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XVII

Natty war elend zumute. Seit Tagen steckte sie nun schon in diesem Loch und hatte bisher mit Ausnahme der Hand, die ihr zweimal am Tag etwas zu Essen durch ein Klappe in der Tür reichte, noch nichts von ihren Entführern gesehen. Eigentlich wusste sie nicht einmal, ob es sich um einen oder mehrere Entführer handelte. Alles, woran sie sich erinnern konnte, war ein Schlag gegen die Brust und das laute Scheppern ihres Dieselrollers, der unter ihrem Körper davongebraust und vermutlich gegen irgendeine Wand oder ein anders Hindernis gerast war. Dann wurde es schwarz vor ihrem inneren Auge.

Irgendwann war sie in diesem dunklen Kellerraum aufgewacht. Die Wände bestanden aus unbehauenen Steinen. Mit Ausnahme eines Strohsacks und eines großen Haufens Kohlen war der Keller leer. An zwei Außenwänden hatte Feuchtigkeit ihre Spuren hinterlassen, doch die Seite des Kellers, in der die Kohlen gelagert wurden, war erstaunlich trocken. In den ersten Tagen hatte Natty viel Arbeit und Kraft darauf verwendet, die Kohlen mit ihren bloßen Händen so umzuschichten, dass sie den Strohsack aus der feuchten Ecke des Keller hierher ziehen konnte. Nun diente ihr dieser Teil als Wohnzimmer, während im anderen lediglich ein alter Zinkeimer stand, den man ihr für ihre Notdurft zur Verfügung gestellt hatte. Jeden Morgen musste sie den Eimer vor die Tür stellen. Wenn der Schlüssel im Schloss klapperte, sollte sie sich mit dem Gesicht zur Wand ans andere Ende des Raumes stellen, sonst würde sie einen Tag kein Essen bekommen. Das hatte ihr zumindest eine Jungenstimme an ihrem ersten Tag, den sie bei Bewusstsein in Gefangenschaft verbracht hatte, gesagt. Und Natty hielt sich lieber an diese Vorschrift. Es war schon schlimm genug, dass sie fror, ganz allein war und keine Ahnung hatte, weshalb sie hier gefangen gehalten wurde, da wollte sie nicht zusätzlich noch riskieren, vor Hunger wahnsinnig zu werden. Sie brauchte ihre Kraft, um hier wieder herauszukommen.

Natty dachte an ihren Vater und bei dem Gedanken an ihn wurde ihr schwer ums Herz. Wie hatte er sich Sorgen um sie gemacht. Immer wieder hatte er sie gewarnt, es sei zu gefährlich auf den Straßen der City und immer wieder hatte sie über seine Angst gelacht und gemeint, dass sie unverwundbar war. Oh, wie hatte sie sich getäuscht. Sie wollte sich nicht die Qualen vorstellen, die ihr Vater gerade durchlitt, aber immer wieder tauchte sein Gesicht vor ihrem inneren Auge auf. Es war kein vorwurfsvoller Blick, den sie von ihm erntete, aber der Schmerz, den sie in seinem Gesicht sehen konnte, brachte sie beinahe um den Verstand.

Sie hörte Schritte hinter der Tür. Aus dem Lichtschein, der durch die kleinen Luken in der Außenwand hereinfiel, schloss Natty, dass es später Nachmittag sein musste. Am ersten Tag hatte sie noch lange und laut um Hilfe gerufen, in der Hoffnung, dass sie irgendjemand dort draußen doch hören müsse. Doch offenbar gingen die Luken nicht auf eine belebte Straße hinaus. Bisher war noch niemand erschienen, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien.

Langsam trat sie näher an die Tür heran und wartete, bis die Klappe geöffnet wurde. Jeden Tag um diese Zeit erhielt sie ihre zweite und letzte Mahlzeit. Der Geruch nach Bohnen und Kartoffeln ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Erst jetzt spürte sie, wie hungrig sie eigentlich die ganze Zeit über schon gewesen war. Zu Hause hätte sie ein solch einfaches Essen sicher brüsk zurückgewiesen, aber hier, in diesem Keller, hatte sie gelernt, auch diesen einfachen Luxus zu schätzen. Es erstaunte sie immer wieder, wie schnell selbst ein Mensch wie sie dazu in der Lage war, sich an neue Situationen anzupassen. Erschreckend schnell, wie sie fand.

Sie griff nach der Schale und wartete auf den Wasserkrug, der ihr immer als zweites gereicht wurde. „Warum habt ihr mich hier eingesperrt?“, fragte sie mit möglichst fester Stimme, doch sie spürte, wie sie innerlich bebte. Jeden Tag stellte sie die gleiche eine Frage und jeden Tag erhielt sie die gleiche Antwort. Ein kaltes Schweigen, das so viel schlimmer war als es jede hämische oder abschätzige Antwort gewesen wäre. Die Klappe schloss sich vor ihren Augen und wieder war sie allein mit ihren Gedanken, einer Schale Kartoffeln und Bohnen und einem Krug Wasser, der bis morgen Früh ihre einzige Flüssigkeitsquelle darstellen sollte.

Missmutig betrachtete sie noch eine Zeitlang die Tür, die zwischen ihr und der Außenwelt stand. Langsam wanderte ihr Blick nach unten zum Türschloss und verengte sich zu einem wütenden Starren. Es war so intensiv, dass sich Natty selbst wunderte, wieso nicht schon allein von diesem Blick das Metall schmolz und den Weg in die Freiheit öffnete. Doch wie nicht anders zu erwarten, geschah nichts und Natty ließ sich mutlos mit dem dampfenden Essen auf ihrem Strohsack nieder. Natürlich gab es jeden Tag Suppe, die man mit einem Löffel essen konnte. Einem sehr kleinen Löffel wohlgemerkt. Um mit diesem dünnen Ding die Fugen zwischen den Mauersteinen lösen zu können, würde sie hunderte Jahre brauchen, hatte Natty bereits am zweiten Tag ihrer Gefangenschaft erkannt. Und als improvisierte Waffe war er auch nicht zu gebrauchen. Ihre Entführer hatten offenbar an alles gedacht.

Natty schob sich einen Bissen zwischen die Zähne und wunderte sich augenblicklich. Das Essen war wesentlich stärker gewürzt, als üblich. Vielleicht war heute ein Feiertag, überlegte sie und kaute gründlich, um sich der Illusion hingeben zu können, zu völlern und so viel essen zu können, bis sie platze. Sie erkannte Muskat und Bohnenkraut unter den Gewürzen, dazu Safran und Kümmel. Und etwas unbestimmtes, scharfes, dass sie nicht genauer eingrenzen konnte. Nach einigen Löffeln griff sie beherzt nach dem Wasserkrug. Wer immer dieses Essen zubereitet hatte, er verstand sein Handwerk. Diesen Eintopf sollten sie in einem Pub servieren, ging es Natty durch den Kopf. Er machte so durstig, dass die Männer gleich eine zusätzliche Runde Ale bestellen würden. Sie hob den Krug und goss sich das Wasser in einem großzügigen Schwall in den Rachen. Das Brennen im Hals vermischte sich mit der belebenden Kühle des Wassers und hinterließ ein angenehmes Prickeln. Die scharfe Würze veranlasste sie entgegen aller Vernunft, gleich noch einen großen Schluck des erfrischenden Nasses zu nehmen. Das Wasser musste bis morgen reichen. Aber im Augenblick war das Brennen im Hals wichtiger als der mögliche Durst in der Nacht. Mit einem wohligen Seufzer setzte Natty den Krug ab und löffelte die Suppe leer. Noch einen letzten Zug zum Nachspülen konnte sie sich wirklich gönnen.

Natty blickte versonnen auf die Lichtstrahlen, die spielerisch tanzende Schatten an die Wände warfen. Sie fühlte sich wie verzaubert. Von innen breitete sich eine wohlige Wärme in ihrem ganzen Körper aus und ganz allmählich legte sich eine drückende Müdigkeit auf ihre Arme und Beine. Die Augenlider wurden ihr schwer und trotz der warnenden Stimme, die ganz tief in ihrem Inneren rief, dass es noch viel zu früh zum Schlafen sei, ließ sie sich auf ihren Strohsack gleiten und schlummerte selig ein.

Clockwork

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