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a) Androhung der Zwangsmittel

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Bedeutung. Bevor ein Zwangsmittel zur Anwendung gelangt, muss es grundsätzlich zunächst angedroht werden. Die Androhung ist das Kernstück des Verwaltungszwangs. Dem Betroffenen soll deutlich gemacht werden, mit welchen Zwangsmitteln er rechnen muss, wenn er seinen Pflichten nicht nachkommt; weiterhin soll ihm Gelegenheit gegeben werden, die Verfügung freiwillig zu erfüllen.[104] Die Warnfunktion der Androhung hat Bedeutung in den Fällen der Rechtsnachfolge. Ist einer Person ein Zwangsmittel angedroht worden, so muss die Androhung gegenüber deren Rechtsnachfolger wiederholt werden, da dieser nicht von Vollstreckungsmaßnahmen überrascht werden soll.[105] Ihrer Rechtsnatur nach stellt die Androhung einen Verwaltungsakt dar,[106] § 18 Abs. 1 Satz 1 VwVG hat insofern klarstellende Bedeutung.[107] Die Androhung ist die erste Vollstreckungsmaßnahme,[108] gegen sie eingelegte Rechtsbehelfe haben nach den gesetzlichen Bestimmungen der meisten Länder (etwa § 112 Satz 1 JustG NRW) keine aufschiebende Wirkung.

Von einer Androhung darf nur in gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen abgesehen werden (§ 13 Abs. 1 Satz 1 VwVG bzw. § 63 Abs. 1 Satz 5 und § 69 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW). Form und Inhalt der Androhung unterliegen besonderen Anforderungen, die sorgfältig beachtet werden müssen.

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Vollstreckungshindernisse. Vor Erlass einer Androhung muss die Vollzugsbehörde prüfen, ob der Vollstreckung Hindernisse entgegenstehen. Die Erzwingung solcher Handlungen ist unzulässig, deren Ausführung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf die Mitwirkung Dritter angewiesen ist und ohne deren Mitwirkung nicht möglich ist. So ist die Androhung, eine rechtswidrig errichtete bauliche Anlage im Wege der Ersatzvornahme beseitigen zu lassen, rechtswidrig, wenn der Betroffene die Verpflichtung (beispielsweise wegen Miteigentums oder Mitbesitzes eines Dritten) nicht allein erfüllen kann, es sei denn, der Dritte hat unwiderruflich sein Einverständnis erteilt, es liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass er gegen die Vollstreckung keine Einwände erheben wird oder ihm gegenüber ist eine unanfechtbare oder sofort vollziehbare Duldungsverfügung ausgesprochen worden.[109] Zu klären sind insoweit mitunter zivilrechtliche Fragen. So bedarf es zur Durchsetzung des Abrisses einer vom Pächter im Außenbereich errichteten Jagdhütte keiner Duldungsverfügung gegen den Grundstückseigentümer, wenn die Hütte als sogenannter Scheinbestandteil qualifiziert werden kann.[110]

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Förmlichkeiten. Die Androhung eines Zwangsmittels muss schriftlich erfolgen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 VwVG bzw. § 63 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW). Als sog. unselbstständige Androhung kann sie mit dem zu vollziehenden Verwaltungsakt verbunden werden; sie soll mit ihm gemeinsam ergehen, wenn einem Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 13 Abs. 2 VwVG bzw. § 63 Abs. 2 VwVG NRW). Im Übrigen kann eine Androhung von der zuständigen Vollzugsbehörde auch separat in die Welt gesetzt werden (selbstständige Androhung). In diesem Fall kann von einer Anhörung des Betroffenen nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG abgesehen werden. Die Androhung muss schließlich förmlich nach den Bestimmungen des Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt werden, im Fall einer unselbstständigen Androhung auch dann, wenn für das durchzusetzende Ge- oder Verbot keine Zustellung vorgeschrieben ist (§ 13 Abs. 7 VwVG bzw. § 63 Abs. 6 VwVG NRW). Diese Form der Bekanntgabe ist zwingend, ihre Nichtbeachtung führt zur Unwirksamkeit der Androhung.[111]

Allerdings kommt eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 8 VwZG in Betracht, sofern die Behörde mit Zustellungswillen gehandelt hat.[112]

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Frist. Dem Betroffenen muss in der Androhung eine angemessene Frist zur Erfüllung der Verpflichtung aus der Grundverfügung gesetzt werden (§ 13 Abs. 1 Satz 2 VwVG, § 63 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW). Diese Frist hat neben ihrer Erzwingungsfunktion auch den Sinn, ihm die Möglichkeit zu eröffnen, vor der Durchführung der Vollstreckung vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.[113] Die Fristsetzung ist nach § 63 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW nicht zwingend, wenn eine Duldung oder Unterlassung erzwungen werden soll. Obwohl das VwVG des Bundes keine ausdrückliche Regelung enthält, kann im Regelfall auch hier davon ausgegangen werden, dass es einer besonderen Fristsetzung in diesen Fällen der Natur der Sache nach nicht bedarf.[114] Wird – obwohl erforderlich – keine Frist bestimmt oder ist die gesetzte Frist nicht angemessen, ist die Androhung rechtswidrig, aber nicht nichtig.[115] Die Frist muss genau festgesetzt werden, die Aufnahme des Begriffs „unverzüglich“ in die Androhung reicht insoweit nicht aus.[116] Die Frist darf nicht kürzer sein als die einschlägige Rechtsbehelfsfrist, es sei denn, der Grundverwaltungsakt ist unanfechtbar, die sofortige Vollziehung des Grundverwaltungsakts ist angeordnet oder ein Rechtsbehelf hat kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung.[117] § 63 Abs. 1 Satz 3 VwVG NRW sieht jetzt ausdrücklich eine entsprechende Regelung vor.

Ist die Frist abgelaufen, bevor der Verwaltungsakt – etwa wegen des Suspensiveffekts einer Anfechtung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO – vollstreckt werden kann, wird die Fristbestimmung gegenstandslos mit der Folge, dass nach Unanfechtbarkeit des Bescheides das Zwangsmittel noch nicht festgesetzt werden darf, vielmehr zunächst eine neue Frist bestimmt werden muss.[118] Hingegen geht es zu weit, in einem solchen Fall eine Erledigung der Androhung insgesamt anzunehmen.[119] Eine derartige Erledigung liegt nur vor, wenn die Behörde die Androhung erkennbar selbst nicht mehr als Vollstreckungsgrundlage ansieht.[120] Um all diesen Fragen aus dem Weg zu gehen, empfiehlt es sich in der Praxis, in den Fällen einer Verbindung einer Zwangsmittelandrohung mit einer nicht sofort vollziehbaren Grundverfügung die Frist auf einen Zeitraum nach Bestandskraft der Verfügung zu beziehen.[121] Der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber bestimmt aus Gründen der Verfahrensvereinfachung für solche Fallgestaltungen, dass nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens der Eintritt der Bestandskraft an die Stelle des behördlich bestimmten Zeitpunkts tritt, sofern ein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vom Betroffenen eingelegt wird (§ 63 Abs. 1 Satz 4 VwVG NRW). Einer erneuten Fristsetzung durch die Behörde bedarf es insoweit nicht mehr.

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Bestimmtes Zwangsmittel. Die Androhung muss sich auf ein bestimmtes Zwangsmittel beziehen (§ 13 Abs. 3 Satz 1 VwVG, § 63 Abs. 3 Satz 1 VwVG NRW). Das in Aussicht genommene Zwangsmittel muss konkret bezeichnet werden, allgemein „die Anwendung von Verwaltungszwang“ anzudrohen, wäre mithin unzulässig. Das bedeutet allerdings nicht, dass schon in der Androhung die genaue Art und Weise der Durchführung des Zwangs festgelegt werden muss.[122] Die Ankündigung, es werde „unmittelbarer Zwang“ angewendet, ist von daher zulässig[123]. Eine weitergehende Konkretisierung des Behördenvorhabens wäre häufig nicht zweckmäßig, weil sie dem Betroffenen die Möglichkeit verschaffen würde, geplanten Vollstreckungsmaßnahmen entgegenzuwirken.

Nach § 13 Abs. 3 Satz 2 VwVG dürfen weder mehrere Zwangsmittel gleichzeitig angedroht werden, noch darf die Vollzugsbehörde sich die Wahl zwischen mehreren Zwangsmitteln vorbehalten. Dieses Kumulationsverbot betrifft allerdings nicht den Fall, dass zur Durchsetzung mehrerer in einer Verfügung angeordneter Maßnahmen unterschiedliche Zwangsmittel angedroht werden, sofern jeder Maßnahme ein bestimmtes Zwangsmittel zugeordnet werden kann.[124] Nach § 63 Abs. 3 Satz 2 VwVG NRW muss bei der Androhung mehrerer Zwangsmittel angegeben werden, in welcher Reihenfolge diese angewendet werden sollen. Zwangsgelder müssen im Übrigen in bestimmter Höhe angedroht werden (§ 13 Abs. 5 VwVG, § 63 Abs. 5 VwVG NRW). Insofern muss ein genauer Betrag angegeben werden, die Nennung eines Höchstbetrages ist nicht ausreichend. Sind mehrere Personen (etwa Eheleute als Eigentümer eines Grundstücks) ordnungspflichtig, so verlangt § 37 Abs. 1 VwVfG, dass aus der Androhung hinreichend deutlich wird, wem das Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht wird.

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Weitere Einzelheiten. Die Androhung eines Zwangsmittels „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“ ist, wenn sie nicht gesetzlich zugelassen wird,[125] im Hinblick auf § 13 Abs. 6 Satz 2 VwVG unzulässig. Sie widerspricht dem Charakter der Zwangsmittel als reinen Beugemitteln. Bei andauernden Zuwiderhandlungen sollen dem Pflichtigen die Folgen seines Handelns deutlich vor Augen geführt werden. Zwangsmittel dürfen insoweit wiederholt und auch gesteigert werden, dazu bedarf es aber jeweils einer neuen Androhung[126].

Wird eine Ersatzvornahme angedroht, müssen nach § 13 Abs. 4 Satz 1 VwVG in der Androhung die geschätzten voraussichtlichen Kosten angegeben werden, damit der Betroffene erkennen kann, welche Kostenbelastung wahrscheinlich auf ihn zukommt. Übersteigen die tatsächlichen Kosten den veranschlagten Betrag, hat die Behörde ein Nachforderungsrecht (§ 13 Abs. 4 Satz 2 VwVG). Der Anspruch auf Erstattung der tatsächlich entstandenen Kosten der Ersatzvornahme besteht auch bei wesentlicher Überschreitung des im Androhungsbescheid vorläufig veranschlagten Kostenbetrags. Aus dem Vollstreckungsverhältnis ergibt sich allerdings die Nebenpflicht der Behörde, dem Pflichtigen eine voraussehbare wesentliche Kostenüberschreitung vor Durchführung der Ersatzvornahme mitzuteilen; die Verletzung dieser Pflicht kann Amtshaftungsfolgen auslösen.[127] Nach § 63 Abs. 4 VwVG NRW sollen in der Androhung die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme angedroht werden, ansonsten ist die Rechtslage identisch.

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