Читать книгу Clockwork - Tom Dekker - Страница 19

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XVIII

„Sie wollen es einfach nicht verstehen!“ Greg hieb missmutig mit der Faust auf den großen Tisch ein. „Was soll ich denn machen? Mav und ich verdanken den Weißen Löwen unser Leben. Und jetzt bitten sie mich um einen Gefallen, der mich nicht einmal in Gefahr bringt. Wenn ich Nathalie helfe, riskiere ich viel weniger, als sie damals für uns aufs Spiel gesetzt haben. Habe ich denn überhaupt eine andere Möglichkeit, als zu diesem Ansinnen ja zu sagen?“

Er blickte in das unergründliche Gesicht des alten Uhrmachers, der seelenruhig dagesessen und Gregs Bericht gelauscht hatte, ohne ihn einmal zu unterbrechen. Nun erhob sich der alte Mann bedächtig und ging zu dem kleinen Herd hinüber, auf dem Wasser in einem Topf vor sich hin kochte. Vorsichtig nahm er den Topf mit einem Lappen auf und goss das heiße Wasser in die mit blauen Pflanzenranken verzierte Porzellankanne, neben seinem Werkzeug und den Uhren einer der wenigen Gegenstände in seinen Räumen, die wirklich von Wert waren. Bedächtig zerrieb er einige Teeblätter und streute sie in die heiße Flüssigkeit. Dann klaubte er zwei Metallbecher von einem Bord, nahm die Kanne und stellte alles geräuschvoll auf den Tisch.

„Es ist ja nicht so, dass ich ihre Sorgen nicht verstehen würde. Natürlich würde es bedeuten, dass die Gouverneurin nicht mehr alle Entscheidungen völlig unabhängig und allein fällen kann. Aber kann sie das denn jetzt? Die Reichen und Mächtigen in dieser City haben doch ohnehin einen beträchtlichen Einfluss auf die Politik, warum sollten die einfachen Leute da außen vor bleiben? Das ist doch ungerecht!“ Wieder schaute Greg zu dem Uhrmacher auf, doch der musterte ihn tief in Gedanken versunken weiterhin schweigsam. „Und wenn die Gouverneurin erst einmal auf meinen Rat hört, könnte ich ihr doch auch die Wünsche von Josh und Philt und Suri und Peanut und Frog mitteilen.“ Greg spürte bei diesem Gedanken sein Herz bis in seinen Hals hinein schlagen. Neue Energie durchströmte ihn. Enthusiastisch fuhr er fort: „Wir könnten in der ganzen Stadt Vorschläge sammeln und ich trage sie dann der Gouverneurin vor. So wäre es möglich, die City von innen her zu einem besseren Ort zu machen, ohne dass es Streit zwischen den Armen und Reichen darüber geben muss.“ Greg war regelrecht verzückt von der neu in ihm aufkeimenden Idee.

Um die Mundwinkel des alten Uhrmachers zuckte die Andeutung eines Lächelns. Mühsam erhob er sich erneut und schlurfte zu Molly, seiner riesigen Standuhr. Behutsam öffnete er den Uhrkasten und tippte einen verborgenen Mechanismus an. Dann kam er zurück zum Tisch, setzte den großen Zylinder ab und legte ihn neben seine Teetasse.

Greg hatte in der kurzen Pause von dem heißen Gebräu gekostet. Es schmeckte grässlich, nach bitteren Kräutern und Medizin, aber es entfaltete eine wohltuende Wärme in seinem Innern, so dass er den geschmacklichen Abscheu überwand und noch einen beherzten Schluck nahm. Über den Rand der Tasse hinweg schaute er Arthur Tudor an. Er hatte keine Ahnung, mit wem er es hier eigentlich zu tun hatte. Arthur Tudor war ein großartiger Uhrmacher, hatte viele kreative Ideen, die er fast immer auch in die Tat umzusetzen in der Lage war, er liebte Ordnung und Pünktlichkeit und genoss die Tage, an denen kein einziger Kunde die betriebsame Geschäftigkeit in der Werkstatt störte. Aber viel mehr wusste Greg nicht über ihn. Nichts über seine Familie, woher er kam, ob er Freunde hatte oder was ihn bewogen hatte, den Beruf des Uhrmachers auszuüben. Arthur Tudor redete nur selten und dann auch nur das Allernötigste.

Umso erstaunter war Greg, als der alte Uhrmacher plötzlich den Mund öffnete und zu reden anhob: „Assimov kennt sich aus. Er ist der Beste. Gab nie einen besseren, das kannst du glauben! Was Assimov nicht reparieren kann, bekommt keiner hin. Viele haben die Gabe, aber Assimov weiß, wie man sie einsetzt. Oh ja!“

Greg verstand kein Wort, aber er wusste, es war so selten, den Uhrmacher in seinen Erinnerungen schwelgen zu hören, dass er keinen Drang verspürte, diesen ungewohnten Ausbruch von Redseligkeit mit kleinlichen Fragen zu unterbrechen.

„Weißt du, Junge, es kommt nicht so sehr darauf an, woher du kommst, sondern vor allem darauf, wohin du willst. Und wenn das, was von dir verlangt wird, dir später schaden wird, musst du gut überlegen, ob es das wert ist. Assimov war auch so wie du. Immer ehrlich sein, immer sein Wort halten, nie etwas Unrechtes tun.“ Der alte Uhrmacher kicherte irre. „Und was hat es ihm genutzt? In den Wäldern haust er. Kann sich in keiner City mehr sehen lassen. Weil diejenigen, die es mit Ehrlichkeit und Versprechen nicht so genau nehmen, ihm alles weggenommen und ihn verstoßen haben.“ Nachdenklich schüttelte Arthur Tudor den Kopf. „Ein komischer Kauz, dieser Assimov.“, sagte er und bedachte Greg mit einem Blick, der dem Jungen beinahe das Blut in den Adern gefrieren ließ. Aus dem Mund des verrückten Uhrmachers klang diese Beurteilung eines anderen Menschen für Greg sehr eigenartig. Aber er hütete sich, das dem alten Mann gegenüber zu erwähnen.

Eine Bewegung im Lichtkreis der Gaslaterne draußen stahl sich einen winzigen Teil von Gregs Aufmerksamkeit. Der Mann, der eben vorbeigeeilt war, schien untypisch hektisch und schnell gegangen zu sein. Im einen Moment war er da, im nächsten schon wieder verschwunden. Arthur Tudor folgte Gregs Blick. Gemeinsam schauten sie eine Zeit lang durch die Glastür auf die Straße. Es tat sich nicht viel, obwohl es doch noch gar nicht so spät sein konnte. Eine schwarze Katze sprang so schnell an der Tür vorbei, dass Greg sie beinahe überhaupt nicht wahrgenommen hätte. Verwundert starrte er den Uhrmacher an.

Der wackelte verträumt mit dem Kopf. „Kompliziertes Ding, die Zeit. Man kann sie bändigen, wenn man die Gabe dazu hat, oh ja!“ Ein fasziniertes Glänzen trat in seine grauen Augen. „Niemand kann es lernen, aber diejenigen von uns, die diese Kunst beherrschen, müssen vorsichtig sein. Wenn man mit der Zeit spielt, ist es wichtig, immer für einen Ausgleich zu sorgen. Alles muss ausgeglichen werden. Assimov ist ein Meister darin. Er kann Dinge mit der Zeit anstellen, die mir im Traum nicht einfallen würden.“, geriet er ins Schwärmen. Greg versuchte verzweifelt, sich einen Reim auf die Worte des alten Mannes zu machen, aber es wollte ihm nicht gelingen. „Weißt du, für die meisten Menschen vergeht die Zeit einfach linear. Sie stehen morgens auf, arbeiten, essen, weiß der Teufel, was sie noch treiben! Und um sie herum vergeht die Zeit immer gleich schnell.“ Er hielt inne und beobachtete Greg konzentriert. Dann fuhr er fort: „Aber so muss es nicht sein. Wenn du die Zeit gut behandelst, dann lässt sie dich mit ihr spielen. Sie ist wie eine Frau, mein Junge. Du musst dich um sie kümmern, sie umwerben und ihr imponieren! Und wenn du Glück hast, schließt sie dich in ihr Herz und offenbart dir ihre innersten Geheimnisse. Aber wehe, du verrätst sie! Dann kannst du dich auf einen Sturm gefasst machen, der dich in die tiefsten Abgründe reißen kann. Wenn du wirklich mit der Zeit spielen willst, frag Assimov!“

Gemächlich drückte er sich von seinem Stuhl nach oben und ging wieder zu Molly hinüber. „So, das sollte genügen, was meinst du, altes Mädchen?“ Er lauschte kurz, so als würde er die Antwort der Standuhr abwarten. Dann nickte er zufrieden, betätigte den Mechanismus im Korpus der Uhr erneut und schloss die Abdeckung fürsorglich. Greg kam es fast so vor, als hätten Arthur Tudors Worte über die Frauen Molly gegolten.

Zufrieden summte der alte Uhrmacher eine fremde Weise vor sich hin. Greg spürte ein unheimliches Kribbeln bei dem Gedanken daran, in dieser Werkstatt übernachten zu sollen. Irgendetwas stimmte hier nicht. „Warum machst du so ein besorgtes Gesicht?“, riss ihn Arthur Tudor aus seinen Gedanken. „Ah, ja.“, beantwortete er seine Frage selbst mit erhobenem Zeigefinger. „Nathalie. So hieß sie doch, richtig? Wir lassen uns immer wieder auf Dinge ein, die wir nicht kontrollieren können. Bei mir ist es die Zeit. Bei dir ist es Nathalie.“ Spöttisch schaute er auf den Jungen herab. „Ich kann dir nichts raten, aber egal, wie du dich entscheidest, du wirst mit den Konsequenzen leben müssen. Also entscheide dich weise, denn du wirst vermutlich noch sehr lange damit leben müssen. Im Gegensatz zu mir.“ Wieder brach er in dieses irre kehlige Lachen aus, von dem einem ganz schaurig zumute werden konnte.

Clockwork

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