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„Geraldine Greystone, Gnädigste! Es ist mir eine solche Freude, Euch auf dem Platz zu sehen, den so lange Euer werter, leider viel zu früh von uns gegangener Gemahl inne hatte. Ihr als Gouverneurin, wer hätte das jemals gedacht?“ Der große bärtige Mann, der in einem mit Pelzbesatz verzierten rot schillernden Brokatmantel durch den geräumigen Audienzsaal schritt und den Mund unter dem buschigen braunen Bart zu einem aufgesetzten Lächeln verzog, breitete die Arme aus, als wolle er sein Gegenüber nach langer entbehrungsreicher Zeit der Trennung fest an sein Herz drücken.
„Maxim Aldo, der Handelsattachet des Verbundes der östlichen Hafenstädte.“, verkündete der für das Protokoll zuständige Saaldiener.
„Wir kennen uns, Luton, vielen Dank.“, schnitt ihm die kalte Stimme Geraldine Greystones, die kerzengerade auf dem Empfangssessel saß und den Neuankömmling nicht aus den Augen ließ, das Wort ab. „Mein Titel lautet amtsführende Gouverneurin. Ich bin nicht gewählt und hege auch nicht die Absicht, zu einer Wahl anzutreten.“, wies sie ihren Gast auf seinen sicher mit purer Absicht begangenen Formfehler hin.
„Ihr seht blendend aus, meine Liebe!“, bemerkte Aldo mit honigtriefender Stimme, während er vor Geraldine Greystone einen ebenso unnötig tiefen wie überaus galanten Diener vollführte.
„Immer noch der alte Schmeichler, Maxim.“, erwiderte die amtierende Gouverneurin mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen.
„Ihr tut mir Unrecht!“, führte der Handelsattachet das Spiel mit einem theatralischen Griff an seine Brust fort. „Erlaubt mir zunächst, Euch unser aller Beileid zum Verlust Eures erlauchten Gatten auszusprechen.“
„Der bereits seit mehreren Monaten tot ist, ohne, dass sich ein Vertreter der Städte bisher bemüßigt gefühlt hätte, ein Wort darüber zu verlieren.“, stellte Geraldine Greystone lakonisch fest.
Maxim Aldo räusperte sich verlegen. „Nun ja. Es sind schwierige Zeiten, die Wege sind unsicher, die diplomatische Situation ist verzwickt...“
„Mit anderen Worten: Wer sein Fähnlein nach dem Wind hängt, lässt sich besser nicht bei der falschen Partei blicken, solange Männer wie Collin Rand die Macht in den Händen halten.“, interpretierte die amtsführende Gouvernerin seine Worte süffisant.
„Ihr seid sehr hart in eurem Urteil, Gnädigste.“ Beinahe winselste der Handelsattachet diese Worte. „Wer bei aufziehendem Gewitter nicht rechtzeitig einen Unterstand sucht, wird sich eine böse Erkältung einfangen, oder Schlimmeres.“, versuchte er eine selbst in seinen Augen müde klingende Rechtfertigung hervorzubringen.
Geraldine Greystone wedelte unwirsch mit der Hand. „Genug der Belanglosigkeiten! So sehr ich die gepflegten Konversationen mit Euch zu schätzen weiß, bin ich in diesen Tagen doch eine viel beschäftigte Frau. Was ist also Euer Begehr?“
Der Handelsattachet strahlte über das ganze Gesicht, so als hätte ihm die mächtigste Frau der City gerade einen Heiratsantrag gemacht, wäre das denn ein für eine Dame gebührliches Verhalten gewesen. „Wir schlagen Euch eine strategische Allianz vor, zu aller Nutzen, versteht sich.“
„Natürlich.“, erwiderte die Gouverneurin mit einem strahlenden Lächeln. „Über die Handelsverträge, die unsere Städte bereits miteinander verbinden hinaus, was sollte das Anliegen dieser strategischen Allianz sein?“, fragte sie neugierig, bedachte Maxim Aldo dabei aber mit einem scharfen Blick über ihre gebogene Nase hinweg, der klar machte, dass trotz der freundlichen Fassade die Interessen ihrer City für Geraldine Greystone nicht verhandelbar waren.
„Nun, wie Ihr sicher gehört haben dürftet, gibt es bereits in mehreren Cities größere Probleme mit dieser ruchlosen Organisation, die versucht, unwissende junge Menschen hinter sich zu scharen und mit nackter Gewalt die öffentliche Ordnung an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen.“, leitete Aldo seine Erörterungen ein.
„Die Weißen Löwen?“ Geraldine Greystone tat überrascht. „Haben sie auch in den Hafenstädten Fuß gefasst?“
„Nein, nein!“, wiegelte der Handelsattachet beschwichtigend ab. „So weit sind sie noch nicht vorgedrungen. Aber sie stellen bereits ein Problem für uns dar, da der Handel mit den betroffenen Städten deutlich zurückgegangen ist. Die Weißen Löwen haben ihre eigenen Vorstellungen von Recht und Ordnung. Sie beten einen eigenen Gott an und zwingen den Citybewohnern ihren Glauben auf.“ Dem Saaldiener entrang sich ein erschrockenes Keuchen. „Und das, wo die Cities doch schon seit Generationen allen Göttern abgeschworen haben.“, empörte sich Maxim Aldo.
„Und inwiefern beeinträchtigt das eure Geschäfte?“, fragte Geraldine Greystone mit dem höflichen Lächeln einer Großmutter, die sich bemüht, den wirren Ausführungen ihres kleinen Enkels die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, während sie eigentlich mit den eigenen Sorgen und Problemen beschäftigt war.
„Nun, sie verbieten den Handel mit allen Ungläubigen.“, erwiderte Aldo und drehte die offenen Handflächen zur Decke.
„Also auch mit euren Städten.“, schlussfolgerte die Gouverneurin.
„Und mit eurer City.“, entgegnete der Handelsattachet.
„Wir haben bisher noch keinen Rückgang des Handels festgestellt.“, entgegnete Greystone brüsk.
In gespielter Überraschung hob Maxim Aldo die Augenbrauen. „Was kein Wunder sein dürfte, da aus dieser City, wie ich hörte, seit Wochen ohnehin nichts mehr ausgeführt wurde. Gibt es überhaupt noch funktionierende Produktionsanlagen?“, fragte er mit einem Hauch Verachtung in der Stimme.
Geraldine Greystone erhob sich von ihrem Sessel und musterte den Handelsattachet ausgiebig. Der feiste, in teure Stoffe gehüllte Geck hatte Recht. Wirtschaftlich stand es schlecht um die City. Es musste ihre erste Sorge sein, die unklare Rechtslage zu entwirren und die Fabriken wieder zum Laufen zu bringen. Und Aldo wusste das genau.
„Wieso kommt Ihr dann zu mir. Offensichtlich stellen die Weißen Löwen keine Gefahr für unseren Handel dar.“, sagte sie schließlich kühl.
Aldo neigte leicht den Kopf. „Vielleicht nicht für den Handel, aber wir wissen aus sicherer Quelle, dass sie bald auch hier auftauchen werden, wenn sie nicht schon im Untergrund aktiv sind.“, erwiderte er nachdenklich. Von draußen drang lautes Rufen in den Audienzsaal. Greystone und Aldo warfen beide einen Blick durch die Fenster auf die Straße, wo offensichtlich eine wilde Verfolgungsjagd zweier Jugendbanden vorbeizog. Als der Pöbel um die nächste Ecke verschwunden war, wandte sich der Handelsattachet wieder der Gouverneurin zu. „Sie nehmen die Städte eine nach der anderen. Und wenn sie hier fertig sind, kommen sie irgendwann auch zu uns. Sie breiten sich aus wie ein Krebsgeschwür. Wir haben kein Interesse daran zu warten, bis sie auch zu uns vorgedrungen sein werden. Liebend gern würden wir Euch und anderen Cities daher beim Kampf gegen die Weißen Löwen beistehen – unter dem Mantel der Verschwiegenheit natürlich. Wir haben ein ausgezeichnetes Netz an Verbindungsleuten und unser Informationsaustausch ist legendär, wie Ihr zugeben müsst, Gnädigste.“
„In der Tat.“, räumte Geraldine Greystone ein. „Ihr bietet uns also Informationen an, damit wir die kleinen Scheißer in Schach halten?“, fasste sie das Angebot der Hafenstädte zusammen.
„Na, na!“ Maxim Aldo wedelte neckisch mit dem Zeigefinger. „Solche Kraftausdrücke stehen Euch wahrlich nicht gut zu Gesicht. Und unterschätzt die Löwen nicht! Sie sind mächtig. Ihre Ideologie ist schwer zu durchbrechen und es scheint so, als könnten sie den Geist ihrer Anhänger so beeinflussen, dass diese bis zur Selbstaufgabe für sie kämpfen.“
„Das tun Soldaten jedes Herrschers.“, entgegnete die Gouverneurin.
„Nicht auf diese perfide Art und Weise.“, erwiderte Aldo. „Ihr eigenes Leben scheint ihnen völlig egal zu sein. Wenn sie einen Auftrag ausführen, nehmen sie weder Deckung noch Rücksicht auf Verwundungen. Das macht sie sehr gefährlich.“
Über diese Worte musste Geraldine Greystone einen Augenblick nachdenken. Der Handelsattachet brachte in der Tat beunruhigende Informationen. „Und Ihr meint, die Informationen eurer Verbindungsmänner genügen, um die Weißen Löwen in Zaum zu halten?“, fragte sie skeptisch.
„Nicht allein. Aber sie helfen dabei, eine geeignete Gegenwehr zu planen.“, räumte Aldo ein.
„Und für Euch springt nichts weiter dabei heraus als die Sicherheit, dass andere einen Krieg führen und gewinnen, der andernfalls möglicherweise auf Euch übergreifen könnte?“, hakte die Gouverneurin misstrauisch nach.
„Das ist doch schon eine ganze Menge.“ Der Handelsattachet brach in ein kurzes, künstliches Lachen aus. „Aber mindestens genauso sehr sind wir an einem funktionierenden Handel mit dem Binnenland interessiert. Und Eure City ist ein Zentrum der Produktion.“
„Ihr schmeichelt uns.“, entgegnete Geraldine Greystone.
Maxim Aldo hob erschrocken die Hände. „Nein, nein. Ganz und gar nicht. Eure City hat sich einen der vorderen Plätze in der Dieselmotoren- und Getriebetechnologie erarbeitet. Und wie man hörte, waren auch die Forschungen im Bereich anbarischer Anlagen weit fortgeschritten.“
„Nur leider liegen, wie Ihr bereits selbst festgestellt habt, diese Produktionsanlagen zu großen Teilen darnieder.“, machte ihn die Gouverneurin auf die Schwachstelle seiner Ausführungen aufmerksam.
„Und genau da kommen wir ins Spiel.“, rief Aldo hocherfreut.
„Aha, jetzt kommen wir also zum Kern der Sache.“, meinte Greystone missmutig.
Der Handelsattachet setzte eine beleidigte Miene auf. „Schon wieder tut Ihr uns Unrecht.“, monierte er. „Wie gesagt, es soll zu unser beider Nutzen sein.“
„Was schlagt Ihr vor?“, wollte die Gouverneurin kurz angebunden wissen.
„Die Fabriken müssen wieder eröffnet werden. So lange Collin Rand in der Verbannung ist, könnten seine Firmen nach dem Recht der Terapolis, das auch hier gilt, zu Stiftungen öffentlichen Interesses umgewandelt werden. Damit obläge die Verwaltung der Firmen einem Rat, der aus städtischen Bürgern gegründet würde. Für die notwendigen finanziellen Auslagen könnten unsere Städte als stille Teilhaber aufkommen.“
„Als stille Teilhaber?“, fragte Geraldine Greystone nachdenklich. „Und was denkt Ihr, würde für Euch dabei herausspringen?“
Maxim Aldos Lächeln lief nun fast von einem Ohr zum anderen über sein ganzes Gesicht. „Fünfzig Prozent vom Gewinn und keine Zölle auf alle hier produzierten Waren, die direkt in unsere Städte ausgeführt werden.“
Für einen Augenblick zuckte die rechte Augenbraue der Gouverneurin in die Höhe, doch sogleich erlangte sie ihre Selbstbeherrschung wieder. Sie reckte das Kinn nach vorn und beschied in dem autoritärem Tonfall, den sie seit ihrer Amtsübernahme jeden Abend stundenlang vor dem Spiegel geübt hatte: „Wir werden Euren Vorschlag im kleinen Rat verhandeln. Ich kann Euch nichts versprechen.“
„Natürlich nicht.“, entgegnete Maxim Aldo unterwürfig. Er glaubte, das Spiel bereits gewonnen zu haben. Jetzt kam es darauf an, dass die Mächtigen der City das Angebot schluckten und er sie nicht durch allzu provokantes Verhalten vor den Kopf stieß.
„Ich muss Euch aber darauf aufmerksam machen, dass alle Entscheidungen, die unter meiner Ägide als amtsführende Gouverneurin gefällt werden, nach einer Wahl einer Bestätigung des nächsten Gouverneurs bedürfen. Es gibt also keine Garantien, dass unsere Entscheidung, egal wie sie ausfällt, von langer Dauer sein wird.“, warnte die Gouverneurin den Handelsattachet.
„Das ist mir bewusst. Aber wir vertrauen auf die Weitsicht und Klugheit der Politiker dieser Stadt und setzen alles an eine erfolgreiche Zusammenarbeit zum Wohle aller.“ Mit einer tiefen, eleganten Verbeugung verabschiedete sich Maxim Aldo und trat den protokollarischen Rückzug an.
Geraldine Greystone blickte ihm lange nachdenklich hinterher. Es waren beunruhigende Nachrichten, die Aldo brachte. Die Stadt lag ohnehin wirtschaftlich am Boden, tiefe politische Gräben hatten selbst die mächtigsten und reichsten Familien entzweit und nun schien sich auch noch diese radikale Sekte auszubreiten. Die Armut und Perspektivlosigkeit in der City würden einen sehr geeigneten Nährboden für das Geschwätz dieser Hetzer darstellen. Es musste dringend etwas Positives geschehen, das den Menschen in dieser Stadt wieder Hoffnung und Zuversicht bescherte.