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6. Das Recht auf Akteneinsicht
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Das Recht auf Akteneinsicht hat ebenso wie das Recht auf Anhörung den Zweck, dem Beteiligten die effektive Wahrung seiner Rechte im Verwaltungsverfahren zu ermöglichen. Es ist an verschiedene Voraussetzungen geknüpft:
– | Berechtigte: Das Recht steht nur dem Verfahrensbeteiligten zu. Es gibt demgemäß keinen Anspruch auf „allgemeine Aktenöffentlichkeit“ und zwar auch nicht für Rechtsanwälte außerhalb der Verwaltungsverfahren der von ihnen vertretenen Beteiligten. Es gilt der formelle Beteiligtenbegriff des § 13 VwVfG.[60] |
– | Gegenstand des Einsichtsrechts: Der Beteiligte hat nur das Recht auf Einsicht in die sein Verwaltungsverfahren betreffenden Verwaltungsvorgänge;[61] kein Einsichtsrecht besteht in Entwürfe und Vorbereitungsarbeiten (Abs. 1 Satz 2). Darüber hinaus kann Akteneinsicht nur begehrt werden, soweit diese „zur Geltendmachung oder Verteidigung (. . .) der rechtlichen Interessen erforderlich ist“ (§ 29 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz VwVfG). Der Beteiligte kann demgemäß nicht das Recht zur Akteneinsicht in Anspruch nehmen, nur um beispielsweise von behördeninternen Vorgängen informiert zu werden, deren Kenntnis er für die Wahrnehmung seiner Rechte nicht bedarf.[62] |
– | Legitime Interessen der Behörde gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1, 1. Alt. (Beispiel a) oder das Wohl des Bundes oder eines Landes (Beispiel b) können einer Akteneinsicht entgegenstehen. |
Beispiele:
a) | Eine Akteneinsicht erfolgt zur Unzeit, beispielsweise bei sehr starkem Arbeitsanfall; die Verwaltungsvorgänge werden gerade zur Besprechung des weiteren Vorgehens benötigt. |
b) | Eine deutsche Staatsangehörige, die im Ausland wegen des Verdachtes einer Beteiligung an einem terroristischen Sprengstoffanschlag im Militärgefängnis in Untersuchungshaft inhaftiert worden war, verlangte von der Bundesregierung, auf diplomatischem Wege mit dem Ziel der Freilassung tätig zu werden. Die Bundesregierung verweigerte die begehrte Akteneinsicht, weil sich aus den Verwaltungsvorgängen die Art und Weise ihres diplomatischen Vorgehens ergab, dessen Kenntnis in der Öffentlichkeit dem „Wohl des Bundes“ Nachteile bereitet hätte.[63] |
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Zeitliche Grenzen der Akteneinsicht. Die Akteneinsicht ist zeitlich beschränkt. Sie setzt ein bereits begonnenes Verwaltungsverfahren voraus[64] (vgl. § 22 VwVfG), das noch nicht zum Abschluss gekommen sein darf.[65] Außerhalb dieses zeitlichen Rahmens besteht der Anspruch nicht mehr nach § 29 VwVfG;[66] die Behörde ist insoweit zur Akteneinsicht nur noch nach pflichtgemäßem Ermessen verpflichtet.
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Form der Akteneinsicht. Einsicht nehmen bedeutet zunächst Durchsehen und Lesen der Akten; dies schließt das Recht ein, sich Notizen zu machen. Es besteht kein Anspruch, sich von den Verwaltungsvorgängen Fotokopien anzufertigen; die Entscheidung hierüber liegt im Ermessen der Behörde. Sofern nicht die Kopie umfangreicher Konvolute verlangt wird, wird es aber oft im Interesse der Behörde liegen, dem Begehren nach Anfertigung von Fotokopien nachzukommen, weil die Akteneinsicht schneller vorgenommen werden kann und damit die Akten früher der Behörde zur Verfügung stehen.
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Ort und Zeit der Akteneinsicht. Die Akteneinsicht erfolgt bei der aktenführenden Behörde, § 29 Abs. 3 Satz 1 VwVfG. Es versteht sich von selbst, dass kein Anspruch auf Akteneinsicht außerhalb der Dienstzeit besteht. Die Behörde kann die Einsicht bei einer anderen Behörde (§ 29 Abs. 3 Satz 2, 1. Alternative VwVfG) oder sogar die Mitnahme in die Büroräume eines Anwaltes gestatten; die Grundlage hierzu bietet § 29 Abs. 3 Satz 2, letzte Alternative VwVfG. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn generell die Einsicht nur am Behördensitz gewährt wird, etwa wegen der Verlustgefahr und im Interesse einer ständigen Verfügbarkeit der Akten. Ebenfalls vertretbar ist eine Praxis, die bestimmte Akten (beispielsweise Archivakten historischer Bedeutung) von der Versendung ausnimmt. Es kann auch gerechtfertigt sein, bestimmte Anwälte, die sich als unzuverlässig im Umgang mit Akten erwiesen haben (etwa aufgrund mehrfach unvollständiger, ungeordneter oder deutlich verspäteter unentschuldigter Rückgabe), auf die Einsichtnahme in der Behörde zu beschränken. Welche Verwaltungspraxis die Behörde einführt, steht in ihrem pflichtgemäßen, d.h. am Gleichheitssatz auszurichtenden Ermessen. Dies bedeutet, dass für eine Abweichung von der üblichen Praxis ein sachlicher Grund gegeben sein muss.[67] Die Verweigerung der Akteneinsicht oder die Ablehnung einer bestimmten Form der Akteneinsicht ist ein verfahrensgestaltender Verwaltungsakt, der nur nach Maßgabe des § 44a VwGO anfechtbar ist.[68]
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Von der Beteiligtenstellung unabhängige Berechtigungen zur Akteneinsicht nach den Umweltinformations- und Informationsfreiheitsgesetzen. Neben dem die Beteiligtenstellung nach § 13 VwVfG voraussetzenden Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG bestehen Berechtigungen zum „Informationszugang“ und damit gegebenenfalls auf Akteneinsicht nach dem jeweiligen Umweltinformationsgesetz bzw. Informationsfreiheitsgesetz des Bundes und der meisten Bundesländer. Das ursprünglich in Umsetzung einer EG-Richtlinie[69] 1994 ergangene Umweltinformationsgesetz des Bundes bedeutet ebenso wie das 2006 in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz des Bundes und die nachfolgenden parallelen Regelungen der Länder einen einschneidenden Paradigmenwechsel[70] weg von der eingeschränkten Beteiligtenöffentlichkeit des Verwaltungsverfahrens und der Verwaltungsvorgänge hin zur Verwaltungsöffentlichkeit – mit dem sich die Anspruchsverpflichteten bei Bund und Ländern nach wie vor schwer tun. Der Informationszugang kann – und hier wird die Nahtstelle zu § 29 VwVfG ersichtlich – durch Auskunft, Akteneinsicht oder in sonstiger Weise erfolgen, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 IFG.
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Deutlich wird der Paradigmenwechsel vor allem in der Regelung der Anspruchsberechtigten: Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 UIG[71] hat jede Person nach Maßgabe des Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle verfügt, ohne ein rechtliches Interesse daran darlegen zu müssen. Nimmt man weiter in den Blick, dass der Kreis der informationspflichtigen Stellen durch § 2 Abs. 1 und 2 UIG denkbar weit gezogen ist und neben der Regierung und anderen Stellen der Verwaltung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UIG) auch natürliche und juristische Personen des Privatrechts umfasst, soweit sie im weitesten Sinne öffentliche Aufgaben wahrnehmen und dabei der Kontrolle des Bundes oder einer der Bundesaufsicht unterstehenden juristischen Person des öffentlichen Rechts unterliegen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UIG), so wird die umfassende Informationszugangsberechtigung darin ebenso deutlich wie in dem gleichermaßen schon de lege lata sehr weit gezogenen Kreis der möglichen Umweltinformationen in § 2 Abs. 3 UIG, der zudem von der Rechtsprechung großzügig interpretiert wird – und nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch soll[72]. Hingegen sind die den Informationszugang ausschließenden Ablehnungsgründe der enumerativ-abschließenden §§ 8 und 9 UIG sehr eng gezogen und werden von der Judikatur auch im Hinblick auf den Gesetzeszweck restriktiv interpretiert[73]; die insoweit bestehende Darlegungslast der anspruchsverpflichteten Stellen für das Vorliegen der Ausschlussgründe wird dem korrespondierend sehr hoch angesetzt. Nicht anders ist der Befund auf Länderebene, auch hier sind Kreis der Anspruchsberechtigten (vgl. etwa § 2 Satz 1 UIG NRW[74] – jede Person) und Anspruchsverpflichteten (so in § 1 Abs. 2 und 3 UIG NRW) denkbar weit gezogen; hinsichtlich der Ausschlussgründe wird i.d.R. auf die bundesrechtlichen Normierungen verwiesen (vgl. § 2 Satz 3 UIG NRW).
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Kaum restriktiver sind die Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes auf Bundes- wie Länderebene. Nach dem IFG Bund[75] hat ebenfalls Jeder gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen, § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG. Enger gezogen ist der Kreis der Anspruchsverpflichteten, dies sind nur Behörden des Bundes sowie sonstige Bundesorgane und Bundeseinrichtungen, soweit sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen; Behörden stehen allerdings juristische Personen des Privatrechts gleich, soweit sich die Behörde ihrer zur Aufgabenerfüllung bedient, § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 IFG. Weitergehend und umfassender den Schutz besonderer öffentlicher Belange (§ 3 IFG)[76], des behördlichen Entscheidungsprozesses (§ 4 IFG), personenbezogener Daten (§ 5 IFG) und des geistigen Eigentums sowie von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 6 IFG) normierend sind die Ausschlusstatbestände formuliert. Der im Grundsatz nicht an Voraussetzungen geknüpfte oder sonst beschränkte Informationszugangsanspruch steht ausdrücklich neben einem Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG (vgl. § 1 Abs. 3 IFG). Während auf Bundesebene mit der Regelung des „Jeder“ in § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG keinerlei Beschränkung des Berechtigtenkreises erfolgt, demnach also natürliche wie juristische Personen den Zugangsanspruch geltend machen können, finden sich auf Länderebene teilweise Einschränkungen, die den Anspruch etwa auf natürliche Personen[77] oder Unionsbürger[78] beschränken. Hinsichtlich der Auslegung der Ausschlusstatbestände gilt das vorstehend Ausgeführte.
B. Allgemeine Grundsätze, Subjekte und Ablauf des Verwaltungsverfahrens › I. Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsverfahrens › 7. Betreuungs- und Belehrungspflichten der Behörde