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Was ist Ärger?
ОглавлениеIm Buddhismus ist Ärger (Tibetisch: khong khro) ein Geistesfaktor, der unfähig ist, eine Person, einen Gegenstand, eine Situation oder Idee zu ertragen, und Feindseligkeit oder den Wunsch hegt, dem betreffenden Objekt Schaden zuzufügen. Ärger umspannt eine ganze Reihe von Emotionen wie Verdruss, Gereiztheit, Frustration, Gehässigkeit, Streitlust, Groll, Hass, Wut und Zorn. Wenn auch das deutsche Wort »Ärger« ganz gelegentlich in einem positiven Sinne verwendet wird, meint Ärger hier eine der grundlegenden (wörtlich: »Wurzel-«) störenden Emotionen und hat damit ausschließlich negative Bedeutung.
Vorläufer des Ärgers ist ein Geistesfaktor, den man »unangemessene Betrachtung« nennt und der in diesem Falle die negativen Eigenschaften einer Person, eines Objekt, einer Situation oder einer Idee entweder übertreibt oder auf diese nicht vorhandene negative Eigenschaften projiziert und so eine unwahre Geschichte dazu erfindet. Dave kommt beispielsweise eines Morgens ins Büro spaziert und seine Kollegin, die gerade mit etwas anderem beschäftigt ist, grüßt ihn nicht. Daraufhin denkt er: »Das ist aber wirklich eine unfreundliche und unhöfliche Person.« Aufgrund dieser unangemessenen Betrachtung, die in die Handlung der anderen Person Absicht und Motivation hineininterpretiert, wird er ungehalten. Seine innere Verärgerung führt zu einer äußeren Handlung, und Dave macht eine sarkastische Bemerkung. Diese verletzt seine Kollegin, und sie schnauzt ihn ihrerseits an. Hier ist leicht zu sehen, wie ein Augenblick unangemessener Betrachtung und Ärger eine Kettenreaktion von Vorgängen auslösen kann, die uns selbst und anderen Leid zufügen.
Auf einem Treffen Seiner Heiligkeit des Dalai Lama mit westlichen Wissenschaftlern, bei dem destruktive Emotionen diskutiert wurden, habe ich gelernt, dass Wissenschaftler im Allgemeinen drei Komponenten von Emotionen beschreiben: einen Gefühlsanteil, einen physiologischen und einen Verhaltensanteil. Für sie beinhaltet »Ärger« also nicht nur ein Gefühl, sondern auch die physiologische Aktivierung bestimmter Hirnareale und die Ausschüttung bestimmter Hormone im Körper. Außerdem gehört ein bestimmtes Verhalten dazu, wie Schreien oder Schmollen, das mit einem bestimmten Ärger einhergeht.
Buddhisten dagegen beziehen sich vornehmlich auf die Gefühlskomponente, wenn sie von Emotionen wie Ärger oder Mitgefühl sprechen. Buddhistische Texte thematisieren das Gehirn oder Hormone praktisch nicht, wohl weil das wissenschaftliche Instrumentarium zum Verständnis ihrer Funktionen erst jüngeren Datums ist. Ärger steht in Beziehung zum Körper, d. h. zur körperlichen Energie wie auch zu Hormonen wie Adrenalin, die ihn beeinflussen, Ärger selbst ist jedoch kein körperlicher Zustand. Er ist ein Geisteszustand, auch wenn manche Menschen sich ihres Ärgers zunächst oft anhand körperlicher Anzeichen, wie eines erhöhten Muskeltonus oder einer Magenverstimmung, bewusst werden. Für Buddhisten beinhaltet der Begriff »Ärger« auch nicht das Verhalten, das den Ärger begleitet. Dasselbe gilt auch für andere Emotionen.