Читать книгу Es ist Dein Ärger - Thubten Chodron - Страница 5
ОглавлениеVorwort
Ärger macht jedem von uns in irgendeiner Form zu schaffen, sei es auf persönlicher, nationaler oder internationaler Ebene. Wenn er sich im Geist auch nur einer einzigen Person manifestiert, ganz zu schweigen von ganzen Gruppen oder Nationen, ist unter Umständen die ganze Welt davon betroffen, wie die beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts bezeugen. Auf persönlicher Ebene kann Ärger unsere Beziehungen gerade zu den Menschen zerstören, die uns am meisten am Herzen liegen, und unseren Geist in Negativspiralen gefangen halten. Innerhalb von Gruppen spaltet Ärger Menschen in Fraktionen auf und bringt sie dazu, gegeneinander statt für gemeinsame gute Ziele zu arbeiten. Auf internationaler Bühne gießt Ärger Öl ins Feuer von Konflikten, in Nahost, auf dem Balkan und andernorts.
So mächtig Ärger sein mag, es fehlt ihm jegliche materielle Substanz. Und doch vermag er unser Leben und das Leben anderer so drastisch und so schmerzlich zu beeinflussen. Wenn wir jedoch unseren Blick nach innen richten, in unseren eigenen Geist und unser Herz, und die störenden Emotionen besser verstehen lernen, werden wir seine unrealistischen Projektionen allmählich erkennen und ihm seine Geschichten nicht mehr so ohne Weiteres abnehmen. Nach und nach werden wir fähig werden, uns von dieser schmerzhaften Emotion zu distanzieren, ohne sie dabei unterdrücken, verdrängen oder ausdrücken zu müssen. Wir werden lernen, sie durch gesündere und nützlichere Geisteszustände zu ersetzen, und auf diese Weise Geduld, Toleranz, Liebe und Mitgefühl in uns zur Entfaltung bringen. Das Ziel dieses Buches ist es, einige der Techniken zu vermitteln, mit denen das erreicht werden kann.
Es ist Dein Ärger ist für jeden geschrieben, denn unabhängig von unserer Ausbildung, unserer sozioökonomischen Gesellschaftsschicht, Geschlecht, Rasse oder Religionszugehörigkeit sind wir alle gefährdet, dem Ärger zum Opfer zu fallen. Dieses Buch enthält in einer zwanglosen, freundlichen Sprache zahlreiche Beispiele von Situationen des täglichen Lebens, in denen diese Lehren angewendet werden können. Einige der Beispiele sind mir von Freunden, Familie und Studenten erzählt worden, andere wiederum stammen aus meinem eigenen Leben.
Überblick
Das erste Kapitel gibt den Rahmen vor, in dem die buddhistische Auffassung von Geist, Emotionen und Ärger dargelegt wird. Davon ausgehend werden wir Ärger im zweiten Kapitel dann definieren und seine Nachteile diskutieren. Das dritte Kapitel handelt von Geduld, dem Gegenmittel zum Ärger, d. h. der Fähigkeit, angesichts von Leid und Schaden ruhig zu bleiben. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit eventuell verbleibenden Zweifeln, die im Hinblick auf das Überwinden von Ärger und das Entwickeln von Geduld noch bestehen könnten, während das fünfte unterdrückten Ärger und Faktoren diskutiert, die die Entstehung von Ärger im eigenen Geist auslösen.
Das sechste Kapitel beginnt mit einer Beschreibung von Techniken, mit denen dem Ärger entgegengewirkt werden kann, das siebte Kapitel fährt damit fort, indem es Möglichkeiten aufzeigt, mit der Kränkung und dem Ärger, die entstehen, wenn wir kritisiert werden, kreativ umzugehen. Das achte Kapitel zeigt, wie wir vermeiden können, uns selbst und anderen für unsere Probleme die Schuld zu geben. Es beschäftigt sich auch mit der Wut, die aufgrund von körperlicher Krankheit entsteht. Jeder von uns hat seine »Knöpfe«, wunde Punkte und sensible Themen, die uns, wenn sie absichtlich oder zufällig berührt werden, »auf die Palme bringen«. Wie man mit diesen Situationen arbeiten kann, wird dann im neunten Kapitel besprochen.
Die gegenwärtige Realität zu akzeptieren und dabei dennoch daran zu arbeiten, die Zukunft zu verbessern, ist eine kraftvolle Gegenmaßnahme zur Wut und Thema des zehnten Kapitels, während Kapitel elf unsere Ichbezogenheit als eigentlichen Feind identifiziert und die außergewöhnlichen Techniken beschreibt, mit denen all unsere Leiden der eigenen Ichbezogenheit übergeben werden und gleichzeitig die Freundlichkeit der Person betrachtet wird, die uns Schaden zufügt. Groll und Verbitterung können schwer auf uns lasten, wenn wir sie über Jahre hinweg aufstauen. Sie loszulassen, um leichten Herzens durchs Leben zu gehen, ist Thema des zwölften Kapitels. Das dreizehnte Kapitel handelt dann von der schmerzhaften Erfahrung des Vertrauensbruches, während das vierzehnte Wege aufzeigt, mit der »Schlange des Neides« fertig zu werden.
Gelegentlich ist unsere Wut nicht gegen andere, sondern gegen uns selbst gerichtet, und wir verstricken uns in Schuldgefühle und Selbstanklagen. Davon loszulassen ist Thema des fünfzehnten Kapitels. Liebe und Mitgefühl versetzen uns in die Lage, Wut am Entstehen zu hindern, und das Erlangen von Weisheit beseitigt diese mit der Wurzel. Diese Themen werden jeweils in Kapitel sechzehn und siebzehn diskutiert.
Während es in diesem Buch vorwiegend um den Umgang mit den inneren Anteilen des Ärgers geht, werden im ersten Anhang äußere Verhaltensweisen, d. h. verschiedene Konfliktstile, besprochen. Es wird gezeigt, mit welchen Arten der Motivation und unter welchen Umständen diese Konfliktstile jeweils einzusetzen sind. Ein Glossar und eine Liste mit weiterführender Literatur sind am Ende des Buches zu Ihrem Gebrauch angefügt.
Ich wünsche mir, dass dieses Buch zur Harmonie in der Welt beiträgt, zu der Harmonie des Herzens, nach der sich jeder von uns sich sehnt, und der Harmonie, die wir in unseren Gesellschaften so gerne untereinander schaffen würden. Ich glaube, dass es nicht das Überleben des Stärkeren ist, das den Fortbestand einer Spezies sicherstellt, sondern das Überleben des Mitfühlenderen. Mein Lehrer, Seine Heiligkeit der Dalai Lama, weist immer wieder darauf hin, dass Bienen und Ameisen viel mehr miteinander kooperieren als wir vorgeblich so viel intelligenteren Menschen. Für sich selbst genommen würde eine Ameise untergehen, wohingegen sie jedoch lebt und gedeiht, wenn sie sich auch um andere Ameisen kümmert und mit ihnen zusammenarbeitet.
Wenn unser Geist frohgemut und frei von Ärger und Ressentiments ist, tragen wir mit unserer Arbeit unser Teil zum allseitigen Nutzen bei; sind wir dagegen unglücklich und voll Ärger, richten wir sowohl die guten Werke anderer als auch unsere eigenen zugrunde. Das wird sehr deutlich, wenn wir einmal das Folgende bedenken: Niemand wacht morgens auf und denkt sich dabei: »Heute geht es mir so ausgezeichnet, ich werde jetzt aus dem Haus gehen und jemandem schaden!« Wir schaden anderen nur, wenn uns Ärger zu schaffen macht. Weil wir als Lebewesen so sehr voneinander abhängig sind, löst unser destruktives Verhalten genau dasselbe in anderen aus. Deswegen können wir den Kreislauf der Leiden aufhalten, wenn jeder Einzelne von uns lernt, mit seinem Ärger konstruktiv umzugehen und ein mitfühlendes Herz zu entwickeln, das anderen wohl will.
Es ist Dein Ärger beruht auf den Lehren des Buddha, des weisen, mitfühlenden Lehrers, der im sechsten Jahrhundert v. Chr. in Indien lebte. In den Jahrhunderten, die auf ihn folgten, wurden seine Lehren von großen indischen Weisen und Praktizierenden aller Länder, in denen der Buddhismus sich ausbreitete, kommentiert. Aufgrund der Güte meiner Lehrer habe ich diese Unterweisungen hören können und habe daher heute die Möglichkeit, sie mit Ihnen zu teilen. Wenn wir sie in die Praxis umsetzen, wird sich ihr Nutzen erweisen.
Alle Fehler in der Darlegung sind meine eigenen.
Die Ursprünge dieses Buches
Als buddhistische Nonne und Lehrerin werde ich oft gebeten, Vorträge zum Umgang mit Ärger zu halten. Die Anfänge des Buches gehen auf zwei Vorträge zurück, die ich zu diesem Thema gehalten habe, einen in der Evergreen Buddhist Association in Kirkland, Washington, 1989, und einen auf einer Konferenz zu Buddhismus und Psychologie an der Universität von Washington in Seattle im Jahre 1992. Auf der Grundlage dieser beiden Vorträge entstand 1992 ein kleines Büchlein mit dem Titel »Working with Anger«, das im Amitabha Buddhist Center in Singapur zur freien Verteilung herausgegeben wurde. Weil viele Menschen begeistertes Interesse an dem Thema zeigten, wurde dieses Büchlein in der Folge erweitert und zu diesem Buch gemacht.
Danksagung
Ich möchte meinen Lehrern, allen voran Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, Tsenzhab Serkong Rinpoche, Zopa Rinpoche und Geshe Ngawang Dhargye, für die immense Geduld danken, mit der sie mich im Dharma unterwiesen haben. Sie haben mir die unbezahlbaren Lehren des Buddha, die Lehren von Shantideva und Dharmarakshita, der tibetischen Praktizierenden Tzongkhapa und Togme Sangpo überliefert, aus deren Texten das Material für dieses Buch entnommen ist. Darüber hinaus hat das lebendige Beispiel für Geduld und Mitgefühl meiner Lehrer mir festes Vertrauen gegeben, dass diese Lehren, wenn sie in die Praxis umgesetzt werden, zweifellos das Potenzial haben, Ärger zu überwinden und Harmonie zu schaffen.
Vielen Dank auch der Dharma Friendship Foundation für ihre Unterstützung während der Arbeit an diesem Buch. Cindy Felis transkribierte die Original-Tonbandaufzeichnungen, und Laurie Rostholder steuerte als Psychotherapeutin viele wertvolle Vorschläge bei. Barbara Rona tat als außerordentlich kompetente Lektorin weit mehr als ihre Pflicht für die Gestaltung und Verfeinerung des Manuskriptes, und ich möchte auch ihr sehr für ihre Hilfe danken.
Und wie Zopa Rinpoche mich lehrte, muss ich besonders allen, die mir je geschadet haben, meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, statt mich über sie zu ärgern. Sie sind gütiger als der Buddha, und ohne ihre Hilfe werde ich keine Erleuchtung erlangen. Ich wünsche mir, dass die positive Energie, die mit diesem Buch hervorgebracht wird, dem zeitweiligen und letztendlichen Glück aller Lebewesen zugutekommt.
Thubten Chodron Seattle, Washington, 24. Februar 2001