Читать книгу Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband) - Uwe Anton - Страница 25
ОглавлениеKapitel 7
Unverändert hing die JOURNEE hoch über Chemtenz. Sie bewegte sich auf einer stabilen Umlaufbahn gegen die Rotation des Planeten, und die Ortungen tasteten große Bereiche der Oberfläche ab.
Soeben war der Maahk in die präparierte Unterkunft gebracht worden. Auf die Installation einer Überwachungsanlage hatte Rhodan verzichtet. Der einzig logische Schluss für den Maahk wäre wohl gewesen, dass die Terraner ihm misstrauten. Genau diesen Eindruck wollte Rhodan vermeiden.
Momentan erfolgte eine Bildübermittlung über das optische System des Medoroboters.
Die Flutung der Kabine mit der Giftgasatmosphäre war abgeschlossen, lediglich die Temperatur blieb mit knapp 60 Grad Celsius kühl. Der Maahk würde frieren, doch darauf konnte Rhodan keine Rücksicht nehmen.
Der Roboter schaffte es nicht auf Anhieb, den Raumanzug zu öffnen. Offenbar handelte es sich um eine Sonderanfertigung. Perry wollte schon den Befehl geben, den Anzug aufzuschneiden, was den Maahk zum Verweilen in der Kabine verurteilt hätte, als endlich der Transparenthelm seine Konsistenz verlor und sich im Nackenwulst zusammenfaltete.
Der Medorobot fuhr das medizinische Standardprogramm für Wasserstoff-Ammoniak-Methan-Atmer. »Sämtliche Vitalfunktionen sind, soweit messbar, auf Minimalwerte abgesunken«, meldete er. »Beginnender Wasserstoffmangel hat möglicherweise den Querschnitt der Atmungsorgane verengt und auf die Maahk-Leber übergegriffen. Ich empfehle die Injektion eines Stimulans.«
»Einverstanden.« Angespannt wartete Rhodan darauf, dass der Maahk das Bewusstsein wiedererlangte. Soweit er die Biologie der Methanatmer kannte, war die Bezeichnung Maahk-Leber irreführend. Es handelte sich um eine Vielzahl organischer Schläuche, die mit der verdickten Wand des Magen-Darm-Trakts ein schwammartiges, aber komplex aufgebautes Organ bildeten, eben diese Leber. Die Lungenschläuche mündeten in Hohlmuskeln, die nach dem Prinzip organischer Blasebälge die Atmung regulierten. Eine Zeitlang war sogar vermutet worden, dass den Maahks eine bewusste Steuerung ihrer Atemreflexe möglich war, doch das hatte sich später als medizinischer Irrtum erwiesen.
»Irgendetwas geschieht«, meldete die Funkstation. »Wir registrieren ein Anschwellen des Hintergrundrauschens auf allen Frequenzen.«
Natürlich war die Reichweite der überlichtschnellen Funk- und Kommunikationssysteme nicht unbegrenzt. Das galt gleichermaßen für planetare Sender wie solche auf Raumschiffe. Systeme von Relaisstationen sorgten für eine Verstärkung. Wo sie ausfielen, aus welchen Gründen auch immer, kam über größere Distanz hinweg nur ein mehr oder weniger unverständliches Hintergrundrauschen an.
Irgendwo in den Weiten des Andromedanebels hatten die Invasoren wieder zugeschlagen. Perry Rhodan erschrak über die eigene Kälte, mit der er den Sachverhalt zur Kenntnis nahm. Wenn er die Überfälle erst einmal als unausweichlich ansah, etwa wie Naturkatastrophen, hatte er resigniert.
Im Moment war er froh über die Ablenkung aus Kabine 30. Der Maahk hatte sich bewegt, also wirkte das Medikament.
Abrupt richtete sich der Methanatmer auf. Seine zuckenden Arme trafen den Medoroboter, doch das war kein bewusster Angriff, eher eine Spontanreaktion.
Schwankend kam der massige Leib auf die Beine.
Rhodan hatte ein Mikrophonfeld vor sich platziert. »Du befindest dich in Sicherheit, Grek«, sagte er. »Wir haben dich aus dem Weltraum geborgen.«
Der Maahk erstarrte. Rhodan sah, dass sich nur die Lider über den beiden äußeren Augen bewegten.
»Ich bin ... wo?«, fragte der graue Koloss stockend. Eigenartiger Weise bediente er sich nicht des Kraahmak, sondern sprach ein gut verständliches Tefroda.
Er reagiert auf die humanoide Form des Medoroboters, schoss es Rhodan durch den Kopf. Die Folgerung liegt auf der Hand.
»Dies ist kein tefrodisches Schiff«, antwortete er.
»Terranisch? Die Botschaftskreuzer haben Chemtenz vor dem Angriff verlassen.«
»Mein Name ist Perry Rhodan, Grek.« Die Anrede mit der Sammelbezeichnung »Grek« war höflicher als ein völliges Verschweigen und damit Zurückstoßen des Betreffenden in die Masse der Ungeborenen.
»Ich kenne den Namen.« Hastig stieß der Maahk die Worte hervor. »Eine Ehre ist es mir ... ein großes Ver... Nein. Vergnügen ist der falsche Ausdruck.«
Der Terraner kniff die Brauen zusammen, als könne er sein aufkeimendes Unbehagen auf diese Weise relativieren. Etwas stimmte nicht mit dem Maahk. Möglicherweise hatte der Wasserstoffmangel Spuren hinterlassen. Auch wenn das Äußere des grauen Riesen kaum weniger martialisch wirkte als bei der ersten Begegnung zwischen Menschen und Maahks, haftete seiner Stimme doch eine eigenwillige Klangfarbe an. Wäre die Annahme nicht unsinnig gewesen, Perry Rhodan hätte behauptet, so etwas wie eine Emotion herauszuhören. War der Verzicht des Maahks auf den Translator ursächlich?
»Grek-665½ ist mein Name«, fuhr der Methanatmer fort. »Das klingt fast schon menschlich.«
»Moment«, sagte Rhodan.
Grek-665½ reagierte nicht. »Danke für die Rettung!«, fuhr er fort, als höre er sich gern reden. Zudem verzog er sein Raubtiergebiss im wulstigen Übergang zwischen Kuppelkopf und Körper zu einer abschreckenden Grimasse. »Ohne Terraner wäre Grek tot. Im Himmel, sagen die Menschen, nicht wahr? Aber ich verstehe nicht: Wo ist der Himmel?«
»Perry!«, erklang ein Ausruf von der Funkstation. »Wir haben neue Meldungen aufgefangen!« Das Entsetzen in der Stimme war schwerlich zu überhören.
Rhodan unterbrach die Verbindung über den Medoroboter.
Eine von Störungen überlagerte, schwer verständliche Stimme erfüllte die Zentrale. Mehrfach stockte der Sprecher tränenerstickt. Aber immer von neuem nahm er seine Kraft zusammen, um ganz Andromeda wissen zu lassen, was geschehen war.
»Die Entscheidungsschlacht ist geschlagen – und verloren. Fünfundzwanzigtausend schwere Kampfschiffe konnten Tefrod nicht verteidigen. Wir hatten keine Chance, haben sie nie besessen. Unsere Flotte wurde vernichtet, es gibt kaum Überlebende. Nur wenige Schiffe sind geflohen, die Verbindung zu ihnen ist abgerissen. Wir wissen nicht, was geschieht, können nicht einmal mehr hoffen. Das Tefa-System wurde von den Kastuns erobert!«
Rhodan schluckte schwer.
»Die Angreifer haben Tefrod eingekreist, ihre Schiffe drängen sich im Orbit. Eine Flucht ist unmöglich geworden. Aber wir wollen unsere Heimat nicht verlassen. Lieber sterben wir, als sie den Fremden zu opfern. Helft uns! Helft euch selbst! Noch ist Tefrod nicht vernichtet ...«
Nachdem der verzweifelte Hilferuf in einem prasselnden Stakkato abgebrochen war, herrschte in der Zentrale der JOURNEE beklommenes Schweigen. Bislang hatten sich die Invasoren damit begnügt, vergleichsweise schlecht geschützte Sonnensysteme anzugreifen und vor allem Kampfraumschiffe zu jagen, wo immer sie sie zwischen den Sternen aufspürten. Mit dem Angriff auf Tefrod war der Kriegszustand in eine neue Dimension eingetreten.
Annähernd 25.000 Raumschiffe vernichtet ... Mit dem Fall von Tefrod war jede Chance dahin, die verbliebenen Flotten aller tefrodischen Welten dem Oberkommando zu unterstellen. Im Gegensatz zu den Völkern der Milchstraße hatten die heutigen Generationen in Andromeda nie um ihre Existenz kämpfen müssen.
»Damit dürfte die größte noch verbliebene militärische Schlagkraft bei den Maahks liegen«, stellte Perry Rhodan fest.
»Das heißt, die nächsten Angriffsziele der Invasoren werden Hauptwelten der Methanatmer sein«, setzte die Kommandantin den Gedanken fort.
»Ich rede mit unserem Gast mit der seltsamen Nummer«, sagte Rhodan. »Niemand kann sich der Notwendigkeit koordinierter Maßnahmen verschließen.«
Es blieb bei seinem Vorsatz. Von der Ortung wurde Alarm gegeben.
Drei Kastun-Kriegsschiffe waren soeben im Kraltmock-System aus dem Hyperraum gefallen. Die akustische Wiedergabe ihrer Ortungsimpulse schwoll zum schrillen Stakkato an und brach ebenso abrupt ab.
»Notbeschleunigung!« Noch während die Hände der Kommandantin über sich stetig verändernde Schaltflächen huschten, fuhr Zim November die SERT-Haube herab, die seine gedanklichen Befehle in syntronische Impulse umwandelte. Augenblicke später war sein Kopf halb unter ihr verschwunden.
Obwohl er erst 19 Jahre alt war, zeichnete sich schon jetzt ab, dass Zim sehr bald zu den ganz großen Piloten gehören würde. Nicht nur, dass er nach Abenteuer und Bestätigung dürstete, er hatte auf der Emotionautenakademie von Terrania als Ausnahmetalent gegolten. Er mochte introvertiert und wortkarg sein, brachte aber alle Eigenschaften mit, die ihn befähigten, ein eigenes Kommando zu führen.
Mit wachsender Beschleunigung jagte Zim die JOURNEE durch die Ausläufer der Atmosphäre von Chemtenz. Bis auf knapp 30 Kilometer Höhe tangierte der Spürkreuzer das Planetenrund und pflügte eine Feuerspur durch die Lufthülle. Dass kurze Zeit später ein verheerender Hitzeorkan den Ozean zu einer Flutwelle aufpeitschte, interessierte den Emotionauten nicht. Die Kontinent lagen fernab der entfesselten Gewalten, Chemtenz war ohnehin von den Kastuns eingeebnet worden. Nur der Versuch zählte, den Planeten zwischen sich und die Angreifer zu bringen.
Knapp zwei Minuten banges Warten. Eine Ewigkeit angesichts der schnelleren Gegner.
Der von Zim November instinktiv gewählte Kurs erwies sich als der einzig richtige. Als entsprechende Berechnungen des Syntrons über seine Konsole liefen, nickte Rhodan anerkennend.
Zwei Kugelraumer begleiteten plötzlich die JOURNEE. Aber sie fielen zurück, als wollten sie die Kastun-Kriegsschiffe zum Kampf stellen. Ein grimmiges Lächeln huschte über Rhodans Züge, als er die Energiewerte beider Raumer sah: Mit der Fünffach-Staffelung des Paratrons, dazwischengeschalteten HÜ-Schirmen und aktivierten Waffensystemen wirkten sie wie ein Leuchtfeuer, das die Aufmerksamkeit der Kastun-Besatzungen unweigerlich auf sich zog. Zudem flogen sie in einer Zangenbewegung auseinander.
Zwei weitere 100-Meter-Kreuzer materialisierten hinter der JOURNEE.
Noch 20 Sekunden. Aus einer Distanz von weniger als zwölf Millionen Kilometer eröffneten die Angreifer das Wirkungsfeuer.
Deutlich war zu erkennen, dass die überschweren Buggeschütze der Verfolger »streuten«. Dennoch explodierte der erste der terranischen Kreuzer in einer heftigen Eruption. Eine aus den berstenden Hangars herausgeschleuderte Space-Jet verglühte im Atombrand. Im nächsten Augenblick lösten sich die Wrackstücke auf, als hätten sie nie existiert.
Die Explosion des zweiten Kugelraumers im Feuer der Verfolger begann mit einer gewaltigen Glutsäule, die den oberen Schiffsrumpf spaltete. Eine irrlichternde Aufrisserscheinung zuckte den Kastuns entgegen – und erlosch ebenso abrupt wie das Abbild des brennenden Kreuzers und der beiden anderen, inzwischen mehr als 100.000 Kilometer weit voneinander entfernten Kugelraumer.
Zim November hatte die Verfolger mit dem Virtuellbildner genarrt und ihnen falsche Ortungsbilder vorgeführt. Jetzt, weniger als zehn Sekunden vor dem Übertritt in den Hyperraum, kappte er die Projektion, um die Speicherbänke für den Energiebedarf des Metagrav-Triebwerks zur Verfügung zu haben.
Die JOURNEE tauchte in die Sicherheit des übergeordneten Kontinuums ein.
Der Hyperraumspürer blieb stumm. Die Kastuns verzichteten auf eine Verfolgung. Vielleicht war sie ihnen auch gar nicht möglich.
Aber was bedeutete das schon? In einer abgeriegelten Galaxis, in der Raumschiffe einer stetig wachsenden Bedrohung ausgesetzt waren, gab es bald keine Chance mehr, unentdeckt zu bleiben.
Irgendwann würde der Kampf ums nackte Überleben beginnen.
Perry Rhodan betätigte den Schottmelder. Es war ein Akt der Höflichkeit, nicht mehr, denn der Zutritt zur Kabine des Maahks wäre ihm jederzeit möglich gewesen.
Der Monitor neben dem Schott blieb dunkel. Erst als er zum zweiten Mal den Summer aktivierte, huschten Schlieren über die Projektionsfläche. Dann starrte ein einzelnes, grün schillerndes Auge den Terraner an. Die halbkreisförmige Schlitzpupille öffnete und schloss sich mehrmals. Zugleich erklang ein dumpfes Grollen. Der Maahk stand viel zu nah vor der Aufnahmeoptik.
»Was ich tun muss?«, fragte er mit kehliger Stimme.
»Nichts.« Rhodan aktivierte seinerseits den Impulsgeber. Das Außenschott glitt vor ihm auf. Als er in die nur wenige Quadratmeter messende Atmosphärenschleuse trat, sah er auf dem Monitor, dass der Maahk zurückwich. Zweifellos hatte Grek-665½ erkannt, dass die Schleuse benutzt wurde.
Rhodan schloss den Helm seines blauen Schutzanzugs. Nach wenigen Augenblicken war die Sauerstoffatmosphäre abgepumpt und durch die aufgeheizten Wasserstoff-Ammoniak-Methan-Schwaden ersetzt worden. Eher beiläufig registrierte der Terraner, dass die Temperatur unverändert knapp 60 Grad betrug – zu wenig für einen Maahk, um sich wirklich wohl zu fühlen.
Das Innenschott glitt zur Seite.
Zwei Schritte vor Perry Rhodan stand die wuchtige Gestalt des Maahks. Er hatte den Oberkörper leicht vornüber geneigt und fixierte den Terraner.
»Ich freue mich«, brachte er grollend hervor.
»Ich freue mich ebenfalls, Grek-665½. Auch wenn die Umstände unserer Begegnung nicht die besten sind.«
Der Maahk entblößte sein Raubtiergebiss. Eine schreckhafte Natur hätte die Grimasse durchaus als Angriff missverstehen können, denn zugleich wirbelte er den rechten Arm nach vorn. »Danke!«, stieß er hervor. Seine Finger tasteten über Rhodans Anzug, schlossen sich dann um dessen Rechte und schüttelten sie heftig. »Ich hätte nicht mehr lange gelebt. Was geschieht jetzt?«
»Wir mussten das Kraltmock-System verlassen und befinden uns im Hyperflug«, antwortete der Terraner. »Kastuns haben uns erneut angegriffen.«
Der Maahk knirschte mit den Zähnen – ein bedrohliches Geräusch. »Kastuns – Schädlinge, ja, das sind sie.«
Grek-665½ trat einen wuchtigen Schritt zur Seite und deutete mit einer ausholenden Armbewegung auf die Sitzgelegenheiten in der Raummitte. »Machen wir es uns bequem.«
Rhodan zog endgültig die Stirn in Falten. Dass mit dem Geretteten etwas nicht stimmte, hatte er schon zuvor gespürt. Nun verstärkte sich dieser Eindruck. Indes glaubte er nicht, dass die Psyche des Maahks gelitten hatte, während er durch den Weltraum getrieben war, dem Tod näher als dem Leben. Maahks waren robust; ihre gefühlsarme und nüchterne Logik ließ sie sogar die eigene Existenz unbeeinflusst wahrnehmen.
Das Mobiliar war einfach gehalten, vor allem zweckmäßig. Die verstärkten Sessel hätten dem mehrfachen Gewicht des Maahks standhalten können. Schnaubend ließ sich Grek-665½ nieder, aber schon im nächsten Moment wollte er wieder aufspringen. »Ich habe vergessen ...«
Rhodan winkte ab, während er sich ebenfalls setzte. Sekundenlang schauten sie sich in die Augen.
»Ich habe den Raumanzug anbehalten, weil mich friert«, begann der Maahk.
Perry Rhodan unterdrückte einen Hustenreiz. Das Gefühl, der Karikatur eines Methanatmers gegenüberzusitzen, wurde immer stärker.
»Ich sorge dafür, dass das technische Problem behoben wird«, versprach er.
Grek fletschte das Raubtiergebiss. »Es ist so ... unwirklich«, sagte er zögernd.
»Ich verstehe nicht.«
»Eben fast tot, und jetzt rede ich mit einem Terraner. Mit dem Terraner. Ich weiß viel über dich. Die Menschen sind – wie sagt man? – ein Vorbild. Du wärest ein guter Maahk.«
Rhodan breitete die Arme aus. »Langsam«, wehrte er ab. »Und der Reihe nach.«
»Natürlich.« Greks Kiefer krachten aufeinander. »Ich fürchte, mein LemSim schaltet eine falsche Rückkopplung. Es ist, als fließe Energie durch meinen Körper.«
»Du bist aufgeregt?«, stellte Rhodan verblüfft fest. Diese Erklärung lag nah, klang zugleich aber unglaublich. Er hatte bislang keinen Maahk erlebt, der in der Lage gewesen wäre, derartige Empfindungen zu zeigen. »Was ist ein LemSim?«, wollte er wissen.
»Mein LemurEmotio-Simulator«, korrigierte Grek. Mit beiden Händen griff er zu, hakte die Finger unter die verstärkte Halskrause seines Raumanzugs und zog das nachgiebige Gewebe zentimeterweit nach unten.
Er entblößte damit eine kreisrunde, silbern schimmernde Plakette. Sie durchmaß ungefähr fünf Zentimeter und war deutlich sichtbar in die Schuppenhaut eingepflanzt, nicht einmal eine Handbreit unterhalb des schmallippigen Mundes.
»Das ist ein Prototyp«, erklärte der Maahk stolz. »Er simuliert menschliche Gefühle und ist über eine Vielzahl von Kontakten mit meinen Nervenbahnen verbunden. An jedem Tag wird die Welt für mich ein wenig ...« Er suchte nach dem passenden Wort.
»... anders?«, half Rhodan aus.
»... vielfältiger«, behauptete der Maahk. »Menschen sind komplizierte Wesen. Mein Experiment ist sehr wichtig für ihr Verständnis.«
»Du hast Recht«, pflichtete der Terraner bei. »Ich wünschte, überall im Kosmos solche Gedanken vorzufinden.«
»Menschen und Maahks sind lange Zeit Freunde«, sagte Grek. »Das ist Grund genug, um sich richtig verstehen zu lernen.«
»Was empfindest du?«
»Freude«, antwortete der Methanatmer. »Und Trauer. Beides ist seltsam. Ich kenne die Begriffe theoretisch – doch das richtige Gefühl verwirrt. Das ist unlogisch. Wie nach dem Genuss von sehr viel Vurguzz.«
»Gefühle, mein Freund«, erwiderte der Terraner, »sind selten logisch. Wenn du wirklich ihre Geheimnisse erkunden willst, mache dich auf viele Überraschungen gefasst. Vor allem darfst du nicht nach den ersten Enttäuschungen aufgeben.«
»Ich werde Botschafter meines Volkes in der Milchstraße!«, stieß Grek-665½ dröhnend hervor. »Nie wollte ich etwas anderes sein. Menschen sind ... eigenartig, aber erfolgreich. Wie kann jemand so sein, der giftige Gase atmet?«
»Genau das haben die Menschen vor Jahrhunderten auch von den Maahks gedacht«, sagte Rhodan.
Grek lachte schallend – und verstummte ebenso abrupt. »War das ein Witz?«, wollte er wissen.
»Das war bitterer Ernst«, antwortete der Terraner. Das Gespräch entwickelte sich völlig anders als erwartet. Er war auf knallharte Logik vorbereitet gewesen und darauf, mit Fakten argumentieren und diese in jeder Hinsicht belegen zu müssen. Stattdessen legte der Maahk eine sprunghafte Eloquenz an den Tag, wie er sie am allerwenigsten bei einem Angehörigen dieses Volkes erwartet hätte.
»Du willst mehr über Grek-665½ wissen?«
Perry Rhodan nickte auffordernd.
»Ich weiß selbst nicht viel«, fuhr der Maahk fort. »Glaube, ich kenne mich nicht. Mein Leben war einfach – jetzt ist es kompliziert. Ich bin Wissenschaftler, war viele terranische Jahre Kontakt-Person zu den emotionalen Völkern in Andromeda. Deshalb habe ich die Tefroder und generell Lemurer-Nachfahren studiert. Eure Denkweise ist fremd und exotisch. Mittlerweile nicht mehr ganz fremd für mich. Aber faszinierend. Sie wühlt mich im Innern auf.«
Das klang in der Tat nach großen Emotionen. Aber Greks Haltung und Gesten widersprachen seinen Worten. Im Grunde seines Wesens war er immer noch der Maahk, dessen kalte und zweckbestimmte Welt nur hinter einer dünnen Fassade schlummerte.
»Ich bin schon ein halber Mensch!«, stieß er akzentuiert hervor. »Und noch ein halber Maahk. Verstehst du das, Perry Rhodan?«
»Deshalb dein besonderer Name.«
»Ich war Grek-665, und ich gewann einen halben, wenn auch künstlichen Teil hinzu.«
»Dann wirst du verstehen, worum ich dich bitten muss«, sagte Rhodan. »Du hast erlebt, wie die Kastuns eine blühende Welt vernichteten.«
»Chemtenz wurde nicht beschützt.«
»Das Tefa-System wurde von fünfundzwanzigtausend schwer bewaffneten Raumern verteidigt. Die Schlacht haben die Invasoren gewonnen. Tefrod ist in ihrer Hand.«
»Beim heiligen Neun-Ei-Gelege«, entfuhr es dem Methanatmer. Er schüttelte sich.
»Auch Welten der Maahks werden angegriffen«, fuhr Rhodan fort. »Ich weiß, dass viele eurer Flottenbasen und Stützpunktplaneten allen anderen Völkern unbekannt sind. Die Maahks sind die einzige militärische Macht, die noch über ausreichend Schlagkraft verfügt, um den Fremden die Stirn zu bieten.«
»Was willst du?«
»Bring mich zu einem eurer geheimen Militärplaneten, zu einem Grek-1, der bereit ist, Risiken einzugehen.«
Grek-665½ versteifte sich merklich. »Das darf ich nicht«, wehrte er schroff ab. »Es tut mir Leid.«
»Wir müssen zusammenarbeiten.«
»Wie groß ist deine Flotte, Terraner?«
»Ich habe nur dieses eine Schiff.«
»Dann kämpfe nicht. Du würdest dein Leben verlieren.«
»Bring mein Schiff trotzdem zu einem eurer geheimen Stützpunkte!«
»Nein, Perry Rhodan. Ich bin immer noch ein halber Maahk – und kein Maahk wird diese Positionen preisgeben. Nicht freiwillig, und nicht unter Zwang. Und nicht dem besten Vertrauten.«
»Ich hoffe, Grek, du änderst deine Meinung bald.« Rhodan erhob sich und wandte sich zum Gehen. Vor dem Schott drehte er sich noch einmal um. »Andromeda bleibt nicht mehr viel Zeit. Die Gefahr ist größer, als wir alle es für möglich gehalten hätten.«
Nach 40 Minuten im Hyperraum fiel die JOURNEE in unmittelbarer Nähe eines planetaren Nebels in den Einsteinraum zurück. Knapp 3760 Lichtjahre hatte der Spürkreuzer überwunden.
Das farbenprächtige Gebilde war der Überrest einer vor nicht einmal 100 Jahren explodierten Sonne. Nach wie vor tobten in dieser Region schwere Strahlenstürme, die dichte Partikelschleier zum Leuchten anregten. Lichtjahreweit gab es keine Sonnen mit Planeten, die Kastun-Kriegsschiffe anlocken könnten.
Die Uhren der JOURNEE zeigten den 21. März 1312 NGZ, 14:28:03 Standardzeit. In der Milchstraße schrieb man vermutlich nach wie vor den 15. März, das Datum, an dem der Spürkreuzer in die Zeitbarriere eingedrungen war.
Mit einem unwilligen Kopfschütteln verscheuchte Rhodan alle diesbezüglichen Gedanken. Mit Hilfe aus der Milchstraße war nicht zu rechnen. Und selbst wenn, für den Weg nach Andromeda brauchte eine Hilfsflotte Tage.
»... während hier womöglich Jahrtausende vergehen.« Rhodan hatte seine Gedanken laut ausgesprochen. Ruckartig stellte er sein Glas auf den Tisch zurück und fixierte sein Gegenüber. Er hatte sich aus der Zentrale zurückgezogen, um vorübergehend allein zu sein, doch die Cafeteria war dafür ein ebenso ungeeigneter Ort.
Jeremiah Hutkin, in erster Linie für das leibliche Wohl der Besatzung zuständig, hatte sich einen Stuhl geangelt, ihn herumgedreht und sich so gesetzt, dass er die Arme auf der Rückenlehne verschränken konnte. Das Kinn aufgestützt, betrachtete er Rhodan mit einem traurigen Blick.
»Manchmal glaube ich noch, das alles kann gar nicht wahr sein. Es ist, als würden wir von einer Dimension in die andere fallen«, sprudelte es aus ihm hervor. »Du siehst aus, als könntest du einen kräftigen Bissen vertragen, Perry. Was soll ich in den Speicher eingeben, was möchtest du essen?«
»Mir ist der Appetit vergangen«, antwortete Rhodan.
Hutkin schürzte die Lippen. »Wenn du reden willst, Perry, einfach so ... ich höre dir zu. Jeder braucht das irgendwann. Und ich weiß, auch ein Aktivatorträger hat Probleme. Jeder von uns. Sieh zum Beispiel Millian, meine Frau. Millian stammt nicht von der Erde, musst du wissen. Sie ist Ferronin, und gerade das war es, was mich an ihr so fasziniert hat. Weißt du, wie das ist, Perry, wenn du blaue Haut unter deinen Händen spürst? Millian ist eine faszinierende Frau, wie es nur wenige gibt. Ich vermisse sie. Dabei weiß ich, dass sie jetzt, in diesem Moment, zum Nachthimmel aufschaut und den verwaschenen Nebelfleck sucht, als der Andromeda zu erkennen ist. Was glaubst du, Perry, wann kommen wir zurück?«
Rhodan schwieg. Er wollte dem Mann nicht die harmlose Illusion nehmen. Millian konnte gar nicht wissen, dass die JOURNEE sich in Andromeda befand. Bei ihrem Aufbruch hatten sie ihr Ziel noch gar nicht gekannt.
Ein grimmiges Lächeln umspielte seinen Mundwinkel. Er griff nach dem Glas, drehte es unschlüssig zwischen den Fingern und leerte den Rest des Fruchtsafts in einem Zug. Minutenlang hatte Hutkin wie ein Wasserfall geredet. Dass der Koch auch schweigen konnte, machte die Stille irgendwie bedrohlich.
»Ich weiß es nicht«, beantwortete der Terraner schließlich die hartnäckig im Raum stehende Frage. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Hutkin schwieg selbst dann noch, als Rhodan sich erhob und auf den kabinenseitigen Ausgang zuschritt.
»Perry«, erklang es plötzlich hinter ihm. »Eigentlich habe ich ein Problem. Wie lange bleibt der Maahk an Bord? Ich meine, nicht dass du mich falsch verstehst. Ich habe nichts gegen die Methans, sie sind auch nur Menschen, obwohl anders als wir. Aber der Grek muss verpflegt werden. Ich habe mich informiert, dass sie von Stickstoff- und Siliziumverbindungen leben. Die Pflanzen, die ihr ausgeatmetes Ammoniak umwandeln, sind auf Silikatbasis aufgebaut. Aber wo soll ich entsprechendes Material auftreiben?«
Rhodan winkte ab. »Ich glaube nicht, dass unser Gast die mangelnde Verpflegung beklagen wird. Er ist Selbstversorger.«
»Du meinst ... der Grek hat Konzentrate ...« Auf gewisse Weise schien dem Koch ein Stein von der Seele zu fallen. Er sah dem Terraner hinterher, bis das Schott wieder zuglitt. Dann wandte er sich der Getränkeausgabe zu: »Gib mir einen Vurguzz!«, ächzte er. »Einen Doppelten!«
Zwischenspiel
Eine einsame Sonne im nordwestlichen Sektor von Andromeda. Seit Jahrmillionen zog sie unbeeindruckt vom galaktischen Geschehen ihre Bahn im sternenarmen Gebiet zwischen zwei Spiralarmen.
Der bläulichweiße Stern hatte nie Planeten gehabt. Einzig einige Dutzend Irrläufer, atmosphärelose, kahle Fels- und Eisbrocken, umkreisten ihn auf obskuren Bahnen. Aber auch das war nur ein Zwischenspiel, denn die Boliden würden in den atomaren Gluten verbrennen oder eines Tages erneut in den Raum hinausgeschleudert werden.
Die Sonne war namenlos geblieben, hatte nie militärisches Interesse geweckt und stand folglich nur als Nummer in den Sternenkatalogen der raumfahrenden Völker verzeichnet: X-1b/98'7+95, wobei das »+95« den Abstand in Lichtjahren über der galaktischen Hauptebene dokumentierte. Nicht einmal seine Position hob diesen Stern also über andere hinaus.
Er hatte die Blütezeit von Hathorjan erlebt, wie Andromeda vor zweieinhalb Jahrmillionen von einer hochentwickelten Zivilisation genannt worden war und auch heute noch von seinen Bewohnern genannt wurde.
Die Horden von Garbesch hatten ihn nicht beachtet, als sie in die Lokale Gruppe eingefallen waren und Andromeda ihr erstes Angriffsziel gewesen war. Das lag 1,4 Millionen Jahre in der Vergangenheit. Verändert hatte sich nichts – oder sehr viel. Das war auch heute noch eine Frage des Standpunkts.
Der Stern hatte die Lemurer erlebt, die aus der benachbarten Milchstraße gekommen waren. Karahol, die Zweite Insel, hatten sie Andromeda genannt und sich in der Folge zu Milliarden ausgebreitet. Ihre überlegenen Waffen hatten die Methanatmer vertrieben ...
... bis die Meister der Insel zu den absoluten Herrschern, einer geheimnisvollen Macht im Hintergrund, geworden waren. Ihre Herrschaft hatte erst der Sprung der terranischen Menschheit über den großen Abgrund zwischen den Sterneninseln beendet.
Und nun, zweieinhalbtausend Jahre später – nur ein flüchtiger Augenblick im Lebenszyklus eines Sterns –, griff eine neue, unbekannte Macht nach den Welten Hathorjans.
Das Objekt erschien wie aus dem Nichts heraus. Verglichen mit den eingefangenen Asteroiden war es unbedeutend. Es besaß Walzenform, war knapp 20 Meter lang und durchmaß nur ein Drittel dessen. Ein flüchtiges Aufwallen fünfdimensionaler Energien begleitete seine Materialisation, danach war alles wieder wie zuvor.
Stille.
In Andromeda tobte ein Krieg, der nie erklärt worden war.
Einsamkeit.
Wo Intelligenzen im Feuer der Angreifer ihr Leben ließen, starben sie allein. Furcht und Entsetzen hatten längst begonnen, den Schiffsverkehr lahmzulegen.
Der Maahk wartete. Er wusste, dass die Fremden kommen würden. Sehr bald schon.
Die Ortungen seines Beibootes schwiegen. Er hatte sie abgeschaltet. Ebenso wie die Funkstation und den Metagrav. Seine Anwesenheit in diesem Raumsektor entsprach nicht der Norm, jede freiwerdende Emission bedeutete ein potentielles, unnötiges Risiko.
Auf dem einzigen aktiven Holoschirm sah er das Licht der Sterne im optischen Erfassungsbereich. Die fernen Sonnen interessierten ihn nicht. Es gab Wichtigeres. Die Fremden kamen und gingen, wie sie es für richtig hielten. Sie waren stark und unbeugsam. Auch die Maahks einer längst vergangenen Epoche hatten diese Eigenschaften geprägt.
Eine schwache Erschütterung durchlief den Rumpf des walzenförmigen Beiboots. Der Maahk reagierte mit angespannter Erwartung. Die Sterne auf dem Bildschirm bewegten sich, schienen langsam aus dem Erfassungsbereich zu wandern. Ein weitaus hellerer Punkt schob sich ins Zentrum der Abbildung. Er wuchs, dehnte sich aus – doch das Glühen blieb und wurde eher noch bedrohlicher.
Wäre der Maahk fähig gewesen, grimmige Freude zu empfinden, hätte er sich wahrscheinlich schon jetzt erhoben und den Schutzanzug geschlossen. So aber behielt er seinen Platz bei und beobachtete mit allen vier Augen die Rundumprojektion. Das Kriegsschiff der Fremden war mit größter Präzision aus dem Hyperraum gefallen. Es zeigte ihm die Bugansicht, das hochgestellte Oval mit dem sonnenhellen Feuer im Zentrum.
Ein Traktorstrahl hielt das Beiboot im Griff. Die Bewegung wurde deutlicher, je größer das Kriegsschiff aufwuchs.
Die ferne Sonne zeichnete scharf abgegrenzte Schatten auf den mattgrauen Rumpf, der zunehmend Kontur gewann. Da war die vorgewölbte, geöffnete Bugsektion, in der das Feuer der Intervallkanone loderte. Der Anblick faszinierte den Maahk, als könne er die sich dahinter verbergende Macht mit beiden Händen greifen.
Allmählich sah er den Rumpf in voller Länge. Strömungsgünstig schlank war das Schiff – ein überflüssiges Detail, solange es sich nur im Weltraum bewegte. Ebenso die beiden am Heck senkrecht abstehenden kantigen Ausleger. Ihre Funktion war unklar, sofern sie nicht ausschließlich die seitlich angeflanschten zylinderförmigen Ausleger trugen. In den ein Drittel der Schiffslänge messenden Röhren konzentrierten sich die übrigen schweren Waffensysteme.
Der Maahk hatte inzwischen einige dieser Kriegsschiffe aus der Nähe betrachtet. Aber nur der Rumpf der KHOME TAZ war von Hunderten unterschiedlichster Aufbauten übersät, die den Eindruck nachträglicher Installation erweckten.
Ein Hangar öffnete sich wie ein gieriges Maul. Emotionslos starrte der Maahk in die wesenlose Düsternis.
Er hatte sein Ziel erreicht. Magnetklammern verankerten das Beiboot. Wieder kamen nur zwei der Fremden, um ihn abzuholen. Sie schienen unbewaffnet zu sein. Der Maahk schloss den Kuppelhelm seines Anzugs und sog den einströmenden frischen Wasserstoff tief in seine Lungen.
Die Fremden glaubten an ihre Unbesiegbarkeit. Weshalb sonst würden sie ihm derart sorglos gegenübertreten?
Er verließ das Beiboot durch die Seitenschleuse.
»Komm!«, empfing ihn einer der Fremden mit unüberhörbarer Ungeduld in der Stimme. »Kommandant Takegath erwartet dich.«