Читать книгу Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband) - Uwe Anton - Страница 11
ОглавлениеKapitel 6
Schicksalswege
JOURNEE, Bordzeit 15. März 1312 NGZ
Als Benjameen da Jacinta erwachte, war es nicht mehr still wie in einem Grab.
Ganz im Gegenteil. Von überall drangen Stimmen auf ihn ein, ein geradezu babylonisches Sprachgewirr, auch wenn alle Interkosmo sprachen. Er konnte die einzelnen Sprecher nicht voneinander unterscheiden; alle schienen gleichzeitig durcheinander zu reden, und das verwirrte ihn. Er war noch benommen, wusste einen Moment lang nicht, wo er war und was gerade geschah.
Nur langsam fiel es ihm wieder ein ... die immer lauter werdenden Antriebsgeräusche, die immer stärkeren Schwingungen, die die JOURNEE zu zerreißen drohten ...
Beruhigt stellte er fest, dass das Dröhnen der Triebwerke und der anderen Aggregate verstummt war. Der Boden und die Wände der Zentrale vibrierten nicht mehr; jedenfalls spürte er kein Zittern mehr. Offensichtlich musste er keine Angst haben, die JOURNEE könnte ihm jeden Augenblick um die Ohren fliegen.
Andererseits ... Eigentlich nahm er vom Schiff selbst gar nichts mehr wahr. Die Besatzung mochte noch leben, aber die JOURNEE schien tot zu sein. Und das war fast so beunruhigend wie das vorherige Donnern.
Er spürte eine Berührung an seiner Wange, und in seine Nase drang ein vertrauter Geruch, den er bis zu seinem letzten Atemzug wieder erkennen würde. Ein Geruch, der ihm endgültig verriet, dass er tatsächlich noch lebte.
»Tess«, murmelte er und öffnete die Augen.
Sie kniete neben ihm, betrachtete ihn. Er erkannte Besorgnis, aber auch Erleichterung in ihrem Blick. »Du bist wach«, sagte sie überflüssigerweise.
Er nickte.
»Hast du Schmerzen?«
»Schmerzen?«
Sie berührte vorsichtig seine rechte Hand.
Erst jetzt fiel ihm alles wieder ein. Der Versuch, die Barriere zu durchbrechen, die Explosion in seiner Konsole, der Rauch, der unerträgliche Lärm.
Er hob die Arme und betrachtete seine Hände. Sie waren von einer dünnen Schicht Bioplastmasse überzogen.
»Ein Medorobot hat dich versorgt und dir auch ein Schmerzmittel verabreicht.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Ich muss zurück an meine Station. Jemand wird sich gleich um dich kümmern.«
»Nein«, murmelte er. »Mir geht es gut. Ich bin einsatzfähig ...«
Aber sie hörte ihn schon nicht mehr. Sie war aufgesprungen und zu ihrer Konsole zurückgekehrt.
Benjameen richtete sich mühsam auf die Ellbogen auf. Die Berührung schmerzte, aber es ließ sich aushalten. Der Medorob hatte gute Arbeit geleistet. Kein Vergleich mit der Pein unmittelbar vor seiner Ohnmacht.
Er stand schwankend da, auf zitternden Beinen, und sah sich um.
Ein Bild der Zerstörung offenbarte sich ihm. Die sieben hufeisenförmigen Stationen waren mehr oder weniger stark beschädigt. Es wimmelte geradezu vor Robotern, die über den Boden wuselten oder vor Konsolen schwebten, hier kleine Brände löschten, dort Reparaturen erledigten. Aber nicht nur Roboter, auch Menschen waren an der Arbeit, versuchten, die gröbsten Schäden zu beseitigen. Benjameen fühlte sich kurz an einen Bienenschwarm erinnert – er schätzte ironisch, dass etwa fünfzig der achtzig Besatzungsmitglieder hier in der Zentrale zusammengekommen sein mussten –, erkannte dann jedoch, dass jeder Einzelne genau definierte Aufgaben übernommen hatte. Hinter dem anscheinenden Chaos steckte effiziente Methode.
Und in alledem stand, wie ein Fels in der Brandung, Perry Rhodan hinter seiner Kommandokonsole und gab Anweisungen.
»Notsysteme?«
»Notsysteme stabil.« Bruno Thomkin. »Energieversorgung der Lebenserhaltung durch NUG-Schwarzschild-Reaktoren und Fusionsmeiler gewährleistet. Multi-Hyperzapfer noch nicht einsatzbereit. Reparaturarbeiten laufen. Energiespeicher völlig geleert.«
»Defensiv- und Offensivbewaffnung?«
»Paratronschirm, HÜ-Schutzschirme und Prallschirme nicht einsatzbereit.« Vorua Zaruk. »MVH-Geschütze und Transformkanonen nicht einsatzbereit. Die Systeme sind unbeschädigt, aber die Energieversorgung ist ausgefallen.«
»Ortung?«
»Alle Systeme ausgefallen.« Cita Aringa. »Auch der Hyperraumspürer und der Virtuellbildner. Systeme unbeschädigt, aber ohne Energie.«
»Kommunikationssysteme aktiv.« Coa Sebastian, die Kommandantin. »Schäden werden behoben, Notsysteme Zug für Zug zurückgefahren.«
»Triebwerke?«
»Haupt- und Neben-Metagrav-Triebwerke, Gravojettriebwerke, NUG-Protonenstrahl-Impulstriebwerke und Antigravaggregate nicht einsatzfähig. Schadensdiagnosen laufen, aber keine Anzeichen für Beschädigungen. Schadensmeldungen vom Grigoroff-Triebwerk im Andockmodul. Führe genauen Check durch ...«
Benjameen spürte eine Berührung am Ellbogen. Erschrocken drehte er sich um und sah in das Gesicht von Dr. Mimo Serleach, dem Bordarzt. Der spitzbäuchige Mann ergriff Bens Arme und zog sie hoch. »Entschuldige«, murmelte er, »dass ich mich erst jetzt um dich kümmern kann, aber du siehst ja, was hier los ist.« Der Arzt tastete ihn kurz ab. »Die Medorobots haben gute Arbeit geleistet. Hast du außer in den Armen und Händen irgendwo Schmerzen?«
»Die Roboter haben mir ein Mittel gegeben«, sagte Ben geistesabwesend.
»Sie haben dich durchgecheckt und hätten innere Verletzungen bemerkt, würde es welche geben. Dennoch muss ich dich genauer untersuchen. Ich lasse dich von einem Robot auf die Krankenstation bringen.«
»Nein, mir geht es gut. Hilf mir zur Kommandostation. Dort ist mein Platz.«
»Dir geht es so gut, dass du es nicht mal allein zur Kommandokonsole schaffst?« Dr. Serleach lächelte schwach. Aber dann legte er den Arm unter Benjameens Schulter und führte ihn hinüber.
Rhodan sah Benjameen kurz an und legte ihm die Hand auf den Oberarm. »Gott sei dank bist du nicht schwerer verletzt. Kümmerst du dich um die interne Kommunikation und die Energieverteilung?«
»Natürlich.« Benjameens Knie zitterten. Er musste sich an der Kommandokonsole festhalten, sonst wäre er gestürzt. »Was ist passiert?«
»Die JOURNEE wurde aus dem Hyperraum geschleudert. Mehr wissen wir noch nicht. Energie liefern nur die NUG- und Fusionsreaktoren. Die Speicher werden mit Höchstdruck wieder aufgefüllt!«
»Haben wir die Barriere überwunden?« Er biss sich auf die Lippen. Eine dumme Frage. Ohne Energie konnten sie nicht orten, und ohne Ortungsgeräte konnten sie nicht feststellen, wo sie sich befanden.
In Andromeda ... oder noch außerhalb?
»Notenergie in die Ortung umgeleitet.« Coa Sebastian. »Multi-Hyperzapfer arbeitet mit höchster Kraft. Energiespeicher werden gefüllt. Kapazität bei drei Prozent.«
»Fahre Ortungssysteme hoch!« Cita Aringa.
»Wir haben es geschafft!« Diese Stimme erkannte er sofort. Und würde sie bis zum Ende seines Lebens stets sofort erkennen. »Die Ergebnisse der Ortung sind eindeutig, die Hyperraumbarriere liegt hinter uns!«, verkündete Tess. Ihre Freude und Erleichterung war nicht zu überhören.
»Schwere Schäden am Grigoroff-Triebwerk! Offensichtlich wurde es beim Durchbruch in Mitleidenschaft gezogen.«
»Ortung!«, rief Cita Aringa. Ihre Stimme klang in Benjameens Ohren plötzlich schrill und angespannt. Er schaute zu der Plophoserin hinüber. Sie arbeitete hektisch an ihren Kontrollen, um die noch immer Roboter schwirrten. Dann hellte ihr Gesicht sich etwas auf.
In der Mitte der Zentrale bildete sich der Hologlobus. Zuerst flackerte er leicht, doch dann stabilisierte er sich, und die dreidimensionalen Abbilder, die er zeigte, wurden etwas schärfer.
»Bestätigung!« Auch Tess' Stimme klang nervös. »Etwas ist aus dem Hyperraum gestürzt!«
»Manövrier- und Gefechtsfähigkeit noch nicht wieder hergestellt!«, warnte Coa Sebastian.
Benjameen starrte auf den Globus. Er schien noch etwas träge zu reagieren; es dauerte verhältnismäßig lange, bis sich eine erkennbare dreidimensionale Darstellung manifestierte.
Die Darstellung eines Raumschiffs.
Solch ein Schiff hatte Ben noch nie zuvor gesehen, aber er wusste sofort, dass es sich um ein schwer bewaffnetes Kriegsschiff handelte.
»Syntron«, sagte Rhodan. Benjameen hatte den Eindruck, dass der Resident unwillkürlich leiser sprach. »Ist solch ein Schiff in deinen Datenbanken verzeichnet?«
Die erwartete Antwort blieb zuerst aus. Die Bordsyntronik schien vollauf damit beschäftigt zu sein, die lebensnotwendigen Systeme aufrecht zu halten.
»Nein«, antwortete das Bordgehirn schließlich. »Es handelt sich um einen Raumer eines unbekannten Volkes. Es gehört weder zu den bekannten Schiffstypen der Tefroder noch handelt es sich um eine bekannte Bauform der Maahks, wobei in der Milchstraße beileibe nicht alle Aktivitäten der Maahks in Andromeda bekannt sind.«
Ben kniff die Augen zusammen. Seit wann ist der Bordsyntron so geschwätzig? Die Syntronik arbeitete noch immer nach; die Abbildung wurde noch schärfer, und jetzt blendete er auch die ersten Messdaten der Ortungssysteme ein.
»Energiespeicher zu acht Prozent gefüllt«, meldete Coa Sebastian. Die Kommandantin wischte sich mit einer fahrigen Geste Schweiß von der Stirn.
Plötzlich war auch Benjameen heiß. Er sah einen linsenförmigen, hochkant gestellten Rumpf von 1,1 Kilometern Länge, strömungsgünstig geformt wie der Körper eines irdischen Thunfisches. Der Bug des Schlachtschiffes erinnerte ihn an ein dünnlippiges, fünfzig Meter weit vorgestülptes, aufgesperrtes Maul. Im Inneren des Rachens leuchtete ein sonnenhelles Feuer. Das Schiff schien dort geradezu zu brennen.
Am oberen Teil des Hecks waren links und rechts Ausleger angeflanscht, die etwa ein Drittel der Gesamtlänge ausmachten. Die Oberfläche des Schiffes war von Hunderten völlig verschiedener, anscheinend nachträglich angebrachter Aufbauten übersät.
Das fremde Schiff hat offensichtlich den Durchbruchsversuch der JOURNEE beobachtet, wurde Benjameen klar. Und darauf reagiert.
Und das konnte nur eins bedeuten: Es war nicht zufällig hier. Es musste in irgendeinem Zusammenhang mit demjenigen stehen, der die Barriere errichtet hatte.
Vielleicht hatte sogar die Besatzung dieses Schiffes die Barriere aufgebaut.
Und das konnte nichts Gutes bedeuten. Was hatte Perry über die Eindrücke gesagt, die Kiriaade ihm in jener Nacht vor über einer Woche vermittelt hatte ...?
... das Leid einer ganzen Galaxis konzentrierte sich in diesem Augenblick in ihm, in seinem Geist, und würde ihn von innen heraus verbrennen ...
Das Leid einer ganzen Galaxis ... rief dieser Raumer es etwa hervor? Oder würde er es noch hervorrufen?
»Schiffsenergie?«, riss Rhodans Stimme ihn aus seinen Gedanken.
»Speicher zu achtzehn Prozent gefüllt«, meldete die Kommandantin.
»Sämtliche Energie den Schutzschirmen zur Verfügung stellen! Sobald sie auf einhundert Prozent sind, Versorgung der Triebwerke sicherstellen! Auffüllen der Gravitrafspeicher hat Priorität. Syntron, Bildfunkverbindung herstellen.«
Der Hologlobus schien zu flackern und ein Bild aufzubauen. Erneut dauerte der Vorgang länger, als Benjameen ihn in Erinnerung hatte. »Gegenseite antwortet nicht.«
»Kann die Besatzung des fremden Raumschiffs unseren Funkspruch empfangen?«
»Ja.«
»Auf Sendung gehen.« Rhodan räusperte sich. »Ich bin Perry Rhodan, der Resident der Liga Freier Terraner. Wir sind in friedlicher Absicht hier und möchten mit euch Kontakt aufnehmen ...«
Wie nichts- und gleichzeitig doch vielsagend, dachte Benjameen. Der übliche Spruch bei einem Erstkontakt ...
Im Hologlobus blinkte es rot auf, und auch Cita Aringas Konsole zeigte plötzlich ein hektisches Farbenspiel. Eine Alarmsirene jaulte auf. »Das fremde Raumschiff fährt die Waffen hoch!«, rief die Plophoserin.
»Wir sind in friedlicher Absicht hier!«, wiederholte Rhodan.
»Noch immer keine Reaktion von der Besatzung des Raumers!«
Mit einer Handbewegung unterbrach der Resident die Übertragung. »Volle Energie auf die Schutzschirme!«
»Schutzschirme stehen!«
Wir können es mit diesem Raumriesen nicht aufnehmen, auf keinen Fall in unserem angeschlagenen Zustand!, dachte Ben.
Rhodan schien ebenfalls davon auszugehen. »Triebwerke?«
»Energieversorgung noch nicht sichergestellt!«
»Energie umleiten. Zim, Fluchtkurs setzen! Bring uns hier weg!«
Benjameen schaute zu dem Emotionauten hinüber. Zim schob das Kinn vor. Der Teil des Gesichts, den Ben unter der SERT-Haube sehen konnte, schien plötzlich eine Entschlossenheit zum Ausdruck zu bringen, die er dem jungen Mann gar nicht zugetraut hatte.
Ein Dröhnen lief durch das Schiff. Die Triebwerke wurden hochgefahren.
Wir sitzen hier wie auf dem Präsentierteller. Die anderen können uns einfach abschießen ...
»Das aufgesperrte Maul des ... des brennenden Schlachtschiffs ist die Mündung einer überschweren Intervallkanone!«, rief Vorua Zaruk.
Benjameen spürte, wie der Schweiß auf seiner Stirn perlte. Eine Intervallkanone ...
Die Zeit schien still zu stehen, und vor seinem inneren Auge rollten Textstellen aus Lehrholos ab. Arbeitet nach dem Prinzip intermittierender Abstoßfelder ... Exakt gesteuerte und enggebündelte Hyperfelder erzeugen beim Auftreffen auf das Ziel eine ungeheure, wenn auch rein mechanische Wirkung ... Die Waffe arbeitet unsichtbar und überlichtschnell und zertrümmert nahezu jedes bekannte Material ...
Ben starrte wie gebannt auf den Hologlobus und sah, wie das brennende Schiff ohne weitere Vorwarnung das Feuer eröffnete. In der Falschfarbendarstellung löste sich ein roter Strahl aus dem riesigen Schlachtschiff und traf die im Verhältnis geradezu winzige JOURNEE. Oder vielmehr auf den blau leuchtenden Paratronschirm, der sie inzwischen umgab und nun von einer Sekunde zur anderen verschwand, als hätte er nie existiert.
Die Intervallwirkung dieses einen Schusses genügte, um den Paratronschirm der JOURNEE zu zerschmettern, der wegen des Energiemangels noch nicht seine maximale Kapazität erreicht hatte.
Nein!, dachte Ben. Von einer Sekunde zur anderen waren die Raumfahrer an Bord der JOURNEE praktisch schutzlos.
Das Leid einer ganzen Galaxis ...
Dann wurde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen.
Tausend Gedanken gingen Zim November in dieser Sekunde durch den Kopf.
Julie.
Seine Freundin, die ihn schimpflich im Stich gelassen hatte. Es war ganz seltsam. Er hatte sie geliebt, mehr als alles andere auf der Welt. Und nachdem sie ihn dermaßen kalt aus ihrem Leben verbannt hatte, brachte er ihr nicht einmal Zorn, geschweige denn Hass entgegen. Sie war für ihn einfach nicht mehr vorhanden. Wollte er sein Leben bewältigen, musste er sie einfach vergessen.
Er musste in dieser Hinsicht hart sein, und diese Härte schmerzte, drohte sein Herz zu zerreißen.
Perry Rhodan.
Der Terranische Resident schien aus Gründen, die Zim völlig uneinsichtig waren, große Stücke auf ihn zu halten. Er hatte ihm in Tradom ein Kommando gegeben, und letzten Endes hatten wahrscheinlich weder die Kommandantin noch der Erste Pilot der LEIF ERIKSSON die Entscheidung getroffen, dass der junge Absolvent der Emotionautenakademie von Terrania den Flug der LEIF in die fremde, feindliche Galaxis mitmachen durfte. Zim vermutete, dass Rhodan dies bestimmt hatte. Aber aus welchem Grund? Was sollte er davon halten?
Die JOURNEE.
Bei ihr war es genau wie bei der LEIF. Er war Emotionaut. Meine Arme sind sechsfach gestaffelte Paratronschirme oder Prallfelder oder Transformkanonen. Meine Beine sind Metagrav- oder Protonenstrahl- oder Gravojettriebwerke. Mein Körper besteht aus Hypertropzapfern oder Nugas-Schwarzschild-Reaktoren oder Fusionsreaktoren. Meine Augen sind eine Maxim-Orter-Ringphalanx, meine Ohren SPARTAC-Feldteleskope, meine Nervenenden Tiefenraumsensoren. Ich bin dann nicht mehr ich und gleichzeitig viel mehr als ich.
Sie war sein Schiff.
Der Feind.
Er brauchte keine Holoprojektionen. Er war das Schiff.
Er war die Orterinstrumente, die Schutzschirme, die Triebwerke, die mittlerweile wieder zur Verfügung standen. Aber weite Teile der JOURNEE waren ihm nicht zugänglich, auf zahlreiche Systeme konnte er nicht zurückgreifen, und so kam er sich behindert vor, fast blind, vielleicht sogar verstümmelt und verkrüppelt.
Aber er holte das Letzte aus dem Schiff heraus, und er war das Schiff, er lenkte die Energien um, wie sie benötigt wurden, und er stöhnte auf, weil er so schwach war. So entsetzlich schwach im Vergleich mit diesem Riesen, dem die JOURNEE kaum etwas entgegenzusetzen hatte. Höchstens ihre Schnelligkeit und Gewandtheit.
Zim konzentrierte sich, drängte jedes bewusste Denken zurück und verschmolz geradezu mit den Systemen des Schiffes. Er spürte die Energie heiß und flüssig in den Speichern, und noch heißer in den Reaktoren und Fusionsmeilern, in denen sie entstand.
Aber es war so wenig Energie, so furchtbar wenig, so wenig wie nie zuvor. Der Intervallstrahl traf den Paratron, und der Schirm brach zusammen. Die JOURNEE erzitterte geradezu unter der Wirkung der Waffe, machte einen Satz. Wie aus weiter Ferne hörte Zim Schreie der Überraschung und des Schmerzes ...
Die JOURNEE verkraftet wegen der besonderen Schirme trotz ihrer geringen Größe einen Volltreffer, dachte er. Danach braucht es achtunddreißig Sekunden, bis die volle Schirmstärke wieder erreicht ist.
38 Sekunden ...
Gedankenschnell leitete er fast sämtliche Energie in die Triebwerke. In 38 Sekunden würden sie entkommen oder tot sein ... Es war sinnlos, darauf zu hoffen, den Paratronschirm noch einmal aufbauen zu können. Nur einen kleinen Rest ließ er in die Hochenergie-Überladungsschirme fließen, die HÜ-Notschirme. In der Holodarstellung symbolisierte ein grünes Leuchten die energetische Struktur dieser Schirme mit einer instabilen Librations-Überladungszone.
Aber im Vergleich zu den Paratron-Schirmen waren die HÜ-Schirme schwach, entsetzlich schwach, genauso schwach, wie Zim sich vorkam.
Die Aggregate der JOURNEE arbeiteten weit über ihre eigentliche Leistungsfähigkeit hinaus. Das Schiff zitterte und bockte unter seinen Sinnen, doch er behielt die Gewalt darüber. Er sah Zahlen vor seinen Augen vorbeiziehen, während er gleichzeitig in einer Rasterortung das All und die Manöver des Schlachtschiffs wahrnahm. Er sah, wie das Brennen im Maul des Schiffes wieder greller wurde, als würde die Intervallkanone erneut hochgefahren.
Zim riss die JOURNEE herum, sofern man diesen Ausdruck benutzen konnte. Millionen Kilometer wurden in der Darstellung, die sich ihm bot, zu Metern. Er brauchte nicht die Daten abzulesen, um zu wissen, wie sein Schiff beschleunigte. Er war das Schiff, und das war vielleicht der einzige Vorteil, den sie hatten.
Das Schlachtschiff war mit 17 Prozent Lichtgeschwindigkeit in den Normalraum gestürzt und hatte sofort beschleunigt, um den Vorteil der Schnelligkeit auszunutzen. Jetzt hatte es 24 Prozent erreicht, die JOURNEE nur 18. Doch der Spürkreuzer hatte eine viel höhere Beschleunigung und war viel wendiger als der Schiffsriese, und Zim flog auf einem Fluchtkurs knapp außerhalb der Feuerrichtung der Kanone.
Bei mindestens 45 Prozent der Lichtgeschwindigkeit konnte die JOURNEE in den rettenden Hyperraum eintreten, in dem sie vor dem Angreifer sicher war, bei einem absoluten Notfall eventuell auch schon etwas darunter, aber dafür waren noch viel zu viele Systeme beschädigt. Noch fehlten 27 Prozent. Zim überschlug die Daten im Kopf. 27 Prozent ... eine Ewigkeit.
Die Wendigkeit der JOURNEE zahlte sich aus. Das Feuer zahlreicher Waffensysteme aus den Auslegern des Kriegsschiffs wurde von den HÜ-Notschirmen abgeleitet, doch der fremde Raumer konnte nicht schnell genug herumziehen, um mit der Intervallkanone das kleine, flinke Ziel zu erfassen. Noch nicht.
Zim kitzelte aus dem Triebwerk heraus, was er nur konnte, und überschlug die Geschwindigkeit. Die JOURNEE war jetzt bei 36 Prozent Licht, das Schlachtschiff bei 40. Es beschleunigte noch immer, obwohl es eindeutig nicht in den Überlichtflug eintreten, sondern einzig und allein den Feind vernichten wollte.
Die Sekunden zogen sich dahin ... 38 Prozent Licht ... 41 ... Nur noch wenige Sekunden, doch das flammende Maul des Angreifers kam dem Fluchtkurs der JOURNEE immer näher ...
44 Prozent Licht ... 45!
Geschafft, dachte Zim.
Und schrie auf.
In dem Augenblick, in dem die JOURNEE den rettenden Metagrav-Vortex zum Übergang in den Hyperraum erzeugte, löste das fremde Kriegsschiff ein zweites Mal seine Intervallkanone aus.
Den Spürkreuzer traf nur ein Ausläufer der tatsächlichen Gewalt, die die Kanone entfesseln konnte, und zwar genau in dem Moment, in dem die JOURNEE in den Hyperraum eindrang. Doch Zim spürte den grausamen Schlag, der durch das Schiff ging, hörte ein Kreischen und Krachen, das bis in seine Nervenbahnen drang und sie unter Strom und Feuer zugleich zu setzen schien. Er war das Schiff, und das Schiff wurde schwer getroffen, und er kämpfte gegen den unerträglichen Schmerz an, den er körperlich wahrnahm, als wäre die Hülle der JOURNEE tatsächlich zu seinem Körper geworden.
Der Kampf war aussichtslos. Zim verlor das Bewusstsein.
Es war ein schrecklicher Augenblick.
Norman zitterte am ganzen Leib. Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt.
Eine unbekannte Kraft schüttelte das Raumschiff durch. Mit keinem seiner Sinne konnte er diese unsichtbare Macht erfassen. Doch ihm wurde bewusst, dass alle anderen an Bord des Schiffes in derselben Situation sein mussten.
Auch Tess und Benjameen.
Plötzlich hatte er entsetzliche Angst. Er spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, dass sie alle in schrecklicher Gefahr schwebten.
Er genau wie Tess und Benjameen.
War ihnen etwas zugestoßen? Das Schrillen des Alarms schmerzte in seinen Ohren. Mit unsicheren, wackeligen Beinen machte er sich auf den Weg zu seinen Menschen.
Die schon längst vertrauten Gänge waren ihm nun unheimlich. Die dämmrige Notbeleuchtung tauchte alles in ein gespenstisches Rot, und er spürte die Nervosität und Furcht der Menschen, die ihm begegneten. Keiner achtete auf ihn. An Kekse war nun nicht zu denken, doch das spielte keine Rolle. Er verspürte nicht den geringsten Drang, etwas zu fressen. Die Sorge schnürte ihm den Rüssel zu.
Aber er ließ sich nicht beirren. Er erschnüffelte sich den Weg, vorbei an Besatzungsmitgliedern, die allmählich in Panik zu geraten drohten.
Er nahm Witterung auf. Tess' Spur war sowieso nicht schwer zu finden. Schon nach den ersten Schritten wusste er, wo sie sich befand.
In dem abgeschotteten großen Raum, dessen Türen sich für ihn nicht öffneten.
Die Schreie und Flüche der anderen Menschen verwirrten und verunsicherten ihn zusehends. Was war hier los? Er schwankte leicht, als das Raumschiff unter ihm erzitterte, trabte dann los, so schnell er konnte, stapfte auf sein Ziel zu. Dorthin, wo er die beiden Menschen, denen seine ganze Liebe galt, in Not glaubte. Er wollte ihnen helfen ... irgendwie. Ob er das überhaupt konnte, darüber machte er sich keine Gedanken. Außerdem sehnte er sich nach den vertrauten Stimmen, nach den Händen, die ihn kraulten und trösteten ...
Er wollte die Gewissheit, dass es ihnen gut ging. Das Chaos um ihn herum machte ihm deutlich, wie ernst die Situation war.
Und vielleicht brauchte er auch ihren Schutz und Trost ...
Als er endlich vor jener Doppeltür stand, durch die er schon öfter getreten war, zögerte er nur eine Sekunde lang. Er erinnerte sich noch gut an Tess' Zorn, den er sich damals zugezogen hatte, als er in den Raum dahinter gestapft war.
Doch das war für ihn in diesem Augenblick belanglos. Bald würde er bei Tess und Benjameen sein, und alles würde in Ordnung kommen.
Das allgemeine Durcheinander half ihm auch diesmal. Niemand achtete auf ihn, und er musste nur warten, bis drei Zweibeiner heranstürmten, um in die Zentrale zu gelangen. Unbemerkt schlüpfte er mit ihnen hinein.
Inzwischen dröhnte es im ganzen Schiff noch lauter, und auch die Vibrationen, die Norman schon seit geraumer Zeit verängstigten, wurden stärker.
In dem großen Raum herrschte schreckliches Chaos. Tess und Benjameen waren nicht dort, hinter diesen Pulten, wo sie sonst immer saßen. Er sah sich um und erblickte schließlich Benjameen, ausgerechnet an Perry Rhodans Konsole, der ihn immer aus der Zentrale verscheuchen wollte.
Er setzte sich in Bewegung, wollte zu Benjameen hinüberlaufen, doch da riss ihn eine gewaltige Kraft von den Beinen. Er schlug mit dem Rüssel um sich. Hätte er doch Hände, um sich irgendwo festhalten zu können! Aber so ...
Die unbekannte Kraft schlug erneut zu, nun mit aller Macht. Niemand konnte sich um ihn kümmern. Hilflos wie ein Käfer rutschte er auf dem Rücken über den Boden, der plötzlich schräg abzufallen schien. In Panik peitschte er mit dem Rüssel, versuchte erneut, irgendwo Halt zu finden ...
Und dann war da, wo sich sein Rüssel befand, nur noch ein starker Schmerz, wie er ihn noch nie empfunden hatte. Rasend schnell breitete er sich aus, schoss durch seinen Körper. Norman wimmerte entsetzt auf, wollte noch einen Tröter von sich geben, um irgendeinen auf sich aufmerksam zu machen, doch es kam nur ein nasses Blubbern heraus.
Die Wellen des Schmerzes umhüllten ihn wie einen Mantel, ließen ihn nicht mehr los. Er sah noch, dass Benjameen ebenfalls zu Boden stürzte, dann glitt er in eine wohltuende Schwärze, die ihm die Qual nahm.
Als Zim November unter der SERT-Haube erwachte, wusste er sofort, wo er sich befand und was geschehen war. Das strömungsgünstig wie ein Thunfisch geformte Raumschiff ... der Angriff mit der Intervallkanone ... die in letzter Sekunde geglückte Flucht in den Hyperraum ...
Sein Geist war völlig klar, doch seinen Körper spürte er kaum noch. Nur an einigen wenigen, anscheinend beliebig ausgewählten Stellen breitete sich so etwas wie ein ziehender Schmerz aus.
Nur ganz allmählich wurde ihm klar, dass er seinen Körper noch immer mit der JOURNEE gleichsetzte. Er war das Schiff, und er nahm das Schiff nicht wahr, und das konnte nur bedeuten ...
Nein!
Langsam, unendlich langsam, stellte sich wieder ein Gefühl für die JOURNEE ein. Zim nahm hier ein paar Daten wahr, dort ein paar Schadensmeldungen, da ein paar einsetzende Systeme. Allmählich bekam er einen rudimentären Überblick vom Zustand des Spürkreuzers. Zahlreiche Aggregate und Geräte hatten deutlichen Schaden genommen. Die Überlichttriebwerke waren ausgefallen, die Ortung ebenso, die Syntronik versuchte, mit wenigen Prozent ihrer üblichen Kapazität ein Minimum an lebensnotwendigen Systemen zu betreiben.
Zim schossen Tränen in die Augen. Sein Schiff ...
Dann hörte er ein leises Summen. »Ja«, flüsterte er, »ja!« Interne Reparaturmechanismen waren angelaufen und versuchten, die Schäden zu beseitigen, die sie beseitigen konnten.
In seiner SERT-Haube bildete sich zögernd ein Holo. Zim hatte auf die Ortung gehofft, aber es war ein Innenbild, eins aus der ...
Dem jungen Emotionauten stockte der Atem.
War das die Zentrale?
Es musste die Zentrale sein, auch wenn er sie kaum wiedererkannte. Die meisten Stationen schienen nur noch Trümmerhaufen zu sein. Dichter Rauch nahm ihm zum größten Teil die Sicht, wurde nur langsam von automatischen Systemen abgesogen. Hier und dort schwelten noch Brände.
Wie nach dem Durchbruch waren überall Roboter im Einsatz, aber jetzt handelte es sich hauptsächlich um Medorobs. Zim sah Perry Rhodan, auf dem Rücken vor seiner Station liegend, aus mehreren Wunden heftig blutend, ein Bein seltsam abgewinkelt, eine Hand auf einen klaffenden Riss in der Brust gedrückt.
Dicht neben ihm lag Benjameen da Jacinta, aber auf dem Bauch, die Arme ausgestreckt, ein Bein angezogen, als wolle er unbedingt über den Boden kriechen, hin zu ... Tess?
Zim hörte ein leises Stöhnen, dann fiel eine zweite Person ein, und eine dritte. Einige leben also noch, dachte er. Bei Perry Rhodan war er sich da keineswegs sicher, auch wenn ein Medorob den Residenten behandelte.
Dann sah Zim, zu wem der Arkonide hatte kriechen wollen, bevor er bewusstlos geworden ... oder gestorben war? Nein, dachte der Emotionaut, nein. Nicht zu Tess, sondern zu Norman. Der kleine Klonelefant lag mit halb abgerissenem Rüssel in einer riesigen Blutlache tot am Boden, tot, es konnte nicht anders sein, diese Wunden konnte kein Wesen überleben, und mochte es auch noch so zäh sein.
Norman, den sie fast jeden Tag aus der Zentrale scheuchen mussten, dem sie immer wieder auf seinen Streifzügen begegneten, wenn er durch die Gänge des Schiffs watschelte, um die Besatzungsmitglieder um Kekse anzubetteln. Mittlerweile hatten sich fast alle mit Leckerchen für den kleinen Burschen eingedeckt, und fast alle hofften, ihm zu begegnen, ihm etwas zustecken zu können, auch wenn Tess und Benjameen das nicht gern sahen.
Norman ...
Hatte Benjameen versucht, mit letzter Kraft zu ihm zu kriechen, da er Tess nicht erreichen konnte, weil sie vielleicht schon tot war, um wenigstens dem Klonelefanten in den letzten Augenblicken Trost zu spenden und den Abschied zu erleichtern?
Falls ja, hatte er es nicht geschafft ...
Zim wurde klar, dass niemand außer ihm den letzten Schlag, den Streifschuss der Intervallkanone, einigermaßen heil überstanden hatte. Niemand.
Abrupt manifestierten sich vier, fünf Ortungsholos in der SERT-Haube. Zim musste nur den Blick auf das richten, das er betrachten wollte, und es überlagerte die anderen und drängte sie in den Hintergrund und an die Seiten zurück. Noch stabilisierten sie sich, waren verschwommen. Die Syntronik-Systeme hatte ihre Mühe damit, die Daten in dreidimensionale Bilder umzusetzen.
Zuerst wurde ein reines Datenholo gestochen scharf. Zim überflog die Werte. Erstaunt stellte er fest, wie gut seine Ausbildung doch war. Von einem Augenblick zum anderen dachte er nicht mehr an die Verletzten oder Toten in der Zentrale, nur noch an das Schiff, und wie er es vielleicht retten konnte. Jetzt konnte er sich einen Überblick verschaffen, etwas unternehmen, und diesem Ziel galten all seine Gedanken.
Positionsdaten rollten auf dem Holo ab. Die Ortungssysteme arbeiteten wieder mit einigen Prozenten ihrer Kapazität, und die Syntronik versuchte zu bestimmen, wo das Schiff sich befand.
Noch immer am Rand von Andromeda, aber nicht mehr dort, wo es von dem riesigen Schlachtschiff angegriffen worden war. Zim hatte die JOURNEE in den Überlichtflug gezwungen und dann das Bewusstsein verloren. Die Syntronik hatte das Schiff im Hyperraum gehalten, bis entweder die geringen Energievorräte verbraucht oder Antriebssysteme ausgefallen waren ...
Nein. Ein Blick auf die Statusanzeigen verriet Zim, dass die JOURNEE noch Energie hatte. Zwar nicht viel, aber genug, um den Überlichtflug fortzusetzen. Also mussten die Triebwerke wieder ausgefallen sein.
Das Schlachtschiff hatte den Spürkreuzer nicht verfolgt. Offensichtlich verfügte der Angreifer nicht über einen Hyperraumspürer oder ein vergleichbares Gerät.
Man ist auch für kleine Gefallen dankbar ...
Dann endlich bildete sich ein zweites Holo gestochen scharf aus, und Zim schrie laut auf.
Die JOURNEE raste ungebremst auf die Oberfläche eines besiedelten Planeten zu!
Weitere Holos manifestierten sich in immer schnellerer Abfolge. Eins zeigte kugelförmige Raumschiffe, die sich – täuschte er sich, oder ...? Nein, jetzt konnte er es genau erkennen – die sich rings um den beschädigten Spürkreuzer gruppierten.
Tefrodische Einheiten, dachte Zim. Der Planet, in dessen Nähe die JOURNEE zufällig aus dem Hyperraum gestürzt war und von dessen Gravitation sie angezogen wurde, war von den Lemurer-Abkömmlingen besiedelt, den Brüdern der Menschen in Andromeda.
Ein Ruck ging durch die JOURNEE, und Zim wurde sofort klar, was hier geschah. Die Tefroder hatten die Gefahr für ihre Welt erkannt und versuchten, den Sturz des Spürkreuzers mit Traktorstrahlen zu bremsen.
Sinnlos, dachte er. Sie werden es nicht schaffen. Sein Schiff war viel zu schnell, seine kinetische Energie viel zu groß, als dass die verzweifelten Rettungsbemühungen rechtzeitig von Erfolg gekrönt sein könnten.
Noch ein Ruck, und noch einer. Der Spürkreuzer schien ein wenig abgebremst zu werden, aber bei weitem nicht genug, um seinen Kurs nachhaltig zu verändern.
Zim atmete scharf ein. Wann würden die internen Reparaturmechanismen greifen? Wann würde er die Triebwerke wieder in Betrieb nehmen können? Der Datenmangel ließ ihn aufstöhnen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, ob überhaupt noch eine Chance bestand, die JOURNEE wieder flugfähig zu bekommen.
Er konnte nur unter der SERT-Haube sitzen und warten.
Auf das Ende.
Denn ihm war klar, was die Tefroder unternehmen würden. Ihn wunderte nur, dass sie so lange damit warteten.
Die JOURNEE schoss weiterhin ungebremst auf den Planeten zu. Die Ortung lieferte noch keine brauchbaren Entfernungsdaten, doch die Welt schien in der dreidimensionalen Darstellung schnell näher zu kommen. Zim konnte nun einen einzigen Kontinent ausmachen, im Süden spitzer zulaufend, im Norden sich verbreiternd, mit zwei gewaltigen, durch einen schmalen Kamm miteinander verbundenen Gebirgen im Süden und im Nordwesten und einem riesigen Binnensee im Nordosten.
Eine wunderschöne Welt, wie fast alle Welten aus dem All betrachtet wunderschön aussahen. Zumindest die meisten Sauerstoffplaneten.
Die internen Reparaturmechanismen!, dachte er.
Wieder griffen Traktorstrahlen nach der JOURNEE, wieder schüttelte der Spürkreuzer sie einfach ab.
Was würde geschehen, wenn die JOURNEE mit ihrer derzeitigen Geschwindigkeit in diesen großen, einzigen Kontinent des Planeten einschlug?
Zim musste an den Kometen denken, der vor etwa sechzig Millionen Jahren in die Erde eingeschlagen war und das Ende der Dinosaurier herbeigeführt hatte.
Die Energieentwicklung, zu der es beim Absturz kommen musste, würde auf dem Planeten dort unten die Hälfte des Kontinents ausradieren und einen neuen Krater schaffen, der wesentlich größer als dieses riesige Binnenmeer war. Die Aufschlagswirkung würde Gestein, Lava und Staub aufwirbeln, und der Himmel über dieser Welt würde auf Jahrtausende, wenn nicht sogar Jahrzehntausende, verdunkeln, und eine Eiszeit würde über diesen grünen Planeten hereinbrechen und ihn für die letzten Überlebenden der Katastrophe unbewohnbar machen.
Falls es überhaupt Überlebende gab.
Nein, die Tefroder hatten keine andere Wahl. Sie würden die JOURNEE notfalls abschießen müssen.
Daten, dachte Zim verzweifelt. Ich brauche Daten ... Und ich brauche die Triebwerke!
Ein Holo spielte Daten ein, aber nicht die, die er ersehnte, sondern Informationen über die Welt, auf die die JOURNEE zuraste. Vierter von fünfzehn Planeten einer gelborangefarbenen G9V-Sonne, mittlere Distanz zur Sonne 113,24 Millionen Kilometer, Durchmesser 13.778 Kilometer, Schwerkraft 1,07 Gravos, Umlaufdauer 261,27 Tage zu 17,21 Stunden, Achsneigung 16 Grad ...
Zim fluchte leise auf. Er fühlte sich völlig hilflos, hatte keinerlei Möglichkeit, die Aggregate der JOURNEE wieder in Gang zu bekommen. Und das war das Schrecklichste überhaupt: diese Hilflosigkeit. Untätig abwarten zu müssen, zu hoffen, dass irgendein Wunder geschah.
Dann hörte er das Summen. Zuerst ganz leise, kaum wahrnehmbar, wie das Flügelschwirren einer Biene, das eine schwache Brise über einen breiten Fluss zu ihm hinübertrug. Es wurde lauter, erinnerte ihn nun an einen Bienenschwarm, der seiner neuen Königin über den Fluss folgte, noch lauter, als hätte die Königin einen neuen Nistplatz in einem Baum direkt neben ihm gefunden, den das Volk nun zu einem Stock ausbauen würde ...
Die internen Reparaturmechanismen!, dachte der Emotionaut. Sie sind angelaufen!
Aber sie konnten die Triebwerke nicht in Nullzeit einsatzfähig machen, sie benötigten Sekunde um Sekunde, und Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Ewigkeiten.
Der Ring der tefrodischen Kugelraumschiffe um die JOURNEE schien immer enger zu werden.
In einer holografischen Darstellung der Schiffssysteme leuchtete ein grünes Licht auf.
Ein Triebwerk!, dachte Zim. Irgendeins. Es wurde übergangslos zu einem Teil seines Körpers, und er fuhr es hoch, leitete Energie hinein, nahm nicht die geringste Rücksicht auf Kapazitäten und Belastungsgrenzen, auf Materialerschöpfung und mögliche Reaktorbrüche, er fuhr das Triebwerk hoch und schaltete auf Bremsbeschleunigung, volle Bremsbeschleunigung.
Die JOURNEE erzitterte, und wieder spürte er, dass Traktorstrahlen nach ihr griffen, und diesmal packten sie das Schiff, konnten es zwar nicht zum Stoppen bringen, aber abbremsen, und das Triebwerk tat das seine dazu, und die Oberfläche des Planeten kam rasend schnell näher, und dann prallte der Spürkreuzer auf die Atmosphäre des Planeten und schien von ihr zurückgeworfen zu werden, und ein harter Schlag löschte Zim Novembers Bewusstsein aus.
Hathorjan, Cyrdan
Das Binnenmeer war so riesig, dass es Raye Corona unendlich vorkam.
Unendlich und ewig.
Es dehnte sich hinter dem Gezeitenwall schier endlos aus, hier grün, da blau, weiter hinaus grau, und dort und dort und dort in tausend Zwischentönen, die fast identisch waren, aber eben nur fast.
Die Ärztin versuchte, ihre Nervosität zu bekämpfen, und nichts war dazu besser geeignet als die ruhige Weite des Wassers, die aber dermaßen viele unterschiedliche Facetten aufwies, dass sie sie in tausend Standardjahren nicht würde klassifizieren können.
Raye spürte jedoch, dass die endlosen Fluten ihr diesmal keine Ruhe geben würden, so sehr sie sich auch darum bemühte, und wandte den Blick ab von dem Binnenmeer, das hinter dem Amro-Wall keine Grenze, nur den Horizont zu kennen schien.
Sie wollte es nicht, aber sie musste wieder an Forrils denken. Und an Echsen mit Hörnern auf dem Kopf, und an einen schrecklichen Cyborg, und an Feuer und Leichen und Blut und Schreie und entsetzliche Angst.
In erster Linie an ihre eigene Angst, die sie noch immer nicht überwunden hatte und so schnell auch nicht überwinden würde, vielleicht auch niemals.
Die Erinnerung war zu stark. Die Erinnerung an den Gestank der Forril-Häute, unter denen sie sich versteckt hatte, die an die Schreie der Sterbenden, die an das Blut, durch das sie geradezu hatte waten müssen.
Die Erinnerung an den tefrodischen Soldaten, der ihr etwas von brennenden Schiffen erzählt hatte, was sie damals nicht verstanden hatte und auch jetzt noch nicht verstand.
Es war sinnlos. Sie konnte ihre Erinnerungen nicht abschütteln. Wahrscheinlich würde ihr das nie im Leben gelingen.
Sie ließ den Blick über Athreel schweifen, die schwimmende Stadt, den Stolz von Cyrdan.
Über Türme und Minarette, Wolkenkratzer und viereckige Industriekomplexe, die sich mit den geschwungenen Fassaden trotz ihrer Riesenhaftigkeit nahezu harmonisch in das Gesamtbild einfügten, über weite Parks und schier endlose Strände.
Sie seufzte leise. Athreel, der Stolz von Cyrdan, die schwimmende Stadt mitten im Amro-See, der nur von dem Gezeitenwall vom Haffeinan-Binnenmeer inmitten des Kontinents getrennt wurde, das vom Cithlor gespeist wurde, dessen Delta sich links von ihr weiter ausdehnte, als sie es überschauen konnte, und rechts vom etwas kleineren Amro-Delta.
Athreel sah nicht aus wie eine Stadt, eher wie eine Insel, und manchmal dachte Raye, aber nur bei sich, fast schon wie ein Kontinent. Es gab viele Gerüchte darüber, wie die Stadt entstanden sein sollte, vor Urzeiten, damals, als die Lemurer aus der Milchstraße hier in Andromeda eine neue Heimat gefunden, immer mehr Planeten besiedelt und sich schließlich Tefroder genannt hatten.
Eine Legende besagte, dass die Ureinwohner des Planeten die lemurischen Kolonisten angegriffen hatten, die zuerst hier auf Cyrdan gelandet waren. Den Heimatsuchenden musste sich ein prachtvoller Anblick geboten haben: eine herrliche, ziemlich lemurähnliche Welt am Rand von Hathorjan, auf der sich fast genauso wie zu Hause leben ließ.
Die Kolonisten hatten sich dann angeblich mit ihrem großen Transportraumschiff mitten in den Amro-See zurückgezogen, der damals noch nicht durch den Gezeitenwall vom Haffeinan-Binnenmeer getrennt gewesen war, dem weitaus größten Binnengewässer des einzigen Kontinents von Cyrdan, in dem die Ureinwohner sie nicht erreichen konnten. Und nachdem sie ihre Feinde dann zurückgedrängt hatten, hatten sie das Raumschiff im See belassen, es ausgeschlachtet und kontinuierlich durch Anbauten erweitert. Der älteste Teil der schwimmenden Stadt war also jenes Schiff, mit dem die Cyrdaner ihre Heimat erreicht hatten.
Diese Legende gefiel Raye von allen am besten, auch wenn sie aus mehreren Gründen nicht stimmen konnte. Umfangreiche Forschungen zufolge hatte Cyrdan niemals intelligentes Leben hervorgebracht; somit konnte es also keinen solchen Krieg mit Ureinwohnern gegeben haben. Und die jüngsten Analysen der ältesten Teile Athreels hatten Zweifel daran geweckt, dass sie alt genug waren, um Teile des Schiffes sein zu können, das die ersten Kolonisten hierher gebracht hatte.
Aber vielleicht waren ihre fernen Vorfahren ja nicht direkt aus dem Großen Tamanium gekommen, sondern erst viel später, von Tefrod, der neuen Hauptwelt des Reichs der Lemurer-Nachkömmlinge ... Raye hätte diese Legende jedenfalls gern geglaubt.
Bekannt war hingegen, wie die Städte und Ansiedlungen, die Flüsse und Berge, die Ebenen und Küsten Cyrdans zu ihren Namen gekommen waren. Amro, der Fluss, der den gleichnamigen See speiste, und Amronir, die Stadt, die an seinem Lauf gegründet worden war. Und der Carphiril und der Elphiril, die sich zum Amro vereinigten, und das Duros-Gebirge, dem sie in weiter, weiter Ferne entsprangen. All diese Namen waren, obwohl im Lauf der Jahrtausende abgeschliffen und zahlreichen weiteren Änderungen unterworfen, die von Besatzungsmitgliedern jenes allerersten Kolonistenschiffs gewesen.
Sowohl der Carphiril als auch der Elphiril wurden jeweils von zwei anderen Flüssen gespeist, und diese wiederum jeweils von Hunderten kleineren Flüsslein, und die wiederum von Tausenden von Bächen, die von genauso vielen Quellen gespeist wurden.
Das Leben ist ein Fluss, dachte Raye. Schicksalswege laufen zusammen, vereinigen sich, gewinnen eine Kraft, der man nichts mehr entgegen setzen kann. Und irgendwann wird der Elphiril seinen Lauf ändern, und nichts wird mehr so sein wie zuvor, und niemand wird sich mehr daran erinnern, was einmal gewesen war, und Athreel wird vielleicht einfach untergehen, und ich werde nicht einmal als Fußnote in der Geschichtsschreibung Andromedas überleben.
Geschichte machten andere. Admiral Venk Kethmero zum Beispiel, der militärische Schutzhalter Cyrdans. Eine lebende Legende, die nun ausgerechnet sie zu sprechen verlangte.
Raye seufzte. Athreel war für sie das Synonym für Frieden und Ausgeglichenheit, für die Leichtigkeit des Seins und die Wirtschaftskraft des Planeten. Raye liebte diese schwimmende Stadt, die sich weiter ausdehnte, als das Auge reichte. Und noch vor kurzem hatte sie befürchtet, sie würde weder Cyrdan noch Athreel je wieder sehen.
Nach dem Angriff hatte auf Rakusa das nackte Chaos geherrscht. Ihre Vermutung hatte sie nicht getrogen, fast die gesamte Hauptstadt des Planeten war ausgelöscht worden. Es war nicht einfach gewesen, eine Raumschiffpassage zu ergattern. Der Raumhafen der Hauptstadt war ebenfalls zerstört worden, und jede Privatperson, die irgendeine Möglichkeit dazu sah, schien den Planeten verlassen zu wollen.
Schließlich hatte ein Militärraumschiff sie mitgenommen, das Verletzte zu tefrodischen Kolonialplaneten in der Nähe transportierte, da die diesbezüglichen Kapazitäten auf Rakusa völlig erschöpft war. Sie hatte fast rund um die Uhr Verwundete versorgt, bis sie dann, auf dem fünften Stopp des Fluges, das Schiff mitsamt achthundert Verletzten verlassen hatte, die in Athreel, Amronir, Eradan, Braras, Gondrelin, Farlir, Gunon und anderen Städten auf Cyrdan behandelt wurden.
Jemand räusperte sich. Raye blickte auf und sah, dass der Admiral Venk Kethmero vor ihr stand. Sie war völlig in Gedanken versunken gewesen, hatte noch nicht einmal bemerkt, dass er den Konferenzraum im Flottenzentrum von Athreel betreten hatte.
Sie erhob sich und neigte den Kopf. »Admiral.«
Er nickte ebenfalls. »Doktor Corona.« Er bedeutete ihr, wieder Platz zu nehmen. »Verzeih, aber meine Zeit ist beschränkt. Daher möchte ich direkt zur Sache kommen.«
»Natürlich, Admiral.« Kethmero war ein Mann von etwa einhundert Jahren, dem man sein Alter aber nicht ansah. Er war hochgewachsen, schlank, drahtig, als wäre er nur halb so alt. Sein Haar war voll und dunkelbraun, sein Gesicht fast faltenfrei.
»Du bist eine der wenigen, die diese Angreifer mit eigenen Augen gesehen und die Begegnung überlebt hat ...«
Raye kniff die Augen zusammen Irgendwie kam ihr diese Formulierung seltsam vor.
»Ich möchte dich bitten, sie noch einmal genau zu schildern. Versuche, dich an jede Einzelheit zu erinnern. Die kleinste Kleinigkeit könnte wichtig sein.« Er aktivierte ein syntronisches Aufzeichnungsgerät.
Raye tat wie geheißen. Admiral Kethmero stellte zahlreiche Zwischenfragen, von denen die Medikerin jedoch kaum eine beantworten konnte. »Und jetzt habe ich eine Frage an dich«, sagte sie, als er fertig war.
Der Admiral musterte sie, leicht amüsiert, wie es schien. Einen Augenblick lang befürchtete sie, sie würde vor Verlegenheit erröten. »Der Angriff auf Rakusa war nicht der einzige, nicht wahr?«
Kethmero zögerte kurz. Raye glaubte zu sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Ja«, gestand er dann ein.
Sie betrachtete den Admiral neugierig und herausfordernd zugleich. »Vielleicht fällt mir noch irgendein Detail ein, das ich jetzt für unwichtig halte, wenn ich die Hintergründe kenne.« Sie lächelte zaghaft.
»Ich muss dich zur Geheimhaltung verpflichten.«
»Natürlich.« Raye nickte nachdrücklich.
»Nun gut«, sagte der Admiral. »Wir werden die Bevölkerung sowieso in Kürze informieren müssen. Ja, es hat mehrere solcher Angriffe gegeben. Hathorjan wird schon seit Wochen von den geheimnisvollen Kriegsschiffen bedroht.«
»Den ... brennenden Schiffen?«
Der Admiral nickte. »Obwohl die Angriffe bislang nur sporadisch erfolgten, auf einige wenige Planeten, hat es bereits zahlreiche Opfer gegeben.«
»Wer sind die Angreifer? Was wollen sie von uns?«
Kethmero schüttelte den Kopf. »Sie reagieren nicht auf unsere Kontaktversuche. Die Kastun-Schiffe tauchen über irgendeiner Welt auf, schlagen zu und verschwinden wieder. In letzter Zeit greifen sie auch Raumschiffe an. Wir können nicht einmal ahnen, woher sie kommen oder welche Ziele ihre Überfälle haben. Das haben wir in keinem einzigen Fall herausfinden können. Deshalb haben wir uns von dir auch einige Hinweise erhofft.«
Kastun, dachte Raye. Schädlinge. »Das sind schlechte Nachrichten.«
Der Admiral nickte. »Eine noch schlechtere ist«, fügte er hinzu, »dass die Angriffe in letzter Zeit immer häufiger werden. Es hat den Anschein, als würden immer mehr dieser Schiffe auftauchen, die ...«
Kethmero verstummte. Vor ihm bildete sich ein Hologramm. Die lebensgroße Darstellung zeigte eine Tefroderin in der Uniform einer Ordonanz. Sie wirkte völlig real; die Frau schien leibhaftig vor ihnen zu stehen. Raye konnte jedes Quäntchen Entsetzen auf ihren Gesichtszügen ausmachen.
»Admiral!« Die Ordonanz salutierte knapp. »Eine Meldung der Systemüberwachung. Ein Raumschiff ist über Cyrdan aufgetaucht!«
Raye glaubte zu sehen, dass der Admiral erbleichte, aber das musste eine Täuschung sein. Ein Mann wie Kethmero erbleichte nicht, auch nicht bei Nachrichten, die den Tod bedeuten konnten.
»Ein Kastun-Schlachtschiff?«, fragte er.
»Nein«, erwiderte die Ordonanz. »Aber wie es aussieht, könnte es Cyrdan trotzdem vernichten!«