Читать книгу Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband) - Uwe Anton - Страница 21
ОглавлениеKapitel 3
Bordzeit Spürkreuzer JOURNEE, 20. März 1312 NGZ
Eine angespannte Atmosphäre beherrschte die Zentrale. Viel zu lange lagen die beiden Schiffe schon nebeneinander und im leeren Raum wie auf dem Präsentierteller. Obwohl niemand es aussprach, befürchtete wohl jeder, dass noch im letzten Moment der Rettungsaktion Kastun-Kriegsschiffe aus dem Hyperraum hervorbrechen und das Feuer eröffnen würden. Die JOURNEE hatte dann vielleicht noch eine Chance, den Angreifern zu entrinnen, nicht aber der schwer in Mitleidenschaft gezogene Raumfrachter ILKIN, auf dem die letzten Überlebenden des Planeten Cyrdan unter desolaten Zuständen auf ihre endgültige Rettung hofften.
Die Gesichter der Zentralecrew sprachen Bände. Verbissen zählten die Männer und Frauen des Spürkreuzers die letzten Minuten.
»Hochenergieanker geschlossen, Traktorstrahlen aktiviert und justiert. Die ILKIN sitzt so fest, als wäre sie mit uns verschweißt.«
»Beschleunigung mit zehn Prozent beginnt – jetzt!«
Einige wenige Anzeigen veränderten sich. Auf den Holoschirmen waren Details des Frachters zu sehen, unter anderem die schweren Schäden, die der Beschuss der Kastuns hinterlassen hatte. Die ILKIN war nur um Haaresbreite der Vernichtung entgangen. Wären die Angreifer einige Millionen Kilometer näher gewesen, hätte es keine Überlebenden gegeben.
Wie durch ein Wunder hatte der Überlichtantrieb des Frachters den Angriff überstanden. Nicht hingegen die Normaltriebwerke. Die Aussagen der Techniker widersprachen sich – die einen fürchteten Energierückschläge aus den Impulstriebwerken, die anderen behaupteten, dass eine mäßige Beschleunigung möglich sei. Einig waren sie sich nur darin, dass die ILKIN die für den Übertritt in den Hyperraum erforderliche halbe Lichtgeschwindigkeit aus eigener Kraft nicht erreichen konnte.
Aus einem leichten Flimmern heraus verdichtete sich das lebensgroße Hologramm der Tefroderin Laretha Mongath. Die resolute Kommandantin des Frachters blickte sich suchend um, bis sie Perry Rhodan entdeckte.
»Dein Team hat gute Arbeit geleistet, Perry«, sagte sie überlaut. »Die geflickten Absorber zeigen nicht die geringste Unregelmäßigkeit. Gehen wir über zu Phase Zwei! Je eher unsere Passagiere wieder festen Boden unter den Füßen haben, desto besser für uns alle.«
Phase Zwei bedeutete etwas mehr als die Verdoppelung der Anfangsbeschleunigung, mit 280 Kilometern im Sekundenquadrat für die JOURNEE immer noch ein lächerlich geringer Wert. 1339 Kilometer pro Sekundenquadrat betrug die maximale Beschleunigung, aus dem Stand heraus erreichte der Spürkreuzer den Überlichteintritt also schon nach knapp 113 Sekunden.
Rhodan nickte knapp. »Phase Zwei«, bestätigte er.
Wieder veränderten sich einige Zahlenkolonnen. Die Anfangsfahrt beider Schiffe hatte 5000 Kilometer pro Sekunde betragen. Exakt 38 Sekunden lang war mit 133 Kilometern pro Sekundenquadrat beschleunigt worden. Für die nächste Phase waren drei Minuten vorgesehen, und für die Endbeschleunigung 500 Kilometer. Die Techniker hatten abgelehnt, diesen Wert zu überschreiten. Die erforderlichen Vorbereitungen auf der ILKIN hätten zu viel kostbare Zeit in Anspruch genommen.
Nach ebenfalls drei Minuten in der Endstufe würde die Geschwindigkeit mit 150.454 Kilometern pro Sekunde knapp über dem Mindestwert liegen. Bis zum Eintauchpunkt in den Hyperraum hatten beide Schiffe dann eine Entfernung von 25.686.193 Kilometern zurückgelegt.
Die Anzeigen veränderten sich im Sekundentakt:
19.014 km/sec ... 19.294 km/sec ... 19.574 km/sec ...
»Energieortung!«, meldete Cita Aringa.
Mehrere Hologramme zeigten grellen Feuerschein. Aus einem winzigen Punkt heraus entstand gedankenschnell ein expandierender Glutball, dessen Ausläufer nach der JOURNEE griffen.
Alarm gellte durch das Schiff.
Rhodan sah noch, dass der Rumpf des Frachters aufgerissen wurde, dann schossen ihm Tränen in die Augen, obwohl die Automatik das Bild abblendete.
»Kastuns?«, brüllte jemand. »Verdammt, wieso ...?«
»Keine Ortung!«, widersprach Cita Aringa.
Zim November, der den Spürkreuzer unter der SERT-Haube mit seiner Gedankenkraft steuerte, hatte blitzschnell reagiert und alle Verbindungen zu dem Frachter gekappt. In spitzem Winkel entfernte sich die JOURNEE von der ILKIN.
»Keine Feindeinwirkung!«, meldete die Plophoserin von den Ortungen. Gleichzeitig entstand das Hologramm der Frachterkommandantin von neuem.
»Explosion einer Speicherbank!«, rief Laretha Mongath. »Das hat uns gerade noch gefehlt.«
»Schwere Schäden?«
Die Tefroderin starrte Rhodan an. Sie wollte antworten, wurde aber unterbrochen und wandte sich halb aus dem Erfassungsbereich der Optik ab. Sekunden später stabilisierte sich ihr dreidimensionales Abbild wieder.
»Vakuumeinbruch«, sagte sie schroff. »Zum Glück kein Atombrand. Alle betroffenen Sektoren sind abgeschottet.«
»Tote oder Verletzte?«
Die untersetzt-kräftige Tefroderin zuckte mit den Achseln. »In den entsprechenden Sektoren befanden sich keine Flüchtlinge«, antwortete sie. »Zum Glück. Ob Crew-Mitglieder zu Schaden gekommen sind ...« Abermals wurde sie abgelenkt. Perry Rhodan sah sie aufatmen, dann wandte sie sich wieder ihm zu. »Keine Vermissten. Es ist wie ein Wunder. Aber jetzt? Ich weiß nicht, ob wir unter diesen Umständen einen neuen Versuch wagen dürfen. Was ist mit der JOURNEE?«
»Keine Schäden«, sagte Coa Sebastian, die terranische Kommandantin des Spürkreuzers. Sie wirkte kühl und zurückhaltend wie immer und ließ sich nicht die leiseste menschliche Regung anmerken. Ihre Fachkompetenz war nie umstritten gewesen, doch hinter vorgehaltener Hand schrieben nicht gerade wenige Besatzungsmitglieder Coa das Gefühlsleben eines Roboters zu. »Unser größtes Problem wird der erneute Zeitverlust. Wir müssen nach der Explosionsursache suchen.«
»Materialermüdung«, antwortete die Frachterkommandantin. »Der Intervallbeschuss hat offenbar mehr als nur die vordergründig sichtbaren Schäden verursacht.«
»Wir starten einen zweiten Versuch«, bestimmte Perry Rhodan und kam damit Coa Sebastian zuvor. »Notfalls legen wir auf der ILKIN alle Energieversorger lahm. Zwei, drei Stunden ohne Lebenserhaltungssystem werden keine unüberwindbaren Probleme hervorrufen.«
»Jedenfalls keine größeren, als wir sie schon haben«, antwortete die Tefroderin.
Zwei Stunden später stand fest, dass keiner der Hochenergie-Anker oder Traktorstrahlen die Explosion ausgelöst hatte. Mehrere Decks der ILKIN waren aufgerissen worden. Das Schiff hatte Ladung verloren, aber wie durch ein Wunder waren die Flüchtlinge einer neuen Katastrophe entronnen. Die inneren Sicherheitsschotten hatten mehr als 300 verletzte Flüchtlinge vor dem Tod bewahrt.
Vorübergehend zog Perry Rhodan in Erwägung, die Überlebenden von Cyrdan auf die JOURNEE zu übernehmen, doch der Zeitaufwand dafür war schwer zu kalkulieren, von den Platzproblemen ganz zu schweigen. Zudem sträubten sich die Mediziner gegen den Transport Dutzender Schwerstverletzter.
Ununterbrochen tasteten die Ortungen des Spürkreuzers durch den Raum. Sie verzeichneten nichts Ungewöhnliches.
Die Ruhe vor dem Sturm, konstatierte Rhodan. Er spürte eine wachsende Ungeduld. Viel zu lange hing die JOURNEE schon zwischen den Sternen fest. Kiriaades letzter Hilferuf war dringender als zuvor gewesen.
Es gab keinen Weg zurück in die Milchstraße, nicht einmal eine Funkverbindung. Was immer geschah, die JOURNEE war von der Heimat abgeschnitten. Aber was konnte ein einziges Schiff gegen eine Übermacht von Angreifern ausrichten? Rhodan ballte die Fäuste. Er war fest entschlossen, dem Rätsel der Invasionstruppen auf den Grund zugehen. Doch dazu brauchte er Hilfe. Die Tefroder hatten schon nach den ersten Überfällen genug mit sich selbst zu tun. Sie hatten in Andromeda rund 25.000 Welten besiedelt, und ihre Raumflotten unterstanden dem gemeinsamen Oberkommando auf Tefrod. Viel mehr hatte Rhodan nicht in Erfahrung bringen können, auch aktuelle Zahlen waren ihm nicht bekannt. Er schätzte die militärische Streitmacht der Lemurer-Nachkommen jedoch auf rund 210.000 Schiffe unterschiedlichster Größenordnung, und im zivilen Bereich verfügten sie wohl über annähernd die doppelte Zahl.
Neben den Tefrodern waren die Wasserstoff atmenden Maahks die zweite führende Großmacht. Andromeda war ihre Heimat geworden, aus der sie vor rund 50.000 Jahren vertrieben worden waren. Heute hatten die Maahks sich wieder auf 15.000 Welten mit Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre niedergelassen. Die Positionen vieler dieser Planeten waren den anderen Völkern unbekannt. Hinzu kamen einige Tausend Stützpunkte und reine Industriestandorte, die zum Teil auf Monden und ausgehöhlten Asteroiden angelegt waren.
Es mochte ein Trauma ihrer Vergangenheit sein, dass die Maahks die Völkergemeinschaft in Andromeda eher mieden. Große Kriege gehörten der Geschichte an, doch es gab nur wenige kulturelle und soziale Berührungspunkte, nicht zuletzt bedingt durch den unterschiedlichen Metabolismus.
Die Maahks verfügten ebenfalls über eine beachtliche Zahl schlagkräftiger Raumschiffe. Im militärischen Bereich konnten rund 250.000 Kampfraumer jederzeit einem einzigen Oberkommando unterstellt werden.
Im Gegensatz zu den anderen Völkern galten Maahks nicht als Individualisten; ihr Leben wurde vielmehr von nüchtern-logischem Pragmatismus bestimmt. Die emotionslose Logik drückte sich schon im hierarchischen Namenssystem aus, basierend auf einer mit Nummern bezeichneten Rangordnung.
Träge tropfte die Zeit dahin.
Rhodan hätte viel dafür gegeben, die erzwungene Aufenthaltsdauer zu verkürzen. Aber ein Weiterflug der JOURNEE hätte bedeutet, den Tod vieler Verletzter billigend in Kauf zu nehmen, selbst wenn er ein Spezialistenteam auf dem Frachter zurückließ. Die Tefroder an Bord der ILKIN brauchten Hilfe, und er konnte sie nicht im Stich lassen. Auch nicht, wenn er damit die eigene Position schwächte.
20 Minuten inzwischen ... Düster hing die ILKIN neben dem weit kleineren terranischen Spürkreuzer, ein Koloss, in dessen Flanken der Gegner tiefe Wunden geschlagen hatte. Klein wie Ameisen erschienen die Techniker der JOURNEE, die mit einfachen Mitteln versuchten, die nach der Explosion beschädigten Innenstrukturen zu stabilisieren.
Mit versteinerter Miene nahm Perry Rhodan die Meldung zur Kenntnis, dass zwei weitere schwerstverletzte Tefroder gestorben waren. Den Bemühungen der Ärzte, verstärkt durch Medoroboter von Bord der JOURNEE, waren deutliche Grenzen gesetzt.
Die Hologramme zeigten die üppige Sternenpracht Andromedas. Rhodan fragte sich, welches Ziel die Angreifer verfolgten, die es geschafft hatten, eine ganze Galaxis mit einem undurchdringlichen Zeitfeld abzuriegeln.
Wer waren die Unbekannten?
Was beabsichtigten sie?
Tief atmete er ein und schloss sekundenlang die Augen. Verbitterung nagte in ihm, ein grimmiger Zorn. Eine einzige Frage wühlte ihn auf: Warum?
Warum war Leben so aggressiv und kannte nur das Recht des Stärkeren? Von wenigen Ausnahmen abgesehen ... Dahinter verbarg sich nicht nur der Kampf um Lebensraum, denn das Universum war groß und bot Platz für alle. Selbst Maahks und Menschen hätten sich nie bekriegen müssen, weil die Umwelt des einen für den anderen tödlich war. Dennoch war es geschehen. Niemand hatte die Toten und Verwundeten gezählt, das unsagbare Leid und die Qualen beider Völker. Heute respektierte man sich und hatte aus den Fehlern gelernt.
Die Arbeiten am Frachter wurden endlich abgeschlossen, die Männer und Frauen der JOURNEE kehrten an Bord zurück. Sie hatten neue Befestigungspunkte für die Hochenergie-Klammern markiert.
Mit seinen 600 Metern Durchmesser und dem mächtigen äquatorialen Ringwulst war der Raumfrachter ein Riese, verglichen mit der nur 100 Meter messenden JOURNEE. Traktorstrahlen manövrierten den Spürkreuzer in seine neue Position und verankerten ihn im oberen Rumpfsegment der ILKIN, die unverändert in jeder Sekunde 20.134 Kilometer zurücklegte, exakt der Wert, bei dem zuvor die Trennung erfolgt war.
Die neue Beschleunigungsphase begann.
Auf der ILKIN waren nahezu alle Energieverbraucher lahmgelegt worden, um Interferenzen vorzubeugen. Lediglich eine Interkomverbindung wurde aufrecht erhalten. Die Frachterkommandantin blickte nicht mehr aus einem lebensgroßen Hologramme in die Runde, sondern von einem kleinen Monitor.
»Ich hoffe, dass es diesmal klappt«, sagte Laretha Mongath schwer. »Raye Corona war eben bei mir; der Zustand einiger Patienten hat sich rapide verschlechtert. Wenn sie nicht in den nächsten Stunden in eine bestens ausgerüstete Klinik eingeliefert werden, kann Raye für ihr Überleben nicht garantieren.«
»Wir tun, was wir können«, antwortete Coa Sebastian gereizt. »Achte du lieber darauf, dass auf der ILKIN alles so bleibt, wie es ist.«
»Wir erreichen Ka-Tygo rechtzeitig«, versprach Perry Rhodan.
Die Tefroderin nickte zufrieden. »Danke«, sagte sie.
Mühelos beschleunigten die Triebwerke der JOURNEE die um ein Mehrfaches angewachsene Masse. In wenigen Minuten würden beide Schiffe gemeinsam in den Hyperraum gehen und kurze Zeit später nahe Ka-Tygo den Überlichtflug beenden. Die Welt war der nächste geeignete Stützpunkt der Tefroder, ohnehin das Ziel der Flüchtlinge von Cyrdan.
Die Funkortung meldete ein jähes Anschwellen des Hyperfunkverkehrs. Hunderte von Sendern waren gleichzeitig aktiv geworden, und was immer sie verbreiteten, es schwoll wie eine Lawine an. Hintergrundrauschen und die Störungen einer nahen Supernova, die erst vor wenigen Tagen in ihr kritisches Stadium eingetreten war, verstümmelten die meisten Sendungen. Was allerdings mit entsprechend hoher Sendeleistung empfangen wurde, berichtete von einem neuen Massaker der Invasoren. Ein Konvoi der Twonoser, unterwegs in Richtung der vorgelagerten Kleingalaxis Andro-Beta, war von Kastun-Kriegsschiffen aufgebracht und aufgerieben worden. Ein wenige Lichtjahre entfernt operierender Kampfverband der Maahks hatte nur noch expandierende Trümmerwolken vorgefunden.
»Haben wir eine Einpeilung?«, wollte Rhodan wissen.
»Grobschätzung fünfzehnhundert Lichtjahre.«
Das war kosmisch gesehen nur ein Katzensprung. Die Kastuns konnten jede Sekunde auf der Suche nach neuen Opfern aus dem Hyperraum fallen. Rhodans Blick fraß sich an der Hochrechnung fest. Noch drei Minuten und 20 Sekunden bis zum Überlichtflug. Eine tiefe Falte grub sich um seine Mundwinkel ein.
Die Kastuns hatten Cyrdan bereits verwüstet. Warum sollten sie noch einmal hierher zurückkehren? Und dennoch ...
»Beschleunigung erhöhen! Wir sind nicht mehr lange sicher.«
Alarmbereitschaft herrschte ohnehin. Masse- und Energieortung lauschten Lichtjahre weit in den Raum hinaus. Doch nie hatten sich die Angreifer vorher angekündigt.
Ka-Tygo war in diesen Tagen zum Sammelplatz von Flüchtlingen aus dem ganzen Spiralarm geworden. Rhodan kannte den Planeten nicht und verließ sich in der Hinsicht auf die Frachterkommandantin. Solange die Flüchtlinge Aufnahme und die Verletzten medizinische Betreuung fanden, erschien ein Ziel so gut wie das andere. Vielleicht hätte Rhodan sogar Tefrod selbst angeflogen, rund 75.000 Lichtjahre weit im galaktischen Zentrumsbereich, aber Ka-Tygo lag nicht allzu weit von der terranischen Botschaftswelt Chemtenz entfernt.
Mit brennendem Blick beobachtete der Terraner die Skalen der Triebwerksleistung. Die Beschleunigung erreichte 500 Kilometer im Sekundenquadrat und stieg weiter. Fest hing die ILKIN im Griff der Energieklammern und Traktorstrahlen.
Irgendetwas veränderte sich. Die Anspannung war deutlich zu spüren. Auch Perry Rhodan blieb nicht davon verschont. Es war, als sehnten alle das Unheil förmlich herbei, damit sich ihre Befürchtungen bewahrheiteten. Erst wenn der Gegner greifbar geworden war, konnten sie ihn bekämpfen.
Das war verrückt. Die Männer und Frauen, die es ausschließlich ihrer Umsicht und Erfahrung verdankten, an Bord der JOURNEE Dienst zu tun, starrten auf die Hologramme wie ein Kaninchen in die Augen der Schlange. Rhodan nahm sich davon nicht aus. Er ballte die Fäuste und öffnete sie wieder, unaufhörlich. Und er ertappte sich beim Gedanken an Kiriaade. Wer war die überirdisch schöne Frau, die ihn zu Hilfe gerufen hatte? Fast schon sehnte er sich danach, ihr endlich zu begegnen, sie zu berühren und an sich zu ziehen ... Angesichts des Leids in Andromeda waren solche Gedanken fehl am Platz. Wütend auf sich selbst, schüttelte der Terranische Resident den Kopf.
Noch eine Minute und 18 Sekunden bis zum Übertritt in den Hyperraum.
»Ortung!«, schrie in dem Moment Cita Aringa auf. »Drei, vier – nein, fünf Kastun-Kriegsschiffe sind materialisiert. Sie nähern sich schnell.«
»Distanz?«
»Dreiundzwanzigeinhalb Millionen Kilometer.«
»Kurs?«
»Kastuns gehen auf Kollisionskurs, schwenken um dreißig Grad nach Steuerbord.«
Vor Rhodan baute sich eine Grafik auf. Er sah die Hochrechnung des Hauptsyntrons mit allen potenziellen Ausweichmanövern. Die Darstellung veränderte sich unaufhörlich.
Die fünf gegnerischen Schiffe waren mit einer Geschwindigkeit von 60.000 Kilometern in der Sekunde vergleichsweise langsam aus dem Hyperraum gefallen. Sie beschleunigten mit Höchstwerten. Allerdings waren sie nicht schnell genug, um vor der JOURNEE in den Überlichtflug zu gehen und sie abzufangen. Der JOURNEE selbst fehlten exakt 78 Sekunden bis zum Überlichtmanöver; in dieser Zeit würde sie eine Distanz von neuneinhalb Millionen Kilometer zurücklegen.
Sofern der Spürkreuzer die Flugrichtung beibehielt, würde die Distanz zu den Angreifern bis auf rund acht Komma drei Millionen Kilometer schrumpfen. Die Reichweite der gegnerischen Intervallkanonen war mit 20 Millionen Kilometern sehr hoch, indes ließ die Treffergenauigkeit schon ab der halben Distanz überproportional nach. Doch knapp über acht Millionen Kilometer bedeuteten für die JOURNEE mit dem Raumfrachter im Schlepp eine ernsthafte Bedrohung.
Zim November hatte die Situation erkannt und den Kugelraumer in Sekundenbruchteilen auf neuen Kurs gebracht. Die Abweichung betrug inzwischen 60 Grad nach Steuerbord. Damit ergaben sich als Enddistanz zum erwarteten Zeitpunkt des Überlichtmanövers rund 17 Komma sieben Millionen Kilometer, eine Zahl, mit der sich leben ließ.
Erleichtert lehnte sich Rhodan zurück. Falls kein zweiter Pulk von Kastun-Kriegsschiffen materialisierte, blieb eine reale Chance, die ILKIN in Sicherheit zu bringen. Der Terraner hoffte, dass es den Kastuns nicht möglich war, die JOURNEE durch den Hyperraum zu verfolgen. Trotzdem zog er es vor, eine gehörige Portion Vorsicht an den Tag zu legen.
»Neuberechnung aller Überlicht-Parameter!«, bestimmte er. »Wir fliegen Ka-Tygo nicht direkt an, sondern mit Zwischenstopp.«
»Eine erneute Beschleunigungsphase hebt unser Sicherheitsgefühl bestimmt nicht«, wandte Coa Sebastian ein.
Rhodan fixierte die Kommandantin. Die halblangen, pechschwarzen Haare verliehen Coa im Zusammenspiel mit der scharfrückigen Nase, den schmalen, jetzt zusammengepressten Lippen und dem spitzen Kinn etwas Raubvogelartiges. In diesem Moment wirkte die hagere Frau, als wolle sie die Kastuns entscheidend schlagen, aber auf keinen Fall den Rückzug antreten.
»Wir müssen sicher sein, dass wir keine Verfolger hinter uns herziehen.« Perry Rhodans Tonfall ließ keinen weiteren Widerspruch aufkommen.
Die Kastuns kamen nur unmerklich näher. Zumindest an Schnelligkeit waren die Kriegsschiffe dem terranischen Spürkreuzer unterlegen, obwohl sich die ILKIN als Hemmschuh erwies.
Die Distanz fiel unter 20 Millionen Kilometer. Nahezu rechtwinklig kreuzte jetzt die Flugrichtung der Kastun-Kriegsschiffe den Kurs der JOURNEE.
Rhodan wusste, dass die Invasoren das Feuer eröffnen würden. Auch wenn sie keine großen Schäden anrichten konnten, war der psychologische Faktor deutlich. Die Besatzungen der Kastuns, schien es, lebten vom Kampf – sie würden ihr vermeintliches Opfer nicht ohne Drohgebärde entkommen lassen.
Noch 15 Sekunden bis zum Erreichen der Mindestgeschwindigkeit ... Die Optiken holten die »brennenden Schiffe« schier zum Greifen nah heran. Deutlich waren in der Wiedergabe die hochkant gestellten Rümpfe der Kastuns zu erkennen, die jeden Terraner an Thunfische aus mattgrauem Stahl erinnerten. Der Bug des Schiffs erschien wie ein weit vorgestülptes, gierig aufgerissenes Fischmaul. Sonnenhelle Gluten loderten darin.
Die Schutzschirme der JOURNEE waren aufgebaut, zwar nicht die jeweils fünffache Staffel aus Paratron- und HÜ-Schutzschirmen, sondern ein wesentlich größer dimensioniertes doppeltes Paratronfeld, das den Raumfrachter einschloss. Coa Sebastian hatte Schaltungen vorgenommen, die das Schirmfeld einseitig verstärkten. Die den Kastuns zugewandte Seite benötigte eine höhere Spannung der ableitenden Energiefelder.
Die Fremden eröffneten das Feuer. Dunkle Aufrisse tobten plötzlich im Bereich des äußeren Paratrons, und obwohl die Intervallschüsse stark streuten, schnellten die Belastungsanzeigen bis in den Warnbereich.
Der Spuk war schnell vorüber. Die Feuerfrequenz der Intervallkanonen erlaubte zwei Schüsse in der Minute. Den Angreifern blieb nur die Zeit für diese eine Salve. Um ihre anderen Waffensysteme wirkungsvoll einsetzen zu können, war die Distanz nach wie vor zu groß.
Augenblicke später ging die JOURNEE gemeinsam mit dem Raumfrachter in den Überlichtflug.
Acht Minuten und 45 Sekunden Anspannung und banges Erwarten. Niemand konnte vorhersehen, was die beiden Schiffe am Rücksturzpunkt erwartete. Die schlimmste aller Möglichkeiten war eine größere gegnerische Flotte.
Nur mit einem Drittel der Höchstgeschwindigkeit, aber immerhin noch 30 Millionen Mal so schnell wie das Licht, bewegte sich die JOURNEE durch den Hyperraum. Anders ausgedrückt: In jeder Sekunde legte der Spürkreuzer fast ein Lichtjahr zurück. Von solchen Geschwindigkeiten hatten die Menschen zur Zeit der ersten Mondlandung nicht einmal träumen können. Im Jahr 1312 Neuer Galaktischer Zeitrechnung waren sie längst eine Selbstverständlichkeit. Andernfalls wären sie gar nicht hier, hätten sie andere Galaxien niemals in vertretbaren Zeiträumen erreichen können.
Routine hatte wieder Einzug gehalten, soweit man nach den Ereignissen der letzten Wochen überhaupt davon sprechen konnte. Alle Systeme arbeiteten einwandfrei, die Schüsse der Invasoren hatten keine Schäden hinterlassen.
Der zur Sonderausstattung des Kreuzers gehörende Hyperraumspürer, der eine Anpeilung und Verfolgung von Schiffen selbst im Überlichtflug ermöglichte, blieb taub. Falls die Angreifer nicht über das technische Know-how verfügten, die Ortungsimpulse des Hyperraumspürers zu assimilieren, hatten sie die Spur der Terraner verloren.
Als die JOURNEE mit der ILKIN im Schlepp nach knapp 500 Lichtjahren in den Einsteinraum zurückfiel, bestand noch immer volle Gefechtsbereitschaft. Die acht Transformkanonen waren bestückt und feuerbereit, die Zielerfassung der multivariablen Hochenergiegeschütze wartete ebenso auf den Gegner.
Die Anspannung der Crew wich nach wenigen Sekunden. Im Umkreis von mehreren Lichtjahren registrierten die Ortungen keine Schiffsbewegungen. Die Region zeigte sich vergleichsweise sternenarm, die Ausläufer einer Dunkelwolke verwehrten den Blick auf die Hauptebene Andromedas.
Die JOURNEE beschleunigte sofort wieder. Wenig mehr als drei Minuten würden bis zum nächsten Überlichtmanöver vergehen.
Eine einsame Sonne mit lediglich zwei entfernten kleinen Begleitern stand neun Lichtmonate entfernt. Von dort kamen plötzlich Peilsignale.
»Wir werden gescannt!«, meldete Cita Aringa.
»Identifizierung?«
»Die Symbolgruppen lassen auf Maahks schließen.«
Mit dem Daumen der rechten Hand massierte Perry Rhodan die kleine Narbe an seinem Nasenflügel. Aufmerksam registrierte er, wie sehr die Umstände alles veränderten. Inzwischen vermutete man die Kastun-Kriegsschiffe überall, jede Ortung wurde zuerst dem unbekannten Gegner zugeschrieben. Dabei konnten selbst Zehntausende Angreifer nicht überall zugleich sein.
»Werden wir angefunkt?« Ein rascher Seitenblick zeigte dem Terraner, dass nur noch 15 Sekunden bis zum nächsten Eintritt in den Hyperraum fehlten.
»Die Peilsignale sind verstummt.«
»Raumschiffe!«, erklang es gleichzeitig. »Mindestens acht große Raumer haben in der Peripherie des Zwei-Planeten-Systems den Hyperraum verlassen. Die Massewerte deuten auf große Walzen hin.«
»Wir bekommen Geleitschutz, wie es sich gehört«, bemerkte Benjameen da Jacinta, der stellvertretende Expeditionsleiter. Obwohl gebürtiger Arkonide, hatte er auf Terra seine Wahlheimat gefunden und verstand sich selbst weder dem einen noch den anderen Volk zugehörig, sondern als Kosmopolit. Seine Parafähigkeit des Zeroträumens hatte ihn wiederholt in den Brennpunkt der Ereignisse gestellt.
Ein Lächeln umspielte Perry Rhodans Mundwinkel. In seinen Augen blitzte ein Anflug milder Ironie. Trotzdem schwieg er. Vermutlich hatten sie durch Zufall einen der vielen unbekannten Maahk-Stützpunkte entdeckt. Ohne die ILKIN im Schlepptau hätte er die Gelegenheit ergriffen, mit den Methanatmern Kontakt aufzunehmen. Nur des Frachters wegen tat er es nicht.
Noch zehn Sekunden ... Neue Ortungsanzeigen erschienen auf den Schirmen. In Sekundenabständen materialisierten weitere große Schiffe ... dann flog die JOURNEE wieder im übergeordneten Kontinuum.
»Ich hatte den Eindruck, dass sich ein Maahk-Verband sammelt«, stellte die Kommandantin fest.
Rhodan nickte knapp. »Es hätte mich gewundert, würden sie nicht gegen die Invasoren vorgehen. Die Methanatmer haben im Lauf ihrer Geschichte mehr Leid erfahren als andere Völker. Entsprechend sensibel reagieren sie.«
»Wir brauchen schlagkräftige Unterstützung«, wandte Coa Sebastian ein. »Vor allem verfügen die Maahks über ein weitmaschiges Informationsnetz, das helfen kann, Informationen über Stärke und Absicht der Kastuns zu sammeln.«
»Das ist auch ein Grund, Chemtenz anzufliegen, sobald wir den Frachter und die Flüchtlinge in Sicherheit wissen«, erwiderte Perry Rhodan. »Dort haben wir unsere Botschaft und die Niederlassung der Methanatmer nebeneinander.«