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O, Wandrer, hüte Dich!

Es packt Dich wildes Schaudern,

Mußt über Land Du gehn,

Kaum bist Du aus den Mauern,

so ist’s um Dich geschehn.

Aus der Moritat vom Schinderhannes (um 1798–1803)

Vorwort

Wie Kirchen, Klöster und Burgen gehören Stadtmauern zu jenem architektonischen Erbe des Mittelalters, das uns heute noch monumental vor Augen steht. Trotz enormer Verluste in den Jahrhunderten, seit die Stadtmauern ihre Funktionen eingebüßt haben – in Städten ist intensives Bauen, Umbauen und Abreißen der Normalzustand –, ist der Umfang des Erhaltenen im deutschen Sprach- und Kulturraum des Mittelalters noch immer überwältigend. Und obwohl die Stadt des industriellen Zeitalters sich gegen ihr Umland nicht mehr sichern muss und es auch gar nicht mehr könnte, scheint doch der moderne Mensch noch zu verstehen, in welcher Weise Tore und Mauern dem Schutz und der Selbstdarstellung der Bürger dienten.

Allerdings läge man hier – wie auch in manch anderem Bereich der älteren Architekturgeschichte – durchaus falsch, wenn man aus dieser Popularität des Bautypus den Schluss zöge, dieser sei umfassend oder auch nur im Wesentlichen erforscht. Vielmehr zeigt die verfügbare Literatur in der Auseinandersetzung mit dem Thema eine bedauerliche Einseitigkeit. Sie beginnt damit, dass auch besonders Interessierten nur wenige gut erhaltene Mauern (Rothenburg ob der Tauber, Nürnberg …) oder auch Einzelbauten (Holstentor) bekannt sind, während die Fülle der oft gut erhaltenen Mauern um Kleinstädte kaum im Bewusstsein ist, obwohl sie mittelalterliche Verhältnisse im Grunde besser als die wenigen großen Zentren jener Epoche widerspiegelt. Darüber hinaus, wenn man sich dem Thema als Forscher zuwendet, gibt es zwar Hunderte von Aufsätzen und auch einige Bücher, die sich mit einzelnen Stadtmauern beschäftigen, aber über die Mehrzahl der Mauern ist unser Wissen trotzdem wenig detailliert und durchaus nicht immer wissenschaftlich gesichert. Noch folgenreicher ist dabei die Tatsache, dass nur in seltenen Ausnahmefällen versucht wurde, den Blick über eine einzelne Stadt hinaus auf andere Beispiele des Bautypus zu richten – damit nämlich blieben wichtige Fragen bisher weitgehend ausgespart. Nicht nur, ob sich die Stadtmauern einer Region ähnelten bzw. ob es Einflüsse bestimmter Mauern auf andere gegeben hat, ist bisher weitgehend unbehandelt, sondern letztlich die gesamte geschichtliche Dimension des Themas – ob in den Formen der Mauern historische Kräfte jedweder Art erkennbar werden, Charakteristika der mittelalterlichen Gesellschaft, Zusammenhänge und Entwicklungsrichtungen.

In dieser Einseitigkeit spiegelt sich ganz offenbar, dass insbesondere Architektur- und Kunstgeschichte dem Thema bisher wenig Interesse entgegenbrachten. Stadtmauern werden offensichtlich fast durchweg als reine Funktionsbauten empfunden, die sich kaum nennenswert voneinander unterscheiden und letztlich immer dasselbe aussagen, dass nämlich die mittelalterliche Stadt eines sowohl praktischen als auch symbolhaften Schutzes bedurfte. Im Ergebnis blieb das Thema damit weitgehend der Heimatforschung überlassen, deren Ziele typischerweise an den einzelnen Ort gebunden sind.

Dies war die Ausgangssituation, als ich vor Jahren mit großem Interesse, aber durchaus auch mit Problembewusstsein den Auftrag übernahm, eine Überblicksdarstellung der Stadtbefestigungen im deutschen Raum des Mittelalters zu schreiben. Ich befürchtete von vornherein, dass die Idee, man könne das Thema allein anhand der Literatur und der Besichtigung wichtiger Objekte umfassend darstellen, sich aufgrund des skizzierten Forschungsstandes als unrealistisch erweisen würde, und das bewahrheitete sich nur allzu schnell. Ich stand daher vor der Wahl, mich entweder anhand einiger gut erforschter Fälle auf eine eher skizzenhafte Darstellung zu beschränken oder mir mit erwartbar sehr hohem Arbeitsaufwand einen eigenen Überblick über den erhaltenen oder mittelbar noch fassbaren Baubestand zu verschaffen. Das erste Modell hätte zu wenig mehr als einem bemüht kommentierten Bildband geführt, und ich entschied mich daher trotz des Aufwandes für die zweite Vorgehensweise.

Zehn Jahre später hatte ich die wohl intensivsten Reisejahre meines Lebens hinter mir und in allen Teilen Mitteleuropas Orte besucht, deren Existenz mir vielfach bis dahin unbekannt war, und ich hatte immer wieder gezweifelt, ob die erheblichen Opfer an Zeit, Geld und Arbeit den Rahmen der Vernunft nicht längst gesprengt hatten. Nur ein hohes Maß an persönlicher und beruflicher Unabhängigkeit machten den Umfang der Reisen möglich, die in diesen Jahren nicht nur jeden Urlaub „geschluckt“ hatten, sondern weit über dessen normalen Umfang hinausgingen. Für viel Geduld ist meiner Frau – damals noch Lebensgefährtin – Jutta Lubowitzki zu danken, die zeitweise vergessen haben dürfte, dass man auch außer Sichtweite von Stadtmauern spazieren gehen kann, und die darüber hinaus meine häufige Abwesenheit zu ertragen hatte. Aber auch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft musste viel Geduld aufbringen, denn ich hatte unrealistischerweise ein Manuskript binnen einer Standardfrist von drei Jahren zugesagt.

Dieses Buch beruht also – was für einen so breit angelegten Überblick fraglos ungewöhnlich ist – nahezu ausnahmslos auf direkter Auseinandersetzung mit dem Baubestand. Ich habe tatsächlich alle Stadtmauerreste im deutschsprachigen Raum des Mittelalters selbst gesehen, von Luxemburg bis Masuren, von Schleswig bis Bozen, sofern anhand von Standardliteratur und der (oft schwer ermittelbaren) örtlichen Literatur erkennbar war, dass sich ein Besuch lohnen würde. Eine gute Basis für dieses flächendeckende Vorgehen bot die 1988 von Heinz Stoob bzw. dem Institut für vergleichende Städteforschung in Münster erarbeitete Karte Verbreitung der Städte in Mitteleuropa, die allerdings keine Angaben über erhaltene Bauteile der Befestigungen macht. Diese Angaben wurden neben der Ortsliteratur vor allem den verschiedenartigen Kunstdenkmälerinventaren, dem Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler („Dehio“) und dem Handbuch der Historischen Stätten entnommen. Alles in allem denke ich, dass ich in dieser Weise 99 Prozent der erhaltenen und zugänglichen Baureste gesehen habe, also alle mit Ausnahme jener wenigen Fälle, die mit den beschriebenen Mitteln nicht erkennbar waren.

Die Betrachtung der Bauten mit der Literatur in der Hand – wobei man auf neu erschienene Literatur in der Regel erst vor Ort stößt – ist bei jenen Stadtmauern, über die noch nichts Näheres geschrieben wurde, der einzige Weg, überhaupt zu Erkenntnissen zu kommen; aber auch bei jenen, die bereits behandelt wurden, führt sie oft zu einem verbesserten Bild. Dennoch hat auch diese Methode Grenzen. Viele Bauten sind ohne aufwendige Vorbereitung nicht nahe oder gar von innen zu besichtigen, viele aussagekräftige Befunde wären nur durch Methoden wie Bauforschung oder Archäologie sicher festzustellen; vor allem aber gibt es Informationen historischer Art, die nur auf wiederum anderen Wegen arbeitsaufwendig zu ermitteln sind.

Außerdem bestätigen die Betrachtung mit dem analytischen Blick des Bauforschers und der erstmalige Vergleich mit anderen Mauern nicht immer die bisher vorgetragenen Deutungen, sondern sie führen oft auch zu neuen Einschätzungen. Daher wird der Leser hier – er sei gewarnt – gelegentlich mit Aussagen konfrontiert, die sich nicht mit dem bisher Publizierten decken; dabei erlaubt es der enge Rahmen des Buches leider nicht, die oft recht komplexen Gründe der neuen Bewertung vollständig darzulegen. Ein wissenschaftlicher Anmerkungsapparat war für dieses Werk von vornherein nicht vorgesehen, da es seitens des Verlags als Überblick im Sinne eines Sachbuches geplant war, nicht als wissenschaftliche Abhandlung; ohnehin hätten Anmerkungen aufgrund des Umfanges, der das ursprünglich Geplante weit überschritten hat, die Grenzen des Machbaren endgültig hinter sich gelassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Herkunft der zitierten Fakten nicht überprüfbar wäre. Wer insoweit Belege sucht, muss vielmehr so vorgehen, dass er zunächst die eingehendere Darstellung der betreffenden Stadt im „Regionalen Teil“ sucht und dann die im Literaturverzeichnis zu den Städten und Regionen aufgeführten Titel heranzieht. Sofern er in dem dort dokumentierten Forschungsstand noch immer keine nachvollziehbare Herleitung meiner Darstellung findet, ist davon auszugehen, dass ich durch die Betrachtung des Baubestandes vor Ort zu anderen Einschätzungen gekommen bin, als ich sie im Forschungsstand vorfand. In diesem Fall bleibt dann leider nur die Erkenntnis, dass eine vertiefende Untersuchung des Einzelfalles noch aussteht.

Eine Gesamtdarstellung des Themas, wie sie mit diesem Buch versucht wurde, kann nach alledem, trotz aller Mühe, nicht den Anspruch des Vollständigen, geschweige denn des dauerhaft Sicheren erheben. Allzu vieles beruht nur auf Augenschein und begrenzter Quellenauswertung, anderes auf wenig eindringender oder veralteter Literatur. Jede Untersuchung mit den Mitteln von Bauforschung und Archäologie sowie jede vertiefte Betrachtung historischer Art können das Bild im Einzelfall ändern, und die Anzahl der unerforschten Einzelfälle ist bisher weit höher als die der erforschten. Dessen möge sich der Leser jederzeit bewusst bleiben – und den Autor auf neue Forschungen hinweisen, die die Basis späterer Publikationen verbreitern könnten.

Zur ausgewerteten Literatur bleibt ohnehin zu unterstreichen, dass auch sie, trotz erheblichen Umfanges des Literaturverzeichnisses, kaum vollständig sein kann, und zwar vor allem bei den durchaus zahlreichen neueren Publikationen. Ist ältere Literatur noch weit überwiegend in Bibliographien erfasst – wenn auch leider nach immer stark wechselnden Ordnungssystemen –, so ist man für aktuelle Erscheinungen doch recht stark auf den Zufall angewiesen. Vieles in lokalen Zeitschriften oder kleinen Monographien Publizierte findet man nur durch Nachfrage vor Ort, in Buchhandlungen, Bibliotheken oder als Zitat in örtlicher Literatur zur Stadt(bau) geschichte. Dies aber bedeutet, da sich meine Reisen über einen langen Zeitraum erstreckten, dass dieses Buch einen quasi fließenden Redaktionsschluss aufweist: Was kurz nach meinem Besuch erschien, ist mir sicherlich oft entgangen – und dieser Besuch kann schon zehn bis 15 Jahre zurückliegen.

Der fast immer lokale Charakter der Forschung bewirkte auch, dass die Unterstützung, die ich bei meiner Arbeit erhielt, sich fast immer nur auf einzelne Städte bezog. All den Fachkollegen, Museumsleuten, Heimatforschern, Buchhändlern und Bewohnern von Baudenkmälern zu danken, die mir Hinweise gaben oder Zugang gewährten, oder die mich mündlich oder schriftlich auf Literatur hinwiesen, verbietet sich daher – alle zu nennen, wäre unmöglich, jede Auswahl ungerecht. Sie alle mögen entschuldigen, wenn ich ihnen daher nur pauschal Dank abstatte!

Besonders nennen möchte ich jedoch jene, deren Unterstützung von grundsätzlicherer Art war. Das gilt in erster Linie für das „Institut für vergleichende Städtegeschichte” in Münster, das seinen digitalen Katalog in Form mehrerer Volltext-Recherchen auswertete und so den Grundstock meiner Literatur entscheidend ergänzte. Hans-Rudolf Sennhauser lud mich 1993 zum Kolloquium über die schweizerischen Mauern ein, das auch zur Geburtsstunde des vorbildhaften Werkes zum gleichen Thema wurde. Kazimierz Pospieszny (damals Malbork) ermöglichte mir durch Empfehlung einen kostengünstigen Aufenthalt im früheren Ost-/Westpreußen. Burghard Lohrum teilte mir einige noch unveröffentlichte Dendrodaten von badenwürttembergischen Stadtmauern mit. Vielfache Hinweise zu den Mauern ihrer Region sind Bernhard Metz (Strassburg) – der seit Jahren die Quellen zu den elsässischen Mauern auswertet –, Ronald Woldron (Wien), Stefan Ulrich (Neustadt/Weinstr.), Yves Hoffmann (Dresden), Joachim Müller (damals Duisburg), Andreas Heege (damals Einbeck), Jens Christian Holst (Hoisdorf), Reinhard Schmitt (Halle), Christoph Matt (Basel) und Thomas Steinmetz (Wiesbaden) zu verdanken. Fotos stellten neben den Genannten vor allem auch Christofer Herrmann (Olsztyn), Daniel Burger und G. Ulrich Großmann (beide Nürnberg), Gotthard Kießling (Warburg), Timm Radt (Stuttgart) und Andrea Bulla (Göttingen) zur Verfügung. Meine Frau Jutta Lubowitzki schließlich teilte mit mir die Mühe des Korrekturlesens.

Thomas Biller, im Frühjar 2016

Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum

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