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VI

„Seid Ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“ Josh hatte sich sichtlich in Rage geredet und raufte sich die kurzen schwarzen Locken. Sein Blick wanderte wild zwischen dem zerknirscht am Feuer sitzenden Philt und Greg, dessen Kopf Suri vorsichtig auf ihren Schoß gebettet hatte, hin und her. „Geht ihr immer so sorglos in den nächtlichen Straßen spazieren wie feine Ladys, die sich in ihrem privaten Lustgarten ergehen?“

„Lass gut sein, Josh!“, versuchte Peanut ihn zu besänftigen. Sie wusch einen Stofffetzen in einem kleinen Eimer aus und betupfte vorsichtig einen Kratzer an Joshs Wange. „Sie haben schon genug Schmerzen.“

„Ja, und wenn du mich fragst, können die beiden von Glück sagen, dass sie überhaupt noch so etwas wie Schmerzen spüren können.“, ereiferte sich Josh. Die Kieferknochen unter seiner schwarzen Gesichtshaut mahlten wütend.

„Sie sind überfallen worden. Was hätten sie denn tun sollen?“, stand Suri ihrer Freundin und den beiden zusammengeschlagenen Jungen bei.

„Sie hätten besser aufpassen müssen! In jeder Ecke lauern diese Banden neuerdings. Und vor allem hätten sie nicht mehr im Dunkeln unterwegs sein sollen. Es ist einfach viel zu gefährlich.“, las Josh ihnen die Leviten.

„Ach, dann soll Greg also aufhören zu arbeiten, damit er rechtzeitig vor der Dämmerung zu Hause ist?“, warf Peanut mit ironischem Unterton ein.

„Der irre Uhrmacher macht doch ohnehin keinen Umsatz. Wer kauft denn in solchen Zeiten Uhren?“, wandte Josh ein. „Macht es da einen Unterschied, ob Greg etwas eher oder später aus der Werkstatt verschwindet?“

„Für den Uhrmacher offensichtlich.“, stellte Suri klar. „Und für Greg offenbar auch. Er blüht richtig auf, seit er wieder an irgendwelchen Apparaten herumschrauben kann.“ Sie nahm den kalten Lappen, der auf einer riesigen Beule auf Gregs Stirn gelegen hatte, und tauchte ihn in den Eimer, der neben Peanut stand.

„Sind sie schwer verletzt?“, fragte Josh zum wiederholten Male besorgt.

„Nein, nur ein paar Beulen.“, gab ihm Suri die selbe Antwort wie die Male zuvor. „Nur Gregs Nase könnte gebrochen sein. Unter all dem Draht um sein Auge herum ist das schwer zu erkennen.“

„Dafür sind die Wertmarken weg.“, brummte Greg, dem das Sprechen Schmerzen im Kiefer bereitete, undeutlich.

„Und das Essen, das ich den ganzen Tag gesammelt hatte.“, fügte Philt mit fast weinerlicher Stimme hinzu.

„Verdammt!“, fluchte Greg und schlug mit der flachen Hand auf seinen Oberschenkel.

„Fluchen hilft uns jetzt auch nicht weiter.“, mahnte Peanut. „Wir haben noch einen Kohlkopf, daraus können wir zumindest eine Suppe zaubern, oder Suri?“

„Und ob! Kohlsuppe ist meine Leibspeise.“, erwiderte Suri mit gespielt guter Laune.

„Eigentlich ist es ja alles meine Schuld.“, machte sich Josh selbst Vorwürfe. „Ich hätte Philt begleiten sollen.“

„Um was zu tun?“, hakte Suri neckisch nach. „Würdest du die Angreifer mit deinem Holzbein verprügeln?“ Sie deutete auf die Prothese mit den vielen Schrammen, die den linken Unterschenkel des jungen Mannes ersetzte.

„Zur Not auch das.“, knurrte Josh. Er kratzte unwirsch am Ende des Beinstumpfes herum.

„Juckt es immer noch so unangenehm?“, fragte Peanut, der die Handbewegung nicht entgangen war.

Josh stöhnte verstimmt. „Ja, und es ist in den letzten Tagen eher schlimmer geworden. Das verdammte Holz ist das letzte Mal vor mehr als zwei Jahren angepasst worden. Wenn ich einen Wunsch frei hätte,“, raunte er dem Feuer zu, „dann wäre es eine dieser ölhydraulisch-mechanischen Prothesen. Ich kannte mal einen Jungen, piekfeiner Schnösel, arrogant bis hier oben.“ Um seine Worte zu verdeutlichen, hob Josh seine Hand bis über die Nase. „Aber einen hydraulischen Unterarm hatte er – eine großartige Arbeit! Er konnte sogar die einzelnen Finger bewegen.“ In Joshs Augen trat ein träumerischer Glanz. „Was könnte ich mit solch einem Unterschenkel alles anstellen.“

„Wenn er richtig konstruiert wäre, könntest du damit vielleicht auf Dächer springen.“, rief Philt begeistert aus. Offenbar hatte Joshs Tagtraum ihn mitgerissen und den schmerzhaften Zusammenstoß vergessen lassen.

Josh lachte auf. „Ja, und den geflohenen Dieben wäre ich auf meinem künstlichen Bein problemlos hinterhergehüpft. Das wäre ein Spaß gewesen.“ Zerknirscht starrte er auf das abgenutzte Holzbein. Das Knarren des Tors in seinem Rücken bot eine willkommene Ablenkung. Ohne sich umzudrehen rief Josh in die Dunkelheit: „Natty. Du kommst ja doch noch. Ich schätze, du rettest unser Abendessen.“

„Ich bin nicht Natty, aber das Abendessen bereichere ich auf jeden Fall.“, rief Frogs fröhliche Stimme vom Tor her. Sie hörten das Knarren des Balkens, mit dem sie den einzigen Eingang zu ihrem Hof jeden Abend vor unliebsamen Besuchern schützten. „Ist Natty nicht aufgetaucht?“

„Heute nicht.“ Suri schüttelte den Kopf. „Wie meinst du das, du könntest was zum Abendessen beitragen?“, fragte sie neugierig.

Stolz zerrte Frog zwei Zucchini aus seiner Jackentasche und hielt seine Beute im Schein des kleinen Feuers triumphierend in die Höhe. „Super!“, rief Peanut und klatschte in die Hände. „Kohlsuppe mit Zucchini. Wir werden noch alle fett.“ Sie stand auf und holte den großen Kessel, in dem sie für gewöhnlich ihr Essen über dem Feuer zubereiteten.

„Kohlsuppe?“, fragte Frog enttäuscht.

„Philt und Greg sind überfallen worden.“, setzte Josh ihn in Kenntnis.

Frog riss die Augen weit auf. „Was ist geschehen? Geht es euch gut?“, fragte er entsetzt.

„Nur ein paar Schrammen.“, beschwichtigte Philt seine Sorgen.

„Wer war es?“, hakte Frog aufgebracht nach.

„Ich weiß es nicht.“, setzte ihn sein Freund ins Bild. „Es ging alles so schnell. Gerade noch war die Straße menschenleer, dann flogen Steine und plötzlich schlugen sie auf uns ein. Ich habe meinen Beutel fallen lassen und bin davongerannt. Sie haben von mir abgelassen und Greg k.o. geschlagen. Dann sind sie wohl mit dem Essen und Gregs Wertmarken auf und davon.“

„Zum Glück hat Philt mich gleich informiert, so dass wir Greg holen konnten, bevor ihm noch etwas Schlimmeres zustoßen konnte.“, bemerkte Josh.

„Verdammt!“, stieß Frog hervor. „Und so etwas mitten in der Stadt. Sie ziehen immer größere Kreise. Bald ist es nirgendwo mehr sicher.“

„Das ist es jetzt schon nicht.“, lautete Joshs Kommentar.

„Es wird Zeit, dass wir wieder einen Gouverneur bekommen, der das Ruder in die Hand nimmt.“, presste Philt hervor.

„Ich könnte gut auf einen neuen Collin Rand verzichten.“, unkte Josh. „Aber du hast recht. So kann es nicht weitergehen. Die Frage ist nur, ob sich überhaupt noch jemand findet, der diesen Moloch von einer heruntergekommenen Stadt regieren will.“

„Oh doch, den gibt es.“, rief Frog und plusterte sich auf. „Seht nur, was ich gefunden habe.“ Unter seiner Jacke zog er einen kleinen Packen Papier hervor. Als er ihn auseinanderfaltete, entpuppte er sich als Zeitung.

„Gefunden?“, fragte Philt mit hochgezogener Augenbraue.

„Ach, du Korintenkacker.“ Frog streckte ihm die Zunge heraus. „Jedenfalls steht hier:“ Er machte eine gewichtige Pause und strich das Papier glatt.

„Komm schon! Mach es nicht so spannend!“, maulte Philt.

„Er genießt es jedes Mal, dass er am besten von uns lesen kann.“, meinte Suri schmunzelnd.

Frog räusperte sich geräuschvoll. „Der neue Gouverneur? - Patty Song verkündet Kandidatur.“ Mit gewichtiger Miene schaute Frog in die Runde.

„Patty wer?“, fragte Peanut erstaunt.

„Patty Song.“, las Frog den Namen noch einmal vor.

Josh zuckte mit den Schultern. „Kennt den jemand?“

Alle schauten sich ratlos an.

„Ich glaube, er ist Fabrikant. Ein Bekannter von Jesua Fingrey, wenn ich mich recht erinnere.“, stöhnte Greg, der sich auf einen Ellbogen hochgedrückt hatte.

Suri schob ihn sanft zurück in die Horizontale. „Ein Freund von Fingrey? Das kann ja nicht so schlecht sein, oder?“

„Wollen wir es hoffen.“, sagte Philt skeptisch. „Steht auch da, was er tun will, wenn er gewählt wird?“, fragte er und nickte in Frogs Richtung.

Der Musiker überflog den Text, wobei er unablässig vor sich hin murmelte. Endlich klappte er die Zeitung zusammen. „Also, hier steht,“, er klopfte mit der Hand auf die Zeitung, um seine Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. „dass er hart gegen die ausufernde Kriminalität auf den Straßen vorgehen will. Mehr Polizei und Bürgerwehren sollen den vielen Überfällen ein Ende bereiten. Die Fabriken von Rand sollen von der Stadt verwaltet und bald wieder eröffnet werden. Alle Einnahmen sollen in einem Treuhandfonds gesammelt werden. Hat jemand eine Ahnung, was das sein soll?“, fragte er die anderen.

Alle schüttelten die Köpfe und verzogen die Münder. „Politikergerede hat noch nie jemand verstanden.“, beschied Philt knapp.

„Außerdem meint Song, wir sollten uns nicht länger von den Kolonien und Walddörfern auf der Nase herumtanzen lassen.“, fuhr Frog mit seinem Bericht fort. „Sie, ich zitiere:“, er hob die Zeitung wieder vor seine Nase, „stehen außerhalb von Recht und Gesetz und müssen deshalb den Cities untergeordnet werden. Weigern sie sich, sollten wir sie unter Zwangsverwaltung stellen. Es kann nicht sein, dass ein paar Holzfäller und Ziegenhirten durch unüberlegte Entscheidungen den Fortschritt in den wachsenden Städten hemmen können.“ Wieder schaute Frog fragend in die Runde.

„Ich wusste nicht, dass sie das tun, aber er als Fabrikant wird schon wissen, was er meint.“, brummte Philt.

„Das geht uns erstmal auch nichts an.“, meinte Josh. „Sagt er noch etwas zu seinen Plänen für die City?“

„Hmm.“ Frog überflog den Artikel noch einmal. „Er sagt, es wären eigenartige Zeiten. Die Rolle der Frau sei im Haushalt und er sehe es als seine vornehmste Aufgabe, den Frauen diesen Schutzraum wieder zu ermöglichen und vertrauensvolle Männer mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu betrauen. Es ginge nicht an, dass sich Frauen neben der Küche und den Kindern auch noch um die große Politik und die Geschäftswelt kümmern müssten.“

„Damit will er nur Geraldine Greystone als Konkurrentin ausschalten. Wenn die Zeitungen so etwas schreiben, kann sie unmöglich als Gouverneurin kandidieren.“, sagte Philt.

„Er ist ein mieser Chauvinist.“, empörte sich dagegen Suri. „Als ob Frauen nicht genauso klug und geschickt wären wie Männer. Warum sollen wir uns immer nur um die Küche kümmern, während sie in die Wirtschaft gehen und Politik machen?“

„Er meint nicht die Art von Wirtschaft.“, versuchte Frog zu erklären, aber sie schnitt ihm mit einer herrischen Geste und einem Grinsen das Wort ab.

„Das weiß ich doch. Ich wollte nur einen Scherz machen.“, erklärte Suri. „Obwohl es nicht wirklich zum Scherzen ist. Ich finde, wir brauchen Frauen in der Politik, schon, um einen gewissen Ausgleich zu schaffen.“

Frog zuckte mit den Schultern. „Patty Song sieht das offensichtlich anders.“

„Meine Stimme erhält er dann ja schon einmal nicht.“, spöttelte Suri.

„Als ob du überhaupt wählen dürftest.“, rief Philt.

„Außerdem steht hier noch etwas von einer Generalamnestie für Verurteilte.“, sagte Frog nachdenklich, bevor zwischen den beiden ein offener Streit ausbrechen konnte.

„Und was soll das schon wieder sein?“, wunderte sich Peanut.

„Vielleicht müssen sie alle zur Armee?“, spekulierte Philt.

„Hat das nicht etwas damit zu tun, dass man alles vergisst?“, warf Suri ein.

„Nein, das war eine Amnesie.“, erklärte Josh. „Wir werden es erfahren, nehme ich an.“, sagte er und streckte seinen gesunden Fuß dem Feuer entgegen.

„Spätestens, wenn er gewählt ist.“, schmunzelte Peanut, während sie die Zucchinistücke, die sie in der Zwischenzeit zurechtgeschnitten hatte, in den Kessel gleiten ließ.

Clockwork

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