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1. Amtsverfahren
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§ 22 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2, 1. Alternative VwVfG verhalten sich zum Amtsverfahren. Die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens steht nach Satz 1 zunächst im pflichtgemäßen Ermessen (§ 40 VwVfG) der Behörde, es gilt das Opportunitätsprinzip. Hiernach kann sowohl die Entscheidung der Behörde, tätig zu werden, wie die Entscheidung, kein Verwaltungsverfahren einzuleiten, ermessensgerecht sein. Bekanntestes Beispiel hierfür sind die in den Polizeigesetzen der Bundesländer enthaltenen Bestimmungen, die das polizei- oder ordnungsbehördliche Einschreiten ausdrücklich in das pflichtgemäße Ermessen stellen.
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Bedeutung des materiellen Rechts. Stellt das materielle Recht die Entscheidung über das Einschreiten in das Ermessen der Behörde, ist damit auch die Einleitung des Verfahrens in das Ermessen der Behörde gestellt. Wenn im Einzelfall nach materiellen fachlichen Gesichtspunkten das Ermessen zum Einschreiten (Handlungsermessen) zu einer Handlungsverpflichtung verdichtet ist, so ist die Behörde auch zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens verpflichtet.
Im Polizei- und Ordnungsbehördenrecht billigt die Rechtsprechung dem Bürger dann einen Anspruch auf polizei- oder ordnungsbehördliches Einschreiten zu, wenn auf Grund einer Gefahrenlage die sog. Schädlichkeitsgrenze überschritten und der Bürger auf polizeiliche Hilfe existenziell angewiesen ist; in Betracht kommt dies bei der ernsthaften Bedrohung erheblicher Rechtsgüter (genannt werden in diesem Zusammenhang Leib, Leben, Gesundheit, Eigentum), wenn die Polizei die Gefahr ohne Vernachlässigung gleichgewichtiger Schutzgüter abwehren kann und wenn private Hilfe nicht rechtzeitig erreichbar ist.[218] Zu beachten ist, dass diese Ermessensgrundsätze nicht für alle Bereiche des Rechts der Gefahrenabwehr einheitlich gelten und auch Wandlungen unterworfen sein kann. Namentlich im Baurecht beurteilte die Rechtsprechung früher den Anspruch des Nachbarn auf baubehördliches Einschreiten häufig nach den allgemeinen polizeilichen Kategorien. Heute wird dagegen davon ausgegangen, dass bei einem nachbarrelevanten Baurechtsverstoß die Baubehörde „aus Gründen der Effektivität des Nachbarrechtsschutzes“ im Regelfall zum Einschreiten verpflichtet ist.[219]
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Verpflichtung zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens. § 22 Satz 2 Nr. 1, 1. Alternative VwVfG verpflichtet die Behörde zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens und ist damit Ausdruck des Legalitätsprinzips oder Offizialprinzips. Aus Vorschriften des materiellen Rechts ergibt sich beispielsweise dann eine Verpflichtung zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens, wenn die Behörde zum Handeln verpflichtet ist, wie dies bei Vorschriften gebundenen Rechts und – in abgeschwächter Form – bei sog. „Soll“-Vorschriften[220] der Fall ist.
Beispiel:
§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BBG (Rücknahme einer Beamtenernennung); § 35 GewO (Untersagung eines Gewerbes wegen Unzuverlässigkeit).
B. Allgemeine Grundsätze, Subjekte und Ablauf des Verwaltungsverfahrens › IV. Ablauf des Verwaltungsverfahrens › 2. Antragsverfahren