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Für Menschen, die ein Verbrechen begangen haben, das ihnen aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht zurechenbar ist, behält sich das deutsche Strafrecht die Maßregeln der Besserung und Sicherung vor. Die Krankheit soll in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus behandelt werden, bis der Betreffende geheilt und für die Allgemeinheit nicht mehr gefährlich ist. Wer während oder nach einer Behandlung weiterhin als gefährlich gilt, hat keine Chance auf Entlassung. Dies war also die Alternative zur „lebenslänglichen“ Freiheitsstrafe eines Mörders, die, wie jedermann weiß, in Deutschland nur ganz selten ein Leben lang dauert. Doch welche Option war vom Gesichtspunkt der Strafhärte her zu bevorzugen? Welcher Rechtszug ließ meinen lenkenden Eingriff zu? Es war offensichtlich, dass mein Wunsch nach Vergeltung nicht mit deutschem Recht in Einklang zu bringen war. Also dachte ich frei über die Alternativen nach.

Ich entschloss mich, noch einmal mit dem zuständigen Gericht Kontakt aufzunehmen, nahm jedoch Abstand davon, dies telefonisch zu tun. Blickkontakt schafft menschliche Nähe, wogegen selbst geschulte Paragrafenreiter nicht ankommen. Hinzu kommt, dass eine Stimme am Telefon nicht im selben Maße der Manipulation fähig ist wie Gestik und Mimik. Wer darüber hinaus in der Lage ist, die geistige Verfassung seines Gegenübers zu lesen, hat gute Chancen, sein Ziel zu erreichen.

Ich ging also zum Konstanzer Landgericht. Den Umweg über das Sekretariat nahm ich gerne in Kauf, in den Vorzimmern der Mächtigen werden Weichen gestellt. Auf den durchaus ernst gemeinten Wunsch hin, ein persönliches Gespräch mit dem Richter zu führen, bot man mir zunächst einen Termin für die folgende Woche an. Als ich mich aber als der Vater des Mädchens zu erkennen gab, das auf so furchtbare Weise ums Leben gekommen war, ersuchte man mich, im Foyer zu warten. Ich bat darum, im Sekretariat sitzen bleiben zu dürfen, da es mir infolge des Schicksalsschlags schwerfalle, allein zu bleiben. Die Sekretärin rutschte etwas verlegen auf ihrem Stuhl herum, rückte ihre Bluse zurecht und warf die Haare aus dem Gesicht:

„Ich verstehe.“ Mit einer Handbewegung wies sie mir den Stuhl hinter der Türe zu. „Bitte warten Sie dort.“

Kurz darauf waren wir im Gespräch. Es ging um nichts Wesentliches, doch die Dauer meiner Anwesenheit in diesem Raum sollte mir noch sehr zugutekommen.

Der Schlitten

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