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IX

„...und auch eure Sünden werden nicht unbemerkt bleiben. Alles, was Ihr tut, wird notiert, die guten Taten, wie die Bösen. Und wenn euer letztes Stündlein geschlagen hat, wird der ewige Richter eure Akte zur Hand nehmen und sein endgültiges Urteil über eure armen Seelen sprechen.“

Bobby Lane hörte die sich immer wieder überschlagende Stimme lange, bevor er den Mann sehen konnte, um den sich eine Traube aus Marktbesuchern versammelt hatte. Es kam immer wieder vor, dass sich ein Betrunkener oder ein Witzbold auf eines der Fässer, die überall herumstanden, schwang und eine von den Marktbesuchern mehr oder weniger andächtig verfolgte Rede hielt. Selten hatte der Sergeant aber eine so inbrünstig gehaltene Ansprache gehört wie an diesem Tag. Unter Einsatz seiner Ellenbogen schob er sich langsam durch die Menschenmenge, die den Redner umringt hatte, nach vorn.

„Ihr folgt dem Mammon, den falschen Götzen, die nur nach Geld und irdischen Gütern streben. Und diejenigen, denen ihr vertraut, sind die schlimmsten Götzendiener. Eure Politiker und die Großindustriellen, denen die Fabriken gehören, in denen Ihr für einen Hungerlohn schuftet, gieren nur nach Reichtum und Macht, ganz entgegen der Vorgaben des Weltenschöpfers. Sie stürzen sich für ein paar Jahre des Wohlstands im Diesseits in die tiefste Verdammnis der jenseitigen Welt und Euch...“, der Mann machte eine Kunstpause, gerade als Bobby das erste Mal einen Blick in seine weit aufgerissenen blauen Augen werfen konnte. „...werden sie mit sich in den Abgrund reißen. Es ist an euch, die Ketten abzuwerfen und zu den wahren Werten, die Gott euch immer und immer wieder verkünden ließ, zurückzufinden! Folgt ihr aber weiter der Gier und Gehässigkeit, seid ihr des Untergangs und der ewigen Seelenqualen gewiss!“

Das Gemurmel in der Menschenansammlung verriet dem erfahrenen Polizisten, dass die Worte des Redners hier und da durchaus auf fruchtbaren Boden fielen. Einige der Umstehenden nickten, manche hatten den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst, andere wagten zaghaft zustimmende Rufe. Bobby Lane nahm den Redner, der seinen Blick über das Publikum schweifen ließ, genauer in Augenschein. Er trug einen gepflegten Anzug aus preiswertem grauen Stoff, eine Melone auf dem Kopf und einen schwarzen Regenschirm als Wetterschutz und Gehhilfe. Seine braunen Haare lugten unter dem Hut hervor. Das Gesicht war schmal und fein geschnitten, die lange, gerade Nase endete in einer eigenartigen Spitze und die vor Anstrengung oder Aufregung rot angelaufenen Ohren standen ihm weit vom Kopf ab. Mit Inbrunst setzte er zum Finale seiner Rede an: „Es ist an jedem einzelnen von euch, seine eigene Wahl zu treffen. Ihr könnt euren egoistischen, selbstgerechten und selbstherrlichen Führern folgen, die sich einen Dreck um eure Bedürfnisse scheren und euch ohne mit der Wimper zu zucken für noch mehr Macht und noch mehr Reichtum opfern würden, und das nur, damit auch ihr einen kleinen Zipfel dieses vermeintlichen Wohlstands abbekommt. Oder aber, ihr wendet euch von ihnen ab, versagt ihnen eure Unterstützung und wendet euch dem einen wahren Schöpfer und Herrn zu, der eure Seelen in alle Ewigkeit hegen und hüten wird und der dafür sorgt, dass es euch im Diesseits wie im Jenseits an nichts Notwendigem mangeln wird.“

Mit einem letzten glühenden Blick breitete der Mann die Arme aus und hob sein Angesicht theatralisch zum Himmel. Wie auf Bestellung brach die Sonne durch die graue Wolkendecke und tauchte das Gesicht des Mannes in ein glühendes Gold. Bobby Lane fragte sich, ob der Mann gespürt hatte, dass die Sonne gleich erscheinen würde und deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt seine Rede beendet hatte. Doch den Menschen um ihn herum schienen solche Gedanken fern zu liegen. Mit offenen Mündern starrten sie den Redner, der nun langsam die Arme sinken ließ und beinahe bescheiden von dem Fass kletterte, das ihm als Bühne gedient hatte, an. Viele nahmen andächtig die Hüte vom Kopf, aus einer Gruppe weiter hinten waren vereinzelte Hochrufe zu hören. Bobby Lane musste anerkennend nicken. Der Mann hatte seinen Auftritt sorgfältig geplant.

Die Frage, die sich Bobby aus polizeilicher Sicht stellte, war, ob dieser Mann eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellte. Sicher, seine Rede konnte durchaus als Verstoß gegen das Religionsverbot gewertet werden, aber seit Collin Rands Verbannung hatte die öffentliche Ordnung spürbar Schlagseite erlitten und quasireligiöse Ideen geisterten an fast jeder Ecke herum. Die Menschen brauchten etwas, dem sie die Schuld für die Misere geben oder von dem sie sich die Lösung ihrer Probleme versprechen konnten, und Bobby und seine Kollegen waren sich einig, dass eine wie auch immer geartete Gottheit dabei vermutlich das kleinere Übel darstellte. Wenn er diesen Mann deswegen festnahm, konnte das womöglich nur noch größeres Aufsehen erregen, seine Anhänger könnten einen Auflauf provozieren und im schlimmsten Fall versuchen, ihn gewaltsam zu befreien. Das wollte Bobby Lane nicht riskieren. Nicht wegen einer solchen Lappalie.

Dennoch konnte es nicht schaden, den Mann im Blick zu behalten. Er hatte sich Bobbys Revier als Missionsstandort ausgesucht, nun musste er damit zurechtkommen, dass Bobby bei ihm nach dem Rechten sah. Behende, aber ohne Hektik, verfolgte Bobby den Mann, der mit seinem Anzug, der Melone und dem Schirm einzigartig genug aussah, um zwischen den Marktbesuchern und Passanten immer wieder hervorzustechen.

Auch als sie den Markt verlassen hatten, war es für Bobby Lane ein Leichtes, dem aufrührerischen Redner zu folgen. Ohne sich umzuschauen ging er schnellen Schrittes die Straßen entlang, bis er in einem unscheinbaren Torbogen verschwand. Da keine Gefahr im Verzug war, konnte der Polizist ihm nicht ohne Weiteres folgen. Bobby Lane machte einen Vermerk auf seiner mentalen Karte, um das Gebäude bei Bedarf wiedererkennen zu können. Gerade, als er sich anschickte, zum Markt zurückzukehren, um seinen gewohnten Streifengang fortzusetzen, schlenderte ein Junge aus dem Torbogen heraus. Es war weniger der entspannte Gang, die Füße leicht nach außen gedreht und die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, der die Aufmerksamkeit des Polizisten weckte, als vielmehr die Kleidung des Jungen. Schon wieder so ein Bursche mit schwarzen Hosen, blauem Hemd und weißen Hosenträgern. Immer öfter sah man sie allein, zu zweit oder auch in größeren Gruppen durch die Straßen der City streifen. Bobby hatte hier und da Gerüchte über eine gefährliche Jugendbande aufgeschnappt, die sich anschickte, die City mit Intrigen und Gewalt in ihren Griff zu bekommen. Er war ein erfahrener Polizist und konnte eins und eins zusammenzählen. Irgendetwas stimmte nicht mit diesen uniformierten Jungen. Die Weißen Löwen wurden sie genannt. Er hatte das für einen lustigen Spitznamen gehalten, passend für Halbstarke, die auf der Suche nach ihrer Rolle im Leben waren. Wenn sie nun aber wirklich kriminelle Absichten hegten, konnten sie zu einer ernsthaften Gefahr für die City werden. Und wenn der Mann, der so aufrührerische Reden hielt, mit ihnen zusammenarbeitete, konnte dieses Problem der Polizei schon bald über den Kopf wachsen. Wie viele von diesen Rednern mochte es geben? Und wie viele Citybewohner hatten sie bereits mit ihren kruden Ideen infiziert? Vielleicht sollte er doch nachsehen, was der Mann in dem Haus trieb?

Nach kurzem Abwägen schüttelte Bobby entschieden den Kopf. Nein, er würde ihnen nicht die Genugtuung verschaffen, selbst gegen die Gesetze zu verstoßen und sie zu warnen. Sollten sie ruhig weiter glauben, dass sie der Polizei auf der Nase herumtanzen konnten. Je sicherer sie sich fühlten, desto eher würden sie entscheidende Fehler begehen. Seine Aufgabe bestand darin, seine Vorgesetzten und Kollegen von seinen Beobachtungen in Kenntnis zu setzen. Ob und wann Maßnahmen nötig würden, das musste an höherer Stelle beschlossen werden. So lange würden er und die anderen Streifenpolizisten ein weiteres wachsames Auge öffnen und sich auf eine ungemütliche Konfrontation vorbereiten.

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