Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 10
1.2. Zur Literatur
ОглавлениеWeitaus die meiste Literatur, die zum Thema dieses Buches gehört, behandelt nur einzelne Städte und kann, wegen ihrer Verschiedenartigkeit, kaum zusammenfassend charakterisiert werden. Sie ist hier im dritten Teil des Literaturverzeichnisses aufgeführt, die Auswertung erfolgt im zweiten Band dieses Werkes. Eine Literatur zum Thema, die über die einzelne Stadt hinausging, hat es dagegen bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht gegeben. Zwar behandelte die im 19. Jahrhundert aufblühende „Burgenliteratur“ selten genug auch Stadtmauern, quasi als Exkurs, aber der ahistorische, im Grunde nur an der Beschreibung „militärischer“ Funktionen interessierte Ansatz dieser Darstellungen verhinderte nennenswerten Gewinn.
Der Forschungsstand, sofern dieses Wort hier angebracht ist, besteht daher neben den reinen „Mauermonographien“ aus Werken, die das Thema in einem größeren Rahmen lediglich mitbehandeln. Im Wesentlichen geht es dabei um zwei recht unterschiedliche Arten von Literatur, nämlich um Inventare von Baudenkmälern und um Darstellungen der Geschichte einer Stadt. Beide Publikationsarten haben seit dem 19. Jahrhundert eine Fülle von Veröffentlichungen hervorgebracht, aber beide haben auch die Stadtbefestigungen fast immer am Rande gelassen und – wegen der auch hier vorliegenden Beschränkung auf stets nur einen Ort – keine für das Thema weiterführende Fragestellung entwickelt.
Die Bestandsaufnahmen der Kunstdenkmäler, die für einen großen Teil des deutschen Raumes vorliegen, aber immer noch riesige Lücken haben, durchliefen ab dem 19. Jahrhundert eine Entwicklung, die von recht summarischen Übersichten über oft aufwendige („Groß-“)Inventare bis hin zu den eher auf die Administration zielenden, sehr knappen Kartierungen und Listen („Denkmaltopographien“) der Gegenwart führten. Wissenschaftlichen Gewinn erzielten dabei fast nur die aufwendigen „Großinventare“, wobei aber wirklich eindringende Untersuchungen von Mauern die Ausnahme blieben; positiv hervorgehoben seien etwa Lübeck (Hugo Rathgens), Köln (Hans Vogts) oder Basel (Casimir Hermann Baer). In vielen anderen Fällen bleibt die Darstellung jedoch unbefriedigend, und Überschriften wie das häufig gewählte „Lage und Befestigung der Stadt“ deuten einen der Gründe an. Die Befestigung wurde nämlich oft weniger als funktional und ästhetisch gestaltetes Bauwerk erfasst, sondern eher als topographisches Merkmal, nämlich als Grenze der Stadt. Der selten bauanalytische Blick der Autoren führt ferner dazu, dass oft selbst einfachste Fragen offenbleiben: War ein Torturm einmal höher, ein Turm ursprünglich ein Schalenturm oder deuten seine Scharten auf Feuerwaffen?
Noch weniger darf Derartiges natürlich vom Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler („Dehio“) erwartet werden, das naturgemäß den Forschungsstand nur ordnet und knapp resümiert, aber vorhandene Lücken in Erfassung und Analyse nicht schließen will und kann. Als dramatisches Beispiel der Folgen darf hier Hollfeld in Oberfranken angeführt werden, das neben erheblichen Mauerteilen sogar einen bescheidenen, aber vollständigen Torbau bewahrt hat, der jedoch sowohl im „Dehio“ als auch im Handbuch der Historischen Stätten verschwiegen wird. Weit häufiger wirkt sich negativ aus, dass dem Kunsthistoriker nur der erhaltene und „künstlerisch“ gestaltete Bau etwas gilt; wo einer Stadt ein stattlicher Torturm geblieben ist, aber nicht mehr als das, wird man im „Dehio“ in der Regel das Stichwort „Stadtbefestigung“ finden. Blieben jedoch noch 90 Prozent der Mauer, nur leider ohne Türme und weitgehend verbaut, so wird der „Dehio“ durch Nichterwähnung das unzutreffende Bild einer Stadt ohne Mauerreste vermitteln. Trotz solcher Schwächen bietet er nach wie vor einen flächendeckenden Einstieg zumindest in die erhaltene Substanz, manchmal die einzige Beschreibung überhaupt. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass sein Patron, Georg Dehio, der bisher Einzige war, der eine nach Vollständigkeit strebende Geschichte der deutschen Kunst (1930–34) vorgelegt hat, in der die Stadtmauern nicht übergangen, sondern angemessen gewürdigt wurden.
Die Geschichte einzelner Städte ist recht häufig auf gutem Niveau geschrieben worden, wobei die „Städtebücher“ bzw. „Städteatlanten“ Flächendeckung anstreben und bei dem Prototyp der Gattung, Erich Keysers Deutschem Städtebuch, auch erreicht haben; sie zählen zu den wichtigsten Hilfsmitteln, wenn es um Stadtmauern geht. Allerdings dokumentieren auch sie, als historisch angelegte Werke, nur einen Teil des Faktenmaterials und können das häufige Fehlen eines interdisziplinären Arbeitsansatzes nicht überbrücken. Die Daten aus den Schriftquellen werden in zuverlässiger Weise dokumentiert, wobei zum betreffenden Zeitpunkt noch nicht aufgearbeitete Archivalien natürlich unerfasst bleiben, und die erhaltenen Bauten knapp aufgelistet; bei den „Städteatlanten“ geben die Pläne einen in aller Regel zuverlässigen und vollständigen Überblick über das ehemals Vorhandene. Gegenüber den Angaben zu Bauabfolge und Datierung ist bei dieser Literaturgattung aber grundsätzlich Vorsicht geboten, da häufig die Aussagen der Schriftquellen ohne Berücksichtigung bau- und kunsthistorischer Methodik absolut gesetzt werden, bzw. weil keine Diskussion der Widersprüche zwischen Quellenlage und Baubefund stattfindet.
Das ebenfalls für einen ersten Überblick unverzichtbare, wenn auch leider in manchen Bänden veraltete Handbuch der Historischen Stätten verhält sich zu den monographischen Städtegeschichten und den „Städtebüchern“ wie der „Dehio“ zu den Großinventaren – es bietet knappe Überblicke, will und kann sich aber aus der Abhängigkeit vom Forschungsstand nicht lösen. Bei einer flächendeckenden „Begehung“, wie ich sie vorgenommen habe, zeigt sich außerdem, weit ausgeprägter als beim „Dehio“, die Verschiedenartigkeit der Bände; die Bearbeiter haben sich offensichtlich von Land zu Land recht unterschiedlich verpflichtet gesehen, auf die Befestigungen einzugehen.
Als äußerst hilfreiche neuere Veröffentlichung sei abschließend die Karte der mittelalterlichen Städte in Mitteleuropa genannt, die Heinz Stoob 1988 veröffentlicht hat. Sie vermittelt ein im Grundsatz vollständiges Bild der Siedlungen – mit Ausnahme der Dörfer –, in denen mit einer ehemaligen oder erhaltenen Befestigung zu rechnen ist; dabei unterliegen die Angaben zu ehemaligen Holz-Erde-Befestigungen aber naturgemäß dem Vorbehalt archäologischer Prüfung. Die Vollständigkeit der Erfassung ist hoch, obwohl – bei Hunderten von Städten und der inhomogenen Literatur verständlich – kleine Lücken nicht gänzlich vermieden sind (etwa eine Stadt mit der Bedeutung von Waiblingen).