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2.1.2. Frühmittelalterliche Burgen

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Neben den Stadt- und Kastellmauern in jenem Teil Deutschlands, der zum Imperium Romanum gehört hatte, kommt auch eine weitere Gruppe von Bauten als Vorbild der hoch- und spätmittelalterlichen Stadtmauern infrage. Denn in jener Zeit, als sich die Ansätze des mittelalterlichen Städtewesens herauszubilden begannen, gab es natürlich bereits andersartige, nichtstädtische Befestigungen. A priori spricht Wichtiges dafür, in diesen frühmittelalterlichen Burgen eher die unmittelbaren „Väter“ der Stadtmauern als Bauwerke als in den römischen Mauern zu suchen. Denn die wirtschaftlichen, politischen und technischen Voraussetzungen solcher Burgen des 8.–11. Jahrhunderts waren prinzipiell dieselben wie für die Anfänge der bürgerlichen Niederlassungen. Und da viele der frühen Burgen – die ja noch keine Adelsburgen waren, sondern im weitesten Sinne „staatlichen“ Funktionen und als Fliehburgen dienten – durchaus die Größe späterer Städte erreichten, gab es auch insoweit eine Ähnlichkeit ihrer Umwehrungen. In manchen Fällen entstanden Städte später in solchen Befestigungen, zum Beispiel Paderborn, Obermarsberg, Weilburg/Lahn, Kassel, Fulda, Amöneburg oder Nabburg.

Der Forschungsstand zu den Burgen der karolingischen, ottonischen und salischen Zeit war und ist allerdings von aufwendigen archäologischen Untersuchungen abhängig, daher lückenhaft und kann hier nicht im Detail referiert werden. Er reicht aber dafür aus, einige ausgewählte und besser untersuchte Anlagen zu betrachten, um Schlaglichter auf die Gestalt der Umwehrungen bzw. ihrer Einzelelemente zu werfen. Interessant sind in diesem Zusammenhang die großen karolingischen Grenzburgen in Nordhessen wie Christenberg und Büraberg – wohl ein Vorgänger der Stadt und des Bischofssitzes Fritzlar – und einige frühe Pfalzen, vor allem das großflächig ergrabene Tilleda. (Abb. 9) In (Ober-)Franken (Würzburg, Hammelburg) und der Oberpfalz (Nabburg, Cham) hat W. Emmerich ottonische „Landesburgen“ mit Pfarrkirche, Siedlung und Fiskalbezirk beschrieben, denen Vergleichbares in Thüringen entsprochen haben dürfte („urbs“ Erfurt 729; Gotha, Altenburg, Eisenberg). Von besonderer Bedeutung sind schließlich die frühen „Domburgen“, die deswegen gesondert behandelt werden (vgl. 2.1.3.). In der Regel handelte es sich dabei um Anlagen, denen vom Reich – oder dessen Amtsträgern wie Herzögen oder Grafen – neben strategischen Funktionen auch administrative Aufgaben als „Mittelpunktsburgen“ zugewiesen waren. Sie beherbergten vielfach Kirchen und gewiss Raum für den Rückzug der Bevölkerung in Notzeiten; oft lagen sie in Grenzregionen und sicherten Handelsplätze.

Die Umwehrungen solcher Burgen – bei flacherem Gelände von Gräben verstärkt, die oft mehrfach gestaffelt waren – bestanden in der Regel aus Wällen, gegebenenfalls mit stützenden Holzeinbauten und mit Holz oder Mauerwerk verstärkter Außenfront; aber auch Trocken- und Mörtelmauerwerk ohne Hinterschüttung trat durchaus schon in karolingischer Zeit auf. Gerade von der letzteren Form zur steinernen Stadtmauer führte natürlich der denkbar kürzeste Weg, aber auch für die hinterschüttete Mauer – oder reziprok formuliert: den mauerverkleideten Wall – gibt es nach jüngeren Forschungsergebnissen bei frühen Stadtumwehrungen des südwestdeutschen Raumes Vergleichsbeispiele (vgl. 2.2.3.2.). Die Tore der frühmittelalterlichen Befestigungen waren noch nicht durch aufragende Türme gesichert, sondern durch überlappende oder parallel geführte Mauerteile, von denen aus der Ankömmling über eine längere Strecke beschossen werden konnte (Zangentor, eingezogenes Tor, Torgasse). Erst an deren innerem Ende können in vielen Fällen aus Fundamenten oder Pfostenlöchern Torkammern festgestellt werden, über denen mindestens ein verteidigungsfähiges Obergeschoss anzunehmen ist; aber schon dies ist nur Vermutung, die Annahme turmartiger Bauten wäre höchstens bei steinernen Kammertoren diskutabel.

Eine Entwicklung von solchen Torformen zu dem bei deutschen Stadtmauern normalen Torturm (2.2.5) ist also nicht gesichert, aber vorstellbar. Wir wissen ja über die Tore der frühen Holzbefestigungen kaum etwas und eher noch weniger über die Tore der vor 1200 entstandenen Mauern. Immerhin waren die frühesten, noch spätromanischen Tortürme in Deutschland deutlich niedriger als die späteren (vgl. 2.2.5.1.), was man als Folge einer Entwicklung aus noch bescheideneren Vorgängern verstehen könnte. Und auch rudimentäre Torgassen kommen bei Stadtmauern des 13./14. Jahrhunderts vor, allerdings nur noch sehr selten (vgl. 2.2.5.5.). Auch sonst sind Türme bei frühmittelalterlichen Burgen Ausnahmen, was natürlich primär damit zu tun hat, dass erst Mörtelmauerwerk höhere Bauten ermöglicht und dass dieses anfangs noch selten war.




Abb. 9 Beispiele stadtähnlicher Siedlungen in vorstädtischer Zeit. Die Pfalz Tilleda (Sachsen-Anhalt; oben) besaß im 10./11. Jahrhundert eine Vorburg mit zahlreichen Handwerkerhäusern, der Büraberg (Hessen, Mitte) war eine fränkische Burg des 8./9. Jahrhunderts mit Bischofssitz; die Rekonstruktion zeigt die Ostecke. Alt Lübeck (Schleswig-Holstein) war eine slawische Burg mit Handwerker- und Kaufmannssiedlung (Grimm, Tilleda, Bd. 2, 1990; Wand, Die Büraburg, 1974; Ausflüge zu Archäologie, Geschichte und Kultur in Deutschland, 56: Hansestadt Lübeck).

Was die Bebauung und Nutzung ihres Innenraumes oder gar den rechtlichen Status ihrer Bewohner betrifft, waren diese Burgen natürlich etwas anderes als Städte. Freilich steht auch diese Aussage unter dem Vorbehalt höchst begrenzter Grabungsergebnisse. In den karolingischen Befestigungen Büraberg und Christenberg sieht man mit gutem Grund noch rein militärische Befestigungen, funktionale (nicht formale) Nachfolger römischer Kastelle. Bei späteren Anlagen wird die Händler- oder Handwerkersiedlung meist neben der Befestigung vermutet, aber ein Ausgrabungsergebnis wie jenes der Pfalz Tilleda zeigt, dass es vom 10. bis 12. Jahrhundert auch schon innerhalb der Befestigungen dichte Besiedlung bäuerlicher und handwerklicher Art geben konnte. Das, was ohne Ausgrabung, also nahezu immer, gerne als „Vorburg“ bezeichnet wird, kann demnach in dieser Zeit schon einen Charakter entwickelt haben, den man als eine der Vorstufen zu wirklichen Städten verstehen darf.

Auch im ehemals slawisch besiedelten, erst vom 10. bis zum 13. Jahrhundert vom deutschen Adel eroberten und kolonisierten Gebiet – in der Spätphase waren dies noch Schlesien, Brandenburg, Mecklenburg, Pommern und das spätere Ostpreußen, vor dem 12. Jahrhundert auch große Teile von Sachsen und anderen Gebieten weiter westlich – gab es schon zuvor Burgen mit Mittelpunktsfunktionen. Einige von ihnen, und weitere außerhalb der später deutschen Territorien, sind aufwendig ergraben (Alt-Lübeck, Spandau, Oppeln und andere). In der Regel handelte es sich um fürstliche oder „Kastellanei“-Burgen, die Zentren einer mehrteiligen Siedlungsverdichtung bildeten. Typisch war neben der Wasser- und Sumpflage die sehr enge Bebauung der umwehrten „suburbien“, die nicht nur Fischern und Handwerkern dienten, sondern auch schon ersten Händlern, vor allem aber die hoch entwickelte Holzarchitektur. Sie wird für die deutschen Stadtbefestigungen dieses Raumes anfangs sicher eine Rolle gespielt haben, aber unser beschränktes Wissen über diese Frühphase verbietet dazu noch detailliertere Aussagen (vgl. 2.2.1.3.). Sicher ist dagegen, dass die neu gegründeten deutschen Städte oft an slawische Burgen und Siedlungskonzentrationen anknüpften, womit sie sich vorhandene Strukturen auch bezüglich des Verkehrs zunutze machten. In der Regel aber entstanden die Städte in einiger Entfernung neben den slawischen Anlagen, die auf ihren Inseln für die weit großzügiger angelegten deutschrechtlichen Städte zu wenig Platz boten, geschweige denn für Erweiterungen.

Im relativ früh eroberten Sachsen wurde das Land ab dem 10. Jahrhundert in „Burgwarden“ organisiert, das heißt, Befestigungen oder „Landesburgen“ blieben weiterhin Zentren der politischen Organisation. In manchen Fällen waren dies mit Sicherheit die örtlich beibehaltenen slawischen Anlagen; als Beispiel sei Bautzen genannt, das schon 1002 als „civitas“ bzw. „urbs“ genannt ist. In der Regel wissen wir aber noch nichts über die frühe Gestalt der Befestigungen, die Zentren dieser „Burgwarde“ waren.

Als Beispiele für Städte, die neben wichtigen slawischen Burgen entstanden, seien in Brandenburg Jüterbog, Köpenick, Prenzlau, Spandau, Tangermünde und Brandenburg selbst genannt, in Mecklenburg Rostock, wo 1189 zuerst ein „forum“ bei der Burg genannt ist. In Pommern entsprachen diesem Ablauf Altentreptow, Belgard, Cammin, Demmin, Kolberg, Pyritz, Schivelbein, Stargard, Stettin, Stolp, Treptow, Usedom und Wolgast.

Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum

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