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Von nun an arbeitete ich Tag und Nacht. Meine erste konkrete Entscheidung betraf den Ort der Hinrichtung. Es lag nahe, dafür unser Ferienhaus im Tessin in Betracht zu ziehen, einen Ort von großer Abgeschiedenheit und Ruhe. Es lag in vertretbarer Nähe von Süddeutschland, so könnte ich wenn nötig pendeln, ohne dabei allzu viel Zeit zu verlieren. Das Haus hatten Natalie und ich vor einigen Jahren in der Vorstellung gekauft, es später als Altersruhesitz auszubauen. Immerhin war es elektrifiziert, es gab eine Kochnische und zwei Zimmer: einen großen Wohnraum mit offenem Kamin und einen kleineren, der als Büro oder Abstellkammer genutzt werden konnte. Eine Holztreppe führte auf die Empore, die als Schlafplatz diente. Durch ein Rundfenster hatte man einen herrlichen Blick ins Tal und auf die schmale Schotterpiste, die hier oben endete.

Zur Verwahrung eines Gefangenen eignete sich das Hinterzimmer, zumal die Fensterfront nur wenige Meter vom Hang entfernt lag und kaum Einblick bot. Abgesehen davon gab es keinen Anlass zu der Befürchtung, dass wir gestört werden könnten: Die nächsten Nachbarn wohnten weit entfernt, Verbindungsstraßen gab es nicht, der Wald war dicht und unwegsam. In drei Sommern, in denen wir jeweils mehrere Wochen dort oben verbracht hatten, war niemand vorbeigekommen, den wir nicht ausdrücklich eingeladen hätten. Wenn es gelang, den Verdacht von mir abzulenken, war das Risiko einer vorzeitigen Entdeckung hier oben also gering, wenn auch nicht gleich null, zumal Ort, Zeitpunkt, Mittel und Personal der Entführung bis jetzt noch nicht feststanden. Die Polizei würde ihre Ermittlungen ganz sicher zunächst im kriminellen Milieu aufnehmen, nach Komplizen suchen, Hinweise auf kriminelle Hintermänner auswerten und erst nach einer wahrscheinlich Wochen in Anspruch nehmenden Orientierungsphase, in der die Hinweise geordnet, hierarchisiert und interpretiert werden mussten, gewahr werden, dass sie in eine Sackgasse geraten war. Zudem musste der Polizei der Gedanke an das traumatisierte Opfer einer Straftat im Zusammenhang mit der Befreiung des Täters abwegig erscheinen. Vorladen und vernehmen würde man mich vielleicht, aber bis das geschah, würde eine Menge Zeit verstreichen.

Die Auswahl der Helfer war nicht einfach. Ging der Polizei einer von ihnen ins Netz, hätte sie mich wohl am Kragen, vorausgesetzt, die Helfer könnten sachdienliche Hinweise liefern. Also musste ich mir im Vorfeld der Entführung Gedanken darüber machen, wie ich meine Identität verschleiern könnte. In meiner Problemhierarchie klassifizierte ich dies als Problem zweiter Ordnung. Ich setzte ein großes Fragezeichen in den leeren Kasten rechts oben auf meiner Skizze und wanderte gedanklich zurück ins Hinterzimmer des Ferienhauses, das mittels weniger Vorkehrungen zu einer Art Verlies ausgebaut werden konnte. Wandregal, Werkzeugkoffer und Reinigungsutensilien müsste ich herausnehmen, zwei Eisenketten, im Heimwerkermarkt erhältlich, mit der kräftigen Außenwand verschrauben und das freie Ende mit Hand- und Fußschellen verketten, die ich, ohne Spuren zu hinterlassen, bequem in jedem Sexshop nennenswerter Größe erwerben konnte.

Ich stellte mir vor, wie die Ratte in der Falle saß und wie sie, ein Haufen verrottenden Fleisches, zu meinen Füßen lag. Weiter überlegte ich, wie ich diesem Satan ökonomisch und dennoch effektiv Schmerzen beibringen, wie ich ein Höchstmaß an Leid erzeugen konnte.

Denn eines war mir klar: Mit Ausnahme der technischen Unterstützung sexueller Aktivitäten zur Intensivierung von Empfindung und Erleben auf dem Weg zum Höhepunkt, als Geburtshilfe für das Göttliche im animalischen Akt sozusagen, hat in der Geschichte der Menschheit kaum eine Vorstellung die Phantasie der Menschen so sehr beflügelt wie das Evozieren größtmöglicher Schmerzen bei einem Artgenossen. So oft die Folter per Gesetz verboten wurde, so wenig wurde sie dadurch abgeschafft. Die Methoden wurden mit der Zeit immer subtiler, aber das eigentliche Ziel, die physische und psychische Zerstörung des Opfers durch Erniedrigung, Beschämung und Nihilierung alles Menschlichen, blieb davon unberührt. Zur Tür schickte man sie hinaus, zum Fenster kam sie wieder herein. Nur ungleich raffinierter als zuvor. Zu keiner Zeit hat die Vernunft der Maschinerie des Todes wirkungsvoll Einhalt gebieten können. Immerhin hat dies dazu geführt, dass wir das Wesen der Folter nun besser verstehen als je zuvor. Wissen, das mir nun zugutekam.

Von Schlägen, Verbrennungen oder Verstümmelungen an Gliedmaßen und den Zähnen über diverse Zwangshaltungen im Knien, Sitzen oder Stehen bis zu den Möglichkeiten der pharmakologischen Folter, des Schlafentzugs, der Wasserfolter und Scheinhinrichtung, stand eine Vielzahl an Optionen zur Verfügung. Einige waren zum Vollzug in meinem Ferienhaus ungeeignet, darunter das moderne und überaus wirksame Waterboarding, das ich, ganz auf mich allein gestellt, unmöglich durchführen konnte, oder die Schlafdeprivation, unter der ich, wie man sich unschwer vorstellen kann, im Zuge meiner Überwachungspflicht zweifelsohne selbst zugrunde gegangen wäre. Dennoch blieben viel zu viele Varianten übrig ...

Der Schlitten

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