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Mein Kopf fühlt sich schwer an und müde. Was tatsächlich geschah, ist so ungeheuerlich, dass ich nicht weiß, wo beginnen. Ich will mich sammeln, und erinnern. Die Ärzte haben mir geraten, ganz von vorne zu beginnen. Ich weiß ja nicht. Im Licht der jüngsten Ereignisse erscheint mir vieles ganz bedeutungslos. Aber sehen Sie selbst. Hier ist der Bericht.

Meine Kindheit verbrachte ich mit meinen Eltern in einem alten Patrizierhaus am Stadtrand von Konstanz, wo ich auch zur Schule ging. Keine Geschwister, kaum Freunde, eine ereignislose Zeit. Der Erwähnung wert ist allenfalls die Tatsache, dass ich zu Beginn der Gymnasialzeit erheblich mehr Zuwendung erhielt als manch anderer, gleichfalls begabter Schüler. Zu verdanken hatte ich die Ehre meinem Vater, der im Rahmen irgendeines Elternabends offenbar nicht umhinkonnte, die dort Anwesenden über die von mir eigenhändig entworfene Bewässerungsanlage zu unterrichten. Er wird es mit Stolz und viel Pathos getan haben, denn wenig später wusste die ganze Schule davon, was mir von der Lehrerschaft Anerkennung, von den Mitschülern freilich nur schiefe Blicke einbrachte.

Als ich mich dann wenig später mit der Nachstellung physikalischer Experimente beschäftigte, und im Zuge dessen zunächst ein Alkoholthermometer, dann einen Heronsbrunnen konstruierte, schienen meine Eltern gleichsam von den Kräften der Gravitation befreit durch Haus und Hof zu schweben. Es dauerte nicht lange, bis mein Vater mit der Anregung vor mich trat, wenn ich mich schon nicht auf der Stelle bei den umliegenden Universitäten vorstellen wollte, so müsse ich unter Berücksichtigung des bei mir zutage geförderten Talents doch wenigstens beim Wettbewerb „Jugend forscht“ mitmachen. Ich zweifle nicht, dass mein Vater mich schon zum Zeitpunkt seiner würdevollen Eröffnung dieses Planes, freilich ohne eine mögliche Vor-Ausscheidung auch nur in Erwägung zu ziehen, vom Fleck weg ins Finale hineinphantasiert hatte. Dementsprechend tief war die Enttäuschung, als ich seinen blumigen Erwartungen trotzte, noch ehe sie in voller Blüte standen. Auch den Lehrern tat ich den Gefallen einer Selbstverwirklichung im Lichtkreis meiner (und damit auch ihrer) Errungenschaften nicht, ich war mir nun einmal selbst genug. Ruhm und Anerkennung scherten mich nicht. Bei der Lektüre von Newtons Naturlehre war es mir weniger um den Meister als um die mathematischen Prinzipien zu tun, und die jeweiligen Inhalte, mit denen ich mich während dieser formenden Jahre beschäftigte, erfüllten meine Bedürfnisse in vollem Maße.

In der Schule kam man zu dem Schluss, dass ich ein talentierter, aber schrecklich dickköpfiger Eigenbrötler sei, weshalb ich in Ermangelung bedeutender Zukunftsperspektiven keiner weiteren Förderung bedürfe. Die Änderung im Fokus der Lehrerschaft war spürbar, ich begrüßte sie mit Erleichterung, und konnte mich endlich meinem schon früh formulierten Ziel, Naturwissenschaftler zu werden, widmen. Im Zuge meiner Rebellion gegen den Vater, der Physiker war, entschied ich mich für Biologie und folgte damit dem Beispiel der Mutter. Innerlich blieb ich aber der Mathematik verbunden, ihrer kompromisslosen Strukturiertheit und argumentativen Klarheit wegen, und weil Probleme stets eindeutig lösbar sind. Wie wunderbar erschien es mir bald, den auf die Unzulänglichkeit naturwissenschaftlicher Erkenntnis versessenen Schwätzern vermittels einer knackigen und logisch zwingenden Ableitung ein für alle Mal das Maul zu stopfen und zu beweisen, dass sie mit ihrer zweifelhaften Lust an der Alternative einem naiven Aberglauben aufsaßen, einem Aberglauben, dem nichts als Unkenntnis des mathematisch beschreibbaren Aufbaus der Natur zugrunde lag.

Dass die Grundstruktur der Welt über die Gesetze der Logik ergründbar ist, hatte ich also nie ernsthaft infrage gestellt. Wozu auch? Die Theorie gibt noch einige Rätsel auf, aber die werden mit der Zeit gelöst werden, davon war ich überzeugt. Alternativen, die mir philosophische Relativisten im Laufe des Studiums aufzutischen versuchten, riefen mir regelmäßig meine Erlebnisse in den Sumpfgebieten der norwegischen Tundra vor Augen, die ich zu Studienzeiten zweimal, im Winter und im Sommer, erfolglos zu durchqueren versucht hatte. In der kalten Jahreszeit unter meterhohem Schnee begraben, in der warmen weich wie ein Küchenschwamm, gab es kein Durchkommen; wo man auch hintrat, blieb man stecken, wie auch die Relativisten im Morast ihrer fragwürdigen Argumentationsfiguren stets hängen blieben. Es dauerte nicht lange, da wendete ich mich von diesem Gerede ab und erfreulicheren Dingen zu.

Ebenso klar, verlässlich und auf wunderbare Weise vorherbestimmt wie das Bild, das ich mir vom Aufbau der physikalischen Wirklichkeit gemacht hatte, war das Lebenspanorama, das ich nun vor mir entfaltete. Auf das Studium würde eine Anstellung als Biologe in einem renommierten Forschungsinstitut folgen. Ich, Martin Ultor, würde mich der kybernetischen Modellierung zellbiologischer Vorgänge widmen und helfen, die bis heute unübertroffenen Regel- und Steuerungskreisläufe der Natur in für den Menschen nutzbare Techniken zu übersetzen. Von der Mutter hatte ich die Leichtigkeit im Umgang mit Menschen, und an meinen intellektuellen Fähigkeiten brauchte ich erfahrungsgemäß nicht zu zweifeln, sodass es keinen Grund zu der Annahme gab, dieses Ziel wäre zu hoch gesteckt. Über die Möglichkeit des Scheiterns machte ich mir also keine Gedanken, denn alles Weitere würde sich nunmehr, da der richtige Weg eingeschlagen war, schon ganz von selbst einstellen. Im Zuge dieser Zuversicht war es auch nicht weiter überraschend, dass ich gegen Ende des Studiums die angestrebte Anstellung in einem bedeutenden Biotechnologieunternehmen fand.

Vor allem aber lernte ich Natalie kennen. Sie hatte Tiermedizin studiert, weil sie Tiere gerne mochte und es unerträglich fand, dass man ihrem Wohlergehen so wenig Wert beimaß, wo sie als Nutztiere und beste Freunde uns Menschen doch seit Jahrtausenden unschätzbare Dienste leisteten.

Für all das interessierte ich mich herzlich wenig, ließ mir aber nicht gleich in die Karten schauen, denn ich fand sie ganz reizend, auf eine klassische Weise schön und begehrenswert. Ihre dunklen Mandelaugen bezauberten mich über die Maßen, der süße Duft ihrer kastanienbraunen Haare ließ mich vor Liebe erzittern, und schon konnte ich von diesem Duft nicht genug bekommen und von dem Zauber, diesem endlosen Glück in ihrer Nähe.

Nach zwei Jahren gegenseitiger Erprobung traten wir vor den Traualtar. Ein Jahr später kam unsere Tochter zur Welt, Carolina.

Der Schlitten

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