Читать книгу Gott singt - Ulrike Gadenne - Страница 41
Sehübungen
ОглавлениеFebruar bis Ostern 1999 – Seit etwa einem halben Jahr gehören die morgendlichen Sitz- und Meditationsübungen ab 4.30 Uhr zu meinem regelmäßigen privaten Tagesprogramm. Da ich Baba nie um eine Anweisung bat, mischte Er sich nicht ein. Die Konzentration auf das Mantra bewirkt, dass die Sinneseindrücke keine inneren Reaktionen von Sympathie oder Antipathie hervorrufen. Seit einiger Zeit sehe ich Baba beim Darshan hinter einem weißen Lichtschleier, oder Sein Kopf ist umgeben von einer weißen Wolke mit diffusen Konturen, die sich zwar synchron zu den Kopfbewegungen verhält, bei schnellen Bewegungen jedoch wie »hinterher schwimmt« und zeitverzögert die Kopfregion wieder »einholt«. Diese Phänomene entstehen von selbst, sie können nicht willentlich hervorgebracht werden. Im Gegenteil, je mehr die eigenen Gefühle und Gedanken schweigen und sich zurückziehen, umso mehr kann das göttliche Licht in Erscheinung treten. Und wenn es erscheint, ist es das Selbstverständlichste und Natürlichste von der Welt, denn in dem Moment ist niemand da, der es erlebt. Erst in der Erinnerung meinte ich, es notieren zu sollen.
Von Anfang an war mir Babas physische Gestalt das Schönste, Kostbarste und Zerbrechlichste, was ich je gesehen hatte.
Da der Mensch ein höchst komplexes Wesen ist, das angetrieben wird von widersprüchlichen Gefühlen und Gedanken, spiegelt der Bewegungsablauf bei jedem graduelle Störungen von Harmonie und Entspannung. Eine Wesenheit wie Balasai Baba ist aber nicht der Dualität unterworfen, darum wirken sich Antipathie, Sympathie und gehirngebundene Gedanken nicht auf seine physische Erscheinung aus. Das harmonische Fließen göttlicher Glückseligkeit und Einheit, nur dem Geistigen angehörend, bewirkt eine Schönheit, die auf dieser Erde unbekannt ist.
Die sonst größten Gegensätze vereinigen sich zu einer vollkommenen Synthese: Wenn die kleine, aufrechte Gestalt durch die Reihen geht, wirkt sie einerseits majestätisch und ehrfurchtgebietend, gleichzeitig strahlt sie eine kindlich-staunende Unbefangenheit aus, die unmittelbar zu Tränen rührt. Jede Bewegung, jedes Wort, jedes Lächeln, jede Neigung des Kopfes oder des Körpers drückt ausschließlich bedingungslose Liebe aus, schwingt sich vollkommen ein in die jeweiligen Bedürfnisse des Gegenübers und erweckt in diesem dessen schlummernde Göttlichkeit, die direkt als strahlende Freude und Dankbarkeit sichtbar wird. In jedem Moment entsteht so ein neues Bild, wie Gott Seiner Schöpfung begegnet und unablässig bezeugt, dass Er und Sie Eins sind. Die beschriebenen Lichterlebnisse waren für mich dagegen nichtssagend …
In Balasai Babas physischer Gestalt erlebe ich bis heute in jedem Augenblick alle Aspekte der formlosen Göttlichkeit – Schönheit, Liebe, Weisheit, Wahrheit – so unmittelbar und vollkommen, dass ich nur dasitzen und in dieses Bild versunken bleiben möchte.
Als an diesem Karfreitagmorgen Balasai Baba im lila Kleid auf Seinem Thron sitzt, ist mir, als sähe ich durch eine andere Brille – eine Brille, die mich sehen lässt, dass alles aus Farbe und Bewegung besteht, besser gesagt, dass Farbe und Bewegung »wirklicher« sind als die mit ihnen verbundene Materie. Dieses »Sehen« fand auch nicht mit den physischen Augen statt und war noch ganz ungewohnt und die Empfindung ganz zart, aber ich konnte deutlich unterscheiden, dass Farbe und Bewegung »unvergänglicher« sind als die physische Materie. Ich empfand diese nur als »Kulisse«, dazu da, das Unvergängliche zu »transportieren«. Erst später merkte ich, dass dieses Erlebnis nur eine abstraktere Ausgabe dessen war, was ich von Anfang an mit Balasai Babas physischer Form verband: Sie transportiert ganz real Seine formlose Göttlichkeit auf die Erde.