Читать книгу Gelbfieber - Thomas Ross - Страница 8
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ОглавлениеDen ersten Sieg errang Ben, neunjährig, unter lauter Elf- und Zwölfjährigen, es waren fünfmal drei Kilometer mit dreihundert Metern Steigung nach jeweils tausend Metern zu bewältigen. An der letzten Steigung hatte der Junge die Älteren abgehängt, die letzten Kilometer legte er im Stil eines Zeitfahrers zurück. Vater und Mutter standen jubelnd am Zielstrich, verflogen waren Skepsis und Unwille, vergessen der Streit und die Tränen. Zwei Jugendtrainer wollten weinen vor Freude, als sie den Jungen ins Ziel jagen sahen. Wer war dieser Kerl mit dem flüssigen, runden Tritt, der offenbar auch sprinten konnte und noch dazu in vorbildlicher Rennfahrerhaltung auf einem zweitklassigen Rad saß? Man fragte nach dem Namen des Kollegen, der diesen Jungen betreute; denn dies war zweifelsohne das Werk eines Profis. Aber wie es dem Burschen gelang, sich in höchster Konzentration bedingungslos entschlossen dem Ziel entgegenzuwerfen, war ihnen völlig schleierhaft. So etwas konnte man nicht trainieren. Und so wussten sie, dass sie Zeugen von etwas ganz Besonderem geworden waren: von der Manifestation des reinen Willens, eines starken, alles beherrschenden, schopenhauerschen Willens.
Ganze Trainerdynastien wurden von nun an zu Dauergästen im Hause Abraham. Der Tag bekam ein eisernes Korsett, morgens Schule, Hausaufgaben, dann Radfahren, zum Schluss Krafttraining und Regeneration. Ein konsequenter und behutsamer, gut durchdachter Aufbau – dies war die Devise, an die man glaubte wie an die Heilige Römische Kirche. Ben war ungeduldig, aber fügsam, und vor allem fleißig. Er verlor nur ganz selten, und wenn es doch geschah, dann unter Zornestränen; aber Ben stand wieder auf, biss auf die Zähne, er stemmte Gewichte, quälte Ergometer, nahm Vitamine ein (es hieß, das sei gut für ihn), trug Salben und Cremes auf, wenn das Gesäß einmal wund wurde oder ein Zeh sich abgerieben hatte und – siegte weiter. Seine Leistungsdaten waren außergewöhnlich. Der Ruhepuls war niedrig wie der eines großen Tieres, bald würde er unter fünfundvierzig Schläge pro Minute sinken. Bluttests ergaben konstant hohe Hämoglobin- und Erythrozytenwerte, alle über dem Grenzwert, was für Diskussionsstoff unter Experten sorgte und nicht selten zu offenem Argwohn Anlass gab.
Warum er so häufig Blut abgeben müsse, hatte Ben einmal gefragt, als er mit fünfzehn erstmals bei nationalen Meisterschaften antreten sollte. Routine, alles nur Routine, lautete die Antwort, und zum Teil stimmte das ja auch. Das Blut wurde auf verbotene Substanzen untersucht, über die Details ließ man Ben im Unklaren. Es verstrichen Monate intensiven Testens und Beobachtens, bis man zu dem Schluss kam, dass hier tatsächlich eine genetische Disposition für erhöhte Hämoglobinwerte vorlag. Bei der Präsentation von Bens Ergebnissen vor Trainern und Sportfunktionären des Radsport-Landesverbandes sah man viel Kopfschütteln und hörte ungläubiges Raunen. Fragen über Fragen prasselten auf den Referenten ein, doch an der Analyse gab es nichts zu rütteln. Ben war ein Jahrhunderttalent, ein sportliches Juwel, Offenbarung und Verpflichtung zugleich für jeden Radsportmenschen. Binnen kürzester Zeit war jeder ob der zukünftigen Größe des Jungstars berauscht und freudetrunken bis zur Rührseligkeit. Der 25. November 2003 war ein Tag für die Geschichtsbücher. Aber Ben wusste von alledem noch nichts.