Читать книгу Der Schlitten - Thomas Ross - Страница 19

16

Оглавление

Der Richter gab angesichts der außergewöhnlichen Tatumstände zwei psychiatrische Gutachten in Auftrag, die klären sollten, ob der Mörder schuldhaft im Sinne des Strafrechts gehandelt habe, infolge einer psychischen Erkrankung zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war oder aber nur mit Einschränkungen die Schuld an dem Verbrechen zu tragen hätte, was dem deutschen Strafrecht zufolge bedeutete, dass er nicht zu einer herkömmlichen Gefängnisstrafe verurteilt werden konnte. Als Natalie, die als Erste davon erfuhr, mir dies erzählte, kaute ich gerade auf einem Stückchen Brot herum; es blieb mir prompt im Halse stecken. Es kommt nicht von ungefähr, dass ich zu ersticken glaubte, denn der Auslöser war gleichermaßen physiologischer wie psychologischer Natur. Wie konnten sie es wagen, die Schuld dieser Bestie auch nur ansatzweise infrage zu stellen? Wie kalt, wie menschenverachtend war das moderne Strafrecht geworden, dass es einen Sachverhalt, den jeder Seminarist hätte richtig einordnen können, auf solche Weise verdrehen und Lösungen vorhalten konnte, die den Tätern Absolution für abscheuliche Verbrechen versprach und die Opfer in Schande zurückließ.

„Aber wenn sie ihn in die Psychiatrie stecken, können sie ihn doch für immer dort behalten, und aus dem Knast kommt er irgendwann wieder raus, ist es nicht so?“

Natalies Stimme drang zu mir wie aus einer anderen Welt, „… kommt er wieder raus, kommt er wieder raus, kommt er wieder raus.“

„Der wird niemals wieder rauskommen, niemals, niemals, niemals!“, brüllte ich, völlig von Sinnen. „Ich sorge dafür, dass er die Sonne nicht mehr sieht, dieser Bastard, verrecken soll er, das Vieh!“

Natalie starrte mich erschrocken an. Der Sturm war ohne Vorwarnung über sie hereingebrochen. Sie schlug die Hände vors Gesicht, brach in Tränen aus, und ich sah, wie der Schmerz an ihr rüttelte. Sie weinte lange und anhaltend, aber ich konnte ihr nicht helfen, zu sehr war ich in der wilden Erregung gefangen. Die folgende Nacht war die letzte, in der Natalie mit mir unter einem Dach verbrachte. Am nächsten Morgen fand ich auf dem Esstisch eine Notiz vor:

„Lieber Martin, ich bewundere die Zärtlichkeit und Hingabe, mit der Du Carolina und mich über all die Jahre geliebt hast, und ich bin Dir so dankbar dafür. Wir sind die Geschöpfe Deiner Liebe, so wie Du das Geschöpf der unseren bist. Aber nun ist etwas Furchtbares passiert.

Carolina ist tot und Du hast uns beide verlassen. Ich spüre Dich nicht mehr. Wenn ich Dich ansehe, dann sehe ich einen Ertrinkenden in einem Strudel aus Wut und Zorn und Hass, ich sehe einen Verirrten in einem endlosen Labyrinth ohne Licht und ohne Hoffnung.

Ich hasse den Mörder unserer Tochter zutiefst, diesen furchtbaren und bösen Mann, und es fällt mir unendlich schwer, einen Menschen in ihm zu sehen, so sehr verfluche und hasse ich ihn.

Und doch will ich den Glauben an das Licht am Ende des Tunnels nicht aufgeben. Ich sehne mich nach einer Insel in diesem Ozean aus Wut und Verzweiflung und Ohnmacht, aber ich komme nicht an, Dein Hass zieht mich in die Tiefe, ich ertrinke! Ich wäre den Weg gerne mit Dir gemeinsam gegangen, doch es fehlt mir die Kraft, die Wut in Dir zu besänftigen. Ich suche nach einem Ort, an dem ich Mut schöpfen, an dem ich endlich trauern kann. Ich brauche Zeit für diese Trauer, aber Du zerstörst meine Hoffnung auf einen guten Abschied von unserer Tochter, einen Abschied, an dem mein Lebenswillen hängt.

Ich habe mich zur Behandlung in einer psychosomatischen Klinik angemeldet; morgen fahre ich zu meiner Mutter, dann in die Klinik. Ich kann Dir nicht sagen wo. Bitte frag nicht nach.“

Natalie

Der Schlitten

Подняться наверх