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VI. Der Staat

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Zum wichtigsten „Player“ im System der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich in den letzten Jahren das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) aufgeschwungen, nicht nur, aber auch aufgrund einer immer dichter werdende Fülle regulatorischer Vorgaben für die verschiedenen anderen Beteiligten. Das BMG ist Aufsichtsbehörde der KBV (§ 78 Abs. 1 SGB V), des G-BA (§ 91a Abs. 1 SGB V) und des Spitzenverband Bund der Krankenkassen (§ 217d Abs. 1 SGB V). Über die Aufsicht dieser Körperschaften führt das BMG indirekt auch die Aufsicht über den BewA, an dessen Sitzungen es teilnehmen darf und dessen Beschlüsse vorzulegen sind. § 87 Abs. 6 SGB V ermöglicht dem BMG eine Vielzahl von Einwirkungsmöglichkeiten auf Entscheidungen des BewA von der Beschlussbeanstandung, der Fristsetzung, der Beauftragung von Datenerhebungen bis hin zur Ersatzvornahme.

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Das BMG führt auch die Aufsicht in seinem Geschäftsbereich über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), zu dem auch die für die Betäubungsmittelverordnungen der Ärzte zuständige Bundesopiumstelle gehört. Das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Informationen (DIMDI), das ebenfalls dem BMG unterstellt war, wurde im Frühjahr 2020 organisatorisch dem BfArM eingegliedert. Ebenfalls der Aufsicht des BMG zusammen mit dem BMAS untersteht das Bundesamt für soziale Sicherung (BAS), das bis 31.12.2019 Bundesversicherungsamt (BVA) genannt wurde, dem nach § 271 SGB V die wichtige Verwaltung des Gesundheitsfonds obliegt. Sowohl BfArM als auch BAS sind selbstständige Bundesoberbehörden mit weitreichenden Befugnissen.

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Das BMG schlägt der Bundesregierung den Beauftragten für Drogenfragen und die Patientenbeauftragten und Pflegebevollmächtigten vor und akkreditiert die im G-BA vertretenen Patientenverbände. Ferner ist das BMG Träger des Robert-Koch-Instituts (RKI), des Paul-Ehrlich-Instituts und der Bundeszentrale für Gesundheitspolitische Aufklärung (BZgA). Auch wenn die Bezeichnungen es anders vermuten lassen, handelt es sich um staatliche Behörden, die, zwar mit wissenschaftlichem Hintergrund, aber weisungsgebunden vielfältige Aufgaben im Gesundheitswesen wahrnehmen und dem BMG das für schwierige Entscheidungen, z.B. bei der Pandemiebekämpfung, notwendige Expertenwissen erschließen sollen.

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Schließlich hat sich das BMG durch § 291b Abs. 2 SGB V, der durch das TSVG eingefügt worden ist, 51 % der Gesellschaftsanteile an der gematik GmbH gesichert, wodurch es die Stimmrechtsmehrheit bei Entscheidungen hat. Von den übrigen Gesellschaftsanteilen hält der Spitzenverband Bund 22,05 %, der über seine Mitgliedsbeiträge die Arbeit zu 100% finanzieren muss. Die übrigen Gesellschaftsanteile verteilen sich auf die Spitzenverbände der Leistungserbringer. Die gematik hat nach § 291b SGB V den Auftrag, die Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen zu etablieren. Das BMG kann durch seine Stimmrechtsmehrheit das Projekt nach seinem Gutdünken steuern.

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Die Kritik am unzureichenden Funktionieren der ärztlichen wie auch gemeinsamen Selbstverwaltung, sei es durch Nichteinhaltung gesetzlicher Umsetzungsfristen, z.B. wegen Nichteinigung der Interessenparteien, als auch durch überlange Verfahrenszeiten speziell beim G-BA, wird in vielen vom BMG verfassten Begründungen zu den zahlreichen Reformgesetzen aufgegriffen. Konsequenz war eine stetige Ausweitung der Aufsichtsbefugnisse bis hin zu weit über die üblichen Aufsichtsmittel (§§ 87–89 SGB IV) hinaus gehende spezielle Eingriffsbefugnisse. Maßgeblich sind in erster Linie das GKV-WSG, das GKV-OrgWG und das gezielt die Strukturen der obersten Selbstverwaltungskörperschaften verändernde GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz aus dem Jahre 2017.

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Nach § 78a SGB V kann das BMG Beschlüsse der Vertreterversammlung der KBV beanstanden und letztlich sogar die Rückgängigmachung von Vollzugshandlungen verlangen. Zur Vollstreckung von Aufsichtsverfügungen darf das BMG über die Grenze von § 11 VwVG hinaus Zwangsgelder bis zu 10 Mio. € zugunsten des Gesundheitsfonds verhängen. Mittels § 78 Abs. 4 und 5 SGB V wurden spezielle Vorgaben für Haushalt und Rechnungswesen eingeführt, die über die allgemeinen für Sozialversicherungsbehörden geltenden Vorgaben des SGB IV hinausgehen. § 78b SGB V erlaubt der Aufsichtsbehörde eine Person zur KBV zu entsenden, mit deren Aufgaben zu betrauen und ihr die hierfür erforderlichen Befugnisse zu übertragen, wenn die dort ordnungsgemäße Verwaltung gefährdet ist. Eine Reihe von Gefährdungstatbeständen die auf konkreten Gegebenheiten beruhen, werden tatbestandlich aufgeführt. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass damit Maßnahmen zur Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands unterhalb der Eingriffsschwelle für die Einsetzung eines Staatsbeauftragten und ohne Entmachtung der Organe im Außenverhältnis ergriffen werden können.[87] Derartige Befugnisse haben die Landesgesundheitsministerien bei den regionalen KV nicht. Ihnen bleibt nur oberhalb der vom BMG für sich reklamierten Eingriffsschwelle die Einsetzung eines Staatskommissars nach § 79b SGB V.

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Entsprechende Befugnisse wurden in §§ 217d Abs. 2, 3 und 217g–i SGB V gegenüber dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen geschaffen.

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Die §§ 78 Abs. 4, 5 und 217d Abs. 2, 3 SGB V sind auch die Blaupause für § 91a SGB V, mit denen die verschärften Vorgaben für Haushalt und Rechnungswesen und die Zwangsgeldfestsetzung bis zu 10 Mio. € zur Vollstreckung von Aufsichtsverfügungen gegenüber dem G-BA eingeführt wurden. Weitergehende von politischer Seite gewünschte fachaufsichtliche Eingriffsbefugnisse in die Arbeit des G-BA,[88] wie sie z.B. der im EIRD[89] versteckte Entwurf eines Abs. 1a zu § 94 SGB V bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 Abs. 1 SGB V ermöglichen hätte sollen, haben noch keine parlamentarische Mehrheit gefunden.[90] Allerdings bekommt das BMG in einem neuen § 91b SGB V die Ermächtigung, durch Rechtsverordnung den Ablauf des Verfahrens, die Anforderungen an die Unterlagen und Nachweise zur Bewertung der NUB[91] und die Anforderungen an die Ausgestaltung der tragenden Gründe der Beschlüsse des G-BA näher zu regeln.

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Die Mitwirkungsrechte der Bundesländer in den Landesausschüssen nach § 90 Abs. 4 SGB V und im G-BA nach § 92 Abs. 7e und 7f SGB V wurden mit dem TSVG um Antragsrechte erweitert. Damit soll den Ländern ermöglicht werden, versorgungsrelevante Erkenntnisse besser zur Geltung zu bringen, indem sie Beratungsgegenstände auf die Tagesordnung setzen lassen können.[92]

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