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6. Rechtsschutz

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Verfassungsrechtliche Anforderungen. Soweit ein Enteignungsbetroffener Rechtsschutz gegen einen Planfeststellungsbeschluss sucht, müssen nicht allein die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, sondern auch aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Anforderungen an die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes erfüllt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen die Fachgerichte wegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG „die Enteignung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und dabei insbesondere auch ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen […].“[244] Der Enteignungsbetroffene hat deshalb einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle des Planfeststellungsbeschlusses auf seine objektive Rechtmäßigkeit (sog. Vollüberprüfungsanspruch).[245]

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Kein Vorverfahren. Ebenso wie beim förmlichen Verwaltungsverfahren bedarf es vor Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss keines Vorverfahrens (§ 74 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 70 VwVfG). Demgegenüber ist vor Erhebung einer Anfechtungsklage gegen eine auf Grundlage des § 76 Abs. 2 VwVfG verfügte Planänderung ein Vorverfahren durchzuführen, weil diese nicht in Form eines Planfeststellungsbeschlusses, sondern in Gestalt eines Änderungsbescheids ergeht.[246]

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Zuständiges Gericht. Bei vielen Planfeststellungsbeschlüssen ist nach Maßgabe des § 48 Abs. 1 VwGO das Oberverwaltungsgericht[247] erstinstanzlich zuständig. Das Bundesverwaltungsgericht ist gem. § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO[248] bzw. § 5 Abs. 1 VerkPBG[249] für die Entscheidung über Verkehrsinfrastrukturvorhaben betreffende Planfeststellungsbeschlüsse erst- und letztinstanzlich und damit ausnahmsweise nicht als Revisionsgericht, sondern als Tatsachengericht zuständig.[250]

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Verletzung formellen Rechts. Die Relevanz von Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formfehlern ist in folgenden Schritten zu prüfen: Zunächst ist anhand des § 44 VwVfG festzustellen, ob der Fehler zur Nichtigkeit des Planfeststellungsbeschlusses führt. Ist dies nicht der Fall, ist die Heilung des Verfahrens- oder Formfehlers gem. § 75 Abs. 1a Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 45 Abs. 1 VwVfG zu prüfen. Wurde der Fehler nicht geheilt, ist aber offensichtlich, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat, scheidet eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gem. § 75 Abs. 1a Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. § 46 VwVfG schon aus diesem Grunde aus. Anderenfalls führt er nicht automatisch zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, sondern nur dann, wenn er nicht durch Planergänzung oder Durchführung eines ergänzenden Verfahrens behoben werden kann (§ 75 Abs. 1a Satz 2 Halbs. 1 VwVfG).[251]

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Abwägungsfehler. Die Abwägung überprüft das Gericht nur darauf, ob die Planfeststellungsbehörde den zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt, den richtigen abwägungserheblichen Sachverhalt zugrunde gelegt und alle abwägungserheblichen Belange entsprechend ihrem Gewicht berücksichtigt hat (vgl. auch Rz. 79).[252]

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Durch den mit dem Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 12.9.1996[253] neu eingefügten § 75 Abs. 1a VwVfG werden die Folgen von Abwägungsfehlern erheblich gemildert. Sie sind nur dann erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG). Diese Bestimmung dient dem Grundsatz der Planerhaltung.[254] Offensichtlich i.S.d. § 75 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist, „was zur ‚äußeren‘ Seite des Abwägungsvorgangs derart gehört, dass es auf objektiv erfassbaren Sachumständen beruht, also Fehler und Irrtümer, die zum Beispiel die Zusammenstellung und Aufbereitung des Abwägungsmaterials, die Erkenntnis und Einstellung aller wesentlichen Belange in die Abwägung oder die Gewichtung der Belange betreffen und die sich etwa aus den Aufstellungsvorgängen, der Planbegründung oder sonstigen Unterlagen ergeben“[255]. Ergebnisrelevant i.S.d. § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG ist ein solcherart offensichtlicher Abwägungsmangel dann, „wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Abwägungsmangel eine andere Entscheidung getroffen worden wäre; eine nur abstrakte Möglichkeit einer anderen Entscheidung genügt nicht“[256].

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§ 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG muss aber mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungskonform zurückhaltend ausgelegt und angewendet werden.[257] Namentlich muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Einzelfallanwendung des verfassungsrechtlich an sich nicht zu beanstandenden Kriteriums der „konkreten Möglichkeit“ das Verbot der hypothetischen Abwägungsentscheidung durch das Gericht anstelle der Planfeststellungsbehörde beachtet werden.[258] Danach darf das Gericht die konkrete Möglichkeit nicht schon dann verneinen, „wenn sich aus den Akten oder sonstigen Erkenntnissen des Gerichts lediglich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Planfeststellungsbehörde bei Vermeidung des Mangels eine andere Entscheidung getroffen hätte. Denn allein das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für eine andere Entscheidung lässt grundsätzlich keinen hinreichend sicheren Rückschluss darauf zu, welches Planungsergebnis ohne den Fehler zustande gekommen wäre.“[259]

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Nicht jeder offensichtliche und ergebnisrelevante Abwägungsfehler führt zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, sondern nur ein solcher, der nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann (§ 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG).

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Eine Planergänzung kommt nur in Bezug auf solche fehlerbeseitigenden Maßnahmen in Betracht, die die Gesamtkonzeption der Planung oder eines abtrennbaren Planungsteils nicht berühren.[260] Ein typischer Anwendungsfall ist die nachträgliche Anordnung einer Schutzauflage.[261] Das ergänzende Verfahren dient der Behebung von Abwägungsfehlern, „bei denen die Möglichkeit besteht, dass die Planfeststellungsbehörde nach erneuter Abwägung an der getroffenen Entscheidung festhält und hierzu im Rahmen ihres planerischen Ermessens auch berechtigt ist, bei denen sie also nicht von vornherein darauf verwiesen ist, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben oder zu ändern.“[262] Voraussetzung ist also, dass die konkrete Möglichkeit der Behebbarkeit des Fehlers besteht und der Fehler nach Art und Schwere nicht von vornherein das Gesamtkonzept der Planung in Zweifel zieht.[263]

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Liegt ein durch Planergänzung oder Durchführung eines ergänzenden Verfahrens behebbarer Verfahrensfehler oder Abwägungsmangel vor, hebt das Verwaltungsgericht den Planfeststellungsbeschluss nicht auf, sondern erklärt ihn für rechtswidrig und nicht vollziehbar.[264]

C. Besondere Verfahrensarten › III. Das Planfeststellungsverfahren › 7. Außerkrafttreten und Aufhebung des Plans

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