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Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel herab und tauchte im Zusammenspiel mit den im Wind rauschenden Blättern der Platanen den Platz vor der Kirche in ein Mosaik aus schattigen und beleuchteten Fleckchen. Das erste Gelb zeigte sich in den Baumkronen, aber noch war es warm genug, um genüsslich ohne Jacke über den Platz schlendern zu können. Es würde einer der letzten warmen Spätsommertage werden und Mav fand, solche Gelegenheiten musste man unbedingt genießen. Er rückte die Fliegerbrille über seinen schwarzen Haaren zurecht und pfiff fröhlich ein kleines Liedchen vor sich hin, das er vor ein paar Tagen an einem der Lagerfeuer der fahrenden Händler, die regelmäßige Gäste in der Kolonie waren, aufgeschnappt hatte.
„Mav, was machst du denn hier?“, rief eine vertraute Stimme hinter ihm. Er blieb stehen und drehte sich lächelnd um. Trisha hielt in ihrem feuerroten Korsettkleid mit weit ausholenden Schritten auf ihn zu. Ihre offenen blau-schwarzen Haare wehten hinter ihr her wie die Fahne einer der Dampffregatten auf den großen Meeren, die sich Mav in seiner Phantasie schon hunderte Male ausgemalt hatte und zu gern einmal sehen würde. „Macht dir die Arbeit keinen Spaß?“, fragte Trisha, als sie herangekommen war.
„Doch.“, antwortete Mav vehement. „Die Waffenmanufaktur ist toll. Ich denke, ich werde dort als feste Arbeitskraft anfangen, so lange ich noch nicht zum Fliegen komme.“, berichtete er aufgeregt mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen.
„Was machst du dann um diese Zeit hier draußen auf dem Platz?“, fragte Trisha verwundert.
„Hanson hat mich zu sich bestellt.“, gab Mav zur Antwort.
„Dich auch?“, entfuhr es Trisha.
„Ähm, ja, mich auch. Wieso?“, stammelte Mav.
„Weil ich auch zu ihm kommen soll.“, erklärte Trisha.
„Hat er dir gesagt, was der Grund für die Einladung ist?“, wollte Mav wissen. „Luton hat mir, als ich in die Manufaktur gekommen bin, nur mitgeteilt, dass ich direkt zu Hanson gehen soll, weil er mit mir etwas Wichtiges besprechen will.“
„Nein, ich weiß auch nichts.“, musste Trisha eingestehen. „Ob etwas passiert ist?“
Mav zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Aber je eher wir hineingehen, desto schneller erfahren wir es.“ Er schnappte sich Trishas Arm und zog sie zum Gemeinschaftshaus.
Sie hatten kaum an der schweren Holztür geklopft, als diese auch schon aufflog und der bullige Hanson sie mit seinen ernsten blauen Augen fixierte. Wie beinahe jeden Tag trug er ein derbes Holzfällerhemd, das unordentlich aus seiner Lederhose heraushing. Die blonden Haare, die normalerweise unter einem Kopftuch verborgen waren, wirkten zerzaust. Tiefe Augenringe zeigten, wie müde und übernächtigt er sein musste.
Mav warf Trisha einen beunruhigten Blick zu. In so schlechter Verfassung hatte er Hanson noch nie gesehen. Es musste etwas Schlimmes vorgefallen sein.
„Kommt rein!“ Hanson winkte sie freundlich, aber bestimmt, über die Schwelle und schloss die Tür sorgfältig. Auch das kam Mav eigenartig vor. Für gewöhnlich standen die Tore in der Kolonie jedem, der ein berechtigtes Interesse hatte, offen.
„Nehmt Platz!“, forderte Hanson die beiden Jugendlichen auf und bot ihnen zwei bequeme Stühle an dem großen Konferenztisch an, der in der Mitte des großen Versammlungsraumes, dort wo sich bei Versammlungen das Rednerpult erhob, stand.
Nervös setzten sich Mav und Trisha auf die Vorderkanten der Stühle und ließen Hanson, der sich umständlich ihnen gegenüber niederließ, nicht aus den Augen. Was hatte das Ganze zu bedeuten?
Hanson räusperte sich lautstark, bevor er zu Sprechen anhob: „Es gibt beunruhigende Nachrichten und ich denke, ihr solltet davon erfahren.“
Mav runzelte die Stirn und Trisha kniff die Augen kaum merklich zusammen. Warum ausgerechnet sie beide? Welche Neuigkeiten konnten sie so miteinander verbinden, dass es Hanson wichtig war, sie ihnen zu berichten, bevor es andere taten?
„Es scheint so, als hätte sich eine Art Geheimorganisation gegründet, die von der Terapolis aus nach der Macht greifen und die Cities unterjochen will. Sie sollen einen recht eigenwilligen Götterkult verbreiten und auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, um ihre Ideologie unters Volk zu bringen. Und anscheinend sind sie damit recht erfolgreich.“
Die Jugendlichen hörten aufmerksam zu, konnten sich aber keinen Reim darauf machen, inwieweit Hansons Bericht sie berühren sollte.
„Anfangs hielten wir es nur für Gerüchte, aber sie scheinen schon ganze Stadtviertel der Terapolis und einige Cities unter ihre Kontrolle gebracht zu haben. Die Menschen glauben, dass diese Gruppe mit ihren rigiden Moralvorstellungen – sie verbieten singen, tanzen, trinken, Theater und viele andere Dinge – ihnen ein besseres Leben bieten kann. Vor allem die Verlierer des Unternehmertums, die Arbeitslosen und Tagelöhner, laufen ihnen in Scharen zu. Und die große, schweigende Mehrheit tut nichts, aus Angst vor Gewalt und Ausgrenzung.“, fuhr Hanson seine Erzählung fort.
Mav warf Trisha einen fragenden Blick zu, aber sie zog nur eine Augenbraue in die Höhe.
„Wenn sie sich durchsetzen, wird das auch für uns Konsequenzen haben. Diese Gruppe lehnt unsere Lebensweise ab. Bei ihnen gibt es eine klare Hierarchie, der sich alle unterwerfen müssen. Und wenn sie in den Cities an die Macht kommen, können sie uns wirtschaftlich schweren Schaden zufügen. Ihr wisst, dass wir auf den Handel mit den Cities angewiesen sind. Es ist durchaus denkbar, dass sie versuchen werden, uns darüber zu kontrollieren und zu Marionetten zu machen.“
Hanson bedachte die beiden Jugendlichen mit einem langen, traurigen Blick.
„Aber, was hat das gerade mit uns zu tun?“, fragte Mav verstört und deutete auf sich und Trisha.
Hanson seufzte schwer. „Sagt euch die Bezeichnung ,die Weißen Löwen' etwas?“, fragte er und blickte die beiden Jugendlichen unverwandt an.
Mav riss die Augen auf und Trisha musste lauthals husten, so als hätte sie sich an etwas verschluckt.
„Das dachte ich mir.“, deutete Hanson die Reaktion der beiden richtig. „Was wisst ihr über sie?“, fragte er neugierig.
„Greg hat von ihnen erzählt.“, platzte es aus Trisha heraus. „Sie haben euch geholfen, damals in der Terapolis, oder?“, wandte sie sich an Mav.
„Das ist richtig.“, stimmte er Trisha zu. „Sie sind eine Gruppe von Waisen, die sehr viel Einfluss zu haben scheinen. Als mich die Polizei erwischte und ich die Kleidung der Weißen Löwen trug, haben sie es beinahe mit der Angst bekommen und mich mit einer Botschaft schnell wieder frei gelassen. Es war nahezu unheimlich.“, erinnerte sich Mav mit einem Schauder auf dem Rücken an die Zeit in der Zelle des Polizeireviers.
„Habt ihr mitbekommen, dass sie etwas Großes planen?“, hakte Hanson nach.
Mav schüttelte den Kopf. „Nein, es kam mir eher so vor, als wären sie so etwas wie die Banden den Elendsvierteln der Cities, von denen Greg erzählt hat. Sie haben ihren Stadtteil kontrolliert, die Menschen haben ihnen aus Angst geholfen oder sind ihnen zumindest ausgewichen, aber dass sie die Macht an sich reißen könnten, hätte ich nicht erwartet.“
„Weißt du etwas über ihre Anführer?“, bohrte Hanson weiter.
Mav überlegte einen Augenblick. „Da war eine Nathalie. Auf sie haben alle gehört. Sie hat entschieden, dass die Weißen Löwen uns helfen werden und dann haben alle nach ihrer Pfeife getanzt.“
„Warum haben sie euch geholfen?“, wollte Hanson wissen.
„Ich glaube, sie war von uns beeindruckt.“, antwortete Mav mit stolzgeschwellter Brust. Dann erinnerte er sich noch an ein weiteres Detail. „Und sie hat zu Greg gesagt, dass sie früher oder später einen Gefallen von ihm fordern werde.“
Bei diesen Worten zuckte Trisha zusammen und schlug sich die Hand vor den Mund. Hanson, dem diese Geste nicht entgangen war, nickte zustimmend. „Ja, ich denke auch, dass Greg in Gefahr schwebt. Und, was mindestens ebenso wichtig ist, viele in der City kennen und achten ihn als aufrechten Kämpfer für das Recht. Wenn nun diese Nathalie einen Gefallen fordert, wird der sicher recht beachtlich ausfallen. Sie wird versuchen, Greg dazu zu bringen, ihr bei der Machtergreifung in seiner City behilflich zu sein. Und egal, wie das ausgeht, für Greg kann diese Situation kein gutes Ende nehmen.“
„Aber, das ist ja schrecklich!“, rief Trisha aus. Tränen traten ihr in die Augen und sie musste schwer schlucken, um die Fassung zu wahren.
„Wir müssen Greg helfen!“ Mav sprang von seinem Stuhl auf. Er fühlte eine eigenartige, kraftvolle Energie in sich aufsteigen, die ihn antrieb, jetzt auf der Stelle loszulaufen, um seinem Freund zur Seite zu stehen.
„Warte, Mav!“, versuchte Hanson ihn zu beruhigen. „Ich weiß, was in deinem Kopf vor sich geht, aber es hilft dir nichts, die Dinge zu überstürzen. Wir werden Greg helfen, aber vorher müssen wir einen klugen Plan entwickeln, denn das Spinnennetz, das die Weißen Löwen über die Cities gelegt haben, ist bereits sehr dicht. Wir müssen klug vorgehen, wenn wir Greg dort herausholen wollen.“
Trisha ergriff Mavs Hand und zog ihn sanft auf seinen Stuhl zurück. „Hanson hat recht. Wir werden Greg helfen, aber wir brauchen einen guten Plan. Bradley und Pater Elia müssen uns helfen. Und wir sollten auch mit Tucker oder diesem Gator sprechen.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann. Pater Elia und Bradley werden auf jeden Fall dabei sein.“, versprach Hanson. „Geht jetzt erst einmal an eure Arbeit! Wir werden uns heute Abend treffen und schon einmal die Köpfe rauchen lassen.“ Er grinste die Jugendlichen mit einem Funkeln in den Augen an wie ein kleiner Junge, der sich auf ein aufregendes Abenteuer freute. „Lass den Kopf nicht hängen!“, versuchte er Mav aufzumuntern. „Wir holen Greg da heraus. Und wer weiß, vielleicht ist es schon wieder an der Zeit, dass ihr die Welt rettet?“
Trisha musste gegen ihren Willen lachen und auch auf Mavs Gesicht stahl sich ein Lächeln. Langsam erhob er sich und ging mit Trisha nach draußen an die frische, warme Luft. Die Sonnenstrahlen auf seiner braunen Haut schienen ihm wie ein göttlicher Wink, der ihm zusätzliche Kraft verlieh. Oh ja, wenn es sein musste, würde er die Welt retten!