Читать книгу Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband) - Uwe Anton - Страница 20

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Kapitel 2

Es war ihm leichtgefallen, die Bildschirmgalerie zu reaktivieren. Nach wie vor waren mehr als ein Dutzend Außensatelliten der terranischen Botschaft in Betrieb.

Die anfliegenden Kastun-Kriegsschiffe hatten mittlerweile die Umlaufbahn des fünften Planeten überschritten und näherten sich Chemtenz, der in Konjunktion stehenden dritten Welt. Eingeblendete Schriftzeichen zeigten spärliche Ortungsdaten, die nur wenig über die Angreifer verrieten. Die Angaben von Massewerten und Energieemissionen waren vielschichtig interpretierbar und sagten kaum etwas über die Kampfkraft des Gegners aus. Mit jeweils 1100 Meter Länge übertrafen die Invasoren ohnehin die Abmessungen aller im Kraltmock-System stationierten Raumschiffe.

Die zwölf Kastuns flogen unverkennbar in Angriffsformation, und die Terraner mussten den Verstand verloren haben. Eine andere Erklärung dafür, wieso die Botschaftsraumer den Kastuns entgegenflogen, statt eine schnelle Flucht zu versuchen, hatte Grek-665½ nicht. Zielstrebig glitten seine Finger über die Schaltflächen, die sich unter den Berührungen veränderten. Für die Mehrzahl der Ortungsdaten hatte er jedoch keine Zugriffsberechtigung. Unter anderen Umständen hätte er versucht, den Zugangskode zu knacken, doch jetzt genügten Beschleunigungswerte und Geschwindigkeit. Eine überschlägige Berechnung verriet ihm, weshalb die Terraner die Konfrontation suchten. Eine Flucht, selbst in die entgegengesetzte Richtung, konnte nicht gelingen. Die Kastun-Schlachtschiffe näherten sich mit einer Geschwindigkeit, die ihnen den jederzeitigen Eintritt in den Hyperraum erlaubte und damit den Angriff auf fliehende Raumschiffe, noch ehe diese schnell genug für ein Metagrav-Manöver waren.

Als Wissenschaftler hatte er eine militärische Grundausbildung absolviert. Dennoch nötigte ihm die Handlungsweise der Terraner Anerkennung ab. Er wusste, dass Menschen mehr am Leben hingen als Maahks; das hing mit ihrer geringeren Vermehrungsrate zusammen, aber auch mit grundlegenden psychischen Unterschieden. Möglicherweise flogen die Botschaftsangehörigen sehenden Auges in den Tod.

Wer oder was auch immer sich an Bord der Kastun-Kriegsschiffe befand, Grek-665½ fragte sich in dem Moment, ob die Unbekannten ebenfalls die Absicht der Terraner durchschauten. Sie flogen einen Angriff, um Zeit zu gewinnen und die Kastuns nicht zu einem Überlichtmanöver zu verleiten. Nur so konnten sie selbst die erforderliche Eintauchgeschwindigkeit erreichen und in den Hyperraum gehen. Die Konsequenz des Manövers war jedoch, dass sie zwangsläufig eines oder zwei ihrer Schiffe verlieren mussten.

Immer noch funkte der Botschafter die Kastuns an. Greks Schaltungen ließen vorübergehend eine menschliche Stimme erklingen, nach wie vor die Aufforderung zur Identifikation und der Hinweis auf die diplomatische Immunität des Kraltmock-Systems. Beides blieb vergebliche Mühe.

Überraschend erfolgte der erste Feuerschlag. Aber nicht die Fremden hatten den Kampf eröffnet, sondern die Terraner.

Unbeschadet durchbrachen die Kastun-Kriegsschiffe die schweren Transformexplosionen. Aus den Archiven wusste Grek-665½, dass es gegen die Transformkanonen der Terraner lange Zeit keinen ausreichenden Schutz gegeben hatte. Die Schirmstruktur der Kastuns ließ nicht einmal Schwankungen erkennen.

Stetig beschleunigten die Kugelraumer der Botschaft. Bei einer Distanz von acht Millionen Kilometern fächerten sie auseinander. Das war der Moment, auf den Grek-665½ gewartet hatte. Wenn ihre Taktik Erfolg haben sollte, mussten die Terraner die gegnerischen Kräfte aufsplittern.

Noch immer verpufften die Transformsalven wirkungslos. Aber zum ersten Mal schossen die Kastuns zurück. Jeweils sechs Schiffe nahmen einen Kugelraumer ins Ziel.

Als der grelle Glutball einer gewaltigen Explosion aufflammte, schloss Grek in einer unbewussten Reaktion die Augen. Der Blitz schien alles auszulöschen.

Sekundenlang reagierte er verwirrt auf die eigene überschießende Reaktion. Die Terraner konnten den Tod nicht gespürt haben, so schnell war er über sie gekommen. Sie waren den Weg allen Lebens gegangen, der für jedes Individuum von Geburt an vorgezeichnet war. Deshalb Bedauern zu empfinden, war im Sinne der Gesamtheit unnötig.

Bedauern?

Der Maahk ertappte sich dabei, dass ihm dieses bislang fremde Gefühl Unbehagen bereitete. Kein Wunder, dass unter solchen Voraussetzungen Menschen wie Tefroder oft schwer einzuschätzen waren. Grek-665½ begann zu verstehen, dass noch ein weiter Weg vor ihm lag und er eines Tages vielleicht bedauern würde, das Experiment mit dem LemurEmotio-Simulator überhaupt begonnen zu haben. Die Erkenntnis, eigene psychische Regungen zu entwickeln, die maahkscher Mentalität völlig fremd waren, erschreckte und faszinierte ihn gleichermaßen.

Aber er hatte es so gewollt.

Oder doch nicht?

Eine solche Unsicherheit hatte er früher nicht gekannt. Woher sollte er noch wissen, was nützlich und richtig war?

Er war nur ein paar Sekunden lang abgelenkt gewesen. Währenddessen hatten die Kastuns den zweiten Botschaftskreuzer in eine expandierende Glutwolke verwandelt. Nun gab es nur noch einen Hasen, den sie jagten.

Grek-665½ entblößte das Gebiss mit den kräftigen Reißzähnen. Es war eine Geste der Unsicherheit und Verwirrung zugleich. Eben hatte er wie ein Mensch gedacht. Die letzte Hypnoschulung vor seinem Aufbruch nach Chemtenz hatte typisch terranische Redewendungen enthalten, die ohne das notwendige Hintergrundwissen unverständlich bleiben mussten. Grek-665½ hatte diese Begriffe verinnerlicht. Dass er selbst in diesen Parabeln denken würde, hätte er so schnell jedoch nicht für möglich gehalten. Indes lag die Erklärung nahe. Das Wort Hase bezeichnete ein vermehrungsfreudiges Lebewesen vom Planeten Terra, das Schulungsprogramm hatte in der Hinsicht eine Übereinstimmung mit den Maahks erkennen lassen. Einen Hasen jagen ... Grek-665½ fragte sich, was ihn an den Terranern wirklich faszinierte. Die Lemurer-Abkömmlinge waren ein respektloses Volk. Aber vielleicht begründete gerade das ihren evolutionären Erfolg.

Das letzte Raumschiff stand kurz davor, in den Überlichtflug zu gehen. Die Ortungsanzeige wurde grafisch dargestellt, ein wachsender roter Balken, dessen Färbung bereits eine grüne Nuance erhielt. Nur noch Sekunden ...

Die Kastun-Kriegsschiffe feuerten gleichzeitig. Rings um den letzten terranischen Kugelraumer schien der Weltraum aufzureißen, potenzierten sich tödliche Energien zu einem vernichtenden Chaos.

Aus allen vier weit aufgerissenen Augen starrte Grek-665½ auf die Wiedergabe. Das Schiff war verschwunden, es musste in den Hyperraum gegangen sein, als die Salve der Kastuns in seinen Schutzschirmen getobt hatte. Der Maahk wusste nicht, welchem der drei Schiffe die Flucht gelungen war, aber er hoffte, dass Aldus Chamberlain überlebt hatte.

Der Kurs der Angreifer zielte unverändert auf Chemtenz. Nicht einmal mehr zwei terranische Standard-Minuten Distanz. Der Maahk gab sich keinen Illusionen hin, was geschehen würde.

Mit einer knappen Handbewegung desaktivierte er die Bildschirmwand. Es wurde Zeit für ihn, die Botschaft zu verlassen.

»Der Letzte macht das Licht aus«, sagten die Terraner dazu. Grek-665½ reagierte zufrieden; er hatte schon viel gelernt, aber er würde noch sehr viel mehr lernen müssen.

Falls es eine Zukunft für ihn gab. Das jedoch hing ausschließlich von den unbekannten Angreifern ab.

Eine unheimliche Stille lastete über dem Gelände der terranischen Botschaft. Es war die Stille des bevorstehenden Todes.

Die Konsequenz erschien Grek-665½ unausweichlich. Bislang hatten die fremden Kriegsschiffe jeden Kampf siegreich beendet, hatten ausgeglühte Wracks, verbranntes Land und Tausende von Toten hinterlassen, eine Spur aus Blut und Zerstörung. Nahezu jedes Volk verzeichnete Verluste. Weshalb sollten sie ausgerechnet Chemtenz verschonen, die einzige diplomatische Niederlassung der Terraner in Andromeda?

Die Menschen hatten ihre Botschaft verlassen, doch die nahe Hauptstadt allein zählte rund fünf Millionen Einwohner. Für eine Evakuierung hatte es weder die nötige Kapazität gegeben, noch eine ausreichend lange Vorwarnzeit. Die Bevölkerung floh hinaus aufs Land, auf See oder zog sich in die unterirdischen Anlagen zurück.

Diese Welt war seit dem Augenblick, in dem die Kastun-Kriegsschiffe im äußeren Sonnensystem aus dem Hyperraum gefallen waren, zum Sterben verurteilt.

Grek-665½ suchte den Himmel ab, ohne bereits eine Spur der Angreifer entdecken zu können. Lediglich ein leichtes, kaum wahrnehmbares Flirren spannte sich über das Firmament: die Kuppel des Paratron-Schutzschirms. Lange würde das Schirmfeld den Waffen der Invasoren jedoch nicht widerstehen.

Sie kamen. Vier Schiffe hingen plötzlich hoch im Zenit. Grek-665½ konnte sich ausrechnen, wo die anderen Einheiten verblieben waren. Chemtenz hatte drei Kontinente, nicht alle so dicht besiedelt wie der nördlichste, doch Tefroder, Terraner, Arkoniden und sogar Twonoser hatten sich in der Wildnis niedergelassen.

Die Kastuns kamen aus der Sonne. Mittlerweile betrug ihre Höhe nur noch 100 Kilometer. Angespannt wartete Grek-665½ auf den grellen Lichtblitz, der alles Leben auslöschen würde.

Er fragte sich, ob der Tod Schmerzen bereitete. Aber das waren nicht seine eigenen Gedanken, der LemurEmotio-Simulator gab sie ihm ein. Menschen fühlten so, sie stellten sich solche Fragen, die ihre Entschlusskraft lähmten und nicht zur Lösung von Problemen beitrugen.

Noch 90 Kilometer ...

Chemtenz hielt den Atem an. Kaum ein Gleiter war noch in der Luft.

Sie wissen, was auf sie zukommt, aber sie wollen es nicht wahrhaben, dachte der Maahk. Sie ziehen sich zurück wie verwundete Tiere, fliehen in den trügerischen Schutz ihrer unterirdischen Anlagen oder in die Berge.

Er näherte sich dem inneren Rand der Paratron-Kuppel. Das hochgespannte hyperenergetische Feld bot keinen wirklichen Schutz gegen die Intervallkanonen der Fremden. Deren Wirkung war ebenfalls fünfdimensionaler Natur und unterlief die Ableitungsfunktion des Schirmfeldes.

Ein Blitz zuckte auf. Nur Millisekunden hatte er Bestand, und sein Ausgangspunkt war ohne Hilfsmittel nicht zu lokalisieren. Doch die Folgen des Einschlags blieben unübersehbar. Jenseits der Metropole, in der weit geschwungenen Bucht, kochte die See. Ein turmdicker Impulsstrahl hatte Millionen Kubikmeter Wasser verdampft und wirbelte eine apokalyptische Rauchsäule in die Atmosphäre. Die in das Vakuum zurückflutenden Wassermassen schossen in einer gewaltigen Eruption Hunderte von Metern empor, ehe sie nach allen Seiten abregneten. Und über allem hing flackernder Feuerschein.

Der zweite Schuss aus mittlerweile nur noch 70 Kilometern Höhe zog eine glühende Spur der Vernichtung durch die Stadt und entfachte einen gewaltigen Feuersturm. Das war der Moment, in dem Grek-665½ den Paratronschirm durch eine Strukturlücke verließ. Sengende Hitze schlug ihm entgegen, aber er spürte sie nicht. Der Schutzanzug, den er gegen die giftige Sauerstoffatmosphäre trug, war weltraumtauglich. Auch der Sturm, der in Richtung Stadtzentrum fegte und Bäume wie dünne Hölzer knickte, konnte ihm nichts anhaben. Die Tornisteraggregate reagierten präzise auf alle äußeren Einflüsse.

Grek-665½ regelte sein Flugaggregat hoch. Mit wachsender Geschwindigkeit entfernte er sich vom Botschaftsareal und gewann zugleich an Höhe, während hinter ihm vollends die Hölle losbrach. Die Kastuns feuerten im Sekundentakt, ihre Thermostrahlen pflügten das Land um, die Desintegratoren ließen selbst von widerstandsfähigem Baumaterial kaum mehr zurück als verwehende Staubschleier.

Chemtenz starb. Zweifellos sah es in diesen Augenblicken auf den anderen Kontinenten ähnlich aus.

Fünf Kilometer hoch flog Grek-665½ bereits über dem Land.

Acht Kilometer ... New Dillingen verbarg sich unter einem Mantel aus Glut, Asche und Rauch, aber unter der brodelnden Schwärze tobten heftige Explosionen.

In der Höhe wütete ein verheerender Orkan. Wie ein welkes Blatt im Herbststurm wurde Grek-665½ herumgewirbelt. Er verlor die Orientierung und ließ sich treiben, während die Welt um ihn herum versank. Erst in den dünneren Luftschichten kam die wirbelnde Aufwärtsbewegung zum Stillstand.

Als er eine Höhe von über zwanzig Kilometer erreicht hatte, sah er die terranische Botschaft wie einen Fels in der Brandung stehen. Zuckende Aufrissfronten umflossen den Schutzschirm, als die Angreifer ihre überschweren Intervallkanonen einsetzten. Die gebündelten Hyperfelder erzeugten eine ungeheure mechanische Wirkung. Die ersten Treffer überzogen die Paratron-Kuppel mit einem Netz von schwarzen Schlünden, doch schon die zweite Salve durchschlug die Barriere und setzte ihre Energie frei.

Die terranische Botschaft, ebenso wie die angrenzenden Wohnbezirke, existierte nicht mehr. Ein Meer von Staub überflutete alles.

Zu lange hatte sich Grek ablenken lassen. Erst ein Warnsignal seines Anzugs erinnerte ihn daran, dass es mehr gab als den sterbenden Planeten. Er durfte die Mörder nicht vergessen.

Eines der Kriegsschiffe, zweifellos jenes, das die Botschaft ausgelöscht hatte, näherte sich mit hoher Geschwindigkeit. Mit einem knappen Befehl desaktivierte der Maahk alle Energieverbraucher. Das betraf sein Lebenserhaltungssystem ebenso wie den Antigrav und das kleine Triebwerk. Über einen Deflektor verfügte er nicht, der war unter Freunden überflüssig.

Viel zu hoch war Grek-665½ schon aufgestiegen. Das Gefühl des plötzlichen Fallens wurde ihm nicht richtig bewusst. Scheinbar schwerelos schwebte er über dem verglühenden Land.

Das Kriegsschiff drehte nicht ab.

Die Angreifer kamen geradewegs auf ihn zu, eine schlanke und ohne das sonnenhelle Feuer im Zentrum wenig imposante Silhouette. Der Querschnitt erinnerte an ein hochgestelltes Oval, strömungsgünstig geformt wie der Körper eines Wasserlebewesens, doch aus mattgrauem Stahl bestehend. Der Bug des Schiffes erschien als weit vorgestülptes, aufgerissenes Maul. In ihm loderte das verzehrende Feuer, die Projektormündung der Intervallkanone.

Jeden Augenblick rechnete Grek damit, von Traktorstrahlen erfasst und an Bord gezogen zu werden. Er trug keine Waffe bei sich. Trotzdem würde er sich lieber selbst töten, bevor er den Fremden in die Hände fiel. Nur ein toter Maahk konnte keine Geheimnisse verraten.

Entschlossen tastete er nach dem Verschlussmechanismus des Raumhelms. Bei den ersten Anzeichen eines Zugfeldes würde er nicht zögern, den Helm zu öffnen und tödlichen Sauerstoff einzuatmen.

Riesig wuchs der Kastun vor ihm auf. Das Schiff würde ihn möglicherweise rammen. Dennoch versuchte der Maahk, möglichst viele Einzelheiten aufzunehmen. Endlich drehte der Angreifer um wenige Grad und präsentierte ihm die Flanke. An der oberen Heckflosse waren beidseitig zylinderförmige Ausleger angeflanscht. Sie bargen die anderen Waffensysteme.

Sekundenlang blickte Grek-665½ geradewegs hinein in einen dieser Ausleger, in dem sich tödliche Energien ballten. Als das Projektionsfeld die Sättigung erkennen ließ, zuckte eine meterdicke Glutbahn in die Tiefe. Dass er schrie, bemerkte der Maahk erst Augenblicke später. Ungläubig stellte er fest, dass er noch am Leben war. Der Thermoschuss hatte ihn um geringe Distanz verfehlt, aber fast zum Greifen nahe wölbte sich vorübergehend der Rumpf des Kriegsschiffes über ihm. Mit dem Bezugspunkt wurde sein Sturz deutlicher. Grek-665½ fiel dennoch unbehelligt der Oberfläche des Planeten entgegen, die Angreifer hatten ihn nicht geortet.

Der Abstand zu dem Raumer wuchs. Trotzdem wagte der Maahk nicht, die Energieversorgung wieder in Betrieb zunehmen.

Das Kastun-Kriegsschiff glitt über die Ruinen von New Dillingen hinweg und nahm das Gebirge unter Beschuss. Augenblicke später beschleunigte es und war nach wenigen Sekunden aus Greks Sichtfeld verschwunden.

Endlich konnte er seinen Sturz mit dem Antigrav abfangen. Und er aktivierte den Funk-Suchlauf. Doch falls es Überlebende gab, schwiegen sie lieber. Das Land wurde von einer dichten Wolkendecke verborgen. Die Ortungen verrieten Grek, wie es unter der brodelnden Schwärze aussah: Die Hauptstadt war in einem See aus Staub und Schlamm versunken, in den Bergen hatten zahlreiche Felsstürze die Täler verschüttet.

Maahkrit, die ständige Vertretung der Maahks, nordöstlich der Hauptstadt in einem weitläufigen Talkessel gelegen, existierte nicht mehr. Vergeblich suchte Grek nach der acht Kilometer durchmessenden, im Zenit 3000 Meter hohen Schutzkuppel, die eine Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre festgehalten hatte. Offenbar war die Vertretung von dem Intervallgeschütz ausgelöscht worden, und die Überreste hatte ein Bergrutsch verschüttet.

Grek-665½ betrachtete die Situation nüchtern. Es gab auf Chemtenz keine funktionsfähige Infrastruktur mehr, der Raumhafen lag ebenso in Schutt und Asche wie die Hauptstadt und vermutlich alle anderen Siedlungen. Einige Raumer waren von den Angreifern noch am Boden zerstört worden, und was aus den Schiffen geworden war, denen der Start rechtzeitig gelungen war, blieb dahingestellt. Auf jeden Fall bedeutete es vergebliche Mühe, in den brennenden Ruinen nach einem noch funktionsfähigen Hyperfunkgerät zu suchen. Verwundeten konnte er ohnehin nicht helfen, dazu fehlten ihm die nötigen Kenntnisse.

Der Maahk entschloss sich, nicht auf dem zerstörten Planeten zu landen. Das belastete seine Energievorräte, die keineswegs unbegrenzt waren; ganz zu schweigen davon, dass ihm der Aufenthalt in der lebensfeindlichen Sauerstoffatmosphäre ohnehin keine Vorteile einbrachte. Ob er im Vakuum des Weltraums erstickte oder in der Giftgasatmosphäre von Chemtenz, machte keinen Unterschied.

Grek überprüfte den Wasserstoffvorrat, der ihm vorerst das Überleben sicherte. Die Anzeige stand bei ›Halb‹. Das bedeutete, dass ihm gut drei Standardtage der Terraner blieben. Danach war sein Tod besiegelt.

Die Logik sagte dem Maahk, dass er nicht auf Rettung hoffen durfte. Welche Flotte stand bereit, um ausgerechnet auf Chemtenz Hilfe zu leisten? Möglicherweise waren auch andere Welten angegriffen worden. Und falls sich doch einzelne Schiffe ins Kraltmock-System wagten, würden bis dahin Tage vergehen.

Grek-665½ fühlte sich elend. Das war etwas, was er bislang nicht kannte, als hätte ein Virus sein physisches Befinden attackiert.

Er bedauerte den Tod vieler unschuldiger Opfer.

Und er begann, die Angreifer zu hassen.

Beides entsprang nicht der Logik. Es machte die Toten nicht wieder lebendig, wenn er Trauer empfand und sich vorzustellen versuchte, wie sie ums Leben gekommen waren. Vor allem wurde sein Blick auf das Wesentliche getrübt, wenn er seine Kraft mit Hass auf die Invasoren vergeudete.

Es war nur logisch, wenn er sich schnellstmöglich in einen Orbit um Chemtenz begab. So weit entfernt, dass ihn die Anziehungskraft nicht mehr dazu zwang, Energie mit Positionskorrekturen zu vergeuden. Andererseits aber immer noch nah genug, um nicht abzutreiben.

Der LemSim wollte ihm einreden, dass er um sein Leben kämpfen musste. Selbst auf die Gefahr hin, dass er damit seinen Luftvorrat schneller verbrauchte. Dieses verwirrende Wühlen in seinem Inneren wurde stärker. Grek-665½ ahnte, dass er über kurz oder lang dem unheilvollen Einfluss nachgeben würde. Nie zuvor hatte er einen ähnlichen Zwiespalt erlebt. Er nahm die Gefühle eines Lemurer-Abkömmlings wahr, konnte sie aber nur schwer einordnen. Sie würden ihn in den Tod treiben, oder in den Wahnsinn. Jedenfalls hatte er keine Möglichkeit, den implantierten LemurEmotio-Simulator zu entfernen. Andererseits hätte er das auch nicht mehr getan. Diesen Selbstversuch musste er bis zum Ende durchstehen.

Grek-665½ hatte mit seinem Experiment nachvollziehen wollen, wie Menschen dachten und was sie wirklich wahrnahmen. Es hatte ihm fern gelegen, wie ein Mensch zu sterben. Wenn du den Tod nahen siehst, nimm ihn an oder kämpfe, das war die Ethik eines Maahks. Doch die menschlichen Empfindungen wollten ihm einreden, nicht nur eine Chance wahrzunehmen, sondern schlicht und einfach ums Überleben zu kämpfen, ohne vernünftige Aussicht, dass dieser Kampf von Erfolg gekrönt sein konnte.

Grek-665½ ignorierte sein Unbehagen. Mit einem knappen Befehl aktivierte er den Rückentornister und ließ sich von der Schubkraft des Triebwerks weiter hinauf tragen. Tief unter ihm schrumpften die Zerstörungen zur Bedeutungslosigkeit. Chemtenz war eine Wasserwelt mit lediglich drei größeren Landmassen. Der Kontinent Chem mit dem Raumhafen, der Hauptstadt New Dillingen und der terranischen Botschaft lag als Einziger auf der Nordhalbkugel des Planeten.

Dann wartete der Maahk – auf ein Raumschiff, dessen Besatzung ihn retten würde, oder auf den Tod.

Irgendwann streiften seine Gedanken das Gelege, in dem er aufgewachsen war, und sie befassten sich auch jetzt noch ständig mit den Menschen. Vielleicht, dachte Grek-665½, wäre in der Geschichte unserer Völker vieles anders verlaufen, würden sie nicht giftigen Sauerstoff, sondern wie wir Wasserstoff atmen.

Er verspürte Bedauern, dass bald alles zu Ende sein würde. Aber dieses Gefühl war eine typisch menschliche Regung. Grek-665½ mochte es nicht. Trotzdem musste er es ertragen, weil er den LemSim nicht abschalten konnte.

Schwärze. Allgegenwärtig, undurchdringlich, zäh und klebrig. In ihr fühlte er sich wohl. Er schwebte in diesem Medium.

Er war zeitlos ...

Aber er bewegte sich. Und er vernahm Geräusche.

Anfangs ängstigten sie ihn, doch sie wurden schnell vertraut. Da war ein fernes, dumpfes Dröhnen, aber auch eins in ihm, wenn auch leiser und rhythmischer. Mit diesen Lauten kamen die Schatten; die Schwärze wich einem trüben Schleier, in dem sich zuckende Schemen bewegten.

Irgendwann wurden seine Bewegungen kräftiger, und er berührte dieses diffuse Etwas. Er spürte nachgebenden Widerstand. Sobald er sich dagegenstemmte, geriet das zähe Medium in gurgelnde Unruhe. Dann veränderten sich die Schemen, als wollten sie ihr wahres Aussehen verbergen. Er begann zu verstehen, dass sie sich jenseits der Schale bewegten, in einem Kosmos, den er noch nicht verstand. Zugleich wusste er, dass jene Welt auf ihn wartete. Sie war seine Bestimmung, und ganz gleich, was ihn dort erwartete, er konnte ihr nicht entgehen.

Seine Bewegungen wurden hastiger, er streckte sich und drückte gegen den trüben Widerstand, der langsam nachgab. Längst empfand er sein Universum als Behinderung; es engte ihn ein und hinderte ihn daran, weiter zu wachsen.

Die Geräusche von draußen wurden stärker und deutlicher, immer neue Lautfolgen erkannte er – und versuchte, sie nachzubilden. Wenngleich sein Gurgeln wenig mit dem gemeinsam hatte, was er nachzuahmen versuchte.

Seine Unruhe wuchs, wurde unerträglich. Endlich wich der Widerstand, und er spürte die Kälte des Unbekannten. Er krümmte sich, streckte die Gliedmaßen, stieß sich ab; ein weiteres Stück der eng gewordenen Höhle brach aus, und dann spülte ihn der letzte Rest der Flüssigkeit aus dem Gefängnis. Kälte raubte ihm den Atem, er schrie, bis er sich hustend und stockend übergab und ein Schatten die nutzlos gewordene Höhle entfernte.

Da waren noch weitere bleiche Gebilde. In allen bewegten sich dunkle Schemen, als wollten sie ebenfalls den Widerstand durchbrechen.

Etwas Riesiges, Dunkles, Furchteinflößendes senkte sich über ihn herab, und mit dumpfem Grollen öffnete sich ein Spalt darin und gab zwei lange Reihen spitzer Zähne frei. Zugleich fühlte er sich hochgehoben.

Er schrie ... schrie, bis sich alle zähe Nässe aus seinen Atemwegen löste und die eisige Kälte tief in ihn eindrang ...

Grek-665½ reagierte verwirrt. Obwohl er hastig den Wasserstoff durch die Lungenschläuche pumpte, hatte er das beklemmende Gefühl, ersticken zu müssen. Der Vorrat an Atemluft ging schneller als erwartet zu Ende.

Wasserstoffmangel führte zu Halluzinationen. Hatte er eben seine Geburt nacherlebt, an die sich kein Maahk wirklich erinnern konnte? Er musste vorübergehend ohne Besinnung gewesen sein, vielleicht ausgelöst durch das langsame Absterben von Gehirnzellen. Aber warum war er aus der Bewusstlosigkeit aufgewacht, und woher kam die Kälte?

Die Helmscheibe hatte unter der direkten Sonneneinstrahlung eine milchige Konsistenz angenommen, um eine Blendung zu verhindern. Grek-665½ blinzelte in die trübe Helligkeit. Hoch über ihm drehte der Planet Chemtenz als schmale Sichel seine Bahn. Das Streulicht in der Atmosphäre und unvermindert tobende Brände ließen die Nachtseite nicht völlig in Schwärze versinken.

Langsam fraß sich ein grelles Flackern in Greks Bewusstsein vor.

Druckverlust!

Er registrierte das fauchende Geräusch, mit dem der Wasserstoff ausströmte. Sein Anzug hatte ein Leck.

Panik hinderte ihn sekundenlang daran, dagegen vorzugehen. Erst als er erkannte, dass der LemSim den beeinträchtigenden Hormonstoß ausgelöst hatte, überwand er seine Verwirrung.

Das Leck befand sich an seinem rechten Handrücken. Mit einem kurzen Korrekturschub drehte er sich mit dem Rücken zur Sonne, woraufhin sich der Blendschutz des Helms zurückbildete. Das Loch war für den Reparaturmechanismus zu groß. Ein Mikrometeorit musste ihn gestreift haben, ein wenige Millimeter durchmessendes Staubkorn, das anschließend innerhalb eines Sekundenbruchteils in der Atmosphäre des Planeten verglüht war. Es hatte den Anzug nur angekratzt, aber der Schaden war beträchtlich. Einen glatten Durchschlag hätte der Reparaturmechanismus besser verkraftet.

Wahrscheinlich strömte der kostbare Wasserstoff schon minutenlang aus. Fast einen Finger breit klafften die Ränder des Lecks auseinander. Grek-665½ spürte, dass ihm erneut die Sinne zu schwinden begannen. Er war müde und wollte nur noch schlafen. Es kostete ihn einige Anstrengung, mit der Linken die Ränder des Lecks zusammenzudrücken. Dann konnte er sehen, wie das Gewebe Blasen werfend aufwallte und eine neue Verbindung schuf. Mikroskopische Siliziumfasern erzeugten ein stabiles Gerüst, jener Grundstoff, der auch Haut und Skelett eines Maahks entscheidend prägte.

Er durfte weiterleben. Für kurze Zeit wenigstens. Ein Blick auf die Anzeige des Luftvorrats zeigte ihm, dass ihm nicht mehr als drei Standardstunden blieben. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte das Leck nicht abgedichtet.

Grek-665½ fürchtete den Tod nicht. Ich habe ihn bislang nicht gefürchtet, fügte er in Gedanken hinzu. Da war ein dumpfes, fast unmerkliches Pochen am Übergang vom Kopf zum Körper. Er spürte es nur, wenn er sich darauf konzentrierte. Das war genau die Stelle, an der ihm der LemSim implantiert worden war.

Der Simulator begann, sein Leben durcheinander zu bringen. Vieles von dem, was bislang unumstößlich gewesen war, schien plötzlich in Frage gestellt. Grek scheute den Tod. Weil er nicht wusste, was danach kaum. Die Logik sagte ihm, dass der Tod endgültig sein musste, dass das Leben nur in einem perfekten Zusammenspiel vielfältigster Botenstoffe bestand, die von einer funktionierenden Energieversorgung abhingen.

Menschliches Empfinden sah diese Zusammenhänge anders, war wie ein schleichendes Gift, das Zweifel weckte.

Grek-665½ hatte sich auf das bislang einmalige Experiment mit dem Simulator eingelassen, weil es ihm wichtig erschienen war, eines Tages die Denkstrukturen der Giftgas atmenden Lemurer-Abkömmlinge nachvollziehen zu können. Er hatte nicht in Erwägung gezogen, dass die Stärke ihrer Empfindungen nachteilig sein würde. Sonst hätte er auf einer Möglichkeit bestanden, den LemSim jederzeit abschalten zu können.

Die Furcht, die er ansatzweise empfand, war ihm fremd. Sie verwirrte ihn. Aber gerade das konnte nicht der biologische Grund ihrer Existenz sein. Menschen empfanden in Todessituationen Furcht, weit intensiver, als er in diesem Augenblick, doch sie reagierten dann nur selten verwirrt. Grek-665½ knirschte mit den Zähnen. Dein Einfluss ist begrenzt, LemSim, dachte er rein sachlich. In längstens drei terranischen Standardstunden wirst du mein Denken nicht mehr beeinträchtigen.

Das Experiment war kein Fehlschlag. Aber es war auch noch nicht geglückt. Ihm hatte einfach viel zu wenig Zeit zur Verfügung gestanden, um wirklich verwertbare Ergebnisse erzielen zu können. Nach wenigen Wochen verstand Grek-665½ die Terraner nicht besser als zuvor, erschienen sie ihm immer noch fremd, wenngleich er schlaglichtartig zu spüren glaubte, was sie bewegte. Wahrscheinlich hätte er für ein wirklich repräsentatives Urteil jahrelang unter ihnen leben müssen – Jahre, die ihm nicht mehr vergönnt waren.

Nur noch wenige Stunden ...

Grek-665½ überprüfte den abgehenden Notruf. Der Syntron wiederholte das Peilsignal in einer Endlosschleife. Aber die Signale waren nur lichtschnell, sie würden das Kraltmock-System erst verlassen, wenn er das letzte Wasserstoffatom längst eingeatmet hatte.

Grek-665½ spürte die Einsamkeit. Zum ersten Mal in seinem Leben.

Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband)

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