Читать книгу Clockwork - Tom Dekker - Страница 3

Оглавление

II

„Was, ist die Suppe schon alle?“ Philt schaute ungläubig in den großen Kessel, der über dem fröhlich vor sich hin flackernden Feuer hing. „Tatsächlich! Nichts mehr da.“ Sein Blick wanderte enttäuscht zu Suri. Fast anklagend deutete er mit der schweren Suppenkelle auf das Mädchen.

Die schwarzhaarige Schönheit wedelte nur affektiert mit ihren Seidenhandschuhen. „Ich habe alles gekocht, was ihr besorgt habt. Wenn es den Herren nicht genügt, müsst ihr euch tagsüber eben mehr anstrengen!“

„Wir sind den ganzen Tag durch die City gelaufen und haben an den unmöglichsten Orten nach etwas Essbarem gesucht.“, erwiderte Philt und hustete ein paar Mal geräuschvoll in seine Hand.

Suri konnte sich einen schnippischen Kommentar nicht verkneifen. „Dann solltet ihr vielleicht lieber an möglichen Orten nachschauen!“

Peanut, die schwarzhaarige Asiatin mit den vielen Sommersprossen, funkelte sie böse aus ihren bernsteinfarbenen Augen an. „Siehst du nicht, dass es ihm schlecht geht?“, fauchte sie und strich Philt sanft über das braune Haar, das nur unzureichend seine abstehenden Ohren verdeckte. „Wie steht es bei dir?“, fragte sie ihn mit sanfter Stimme, erntete aber nur ein mürrisches Grunzen.

„Stopp!“ Josh, der erfahrenste unter ihnen und ungekürtes Oberhaupt der kleinen Gemeinschaft hob beschwichtigend die Hände. „Was sollen diese ewigen Streitereien?“ Seine braunen Augen, die ebenso wie seine schwarze Haut unruhig im Feuerschein zu tanzen schienen, blickten ernst in die Runde. „Wir können froh sein, dass wir jeden Tag aufs Neue genug zu essen finden. Vielen anderen Gemeinschaften geht es weit schlechter als uns. Es wird uns nicht umbringen, wenn wir einmal ein karges Abendessen verkraften müssen. Was uns aber mit Sicherheit umbringen wird, ist Streit und Uneinigkeit. Nur gemeinsam sind wir stark genug, diese schwierige Zeit zu überstehen. Wir brauchen einander!“

Suri senkte beschämt den Blick und Philt starrte betrübt ins Feuer. Josh hatte recht, aber es war so verdammt schwer, jeden Tag aufs Neue hungrig schlafen zu gehen und nicht zu wissen, was der nächste Tag bringen würde.

„Josh hat recht.“, sagte Greg und klopfte seine Schiebermütze aus. „Unser Zusammenhalt macht uns stark.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er die anderen nacheinander anschaute. Philt mit der übergroßen Kordhose, dem Wollmantel und den ausgetretenen Lackschuhen, Peanut, deren ganzer Stolz ihre immer gut gefetteten Stiefeletten waren, die unter ihrem Wollkleid hervorlugten, Josh, der trotz seines Holzbeins immer frohen Mutes war und dessen Muskeln unter der schwarzen Haut spielten, als wäre er jeden Augenblick zu einem Kampf bereit, Suri, deren orange-schwarzes Kleid ihre Reize mehr betonte, als dass es sie verbarg und Frog, der eben noch mit seiner Trompete, Frack und Lackschuhen von einem Konzert seiner Big Band gekommen war, nun aber schon in Tuchhose und Wolljacke bei ihnen saß, seine Haut so schwarz, dass er im Dunkeln einfach nur still dastehen musste, wenn er nicht gesehen werden wollte, waren seine einzige Familie. Eine verschworene Gemeinschaft, die durch dick und dünn ging, aber wie in jeder Familie gab es auch hier Streitereien und Eifersucht, Neid und Missgunst. Greg wusste, dass das ganz normal war, aber sie mussten aufpassen, dass diese Gefühle nicht die Oberhand gewannen.

„Hoffentlich macht er euch stark genug.“, unterbrach Natty seine Gedanken. Natty, die immer so tatendurstig und begeisterungsfähig war, saß mit bekümmerter Miene zwischen den anderen. „Mein Vater sagt, es sei keine Besserung in Sicht.“

„Dein Vater wird es wissen.“, seufzte Suri. „Als einflussreicher Fabrikant sitzt er ja an der Quelle aller Informationen in dieser Stadt.“

Natty hob bedauernd die Schultern. „Ich habe mir meine Eltern nicht ausgesucht, das wisst ihr.“, entgegnete sie barsch.

„Aber du bist trotzdem froh, dass du jeden Tag an einen reich gedeckten Tisch und in ein angenehm weiches, sicheres und warmes Bett zurückkehren kannst.“, ließ sich Suri zu einer weiteren spitzen Bemerkung hinreißen, was ihr einen Stoß in die Rippen durch Frogs Ellenbogen einbrachte.

„Niemand macht dir einen Vorwurf.“, wandte sich Josh an Natty. „Es ist großartig, dass du, so oft du kannst, zu uns kommst und uns mit Essen und Informationen versorgst. Ohne dich würde es uns genauso schlecht gehen wie den meisten anderen Menschen in den armen Vierteln der Stadt.“ Er warf Natty einen dankbaren Blick zu.

„Also, so wie fast allen Menschen in der Stadt.“, stichelte Suri weiter.

„Suri, was ist denn los?“, fragte Greg verwundert. Suris zynische Art, die Welt zu betrachten, hatte schon das ein oder andere Mal für Unmut in der Gemeinschaft gesorgt, aber so schlimm hatte sie sich selten benommen.

„Was soll los sein?“ Suri warf in gespielter Empörung die Arme in die Luft. „Wir haben nicht genug zu essen, jede Nacht werden Menschen von den Mobs auf der Straße oder in ihren Häusern erschlagen, die meisten Fabriken haben kaum noch Arbeit, so lange nicht klar ist, was mit Collin Rands Firmen passieren wird und Recht und Ordnung sind zusammengebrochen. Aber sonst ist ja alles in bester Ordnung.“, rief sie beinahe hysterisch.

Josh schaute sie fest an. „Das ist aber nichts Neues. So geht es schon seit mehreren Wochen, seit sie Collin Rand verurteilt und in die Verbannung geschickt haben.“, stellte er in ruhigem Ton fest. „Was bedrückt dich wirklich?“

Suri seufzte und versuchte vergebens, eine Träne zu verbergen, die sich in ihren Augenwinkel gestohlen hatte. „Schon seit Wochen ist die Schneiderei geschlossen. Und die Freier, die nur noch ganz selten zu mir kommen, zahlen immer weniger. Ich komme mir so nutzlos vor. Ich falle euch nur zur Last!“ Bei diesen letzten Worten ließ sie den Tränen freien Lauf, die in zwei dünnen Rinnsalen ihre Wangen hinabrannen.

Peanut nahm die Freundin in den Arm und wiegte sie sanft hin und her. „Schschsch.“, versuchte sie, Suri zu beruhigen. „Du bist nicht nutzlos. Wir alle brauchen dich. Du kochst uns Essen, bringst uns zum Lachen, sorgst dafür, dass Greg und Philt nicht dauernd Dummheiten machen, und das Essen, dass du von deinen Freiern bekommst, hilft uns, satt zu werden. Also ich könnte das nicht.“ Sie schüttelte sich theatralisch. „So, wie manche von den Kerlen stinken.“

Suri schenkte ihr ein dankbares Lächeln. „Wenigstens haben du und Frog noch ihre Arbeit.“, sagte sie mit einiger Erleichterung in der Stimme.

„Apropos.“, mischte sich Josh ein. „Wie läuft es in der neuen Werkstatt, Greg?“ Alle Blicke wandten sich dem Angesprochenen zu.

Greg überlegte kurz, was er antworten sollte. „Es läuft gut.“, erwiderte er nachdenklich. „Ich denke, dass ich dem Meister gut zur Hand gehe und er meine Arbeit schätzt. Er kann mir nicht viele Wertmarken geben, aber es ist besser als nichts und ich habe das Gefühl, dass ich bei ihm eine ganze Menge lernen kann.“

„Ihr habt wirklich Glück, dass so viele von euch noch Arbeit haben.“, meinte Natty mit einem Hauch Enthusiasmus in der Stimme. „Mein Vater hat erzählt, dass mehr als die Hälfte aller Arbeiter in den Fabriken in diesem Sommer ihre Arbeit verloren haben. Er meint, es würde sicher noch bis ins nächste Jahr dauern, bevor die Produktion sich neu geordnet hat und wieder anlaufen kann. Das wird für viele Familien böse enden.“

„Sagt die unbeirrbare Optimistin unter uns?“, spöttelte Suri.

„Schrecklich, nicht?“, gab Natty schnippisch zurück. „Es ist schon zu Plünderungen gekommen.“, setzte sie ihren Bericht fort. „Viele Läden schließen inzwischen vor Einbruch der Dunkelheit und verbarrikadieren ihre Schaufenster mit Holzplanken und Eisengittern.“

„Na, da werden die Tischler und Schmiede ja gut verdienen.“, feixte Philt vor sich hin.

„Ich halte das nicht für so lustig.“, mischte sich Frog ein, der bisher schweigsam dagesessen und in die Flammen gestarrt hatte. „Es wird immer gefährlicher auf den Straßen, vor allem nachts, wenn ich unterwegs bin. Ich bin schon mehrfach nur um Haaresbreite einer dieser Banden entkommen. Wenn die meine Trompete in die Finger bekommen, bin ich erledigt.“

„Du wärst auch erledigt, wenn sie dich ohne Trompete in die Finger bekämen.“, korrigierte ihn Josh.

„Man kann über Collin Rand sagen, was man will, aber wenigstens gab es zu seiner Zeit als starker Mann nicht solche Zustände.“, ließ sich Frog nicht beirren.

Greg warf einen neuen Holzscheit in das Feuer, so dass die Funken aufstoben. „Collin Rand war ein ruchloser Emporkömmling, der nicht einmal vor Mord und Diffamierung zurückschreckte, um zu bekommen, was er wollte. Es ist gut, dass er weg ist.“, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Bevor Frog etwas erwidern konnte, sprang Josh Greg zur Seite. „Außerdem hat es auch unter Rand all diese Erscheinungen gegeben. Nur nicht hier, bei uns, aber wer von euch hat sich denn schon jemals nachts durch die Schemen gewagt? Außer Greg natürlich.“, fügte er nonchalant hinzu.

Alle schauten zu Greg, der ihnen nach und nach die Geschichte seines Abenteuers erzählt und dabei auch die Tage, die er in diesem verrufenen und gefürchteten Stadtviertel verbracht hatte, nicht unterschlagen hatte.

„Du hast recht, Josh.“, sagte Natty mit einem Seufzen. „Dennoch bin ich der Meinung, dass das Ganze auch etwas aufgebauscht wird. Die meisten Bürger der City sind anständige Menschen, die niemandem etwas zu Leide tun und einfach nur über die Runden kommen wollen. Und die Polizei gibt es immer noch.“, versuchte sie, sich und den anderen Mut zu machen.

„Klar, nur dass man sie kaum noch sieht.“, murmelte Philt.

„Und was werden brave Bürger machen, wenn es ihnen nicht mehr gelingt, auf redliche Weise über die Runden zu kommen?“, fragte Suri mit gehobener Augenbraue.

„Ach, ihr redet schon genau wie mein Vater!“, fuhr Natty die beiden an. „Er will mich nicht einmal mehr allein mit meinem Dieselroller durch die City fahren lassen. Angeblich wäre es viel zu gefährlich geworden, dabei bin ich mit dem Roller viel schneller als jeder Verbrecher, der mich verfolgen will.“

„Ja, so sind Väter nun mal.“, sagte Philt weise.

„Immer in Sorge, alles verbieten.“, seufzte Peanut. „Da bin ich doch froh, dass wir uns haben und keine Eltern, die uns vorschreiben, was wir tun und lassen sollten.“ Sie kicherte aufgesetzt. „Was meinst du, Greg?“

Der drahtige Junge strich sich unbehaglich durch das braune Haar. „Ich weiß nicht.“, gab er freimütig zu. „Ich hatte nie Eltern.“

„Stimmt auch wieder.“, meinte Josh. „Aber Nattys Vater hat nicht ganz Unrecht. Es ist wirklich gefährlicher geworden.“ Dabei warf er dem Mädchen in dem gepflegten hellblauen Korsettkleid einen eindringlichen Blick zu.

„Schon verstanden!“ Natty stand mit erhobenem Kopf auf und klopfte sich das Kleid glatt. „Ich werde mich besser auf den Heimweg machen. Vergesst ihr nur nicht, hinter mir das Tor zu schließen. Ich denke, ihr lebt weit gefährlicher als ich, und das ist mein voller Ernst.“, sagte sie mit einer so entschiedenen Stimme, dass nicht einmal Suri es wagte, ihr zu widersprechen.

„Mach's gut, Natty!“, rief Peanut.

„Ja, bis bald. Pass auf dich auf!“, sagte Greg und die anderen fielen in die Verabschiedung ein. Natty startete ihren Dieselroller, schwang ein Bein über die Sitzbank und tuckerte winkend durch das Tor auf die Straße.

„Läuft ja wie geschmiert.“, kommentierte Philt die Abfahrt. „Hast du daran herumgeschraubt?“ Er warf Greg einen fragenden Blick zu.

„Ein Bisschen.“, antwortete der geschickte Mechaniker lächelnd. „Ich habe nur hier und da ein paar Schrauben angezogen.“

Frog, der das Tor mit einem schweren Balken fest verschlossen hatte, setzte sich wieder zu ihnen. Nach Sprechen war niemandem zumute. Die Jugendlichen starrten in die Flammen, lauschten dem schnell leiser werdenden Knattern des Dieselrollers und, als dieser verklungen war, dem Knacken des Holzes und den nächtlichen Geräuschen der City, die nicht für alle Stadtbewohner eine friedliche Nacht versprachen und gaben sich ihren Gedanken, Erinnerungen und Erwartungen hin.

Clockwork

Подняться наверх