieser im Hintergrund stehenden Vorstellungen auf eine für den Leser zugängliche Weise zu verdeutlichen. Zum andern war ihm daran gelegen zu klären, welche Aspekte der Phänomene, der Kunst, des Schönen, des ästhetischen Erlebnisses durch die Hintergrundtheorien erschlossen und welche möglicherweise durch sie verdeckt werden. Die historische Darstellung will hier mehr sein als nur die Wiedergabe von Lehrmeinungen, sondern bleibt auf die Frage nach dem sachlichen Recht oder jedenfalls nach dem Gewinn der jeweiligen Phänomenbeschreibungen gerichtet. In dieser Beziehung folgt der Autor seinem Heidelberger Lehrer H.-G. Gadamer.

So sieht der Autor, um ein Beispiel zu geben, die intellektualisierende Tendenz der überaus einflussreichen platonisierenden Kunsttheorien nicht nur als Ausdruck ideologischer, religiöser oder moralischer ‚sinnlichkeitsfeindlicher‘ Vorentscheidungen. Vielmehr versucht er, in den Kapitel über Plotin und Augustinus plausibel zu machen, dass die Weichenstellung dieser mächtigen Tradition auch auf begriffliche Unklarheiten und auf die Verzeichnung der Phänomene zurückweist; etwa auf einen ungenügenden Begriff des Sehens und Hörens. Ähnliches gilt auch für die Kontroversen um das religiöse Bild, die – wie zu zeigen versucht wird – nicht nur religiöse und politische Gründe haben, sondern auch auf einem unzureichenden Verständnis des Wesens der Symbolbeziehung beruhen, also spezifisch philosophische Gründe haben.– Natürlich ist sich der Autor der Gefahr des Anachronismus bewusst, wenn man versucht, neuere Einsichten in die Struktur der Phänomene kritisch gegen die Überlieferung zu wenden. Doch sollte man überlieferte Auffassungen, in den Grenzen des Möglichen, auch als Aufforderungen und Anregungen zum Weiterdenken verstehen, will man nicht bei einer bloßen Übersicht über Meinungen stehen bleiben. Von solchen Übersichten, deren Recht und Unentbehrlichkeit keineswegs bestritten werden soll, unterscheidet sich dieses Buch durch die Verbindung von historischer Orientierung mit der Verständigung über die Plausibilität und den deskriptiven Wert einer Betrachtungsweise. An zahlreichen Fronten, etwa mit Bezug auf die pythagoräische (numerische) Schönheitsauffassung, im Blick auf Kants Ästhetik, auf den Begriff des Kunstwerks, des ästhetischen Fortschrittsdenkens (Adorno) und der Moderne usw., steht für den Verfasser die kritische Auseinandersetzung über die Sache im Vordergrund.

Ausgangspunkt des Autors ist die Geschichte der neueren Philosophie – die Ästhetik im engen Sinne ist ja ein Produkt der Neuzeit. Doch sah sich der Autor durch die Natur der Sache genötigt, über die rigiden Grenzziehungen zwischen den Epochen hinauszugehen und auf Antike und Mittelalter zurückzugreifen. Es schien ihm notwendig und reizvoll, Vorformen von Annahmen, die als spezifisch neuzeitlich gelten, in vormodernen Traditionen aufzusuchen und den zahlreichen Bezugnahmen neuzeitlicher Autoren auf die klassische Überlieferung nachzugehen, etwa der Affinität zwischen Hegel und dem Neuplatonismus.

Soweit die Bemerkungen zur methodischen und literarischen Haltung, die in diesem Buch leitend ist. Nun noch einige Bemerkungen zur Struktur des Ganzen. Eingangs war von dem Panorama und der geschichtlichen Landschaft die Rede. Hier sei die Hauptroute skizziert, die durch dieses Gelände führt.

Das Buch beginnt mit Platos Angriff auf die darstellenden, die mimetischen Künste, der im Zeichen eines neuen, verinnerlichten, ethischen Schönheitsbegriffs geführt wird und einen konkreten politischen Hintergrund hat, der in der Analyse des Orest von Euripides sichtbar wird (Kap. I und II).

Mit Plato ist eine ganze Reihe von miteinander verknüpften Motiven angeschlagen: das Verhältnis von Kunst, Erkenntnis und Ethos, das bei Aristoteles (Kap. III) weitergeführt wird. Zweitens, hiermit im Zusammenhang das Motiv der Lebenskunst, das mehr als zwei Jahrtausende später bei Nietzsche im Zeichen eines gewandelten Ethos und letztlich im Zeichen des Ästhetizismus zurückkehrt (Kap. XI). Schließlich das Motiv der Idee als – verkürzt gesprochen – Ausdruck des göttlichen Grundes aller Wirklichkeit, das im Neoplatonismus (Kap. IV) entfaltet wird und über Augustinus, die Renaissance bis zu Hegel führt (Kap. V, VI, VII, X). Es wird gezeigt, dass diese Ideenkonzeption im europäischen Denken eine ambivalente Haltung zu den ‚schönen Künsten‘ zur Folge hatte, die sowohl als Manifestation der Idee gepriesen als auch als ihre Verdunklung und Verdeckung kritisiert werden können.

Der oft vorherrschende intellektualistische Zug dieser Ideenlehre stößt bereits in der Renaissance, vor allem bei vielen Autoren des 18. Jahrhunderts, bei Kant und den Romantikern auf epochemachenden Widerspruch. Er werde weder der unerschöpflichen Produktivität des Weltgrundes gerecht (Geniebegriff), noch auch dem, was Kant als „ästhetische Idee“ bezeichnet, d.h. als eine anschauliche Vorstellung, die mehr zu denken gibt, als in Begriffe gefasst werden kann. Auch Nietzsche, Adorno und besonders nachdrücklich Heidegger haben mit der Tradition des Idea-Begriffs und der hiermit verbundenen Vernachlässigung der sinnlichen Gestalt des Kunstwerks gebrochen; Adorno, der (im Geiste der Romantik) das Kunstwerk als Verweisung auf Noch-Nicht-Seiendes, Verhülltes versteht, Heidegger, der das Kunstwerk als „Ereignis“ begreift, als „Ursprung“, der in keinem Ideenhimmel vorgezeichnet ist (Kap. XIII, XIV).

Im 18. Jahrhundert wird vor allem das Problem der Allgemeingültigkeit ästhetischer Urteile virulent (Kap. VIII, IX). In kritischer Auseinandersetzung mit Kants Lösung dieses Problems versucht der Autor, eine mittlere Position zwischen Kants Apriorismus und einem schrankenlosen Subjektivismus zu verteidigen.

Die Frage nach dem Wesen der modernen Kunst wird in diesem Buch mit Hegel und der Frühromantik verbunden. Die Romantiker (auch Nietzsche) stehen für einen utopistischen Begriff der modernen Kunst, der oft mit dem Verlangen nach tief greifender kultureller Erneuerung verknüpft ist. In Hegels Bemerkungen zur Kunst der Moderne dagegen zeichnet sich zum einen die Möglichkeit eines postmodernen Spiels mit der Überlieferung ab, zum andern die Aufgabe, die menschliche Wirklichkeit in allen ihren Dimensionen zu erkunden. Alle diese Möglichkeiten lassen sich in der Kunst der Moderne wiederentdecken und geben dieser einen von vornherein pluriformen Charakter, der sich nicht überzeugend in das Prokrustesbett linearer Fortschrittstheorien (Adorno, Deleuze) pressen lässt. Die Frage nach einem verbindlichen Begriff der Moderne lässt sich nach Meinung des Autors letztlich nur exemplarisch, an beispielhaften Fällen erläutern (vgl. etwa die Bemerkungen zu Thomas Demand, Kap. XV, 2.1.).

Der Begriff der ästhetischen Erfahrung und des Kunstwerks ist Thema des Schlusskapitels. Auch hier versucht sich der Verfasser der alten Philosophenkrankheit zu widersetzen, bestimmte, allzu hochstufige Aspekte eines Phänomens vorschnell zu verallgemeinern. Darum knüpft er bei seiner Analyse bei elementaren ästhetischen Sachverhalten an, dem Gefesseltsein durch den ‚Anblick’ von Personen, Dingen und Situationen. Am Beispiel von Beuys, Warhol u.a. versucht er zu zeigen, dass – anders als bisweilen angenommen wird – die Anschaulichkeit auch bei Erzeugnissen der Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stets noch von Belang ist. Darüber hinaus betont der Autor, anders als üblich, dass die ästhetische Erfahrung nicht nur in einer kontemplativen, sondern auch in einer praktischen Variante auftreten kann, wie etwa im Tanz. Mit Bezug auf unseren Begriff des Kunstwerks knüpft der Verfasser an den Konnotationen an, die mit diesem Begriff verbunden sind, vor allem an die Bestimmungen des Meisterlichen und des Meisterwerks. Im Rahmen dieser Überlegungen plädiert er für die Unterscheidung von Werken im überlieferten Sinne von ästhetischen Objekten im Sinne zeitgenössischer Kunstproduktionen. Eine Improvisation zur Fotografie beschließt das Ganze.

Die Philosophie der Künste

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