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Sachgerecht durchgeführtes Blutdoping führt zu einem Leistungszuwachs von mindestens fünf Prozent. Auf einer Strecke von 3.500 Kilometern (das entspricht in etwa der Länge der Tour de France) wird ein gedopter Fahrer gegenüber einem nicht gedopten einen Vorsprung von 175 Kilometern herausfahren, also fast eine Etappenlänge. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 39 km/h macht dies über alle Etappen gerechnet einen Vorteil von knapp viereinhalb Stunden. All dies bei sehr konservativer Schätzung.

Als man Ben die Einnahme leistungsfördernder Mittel zum ersten Mal antrug, wusste er über die Details nicht Bescheid. Er musste sie auch nicht wissen, denn das Gefühl, das die Unausweichlichkeit einer Niederlage gegen jene, die nachhalfen, in ihm hervorrief, wirkte jenseits von Fakten. Ben spürte, dass sein Verzicht auf leistungsfördernde Mittel in eine Kette von Niederlagen münden würde; er hatte es am eigenen Leibe erfahren. Er, der einst so viele Rennen mit fliegenden Fahnen gewonnen hatte, er, der Mann mit dem phänomenalen Antritt am Berg, er, dessen Leistungsdaten Ärzten und Trainern Freudentränen in die Augen getrieben hatte, der immer dieses eine Prozent mehr draufhatte als alle anderen, ja, er spürte nun mit jeder Faser seines durchtrainierten Leibes, dass das Siegen nur kalte Arithmetik war. Das eine Prozent natürlicher Überlegenheit seines gesegneten Körpers stand den fünf, zehn, fünfzehn Prozent biochemischer Möglichkeiten entgegen. Fünf minus eins, eins minus fünf, wie man es auch dreht, der Betrag ist immer vier, und er ist immer negativ. Ebenso gut hätte Ben mit gebrochenen Füßen an den Start gehen können, ohne Königin gegen einen Schachgroßmeister gewinnen wollen. Fünf minus eins, eins minus fünf, so lautete das Kräfteverhältnis der nordamerikanischen Indianer, die mit Pfeil und Bogen und Streitaxt bewaffnet im Kugelhagel der weißen Armeen bluteten. Fünf minus eins, eins minus fünf, so riefen die Trommeln der afrikanischen Stämme zum Krieg gegen die europäischen Usurpatoren, fünf minus eins, das ewige Verhältnis von Sieger und Besiegtem und gnadenlose Wahrheit, der auch Ben sich fügen musste; an jenem denkwürdigen dritten Juni nämlich, bei diesem gottverdammten Anstieg zum Nufenenpass in den Schweizer Alpen. Dort durchschritt er sein Inferno, dort durchmaß er sein Leiden, sein Körper und er allein gegen den Berg, diesen verfluchten Berg. Und im Moment der größten Entäußerung fällte das grausame Schicksal sein Urteil. Es gab Weisung, das Fallbeil über dem Hals des Helden zu lösen.

Er spürte das scharfe Eisen in seinem Nacken in dem Moment, als die Dreiergruppe zu ihm aufschloss. Sein Bewusstsein blitzte ein letztes Mal auf und Ben sah ein helles Licht, dann löste sich der Kopf vom Rumpf und sein Leben erlosch in einem schwarzen Punkt. Siegfried spürte den blanken Stahl in seine Schulter dringen, und von nun an würde er ihn wieder und wieder spüren, an allen Gliedern seines Körpers, und immer aufs Neue würde er ihn sterben müssen, diesen furchtbar einsamen Tod ohne Hoffnung und ohne Liebe, einen Tod ohne Verheißung auf ein neues Leben im Radfahrerolymp. An diesem Tag erreichte Ben das Ziel als Achter mit drei Minuten und fünfunddreißig Sekunden Rückstand. Drei Minuten fünfunddreißig Sekunden, das ist eine Welt für einen, der auf der Erde steht und zu den Sternen will. Drei Minuten fünfunddreißig Sekunden, das ist der Unterschied zwischen Wachen und Träumen, Hoffen und Wissen, Leben und Sterben. In jenen bitteren Stunden der Niederlage begriff er, dass etwas Unausweichliches, etwas Endgültiges geschehen war, aus seinen Tränen schimmerte etwas hervor, das den hässlich derben Geschmack des Unumkehrbaren in sich trug; die raue Erkenntnis der Sterblichkeit brannte wie Feuer in seinem Herzen und der Schmerz dieser elenden Niederlage riss seine Seele entzwei.

Er schleppte sich durch zwei trübsinnige Wochen, dann aber spürte er in seinem Inneren eine Regung, etwas Lebendiges, Hoffnungsvolles stieg aus seinem Herzen empor. Es war eine Regung des Widerstands und des Mutes eines Geschlagenen, der sich nicht ergeben will, weil er zum Kämpfen geboren ist und eher auf dem Schlachtfeld fallen will, als sich dem Kummer und der selbstmitleidigen Trostlosigkeit eines altersschwachen Todes im heimischen Bette anheimzugeben. Ben lehnte sich gegen das scheinbar unvermeidliche Schicksal auf. Niemals, niemals würde er aufgeben, nein, er würde kämpfen, härter trainieren als je zuvor, noch mehr aus seinem Körper herausholen, koste es, was es wolle und – der Gedanke kam ihm fast nebenbei – vielleicht wäre es gut, einmal mit den Ärzten zu reden. Ja, das wäre sicher gut, mal sehen, was die dazu sagten.

Gelbfieber

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