Читать книгу Gelbfieber - Thomas Ross - Страница 19
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ОглавлениеDas abschließende Zeitfahren ging an Ben, aber Mulligan gewann die Tour mit zweieinhalb Minuten Vorsprung. In diesem Jahr verzichtete Ben auf die Teilnahme an der Vuelta. Es gab die Zeitfahrweltmeisterschaft, und für Ben stand der Ruf des besten Zeitfahrers auf dem Spiel. Also trainierte er eigens für diese Disziplin, ging in den Windkanal, adjustierte seine Sitzhaltung während der Anstiege und legte großen Wert auf den Zustand seiner Zeitfahrmaschine. Unterdessen interessierten sich Fahrer und Mannschaftsleitung brennend für die Hintergründe der enormen Leistung Mulligans während der Tour. Vor zwei, drei Jahren hatte ihn noch niemand so recht auf dem Schirm gehabt. Mulligan war kein Jungstar gewesen wie Ben, der früh Erfolge einfuhr und sie dann kontinuierlich ausbaute. Verglich man die Leistungsentwicklung der beiden Männer, konnte man bei Ben einen prototypisch logarithmischen Verlauf erkennen, bei Mulligan aber deutliche Schwankungen und einen späten Leistungssprung. Die Teamleitung verbrachte ganze Nächte mit dem Studium der Daten, denn es war klar, dass man über Mulligan einfach zu wenig wusste. Wie in Gottes Namen hatte er es angestellt? Alle Dopingtests waren negativ, es gab nicht ein einziges Verdachtsmoment. Mulligan hatte keine Fehler gemacht, diese Amerikaner waren gerissen. Aber es wollte niemand glauben, dass neben den üblichen Mitteln keine neuen Substanzen verwendet wurden. Glukokortikoide, Testosteron, Epo, Wachstumshormone, das war ja alles bekannt, und die amerikanischen Labors konnten es auch nicht besser als die europäischen. Man hatte alle verfügbaren Fotos und Filmaufnahmen von Mulligan gesichtet, datiert und eingehend analysiert, aber man fand keinen Hinweis auf Manipulationen. Mulligan war durchtrainiert, aber das galt auch für viele andere. Fett- und Wassereinlagerungen, Hautpigmentierung, Form und Größe der Brustwarzen, Augenfarbe, die Entwicklung des Knochengerüsts, kurz, alle Merkmale, die auf Testosteron- oder Glukokortikoidmissbrauch hinweisen, waren unauffällig.
Es blieb die Möglichkeit, dass die Amerikaner einen neuen, effizienteren, auf die individuellen Bedürfnisse der Fahrer optimal abgestimmten Applikationsplan entwickelt hatten. Es hieß, die Amerikaner hätten ein extremes Trainingspensum; wenn es ihnen gelungen war, durch Anpassung der zeitlichen Parameter die Medikamentenwirkung zu optimieren, konnte sich das positiv auf die Belastbarkeit durch Trainingsreize auswirken. Aber noch war das Spekulation, zu wenig greifbar für einen Mann wie Waitz, der eindeutige Fakten liebte.
Waitz konzentrierte sich auf die Beschaffung weiterführender Informationen über die Konkurrenzteams, die, wie man während der Tour sehen konnte, alle kleine Fortschritte gemacht hatten. Vor allem aber musste er mehr über Mulligans Mannschaft US FedEx in Erfahrung bringen. Waitz hatte bereits vor Jahren ein Netz von Helfern auf allen Kooperationsebenen geknüpft. Dazu zählten auch Journalisten, die gegen finanzielle Zuwendungen Informationen aus den gegnerischen Lagern liefern sollten. Ideal war es, wenn es einem Spion gelang, in die Unterkünfte der Konkurrenz vorzudringen. Natürlich waren die Privaträume der Fahrer für Journalisten tabu, aber das eine oder andere verdeckt aufgenommene Foto von Küche und Flur, Garten und Abfalltonne konnte wertvolle Hinweise über die Arbeitsweise der Rivalen erbringen. Es ist schwer, eine komplexe Ordnung dauerhaft auf hohem Niveau zu organisieren, und so wird es nicht ausbleiben, dass irgendwelche Gegenstände, die Rückschlüsse zulassen könnten, leere Medikamentenschachteln etwa, Blutbeutel oder Injektionskanülen, früher oder später einmal offen liegen bleiben.
Außer Journalisten wurden Putzfrauen angeworben, gelegentlich auch professionelle Fotografen und Privatdetektive, die auf die Privathäuser der Topfahrer und deren Familien angesetzt wurden. Neuerdings hatte Waitz sich mit einem Computerspezialisten zusammengetan, der gute Kontakte zur internationalen Hackerszene pflegte. Diese Strategie war neu und vielversprechend; ein Trojaner an geeigneter Stelle im gegnerischen Feld konnte Wunder wirken. Manchmal engagierte Waitz sogar Kinder, die er während der Wettbewerbe in der Nähe von gegnerischen Mannschaftsautos spielen ließ. Ihre Aufgabe war es, irgendeinen Gegenstand – einen Ball, einen Flugdrachen oder ein Spielzeugflugzeug – in dem Augenblick, wenn die Tür oder ein Fenster sich öffnete, in die hierbei entstehende Öffnung zu lenken. Die in der Folge entstehende Unruhe konnte dann von einem hochwertig ausgerüsteten und intelligent postierten Fotografen zur Anfertigung von Innenaufnahmen genutzt werden, die – im wahrsten Sinne des Wortes – zu neuen Einsichten führen würden.
Die Zeitfahrweltmeisterschaften waren ein ideales Forum für neue Einsichten. Machen wirʼs kurz: Ben, der bis dato im fünften Jahr konkurrenzlose König des Zeitfahrens, wurde entthront, und dies in einer Art und Weise, die sich am ehesten mit den politischen Gepflogenheiten der frühen Neuzeit vergleichen lässt. Am Start ließ Mulligan sie aufziehen, auf halber Strecke gab er Zeichen, die Guillotine zu lösen. Bens Kopf trennte sich sauber von Hals und Rumpf und schlug am Zielstrich so hart auf, dass der kampferprobten Zuschauermenge ein Aufschrei des Entsetzens entfuhr. Eine Minute dreißig Rückstand auf Mulligan, es war ein Desaster und eine Offenbarung zugleich.