Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 21
2.2.1.1. Nutzung des Geländes
ОглавлениеEine Stadt muss, um gut und dauerhaft zu funktionieren, Anforderungen verschiedener Art erfüllen, die teilweise in deutlichem Widerspruch zum Aspekt der Verteidigung stehen. Der Handel forderte eine verkehrsgünstige Lage, die Versorgung der Bewohner Nähe zum Agrarland und vor allem zum Wasser, das auch für Mühlen und Gewerbe wichtig war. Eine Schutzlage entweder auf steiler Höhe oder zwischen Gewässern an allen oder fast allen Seiten – die beiden Hauptfälle, die man bei Befestigungen aller Art und Zeitstellung findet – ist damit nur schlecht vereinbar. Schwierigkeiten bereitete insbesondere die Wasserversorgung, die für die wenigen Bewohner einer Burg auch in Höhenlage lösbar, aber für die zahlreichen Bürger einer Stadt allzu aufwendig war. Deswegen sind deutsche Städte in echter Berglage selten, im Gegensatz zu großen Teilen des Mittelmeerraumes, wo Zisternen wegen des sommerlichen Wassermangels ohnehin nötig waren.
Es überrascht deshalb nicht, wenn viele Städte eine indifferente oder sogar ungünstige Verteidigungslage zeigen. Der Aspekt der Verteidigung spielte bei ihrer Gründung – oder der Entstehung der Vorgängersiedlung – eben nicht die ausschlaggebende Rolle. Die Lage am Wasser und an den Verkehrswegen schien vielmehr den Gründern so wichtig, dass sie eine Befestigung in Kauf nahmen, die nur mühsam zu verteidigen war, weil sie zum Beispiel unter einem überhöhenden Berghang verlief. Derartiges findet man im gesamten deutschen Raum; als markantes Beispiel seien jene Städte im Mittelrhein- und Moseltal genannt, die die Lage am Fluss damit bezahlten, dass sie von den steilen Schieferhängen unmittelbar überragt wurden, oft so steil, dass sie bergseitig ganz auf Mauern verzichteten. Eine Burg über der Stadt bot zwar oft punktuellen Schutz, der Großteil der Siedlung blieb aber einem Angriff von oben ausgesetzt. (Abb. 12).
Abb. 12 St. Goarshausen (Rheinland-Pfalz) als klassisches Beispiel einer Stadt am Mittelrhein, deren Befestigung in der Burg Neukatzenelnbogen („Katz“) gipfelte; von den zur Burg führenden Schenkelmauern sind beim rechten Turm noch Reste erhalten.
Dennoch gibt es auch Städte in Schutzlage, und zwar – von manchen beherrschend liegenden Burgstädtchen einmal abgesehen – am ehesten unter den Gründungsstädten, deren Lagewahl unabhängiger von engen örtlichen Vorgaben erfolgte und daher einem optimalen Verhältnis der verschiedenen Einflussfaktoren näherkommen konnte. Die meisten Beispiele findet man im nordostdeutschen Flachland – Mecklenburg, Brandenburg, Pommern und Preußen –, wo sich die späte und systematische Gründung der meisten Städte in optimaler Weise mit den Geländeverhältnissen verband; aber auch im gleichfalls spät erschlossenen österreichischen „Waldviertel“ gibt es Städte in geschützter Höhenlage, die dort teilweise durch die Verlegung der Vorgängersiedlung entstanden (Abb. 13).
Abb. 13 Drosendorf (Niederöster reich), Baualterplan. Die Stadt nutzt einen Bergsporn, der nur im Süden bei der Burg leicht zugänglich war (R. Woldron/R. Rhom berg, Drosendorf, 2007).
Abb. 14 Berlin und Cölln um 1200, schematische Rekonstruktion. Die Doppelstadt war ein Beispiel für die Schutzlage auf Flussinseln, wobei Flussübergänge von Fernstraßen gleichfalls wichtig waren (A. von Müller, Edel mann … Bürger …, 1979).
In Norddeutschland verband die Lage auf sandigen Flussinseln oder zwischen eiszeitlich geprägten See- und Sumpfsystemen oft in idealer Weise das Wasserbedürfnis der Siedlung mit dem Schutz gegen unerwünschte Annäherung; der lockere Sandboden erlaubte außerdem die mühelose Anlage von Gräben, auch für den Betrieb von Wassermühlen. Als bekanntere Beispiele für die Nutzung von Flussinseln oder Deltasituationen seien Hamburg, Berlin/Cölln (Abb. 14), Küstrin, Brandenburg/Neustadt und Havelberg genannt; in manchen Fällen mögen künstliche Durchstiche die Situation ergänzt haben. Von Seen umgeben ist Ratzeburg; weniger spektakulär lehnen sich letztlich die meisten Städte Nord- und Ostdeutschlands an einen oder mehrere Seen an, wobei sumpfige, inzwischen meist trockengelegte Niederungen oft fast einen Rundumschutz schufen.
Auch in den anderen Regionen Deutschlands gibt es vergleichbare Fälle, aber nur verstreut. Man darf Geithain in Sachsen erwähnen („civitas“ 1209), das anfangs nur durch aufgestaute Bäche in den beidseitigen Tälern gesichert war, während die Mauern nicht vor das 14. Jahrhundert zurückreichen; ähnlich sind die Anfänge von Weimar zu beschreiben. Stauteiche – streng genommen künstliche Anlagen, die aber mit überschaubarem Aufwand natürliche Angebote maximal nutzen – schützten zum Beispiel auch Dinkelsbühl, Burgau in Bayerisch Schwaben und etliche kleine Städte in der Oberpfalz, wo Stauteiche wegen des Bergbaues ohnehin verbreitet waren, auch Litschau in Niederösterreich. Ein eindrucksvolles Beispiel ist schließlich die Kernstadt von Passau, die zu den beiden reißenden Flüssen hin wohl nie eine Mauer besaß, sondern, seit dem Spätmittelalter, nur die hohen Rückwände der Steinhäuser und einzelne Tore und Rondelle.
Abschließend bleibt zu fragen, was eine verteidigungstechnisch günstige Lage für die weitere Entwicklung der Stadt und ihrer Befestigungen eigentlich bedeutet hat. Auch dies ist eine der vielen Fragen, für die es keine Antwort aus den Quellen gibt, sondern nur Rückschlüsse und die Interpretation gewisser wiederkehrender Phänomene. Fraglos bedeutete ein besonderer Schutz durch Abhänge oder Gewässer einen wirtschaftlichen Vorteil, weil man so mit deutlich geringerem Bauaufwand gleiche Sicherheit wie bei einer Stadt ohne solche Lage erzielen konnte. Dennoch kann man in der Realität kaum eine geradlinige Beziehung zwischen Lage und Stärke der Befestigung feststellen, weil es einfach noch andere starke Einflussfaktoren gab – eine durch die Lage gesicherte Stadt kann dennoch stark ausgebaut sein, weil sie reich oder strategisch wichtig war, auch eine ungünstig liegende Stadt kann schwache Befestigungen behalten haben, weil ihre Wirtschaftskraft nun einmal mehr nicht trug. Eine deutlichere Beziehung zwischen Lage und Ausbaustand findet man am ehesten wieder in Nord- und Nordostdeutschland. Dort nämlich sind nicht nur die Städte in sicherer See- und Sumpflage besonders häufig, sondern auch jene, die nach herrschender Ansicht nie befestigt wurden. Es wird zwar zu zeigen sein (vgl. 2.2.1.6.), dass es sich dabei kaum um unbefestigte Städte handelte, sondern eher um solche, die das Stadium der Holz-Erde-Befestigung nie überschreiten konnten, aber die natürlich gesicherte Lage könnte durchaus den Verzicht nicht auf künstliche Sicherung schlechthin, aber doch auf die teure Mauer nahegelegt haben. Freilich sind auch hier andere Erklärungsmuster nicht zu übersehen, wie vor allem der Steinmangel in diesen Regionen und die späte Entstehung der Städte, durch die ihre wirtschaftliche Entwicklung mit der allgemeinen Krise des 14. Jahrhunderts kollidierte.