Читать книгу Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen im deutschsprachigen Raum - Thomas Biller - Страница 13
1.5. Abbildende Quellen
ОглавлениеAbbildungen von Stadtmauern sind vor dem 16./17. Jahrhundert kaum vorhanden und vor dem 18./19. Jahrhundert in ihrer Aussagekraft recht begrenzt. Zwar sind Stadtsiegel, die im Wesentlichen die Herrschaft über eine Stadt symbolisierten – gleich, ob die eines Stadtherren oder der Stadt selbst –, bis mindestens ins 13. Jahrhundert zurück zahlreich erhalten, im Prinzip also bis in die Entstehungszeit der meisten Städte, und gelegentlich als realistische Abbildungen von Befestigungen interpretiert worden. Beispielsweise in Hessen findet man in der Literatur mitunter die Argumentation, eine Stadt habe zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Mauer besessen, weil das Siegel einer Urkunde dieser Zeit gemauerte Bauteile zeigt – in der Regel ein Tor innerhalb einer symmetrischen Gruppierung, dahinter oft einen Sakralbau. Diese Argumentation ist aber abzulehnen, und zwar deswegen, weil die Siegelbilder nahezu immer eine symbolhaft idealisierte Architektur zeigen, bei der bis in die Antike zurückgehende Darstellungstraditionen deutlich wichtiger waren als der Versuch, die Realität getreu abzubilden. Die Mauer auf einem solchen Siegel will gewiss vermitteln, dass dahinter bereits eine Stadt steht, bei der Befestigung zumindest als Anspruch eine Selbstverständlichkeit war – dass die Befestigung im Jahr des Siegels schon die konkrete bauliche Ausprägung einer Mauer besaß, hieße aber, die Aussagekraft zu überfordern. Dass es dennoch in seltenen Fällen unbestreitbare Annäherungen des Siegelbildes an eine reale Architektur gab, hilft im Regelfall nicht weiter, weil wir diese Ähnlichkeit ja nur feststellen können, wenn die letztere selbst erhalten oder noch greifbar ist.
Erst ab der Zeit um 1500 und danach – mit Hartmann Schedel (1493), Sebastian Münster und Georg Braun/Frans Hogenberg (1572–1618) – kommt die nach Genauigkeit strebende bildliche (und auch textliche) Darstellung ganzer Städte auf. Vor allem die für den Typus namengebenden „Topographien“ des Frankfurter Verlegers und Kupferstechers Matthäus Merian aus dem mittleren 17. Jahrhundert sind bis heute populär geblieben, weil sie von einer großen Anzahl europäischer Städte ein höchst anschauliches Bild ihrer in den Grundzügen noch mittelalterlichen Gestalt geben, und zwar nicht selten das früheste. Die Befestigungen spielen bei solchen Darstellungen, ob von realem Stadtpunkt vor der Stadt gezeichnet, ob aufwendig konstruierte Vogelschau, natürlich eine zentrale Rolle und sind für das Verständnis des ehemaligen Gesamtzusammenhanges unersetzlich, gerade auch als Dokumentation verschwundener Teile, von denen wir sonst wenig oder nichts wüssten; das gilt insbesondere für die Tore und noch mehr für deren Vorwerke, mit denen das 19. Jahrhundert fast immer konsequent aufgeräumt hat (Abb. 6).
Darüber hinaus allerdings bleibt die Aussagekraft solcher überwiegend in Kupfer gestochenen Gesamtansichten – nicht der Detailansichten, die es ausnahmsweise auch gab – engstens begrenzt. Die Mauern wurden von den Zeichnern, und noch mehr von den Stechern, nicht ohne Grund als letztlich immer wieder ähnlich aussehende Bauwerke aufgefasst und das trug neben der Kleinheit des Maßstabes Entscheidendes zu einer stark schematisierten Darstellung bei. Die Aussagen, die man aufgrund dieser Quellen über verschwundene Einzelbauten machen kann, sind daher in der Regel begrenzt; selbst so entscheidende äußerliche Merkmale wie der Grundriss eines Turmes oder seine Dachform können falsch sein, und erst recht ist es unmöglich, aus diesen Darstellungen Aussagen zur Entstehungszeit der Bauteile oder Umbauten abzuleiten. Ähnliches gilt im Übrigen für die gleichfalls ab dem 16. Jahrhundert aufkommenden Festungspläne, die die mittelalterlichen Befestigungen als einbezogene oder angrenzende Teile oft mit darstellen, in der Regel aber nur grob im Grundriss.
Besser wurde die Situation erst mit der wachsenden Verbreitung von Detaildarstellungen, die im 18. Jahrhundert begann und ihren Höhepunkt im 19. Jahrhundert erreichte. Spätestens ab der Romantik wurden auch einzelne Tore und Türme bzw. die Partie „An der Stadtmauer“ zum verbreiteten Motiv. Sowohl Gemälde als auch Drucke, vor allem Stahlstiche, entstanden nun in beeindruckender Fülle und bieten – gerade in der Epoche, in der auch die Abrisse ihren Höhepunkt erreichen – Information über Bauten, über die wir sonst kaum etwas wüssten. Das gilt ähnlich für zeichnerische Umbauplanungen, die ebenfalls ab dem 18. Jahrhundert gelegentlich auftraten, aber erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Archiven der Bauämter systematisch gesammelt wurden; ihre Aussagekraft ist in der Regel dadurch beschränkt, dass der Altbau nur erfasst wurde, soweit er für die Planung nötig war. Im Rahmen dieses Buches gilt jedenfalls, dass von diesen Darstellungen des 18./19. Jahrhunderts in der Regel nur jene ausgewertet wurden, die schon halbwegs im Zusammenhang der Stadtmauern publiziert sind, da es schlicht unmöglich ist, der ungeheuren Fülle dieser Dokumente in Museen, Archiven, Antiquariaten oder gar in Privatbesitz nachzuspüren.
Abb. 6 Düren (Nordrhein-Westfalen) aus der Vogelschau; Kupferstich von Matthäus Merian, 1647. Ein graphisch gelungenes Beispiel, wie Merian die Befestigungen einer Stadt darstellte, von denen heute nur Reste erhalten sind (Merian, Topographia Westphaliae, 1647).