Читать книгу Clockwork - Tom Dekker - Страница 8
ОглавлениеVII
Der alte Uhrmacher drehte den Schlüssel im Schloss seiner Werkstatttür zweimal um und lächelte zufrieden. Wieder hatte er einen Tag mit diesen vielen gelegentlichen Unterbrechungen seiner eigentlichen Aufgabe hinter sich gebracht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er seinen Laden gar nicht mehr geöffnet. Er verkaufte ohnehin nur wenig an die Laufkundschaft und das ewige Gerede und Getratsche der vornehmen Damen, die immer besonders viel Zeit in seinem Laden verbrachten, ging ihm gehörig auf den Geist. Aber zu seinem Bedauern ging es nicht nach ihm. Als er die Werkstatt übernommen hatte, war eine der Verpflichtungen, die er gegenüber der Uhrmachergilde eingegangen war, das tägliche Öffnen des Ladens gewesen. Die Gilde sorgte gut für ihn und die Geschäfte liefen mehr als zufriedenstellend. Am wichtigsten aber war, dass er seinen Forschungen und Experimenten nachgehen konnte, ohne jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Und dafür lohnte es sich durchaus, die Widrigkeiten des Geschäfts mit der geschwätzigen Laufkundschaft auf sich zu nehmen.
Er wusste, dass die Auflage, den Laden jeden Tag zu öffnen, nicht in erster Linie der Zufriedenstellung der Kunden dienen sollte. Das Netzwerk der Zeitgelehrten musste am Leben erhalten werden und dazu war es absolut notwendig, dass alle Beteiligten täglich ihre Werkstatttüren geöffnet hielten. Der alte Uhrmacher kicherte irre vor sich hin, während er die Lampen im Verkaufsraum dimmte und den hier ausgestellten Uhren und komplizierten mechanischen Geräten eine gute Nacht wünschte. Es würde eine lange Nacht werden, oh ja. Aber sie würden es nicht bemerken, dafür hatte er gesorgt.
Mit schlurfenden Schritten begab er sich nach nebenan in seine Werkstatt. Bedächtig räumte er den Arbeitstisch frei, redete den Federwerken, Unruhen, Zahnrädern, Zeigern, Hemmungen, Kugelumläufen, Schräubchen und Pendeln, die am heutigen Tag keinen Einsatz in seinen neuesten Kreationen gefunden hatten, gut zu und verstaute sie sorgfältig in den beschrifteten Kästchen. Dann legte er drei Kohlen in den Werkstattofen nach, füllte die bauchige Teekanne aus Kupfer mit Wasser und stellte sie auf die Platte des Ofens. Die Teetasse aus feinster Keramik, auf der ein leuchtend roter Zeppelin in einen Sonnenuntergang schwebte, stand bereit, er klappte sein Etui mit den feinen Werkzeugen aus und stellte den Hocker so vor den Tisch, dass er von seinem Platz aus die Werkstatt, den Laden und die Straßenzeile davor im Blick behalten konnte.
Als alles zu seiner Zufriedenheit arrangiert war, rieb sich der alte Uhrmacher die Hände. „Na, dann wollen wir mal, Molly!“ Mit einem breiten Lächeln im Gesicht trat er vor die Standuhr, die in stoischer Ruhe über die Werkstatt wachte und ihr monotones Ticken durch den Raum sandte. Er öffnete die Tür hinter der sich die Pendel und Gewichte verbargen und hielt die Uhr mit einem geschickten Griff an. Dann klappte er vorsichtig das Ziffernblatt nach vorn. Dahinter verbarg sich eine für eine Standuhr äußerst komplexe Mechanik, die einen einfachen Uhrmacher in maßloses Erstaunen versetzt hätte. Mit geübtem Griff verstellte der irre Uhrmacher ein paar Schrauben, klappte mit einem zufriedenen Schmunzeln das Ziffernblatt wieder zu und gab dem Pendel neuen Schwung. „Lass dich nicht stören, altes Mädel!“, sagte er und tätschelte die Uhr sanft. „Immer schön im Takt bleiben, dann kann uns nichts aus der Ruhe bringen, was?“
Aus der Teekanne stieg der Dampf des erhitzten Wassers auf. Der alte Uhrmacher griff nach einer abgewetzten, ziselierten Zinkdose, entnahm ihr ein paar Blätter getrockneten Tees und streute sie in die Kanne. Mit einem dicken Lappen hob er die Teekanne vorsichtig vom Ofen und stellte sie neben die Tasse auf den Tisch. Sein Blick glitt zur Tür, hinter der sich das Geschehen auf der Straße wie in weiter Ferne abspielte. Zufrieden beobachtete der alte Uhrmacher, wie die Menschen in scheinbarem Schneckentempo an seinem Schaufenster vorbeischlichen. Selbst das Aufflammen des Lichts, als die Gaslaterne schräg gegenüber angezündet wurde, konnte er in allen Einzelheiten verfolgen. Wieder kicherte er irre vor sich hin. Anschließend beugte er sich unter die Werkbank und zog eine kleine Holzkiste hervor. „Dann wollen wir mal!“, sagte er mehr zu sich selbst als zu Molly und hob vorsichtig ein in Leinentuch eingewickeltes Bündel aus der Kiste auf den Tisch. Langsam schlug er die Ecken des Tuchs auseinander und blickte mit glänzenden Augen auf die Herrlichkeit, die nun ausgebreitet vor ihm lag.
Das Innere des Tuchs war mit einem komplizierten Plan versehen, den er in nächtelanger Arbeit erstellt hatte. Das Zentrum der Innereien stellte eine goldene Taschenuhr dar, die bäuchlings inmitten von Zahnrädern, Schrauben, Federwerken und anderen Uhrbestandteilen lag. Das besondere an diesem Zubehör war sein Material. Alles an dieser Uhr bestand aus purem Gold. Jede Schraube, jeder Zeiger, auch das Gehäuse waren aus diesem edelsten aller Metalle hergestellt. Und was sollte auch besser zu einer Uhr mit der Aufgabe, die dieser einen zugedacht war, passen, als pures Gold? Nächtelang hatte er gelesen, ausprobiert, mit anderen Zeitgelehrten debattiert und sich den Kopf zerbrochen. Die alten Meister waren tot, ja, aber das bedeutete doch nicht, dass ihre Meisterleistungen mit ihnen gegangen waren. Es war möglich, die Zeit zu beeinflussen. Das wusste jeder, der sich eingehender mit dieser unsichtbarsten aller Naturkräfte auseinandersetzte. Aber die alten Meister hatten mehr gekonnt, als nur hier und da ein paar Stunden schneller oder langsamer vergehen zu lassen, sie hatten die Zeit manipuliert und zum Wohle der Menschheit das Kontinuum der Welt gebogen. Mit solchen Uhren, wie derjenigen, die er zu bauen beabsichtigte, waren sie in die tiefsten Geheimnisse der Ordnung der Welt eingedrungen und hatten sie zu ihren Gunsten und aller Nutzen gestaltet und verändert. Ein begehrliches Glitzern trat in die Augen des irren Uhrmachers. Bald würde auch er einer der ganz Großen sein. Er wusste, dass er nicht der Einzige war, der an einem solch gewagten Projekt arbeitete, aber im Gegensatz zu den anderen stand er kurz vor der Vollendung seiner Traums.
Einen Großteil des Uhrwerks hatte er bereits fertiggestellt, doch immer noch lagen Unmengen an Utensilien auf dem Leinentuch verteilt. Er hatte es genau berechnet, die meisten davon selbst angefertigt. Sie alle mussten verbaut werden. Es durfte nichts übrig bleiben, nichts dem Zufall überlassen werden. Nach einem kurzen Blick auf den Plan nahm er vorsichtig mit einer Pinzette eine kleine Feder auf und befestigte sie sorgfältig zwischen einem Spiralschlüssel und einer Unruh. Wie gut, dass Molly dafür sorgte, dass er heute Nacht genug Zeit haben würde. Er musste nur konzentriert genug arbeiten, für alles andere würde die Zeit selbst schon sorgen.