Читать книгу Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband) - Uwe Anton - Страница 13
ОглавлениеKapitel 8
Nachbarschaftshilfe
Cyrdan, 17. März 1312 NGZ
Perry Rhodan wusste nicht, ob er schlief und träumte oder noch wach lag und lediglich Gedanken wälzte.
Einer jener Augenblicke, die man immer wieder durchlebt, jene seltsame Erfahrung früh am Morgen, wenn man noch nicht ganz wach ist, aber auch nicht mehr schläft ...
Wobei er nicht einmal sagen konnte, ob es Morgen, Mittag oder Abend war. Sein Zellaktivator arbeitete noch immer nach Kräften daran, auch die letzten Nachwirkungen seiner Verletzungen zu beseitigen, und er stand noch immer unter Medikamenten, die den Schmerz tief in seinen Zellen dämpften, sein Zeitgefühl aber völlig durcheinander brachten.
Kiriaade, dachte er.
Aber nein, er musste träumen. Plötzlich lag er nicht mehr in diesem Bett, das unablässig, Sekunde für Sekunde für Sekunde, seinen Körper massierte und behandelte. Er schwebte durch einen langen, dunklen Gang, an dessen Ende ein grelles Licht leuchtete. Antigrav- und Fesselfelder hielten seinen geschwächten Körper aufrecht. Viel schneller, als ihm recht war, erreichte er das Ende des Ganges.
Er schluckte schwer.
Fünf Särge standen dort.
Er fragte sich, wie oft er das schon getan hatte. Aber eigentlich spielte das keine Rolle. Beim ersten Mal war es genauso schrecklich gewesen wie beim tausendsten Mal.
Fünf Särge.
Rhodan stand nun direkt vor ihnen und blickte in den großen Raum. Er sah 70, 80 Gesichter, aber sie blieben verschwommen, einzelne Bestandteile einer Masse, die gar nicht aus der Anonymität heraustreten wollten, weil sie genauso betroffen oder auch peinlich berührt waren wie er selbst.
Wie oft hatte er das schon tun müssen? Es schmerzte ihn jedes Mal in der Seele.
Er hörte seine Stimme, doch sie klang so fremd, dass er sie kaum erkannte.
»Wir haben uns hier versammelt, um von fünf Kameraden Abschied zu nehmen ...«
Es war so still im Raum, dass Rhodan auf die berühmte Stecknadel wartete, die aber niemals fallen würde.
»Iser Achachi. Asy Nort. Strar Olacca. Jaczo Skilater. Adaser Usat. Fünf Kameraden, fünf Freunde, sind von uns gegangen. Doch ihr Tod war nicht umsonst. Der Weg ins Niemandsland ist weit und voller Gefahren, doch wir sind entschlossen, ihn zu begehen – zu begehen zum Ruhm der Menschheit und zum Schutz der Ungeborenen. Das Opfer dieser Mannschaftskameraden ermöglicht es uns erst, diesen Weg zu begehen.«
Nein, er musste träumen. So ähnliche Worte hatte er schon einmal gesprochen, aber vor zweieinhalbtausend Jahren. Damals, als er zum ersten Mal nach Andromeda vorgestoßen war, um die Diktatur der Meister der Insel zu brechen. Bei der Trauerrede am heutigen – oder gestrigen? – Tag hatte er sich ganz anders ausgedrückt.
Damals hatte er einen Krieg geführt. Vielleicht zum Schutz der Ungeborenen. Aber niemals zum Ruhm der Menschheit.
Und heute ...?
Er hatte sich verändert. Wie die stets interessanten Zeiten, in denen er lebte. Er war nicht mehr der, der er damals gewesen war.
Unter den fünf Särgen zündeten grelle Feuer. Die Kästen waren in Wirklichkeit Sonden, die ihre leblose, schon längst erkaltete Fracht in die Sonne des Planeten Cyrdan befördern würden. Aber auch das heiße Gestirn würde die fünf Toten nicht mehr wärmen, nur noch verbrennen können. Sie waren tot, und nichts auf der Welt würde sie zurückholen können.
Kiriaade ...
Ja, er schlief und träumte. Doch wie konnte er in einem Traum, im Schlaf, versuchen, willentlich in sich hineinzuhorchen? Zumindest, so gut ihm das als Nicht-Mutant möglich war?
Er wartete auf ein Zeichen. Auf eine neue Äußerung. Auf weitere Informationen, die ihm helfen würden, endlich zu verstehen, was sich hier in Andromeda abspielte.
Kiriaade, melde dich!
Doch sie ignorierte sein Drängen und Flehen, und erneut fragte er sich, ob er sich jene Erscheinung in seiner Kabine an Bord der LEIF ERIKSSON nicht nur eingebildet hatte.
Nein.
Nein.
Es gab noch andere Möglichkeiten. Konnte es sein, dass die engelsgleiche Frau mit den Kohlenaugen der von ihr selbst prognostizierten Gefahr zum Opfer gefallen war?
Hatte Kiriaade Angst vor jenen Schlachtschiffen, die die Tefroder Kastun, Schädling, nannten? War sie am Ende – Rhodan mochte den Gedanken kaum zu Ende denken – vielleicht sogar schon tot?
Diese Möglichkeit löste eine Regung in ihm aus, die er lange, sehr lange, nicht mehr empfunden hatte.
Das kann nicht sein, dachte Rhodan im Schlaf oder Wachsein, im Traum oder Grübeln. Sie war nur eine Vision. Das kann nicht sein.
Kiriaade ...!
Und wenn sie wirklich schon tot war, genau wie Iser Achachi und Adaser Usat und die anderen ... Wenn es wirklich so wäre ... was dann?
Im Schlaf oder im Traum versuchte Rhodan, sich von Kiriaade abzulenken. Er dachte angestrengt an die Scham, die er empfand. Und daran, dass er zwar fast 3000 Jahre alt, aber noch immer ein Mensch war. Ein Mensch mit allen Unzulänglichkeiten, die diese Spezies vielleicht nicht nur quälte, sondern auch auszeichnete.
Iser Achachi. Asy Nort. Strar Olacca. Jaczo Skilater. Adaser Usat.
Er hatte keinen Einzigen von ihnen persönlich gekannt.
Ja, er trauerte um sie. Er bedauerte ihren Tod, er wusste, dass sie Menschen zurücklassen würden, Familienangehörige, Freunde, die an ihrem Ableben vielleicht verzweifelten.
Jeder Tod war sinnlos.
Aber gleichzeitig war er erleichtert, dass diejenigen, die er persönlich kannte, überlebt hatten.
Tess. Benjameen. Coa. Sogar Norman.
Ja, er schämte sich. Er schämte sich, dass ein kleiner Klonelefant, der seinen Weg seit Jahren begleitete, ihm gefühlsmäßig näher stand als ein Mensch, den er nicht gekannt hatte und der nicht in Erfüllung seiner Pflicht, sondern auf einer Mission, die er freiwillig angetreten hatte, gestorben war.
Kiriaade, dachte er. Melde dich! Damit der Tod von Iser Achachi, Asy Nort, Strar Olacca, Jaczo Skilater und Adaser Usat nicht umsonst war. Damit all das, was wir erlebt haben, irgendeinen Sinn bekommt.
Aber Kiriaade schwieg.
Andromeda mochte untergehen, aber Kiriaade schwieg.
Du hast mich um Hilfe gebeten, dachte Rhodan. Warum gibst du mir nun nicht die Informationen, die ich benötige, um dir wirklich helfen zu können?
Irgendwie erinnerte ihr Verhalten ihn an das exzentrische Gehabe gewisser Superintelligenzen, denen er im Verlauf seines langen Lebens begegnet war. Als müssten höhere Wesenheiten allein durch ihr Benehmen ausdrücken, dass sie viel höher standen als bloße Normalsterbliche.
Aber trotzdem ...
Kiriaade!
Mit einer Mischung aus Unbehagen und Betroffenheit gestand Rhodan sich ein, dass ihr Schicksal ihn nicht allein aus militärisch-taktischen Gründen berührte.
Andromeda lag, kosmisch gesehen, vor der Haustür der Milchstraße. Die Kraft, die nach Andromeda griff, würde nach der Eroberung Hathorjans, wie die Tefroder die Galaxis nannten, vielleicht die Fühler nach der Heimatgalaxis der Menschheit ausstrecken. Ihre Macht schien unüberwindlich, ihre Technologie der von Terra weit überlegen.
Wehret den Anfängen!, dachte Rhodan.
Aber trotzdem ... Kiriaade sprach ihn nicht nur auf einer kosmopolitischen Ebene an.
Sondern sehr wohl auch auf einer persönlichen.
Kiriaade hatte etwas in ihm ausgelöst.
Rhodan zwang sich dazu, im Schlaf und Traum oder auch im Wachsein und Grübeln, diesen Gedanken weit von sich fern zu halten.
Noch ...
Es war ihm nur auf eine einzige Art und Weise möglich.
Er dachte an das schlichte Raumbegräbnis der fünf Toten. Und irgendwann schlief er wirklich ein, oder er hörte zumindest auf zu träumen.
Cyrdan, 18. März 1312 NGZ
Raye Corona lächelte, Admiral Kethmero schaute ernst drein.
Rhodan war froh, stehen und ihnen in die Augen sehen zu können, ohne auf Antigrav- oder Fesselfelder angewiesen zu sein, die ihn stützten. Seine Heilung machte unglaubliche Fortschritte. Dafür zeichnete natürlich zum Großteil der Zellaktivator verantwortlich, aber die medizinischen Errungenschaften der Tefroder hatten das ihre dazu beigetragen.
»Wir haben gleichermaßen Wort gehalten«, sagte die Medikerin. »Die fünfundsiebzig Besatzungsmitglieder, die den Absturz überlebt haben, sind wieder auf den Beinen. Zwei, drei weitere Tage zur Erholung täten ihnen sicher gut, aber die bekommen sie ja vielleicht an Bord ...«
Rhodan wusste, worauf sie anspielte. Niemand hatte die Frage ausgesprochen, doch sie schwebte über ihnen wie eine dunkle Wolke. Auch er hatte sie sich schon gestellt, während seines unruhigen Dämmerns. Vielmehr hatte sie sich ihm gestellt, ja geradezu aufgedrängt.
Was sollte er nun tun?
Er schaute über den Amro-See hinaus zu dem Gezeitenwall. Wie gern hätte er Athreel, die wunderschöne schwimmende Stadt, näher kennen gelernt, doch wie so oft blieb ihm keine Zeit dafür. Er musste Entscheidungen treffen, versuchen, den Lauf der Dinge zu beeinflussen ...
Er hatte nur ein kleines Schiff mit einer Besatzung von nun noch 75 Leuten. Mit der JOURNEE konnte er dem tefrodischen Imperium, in dem immerhin rund 25.000 Welten locker zusammengeschlossen waren, keine militärische Hilfe leisten. Das war illusorisch, reine Träumerei.
Aber war es sinnvoll, weiterhin nach Kiriaade zu suchen? Wo sollte er anfangen? Wenn sie ihm keine weiteren Hinweise auf ihren Aufenthaltsort gab, war der Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Kiriaade, dachte er, warum meldest du dich nicht? Warum hast du mich nach Andromeda geführt, wenn du dich mir nun nicht offenbarst?
Er wollte einfach nicht glauben, dass sie bei einem Angriff der Kastun-Raumer umgekommen war.
Alles in ihm schrie danach, in Andromeda zu bleiben, Kiriaade zu suchen, ihr zu helfen, notfalls mit bloßen Händen den Kampf gegen die Invasoren aufzunehmen, aber das war reine Schwärmerei. Seine Sorge musste auch den Bewohnern Andromedas gelten, den Tefrodern und den Maahks, mit denen die Terraner schon vor langer Zeit ein Beistandsabkommen geschlossen hatten, auch wenn der Kontakt immer weniger geworden war. Rhodan mochte gar nicht darüber nachdenken, wie viele Tefroder und Maahks starben, während er sich hier auf Cyrdan von seinen schweren Verletzungen erholte.
Nein, realistisch gesehen gab es nur eine Möglichkeit, den Bewohnern von Andromeda wirklich zu helfen. Aber diese Entscheidung würde ihn vielleicht in den Ruch der Feigheit bringen.
Er löste den Blick vom blauen Amro-See und wandte sich Venk Kethmero zu.
»Die JOURNEE ist fast wieder einsatzfähig«, sagte der Admiral. »Meine Leute arbeiten in einer Werft fieberhaft daran, auch die letzten Schäden zu beseitigen. In wenigen Stunden werdet ihr starten können.«
Rhodan lächelte schwach. »Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich mich auf euer Wort verlassen kann. Aber ihr seid nicht hier, um mir die Nachricht von der Reparatur zu überbringen, oder?«
Admiral Kethmero schüttelte ernst den Kopf. »Natürlich nicht. Ich bin hier, um ... mich mit dir zu besprechen. Du bist Perry Rhodan, der Terranische Resident. Ich gestehe neidlos ein, dass meine Erfahrung sich nicht mit der eines relativ unsterblichen Dreitausendjährigen messen kann. Ich möchte dich um Rat bitten.«
Um Rat, dachte Rhodan, und um Hilfe. Um Hilfe, die ich dir nicht geben kann. »Wie ist die Lage?«
Der Tefroder riss sich sichtlich zusammen. »Stunde für Stunde treffen immer beunruhigendere Meldungen ein. Es brennt überall in Hathorjan. Unser Imperium steht mehr oder weniger vor dem Ende ...«
»Schon nach so wenigen Tagen?«, fragte Rhodan.
»Ja. Die Situation ist fast hoffnungslos. Eine für den Wirtschaftskreislauf unverzichtbare Welt nach der anderen fällt unter dem Ansturm der Kastun-Invasionsarmee. Und selbst, wenn sich einmal tausend oder mehr tefrodische Schiffe den Invasionsmächten entgegenstellen, selbst wenn die Vernichtung des einen oder anderen Feindraumers gelingt ... die Schlachtschiffe der Gegenseite leiden keinen Mangel an Entsatz. Für jede zerstörte Einheit tauchen tausend neue auf.«
»Habt ihr herausgefunden, woher die Fremden kommen? Sie müssen doch Stützpunkte haben, Rüstungswelten, gigantische Werftkomplexe ...«
Der Admiral schüttelte den Kopf. »Nichts. Wir suchen überall nach ihnen, haben aber keine einzige Spur gefunden. Sie können überall sein, wir suchen sogar in vorgelagerten Kugelsternhaufen nach ihnen. Vielleicht vermögen sie ihre Stützpunktwelten zu tarnen, vielleicht haben sie einen Brückenkopf außerhalb Hathorjans errichtet ...«
Was erwartest du von mir?, dachte Rhodan. Soll ich als Galionsfigur dienen? Soll ich mich mit einer mitreißenden Rede an die Völker von Andromeda wenden und ihnen versichern, dass sie mit der Freundschaft, Solidarität und Hilfe ihrer Brüder aus der Milchstraße rechnen können? Eine Hilfe, die sich auf die Anwesenheit einer lebenden Legende beschränkt?
Oder soll ich mich in der Flottenleitstelle auf einen Sessel hocken und mit der Admiralität und anderen hohen Würdenträgern darüber diskutieren, wie dieser Bedrohung am besten zu begegnen ist?
Aber er stellte die Fragen nicht. »Ich möchte zur JOURNEE«, sagte er. »Dort werden wir unsere Möglichkeiten überdenken und entscheiden, was wir unternehmen werden.«
Der Hangar der Werft, in dem die JOURNEE instand gesetzt wurde, war riesig. Hier konnten drei Superschlachtschiffe von 1800 Metern Durchmesser gleichzeitig gewartet oder repariert werden. Der Spürkreuzer mit 100 Metern Durchmesser wirkte darin geradezu verloren.
Aber Admiral Kethmero konnte es sich nicht leisten, auch nur ein Schiff in einem Hangar zu belassen. Die Invasoren griffen die Welten des tefrodischen Imperiums schier wahllos an; jede Sekunde konnten sie im Orbit über Cyrdan stehen, auch wenn bei etwa 25.000 möglichen Zielen die Wahrscheinlichkeit dafür nicht besonders hoch war.
Aber das hatten die Bewohner der Welten, die bereits von den Kastun-Raumern überfallen worden waren, bestimmt auch gehofft.
Die Werft befand sich am Elvulryl-Raumhafen, der im Turfin-Tiefland lag, gut fünfzig Kilometer vom Amro-See entfernt, in dessen Mitte Athreel schwamm. Sie hatten eine Transmitterverbindung benutzt, um die geringe Strecke zu überwinden, und nicht etwa einen Gleiter genommen, ein weiteres Indiz dafür, dass es Kethmero auf jede Sekunde ankam.
Rhodan musste schlucken, als er die JOURNEE sah. Gehalten von Traktorstrahlen und Antigravfeldern schwebte sie dicht über dem Boden. Heerscharen von Robotern umschwirrten sie, aber auch Hunderte von Tefrodern.
Die Hülle des Spürkreuzers erweckte an mehreren Stellen den Eindruck, notdürftig geflickt zu sein. An anderen wirkte sie versengt. Rhodan war klar gewesen, dass für einen Schönheitsanstrich keine Zeit blieb, aber mit einem so schlimmen Zustand des Schiffs hatte er nicht gerechnet. Die offene Bucht, aus der das irreparabel beschädigte MERZ-Modul entfernt worden war, kam ihm vor wie eine klaffende Wunde, die ein Raubtier in ein schutzloses Opfer gerissen hatte.
Alle vier Antigravschächte des ersten Decks waren nach unten ausgefahren, die Bodenschleuse war geöffnet. Tefrodische Techniker wie Besatzungsmitglieder der JOURNEE machten ihnen Platz; es herrschte ein unentwegtes Kommen und Gehen, schweres Gerät wurde durch die Schleuse, leichtes mit Hilfe der Antigravschächte an Bord gebracht.
Rhodan trat in den Schacht, und der Admiral und die Ärztin folgten ihm. Der polarisierte Strahl trug sie, plötzlich schwerelos geworden, nach oben, vorbei an den einzelnen Decks.
Der Resident fragte sich, wieso Raye Corona sie hierher begleitet hatte, ließ den Gedanken dann fallen und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Zustand des Schiffes.
Deck 1 ... Kleinhangar für bodengebundene Fahrzeuge und Roboter. Etwa die Hälfte der Fahrzeuge schien zerstört oder so schwer beschädigt worden zu sein, dass man sie aus dem Schiff geschafft hatte.
Deck 2 ... Ausrüstung Bodenschleuse. Auch hier noch deutlich erkennbare Schäden, die jedoch größtenteils beseitigt worden waren.
Deck 3, 4 und 5 ... die NUG-Schwarzschild-Reaktoren und der Notauswurf für die NUGAS-Kugeln. Zumindest ein Reaktor schien gegen ein vergleichbares tefrodisches Aggregat ausgetauscht worden zu sein. Die Reparaturwerkstatt auf Deck 5 war völlig überlastet, das Energietransfersystem für das Modul auf Deck 6 nur noch Schlacke.
Deck 6 und 7 ... die NUG-Protonenstrahl-Triebwerke und der Gravitrafspeicher schienen unbeschädigt oder zumindest vollständig instand gesetzt zu sein.
Deck 8 und 9 ... das Lager im Zentralbereich wies noch schwere Beschädigungen auf, die Modul-Kopplungsvorrichtung auf Deck 8 war nicht mehr funktionsfähig, wurde aber auch nicht mehr benötigt. Sowohl die Haupt- und Neben-Metagrav-Triebwerke als auch die Grigoroff-Projektoren waren dank ihrer besonderen Abschirmung unbeschädigt, an den Gravotrak-Startschienen des Rollo-Hangars auf Deck 9 wurde noch gearbeitet.
Deck 10 ... der Rollohaupthangar war nur leicht beschädigt, einer der beiden Rotationshangars wurde gerade einem Testlauf unterzogen.
Deck 11 und 12 ... in den beiden Schwalbennest-Haupthangar-Leitständen beseitigten Techniker die letzten Spuren des Angriffs, während die Notfall-Leitstände auf Deck 12 unbeschädigt zu sein schienen.
Deck 13 ... Rhodan verließ den Antigravschacht und schritt mit merklicher Beklemmung durch den inneren Ringgang zum nächstgelegenen Zentraleschott. Als es sich automatisch vor ihm öffnete, hätte er am liebsten die Augen geschlossen.
Aber er tat es natürlich doch nicht.
Und wurde angenehm überrascht.
Die Zentrale wies kaum noch Spuren des Angriffs auf. Die sieben hufeisenförmigen Missionsstationen waren ausgetauscht oder vollständig repariert worden, Techniker nahmen gerade einen Probelauf des Hologlobus vor. Lediglich geöffnete Wandverkleidungen wiesen darauf hin, dass auch hier noch hektisch gearbeitet wurde. Energieleitungen mussten ersetzt oder ausgebessert, Dämpfer und Kupplungen ausgetauscht werden.
Erleichtert stellte Rhodan fest, dass die gesamte erste Schicht der Zentralebesatzung anwesend war. Benjameen da Jacinta unterstützte, einen Arm in einer Schlinge aus Formenergie, Tess Qumisha und den Bordhyperphysiker Bi Natham Sariocc, bei Justierungen ihrer Konsole. Cita Aringa arbeitete an der Verbindung ihrer Konsole mit den Hyperfunkgeräten, Vorua Zaruk simulierte in Probedurchläufen das Hochfahren des Paratronschirms und der Bordwaffen, Bruno Thomkin arbeitete mit einigen Tefrodern am Hologlobus, der sich gerade stabilisierte, dann aber wieder zusammenbrach, und über dem Pilotensitz senkte sich gerade die SERT-Haube über Zim Novembers Kopf.
Und Kommandantin Coa Sebastian stand hinter ihrer Konsole und organisierte das Durcheinander mit kurzen Anweisungen und knappen Gesten.
Einen Moment lang schien jegliche Aktivität in der Zentrale zu erstarren, und Rhodan hatte den Eindruck, dass sich sämtliche Köpfe in seine Richtung drehten. »Ich freue mich, euch alle wohlauf zu sehen«, sagte er, bevor die Stille peinlich werden konnte. Dann ging er zu seiner Station.
Sie war voll instandgesetzt. »Und ich danke euch für die gute Arbeit, die ihr geleistet habt.«
»Der Hyperfunksender ist wieder funktionsfähig«, meldete Cita Aringa in diesem Augenblick.
Rhodan winkte Admiral Kethmero und Raye Corona zu seiner Konsole, die zögernd am Zentraleschott gewartet hatten. »Coa, liegt ein aktueller Lagebericht vor?«
»Ja, von mir persönlich verfasst.«
»Dir ist natürlich bekannt, dass es Relaisstrecken gibt«, wandte Rhodan sich an den Admiral, »die selbst über die riesige Entfernung zwischen Andromeda und der Milchstraße den Austausch von Nachrichten ermöglichen?«
»Ja, wenn auch nicht in Echtzeit, sondern nur in Nachrichtenblöcken.«
»Trotzdem, wir werden es versuchen. Cita, sende den Lagebericht nach Terra.«
»Wird gemacht, Resident.« Ihre Stimme klang viel munterer und enthusiastischer, als Rhodan es vermutet hätte.
Er ließ den Blick durch die Zentrale gleiten. Überhaupt schienen seine Leute guter Dinge zu sein. Sie arbeiteten konzentriert, aber nicht verbissen, lachten und scherzten dann und wann auch. Die Trauer um die fünf Gefallenen hielt an, aber im Allgemeinen schien eher eine Aufbruch- denn eine Weltuntergangsstimmung vorzuherrschen.
»Perry?«, riss Cita ihn aus seinen Gedanken.
Der Terraner blickte auf.
»Die Verbindung ist bereits nach kurzer Zeit unterbrochen worden. Die Nachricht ist nur bis zum Rand von Andromeda gekommen.«
Er nickte. Etwas anderes hatte er nicht erwartet. Dennoch hatte er es versuchen müssen. »Versuche, Verbindung mit der terranischen Botschaft auf Chemtenz aufzunehmen.«
Chemtenz war der dritte von zehn Planeten der gelben Normalsonne Kraltmock am äußersten, der Milchstraße zugewandten Rand des Andromedanebels, eine erdähnliche, von subtropischer Vegetation geprägte Welt. Sie beherbergte in ihrer Hauptstadt New Dillingen die außenpolitische und militärische Vertretung vormals des Solaren Imperiums und nun der Liga Freier Terraner in der Andromeda-Galaxis.
Rhodan wandte sich wieder an den Admiral und die Medikerin. »Meine Befürchtung hat sich bestätigt. Eine der ersten Maßnahmen der Invasionsarmee dürfte darin bestanden haben, jeglichen Funkverkehr mit der Nachbargalaxis zu unterbinden. Das verringert die Gefahr einer Nachbarschaftshilfe.«
»Wobei man insgesamt jedoch zweifeln darf, ob eine über zwei Millionen Lichtjahre entfernte Galaxis noch Nachbarschaft darstellt«, wandte Kethmero trocken ein.
»Was können wir also tun?«, sagte der Resident. »Andromeda und die Milchstraße sind Nachbarn, jedenfalls in dem kosmischen Maßstab, den ich in den letzten Jahrtausenden wohl oder übel als gegeben akzeptieren musste.«
»Die Machtmittel, die die Invasoren an den Tag legen, lassen darauf schließen, dass sie die Strecke zwischen unseren Sterneninseln problemlos überwinden können«, bestätigte der Admiral. »So gesehen befindet sich die Milchstraße also durchaus vor der Haustür Hathorjans.«
»Also sitzen trotz aller Isolation im täglichen Leben Andromeda und die Milchstraße in ein und demselben Boot ... sofern eine gegnerische Macht von hinreichender Potenz auf den Plan tritt, was hier zweifellos der Fall ist. Die Gefahr, die euch bedroht, wird sich wahrscheinlich uns zuwenden, sobald sie euch unterworfen hat. Das allein wäre schon Grund genug zur Zusammenarbeit ...« Obwohl da natürlich noch viel mehr ist, fügte er in Gedanken hinzu.
»Was hast du also vor, Resident?«
»Ich werde mit der wiederhergestellten JOURNEE starten und die Nachricht von der Invasion Andromedas persönlich mit dem Spürkreuzer in die Milchstraße bringen.«
»Auch mit Chemtenz ist keine Verbindung zu bekommen!«, meldete die Orterin.
»Danke«, sagte Rhodan. Seine Miene verdunkelte sich. Damit hatte er nicht unbedingt gerechnet. Was war auf Chemtenz geschehen? War auch diese Welt schon Opfer der Kastun-Schlachtschiffe geworden?
»Aber die Milchstraße hat doch genug eigene Probleme«, sagte Admiral Kethmero.
»Das ist zweifellos wahr. Doch obwohl Terra und Arkon selbst am Sternenfenster unter höchstem Druck stehen, werde ich versuchen, mich der Angelegenheit Andromeda anzunehmen. Ich werde zumindest für kurze Zeit mit einer Flotte terranischer Schiffe zurückkehren, mich militärisch den Fremden entgegenstellen und den Völkern von Andromeda beistehen.«
Der Tefroder ließ sich nicht das Geringste anmerken. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er schließlich nickte. »Genau das habe ich von dir erwartet, Resident. Alle anderen Entscheidungen wären unsinnig. Allein kannst du hier nichts ausrichten. Und ich muss nicht eigens betonen, dass die Tefroder den Terranern für ihre Hilfe dankbar sind ... falls es noch nicht zu spät ist, wenn diese Hilfe eintrifft.«
Rhodan nickte ernst. »Vielleicht können wir mit der Milchstraße Funkkontakt aufnehmen, sobald wir Andromeda verlassen haben. Das würde die reine Flugzeit um die Hälfte verkürzen. In zehn Tagen könnte Hilfe hier sein.« Falls es der terranischen Flotte überhaupt gelingt, die Barriere um Andromeda zu durchbrechen.
»In zehn Tagen kann viel passieren«, meinte Kethmero.
»Ich weiß.« Rhodan legte dem Admiral eine Hand auf die Schulter. »Aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Wir starten morgen früh, sobald die Arbeiten an der JOURNEE abgeschlossen sind. Haltet durch, Kethmero.«
»Wir werden es versuchen. So ernst die Lage auch ist, ich würde dich und deine Besatzung trotzdem gern zu einem kleinen Bankett heute Abend einladen. Im Raumhafen-Kasino, ein zwangloses Beisammensein zum Informationsaustausch.«
Rhodan ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken. »Wir kommen gern.«
Der Admiral nickte, drehte sich um und verließ die Zentrale.
Raye war in der JOURNEE gewesen!
Zim November konnte es nicht fassen. Sie hatte Admiral Kethmero in den Spürkreuzer begleitet, und er hatte unter der SERT-Haube gesessen und sie zuerst nicht bemerkt und dann nicht reagieren können, weil der Probedurchlauf der Simultanen Emotio- und Reflex-Transmission in die entscheidende Phase getreten war.
Dank der SERT-Haube entfiel bei der herkömmlichen Reiz-Reaktions-Ablauffolge – Wahrnehmung, Interpretation der Wahrnehmung, gedankliche Reaktion, körperliche Reaktion, Aktion einer Maschine – die zeitraubende motorische Umsetzung eines Gedankens in eine Tat. Der Emotionaut sah, dachte und handelte im gleichen Augenblick über die SERT-gesteuerte Apparatur, doch das funktionierte nur, wenn die Abstimmung mit den Schiffssystemen nahezu perfekt war, und an dieser Justierung hatten sie gearbeitet.
Und dann hatte Raye die Zentrale der JOURNEE verlassen, während der Admiral sich noch mit Perry unterhalten hatte.
Warum?
Zim wagte den Gedanken kaum zu denken.
Hatte sie ihn etwa gesucht? Wollte sie ihn sprechen?
Unsinn!, redete er sich ein. Sie musste ihn doch in der Zentrale gesehen haben.
Aber vielleicht wusste sie nicht, dass er Emotionaut war, und hatte ihn unter der Haube nicht erkannt ...
Und nun würde die JOURNEE in die Milchstraße zurückkehren, und er würde sie nie wieder sehen.
Dazu war er nicht bereit.
Zim spielte keine Sekunde lang mit dem Gedanken, einfach in Andromeda zu bleiben, bei Raye. Er hatte noch nichts über sie herausfinden können, wusste nur, dass er sie liebte, aber das hieß nicht, dass sie seine Gefühle auch erwiderte. Außerdem konnte er die JOURNEE nicht allein fliegen lassen. Er war der einzige Emotionaut an Bord, und Rhodan konnte nicht auf ihn verzichten.
Aber er würde sich auf jeden Fall von Raye verabschieden. Der Bordtransmitter war wieder einsatzbereit und befand sich nur ein Deck über der Zentrale ...
Als die tefrodischen Techniker weitere Justierungen vornahmen, bei denen seine Mitwirkung nicht erforderlich war, ging er zum Antigravschacht und ließ sich ein Deck höher tragen. Auch dort nahmen tefrodische Techniker letzte Einstellungen vor. Sie erkundigten sich gar nicht nach seiner Nutzungsberechtigung – die er als Erster Pilot natürlich vorweisen konnte –, sondern fragten ihn nach seinem Ziel.
»Äh ... ins Krankenhaus«, sagte er.
»In welches Krankenhaus?«
»In das, in dem Raye Corona arbeitet.«
»Raye Corona? Wer soll das sein?«
»In das Krankenhaus in Athreel, in dem der Resident und ich behandelt wurden. Dort gibt es einen Transmitter. Wir haben ihn benutzt, um möglichst schnell an Bord zu kommen.«
»Warum sagst du das nicht gleich?«, versetzte der Techniker kopfschüttelnd, gab das Ziel ein und machte sich wieder an die Arbeit.
Zim trat in das Entmaterialisierungsfeld und tauchte im gleichen Augenblick in der Gegenstation wieder auf.
Weil ich nicht mehr klar denken kann, warf er sich vor. Weil ich völlig durcheinander bin. Fast schon liebeskrank. Ich weiß nicht einmal, ob Raye hier ständig arbeitet oder dem Krankenhaus nur zugeteilt wurde, weil plötzlich so viele Patienten eingeliefert wurden.
Und was, wenn sie tatsächlich hier arbeitet, aber gerade Freischicht hat? Wie soll ich herausfinden, wo sie wohnt?
Er würde es herausfinden. Irgendwie.
Der Pilot erkannte die Gegenstation sofort wieder. Und fand mühelos auch den Weg in die Station, in der er behandelt worden war, sie zum ersten Mal gesehen hatte. Niemand hielt ihn auf, niemand sprach ihn an, was er hier wollte. Ungestört konnte er sich überlegen, was er zu ihr sagen würde.
Ihm fielen nur Plattitüden ein.
Ich liebe dich? Lächerlich. Sie würde ihn auslachen. Er kannte sie erst seit ... seit wie viel Tagen? Seit einer Ewigkeit.
Ich will mich verabschieden ...
Auch nicht gut. Sie wusste, dass er morgen zurück in die Milchstraße aufbrechen würde.
Warum warst du an Bord der JOURNEE?
Noch schlechter. Vielleicht würde sie glauben, er kontrollierte sie, schnüffelte ihr hinterher.
Abschied nehmen tut weh, dachte Zim. Aber das traf es nicht einmal annähernd. Es tat nicht weh, es zerriss ihn fast. Er hatte die Frau kennen gelernt, die ihm schon nach zwei Tagen mehr bedeutete als irgendjemand sonst in diesem Universum. Aber er hatte auch als Erster Pilot die Verantwortung für die JOURNEE und ihre Besatzung. Um diese Position hatte er hart gekämpft, und er durfte Perry Rhodan nicht enttäuschen.
Sonst würde er vielleicht die Frau seines Lebens gewinnen, aber den Sinn seines Lebens verlieren. Er war Emotionaut.
Was soll nur aus uns werden?, dachte er. Sie in Andromeda, ich in der Milchstraße ...?
Aber er hatte einen Entschluss gefasst. Er musste ihn nur noch in die Tat umsetzen.
Als Zim vor der Station stehen blieb, wusste er noch immer nicht, was er Raye sagen sollte.
Aber das schien plötzlich völlig unwichtig zu sein. »Raye Corona ist nicht hier«, sagte die Medikerin, bei der er sich nach ihr erkundigte.
»Und wo ist sie?«
Die Tefroderin zuckte mit den Achseln.
Zim fluchte leise.
»Ach, warte«, sagte die Medikerin. »Ich glaube, sie ist in der Ambulanz. Irgendein Notfall.«
Er wusste noch sehr gut, wo die Ambulanz war. Erst vor ein paar Tagen war er dort erwacht und hatte zum ersten Mal Raye gesehen, bevor man ihn dann in die Innere verlegt hatte.
Die Erinnerung an ihre erste Begegnung stieg in ihm empor.
Er seufzte. Es würde noch schlimmer werden, als er befürchtet hatte.
Schon von weitem erkannte er ihre schlanke Gestalt, die wie immer in einem Overall steckte.
Sie ist wunderschön, dachte er.
Sie sah ihn, blieb verblüfft stehen ... und lächelte dann.
Sie lächelt, wenn sie mich sieht, dachte er. Das ist doch schon ein guter Anfang!
»Hallo, Zim. Die JOURNEE ist startklar?«
Sie macht nur Konversation. Sie weiß auch nicht, was sie sagen soll.
Er erwiderte das Lächeln, aber es geriet ihm ziemlich gequält.
»Ja ... genau wie ihre Besatzung. Dank deines unermüdlichen Einsatzes sind fast alle wieder auf dem Posten.« Wie peinlich. Wie gezwungen!
Was sollte er nur sagen? Er hatte nur so wenig Zeit gehabt, war ihr nicht näher gekommen. Und welche Gefühle brachte sie ihm entgegen? Sie war immer so nett und verbindlich, aber zu allen ...
»Man könnte fast meinen, es tut dir Leid, in die Milchstraße zurückzukehren«, sagte sie. »Es ist doch bestimmt sehr aufregend, das Universum zu erforschen.«
»Ja... ja, das ist es auch. Aber ...« Die Worte flogen ihm einfach so zu. »Aber meinst du nicht, dass man auch in seinem eigenen Inneren noch genügend erforschen und finden kann?«
Raye sah ihn an. Ihre braunen Augen schienen bis in dieses Innere zu schauen, von dem er gesprochen hatte. »Das sagt Lasky Baty auch. Seine Musik ist ein Richtungsweiser in die Welt deines Bewusstseins. Du kannst den Weg zu dir selbst besser finden und vieles verstehen, was dir vorher unklar war. Mir gibt Lasky Baty unglaublich viel Kraft.«
Zim nickte. Er verstand das alles zwar nicht, und es interessierte ihn eigentlich auch nicht, aber das Leuchten in ihren Augen, das jedes Mal erstrahlte, wenn sie von diesem Künstler sprach, war einfach nur schön.
So schön wie sie.
»Ich wäre sehr froh, auch diese Kraft spüren zu können. Es fällt mir sehr schwer, Cyrdan zu verlassen ...« Dich zu verlassen, hatte er eigentlich sagen wollen, aber ihm fehlte der Mut.
Raye griff in eine Tasche ihres Overalls und holte einen kleinen Würfel heraus. »Ein Musikholo von Lasky Baty. Ich schenke es dir.«
Ihre Hände griffen nach den seinen und drückten den Würfel hinein. »Meine besten Wünsche begleiten dich, Zim. Wer weiß, vielleicht ... einmal.«
Zim schloss die Finger um den Würfel. Wie zufällig berührte er Raye dabei. Für Sekunden ließ sie ihre Hand in der seinen liegen.
»Ganz bestimmt werden wir uns wieder sehen. Weil es mir sehr wichtig ist ...« Er wollte sie umarmen, doch sie löste sich von ihm und trat einen Schritt zurück.
»Zim, bitte. Lass mir Zeit. Ich sehe für mein Volk dunkle Wolken am Horizont, und man wird jeden Mediker auf Cyrdan noch früh genug benötigen.«
Sie drückte ihm noch einmal die Hand, drehte sich um und stürmte den Gang entlang. Als sie um eine Biegung verschwand, blieb von ihr nur der Duft von Pfirsichen zurück.
Er hob den Holowürfel vor die Augen. »Ich habe mir zu viel Zeit gelassen«, flüsterte er. »Es ist alles so unklar, und das schmerzt. Aber vielleicht kann Lasky Baty mir ja helfen.«
Er verstummte. Ihm wurde klar, dass er lauter gesprochen hatte, als er gedacht hatte. Ein Mediker, der an ihm vorbei ging, warf ihm einen fragenden Blick zu.
Zim zuckte mit den Achseln und steckte den Holowürfel ein.
Selbst wenn das nicht die Musik war, die er bevorzugte, er würde sie sich anhören. Immer, wenn er Zeit dazu hatte. Es war ein Geschenk von Raye, das allein war wichtig.
Ich werde nach Cyrdan zurückkehren, dachte er. Das verspreche ich dir, Raye.
Mit schnellen Schritten kehrte er zum Transmitterraum zurück. Die Zukunft kam ihm plötzlich nicht mehr so düster vor.
Zwei Millionen Lichtjahre waren schließlich keine Distanz, wenn man verliebt war ...
Dass es kein ausgelassener Empfang, geschweige denn eine rauschende Ballnacht werden würde, war Rhodan von Anfang an klar gewesen. Er fragte sich, warum Admiral Venk Kethmero diese Einladung überhaupt ausgesprochen hatte.
Politisches Kalkül, dachte er, als er das Casino am Raumhafen Elvulryl betrat und den Würdenträger neben dem Admiral sah. Die adrette Paradeuniform des kleingewachsenen, untersetzten Tefroders schien mit mehr Orden behangen zu sein, als die gesamte Mannschaft der JOURNEE während ihrer gesamten Laufbahn zusammen erhalten hatte.
So kritisch die Situation im Augenblick auch sein mochte, Kethmero ging bestimmt davon aus, dass das Tefrodische Imperium über diese akute Krise hinaus Bestand haben würde. Im Ränkespiel der militärischen Macht hinter den Kulissen konnte es sich für ihn nur als vorteilhaft erweisen, derjenige gewesen zu sein, der den Kontakt mit dem Terranischen Residenten hergestellt und sich dessen Hilfe vergewissert hatte.
Kethmero lächelte schwach und nickte, als seine Adjutantin Rhodan zu ihm führte. »Resident«, sagte er, »darf ich vorstellen, Virthhostur Lans Dalejoer, einer der Stellvertreter und engsten Berater des Virth von Tefrod. Er ist eigens von Tefrod gekommen, um vor deinem Rückflug in die Milchstraße noch mit dir sprechen zu können.«
Rhodan begrüßte den Tefroder. »Ich dachte«, sagte er dann, »praktisch der gesamte Raumflugverkehr in Hathorjan sei zum Erliegen gekommen.«
Dalejoer schnaubte leise. »Das mag zwar für die Randgebiete und andere entlegenen Regionen zutreffen, aber nicht für den Kern des Virthaniums. Wir lassen uns von diesen barbarischen Invasoren nicht völlig zurückdrängen.«
»Ich muss gestehen, dass ich nur das über den Aufbau des Tefrodischen Imperiums weiß, was in der Milchstraße allgemein bekannt ist«, sagte Rhodan.
»Das Virthanium ist, in bewusster Anlehnung an die Tradition unserer Vorfahren, in genau einhundertelf Tamanien unterteilt, die allerdings im Durchschnitt etwas größer als die unserer verlorenen Heimat sind«, erläuterte der Virthhostur.
»Cyrdan gehört dem zweiundneunzigsten Tamanium an«, warf Admiral Kethmero ein. »Und die fünfzig Schiffe, die unsere Heimatwelt bis zum Letzten verteidigen werden, bilden die sechsunddreißigste Außenrandflotte von insgesamt einhundertelf dieses Tamaniums.«
Rhodan nickte. In der Milchstraße stammten direkt oder indirekt Dutzende Völker von den Lemurern ab, die wiederum zahlreiche Reiche gegründet hatten. In Andromeda war es nicht zu dieser Zersplitterung gekommen. Über Jahrtausende hinweg hatten die Meister der Insel die Tefroder unter strenger Kontrolle gehalten und zu einer Einheit geschmiedet. Dieses Reich war in den zweieinhalb Jahrtausenden nach dem Ende der Diktatoren fast unverändert bestehen geblieben.
Er ließ den Blick durch die Runde schweifen und lauschte den weiteren Ausführungen der beiden Militärs nur noch mit halbem Ohr.
Roboter und tefrodisches Personal reichten Getränke und kleine Imbisse. Die Geräusche leiser Gespräche vereinigten sich zu einem ständigen Hintergrundsummen, das an- und abschwoll, aber nie ganz zum Erliegen kam.
Etwa fünfzig Besatzungsmitglieder der JOURNEE hatten ihn zu dem Empfang begleitet, und etwa genauso viele Tefroder waren geladen worden. Erfreut stellte er fest, dass die Terraner nicht unter sich blieben, sondern Gespräche mit ihren Verwandten aus Andromeda suchten.
Bi Natham Sariocc zum Beispiel diskutierte mit einer tefrodischen Kollegin über die Hyperraum-Barriere. Die beiden hatten sich einen Holoprojektor bringen lassen, mit dessen Hilfe sie Formeln und schematische Darstellungen projizierten. Rhodan merkte auf, als der Hyperphysiker eine antike vergoldete Taschenuhr aus einer Tasche seiner Kombination holte und der Tefroderin zeigte. Solch ein Modell hatte er seit Jahrtausenden nicht mehr gesehen.
An einem abgelegenen Tisch des Kasinos saßen Raye Corona und Zim November und unterhielten sich angeregt. Rhodan lächelte schwach. Der junge Emotionaut schien die nur wenig ältere Ärztin geradezu anzuhimmeln. Mehrmals griff er nach ihrer Hand, schien dann aber doch nicht den Mut zu finden, sie zu berühren. Bahnte sich da etwas an, das über bloße Völkerverständigung hinaus ging?
»Wie organisiert das Tefrodische Imperium den Widerstand gegen die Invasoren?«, unterbrach Rhodan den Redefluss des Virthhostur, als ein Kellner mit einem Tablett mit Hors d'oeuvre zu ihnen trat.
»Wir ziehen alle verfügbaren Raumschiffe um die Planeten zusammen, auf denen sie normalerweise stationiert sind. Und wenn eine Welt einen Angriff meldet, schicken wir sofort Verstärkung. Nur ist es dann leider meistens schon zu spät. Die wichtigsten Welten des Imperiums haben wir natürlich mit besonders starken Flottenverbänden gesichert ...«
»Genauso würde ich auch vorgehen«, sagte Rhodan und schaute zu Tess Qumisha und Benjameen da Jacinta hinüber. Er kniff die Augen zusammen. Die beiden redeten sparsam gestikulierend aufeinander ein. Tess warf, offensichtlich wütend, den Kopf zurück und strich sich eine Strähne aus der Stirn. Der Arkonide machte eine energische Handbewegung, als wolle er unterstreichen, dass dieses Gespräch für ihn beendet war, und drehte sich von der knabenhaft schlanken Frau weg.
Rhodan hätte nur allzu gern gewusst, worüber sie gesprochen hatten.
Coa Sebastian trat zu ihnen, und Rhodan stellte die unnahbar wirkende Kommandantin der JOURNEE vor.
»Ich bin hier, um dem Terranischen Residenten und seinem Schiff Geleitschutz bis an den Rand Hathorjans anzubieten«, sagte Lans Dalejoer.
»Ich danke für das Angebot«, versetzte Rhodan, »aber damit wäre keinem von uns geholfen.«
Fragend sah der Virthhostur ihn an.
»Ich bezweifle«, fügte der Resident hinzu, »dass deine Schiffe die JOURNEE schützen könnten. Solch eine kleine Flotte würde nur Aufmerksamkeit der Invasoren auf sich ziehen. In diesem Fall scheint mir Verstohlenheit der bessere Weg zu sein.«
Täuschte Rhodan sich, oder wirkte der hochrangige Tefroder tatsächlich ein wenig verschnupft, als er sich wieder dem Admiral zuwandte?
Plötzlich fragte Perry sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, das Angebot anzunehmen – aus einer Vielzahl von Gründen.
Und als Rhodan den Empfang kurz darauf verließ, fragte er sich aus irgendeinem Grund, ob er den Admiral und den Virthhostur je wieder sehen würde.
Als Haustier hatte man es nicht immer einfach, die Aufmerksamkeit seiner Menschen auf sich zu ziehen. Diese Problematik war an Bord der JOURNEE durchaus bekannt. Besonders bei Norman, der sich als einziger Vertreter seiner Spezies sah. Und das einzige Haustier an Bord war.
Schnorchelnd räkelte er sich in seinem Körbchen, sein Lieblingskissen lag platt gedrückt unter ihm. Benjameen und Tess waren in der Zentrale, der kleine Klonelefant hatte das Quartier für sich. Normalerweise schlief er viel, sein Schlafbedarf war außerordentlich groß, besonders, nachdem diese schreckliche Katastrophe passiert war.
Norman zitterte noch immer, wenn er daran dachte. Die Angst, die er gehabt hatte, als das ganze Schiff erzitterte, der Krach, das Feuer, der Schmerz in seinem Rüssel, das viele Blut ... und dann erinnerte er sich an nichts mehr, war irgendwann in einem Bett aufgewacht, in einem richtigen Bett, und eine Fremde hatte versucht, ihm in einer unbekannten Sprache etwas zu sagen.
Er hatte sie nicht verstanden. Aber diese Fremde war richtig nett gewesen. Benjameen und Tess ließen ihn nie in ihrem Bett schlafen.
Und jetzt war die JOURNEE schon wieder unterwegs, und Benjameen und Tess hatten ihn eingesperrt, was sie sonst nie taten. Hier in der Kabine sei er am sichersten untergebracht, hatten sie gesagt. Sie hatten sogar seinen Raumanzug aus dem Schrank geholt und entfaltet auf das Bett gelegt. Bevor es ernst wurde, würden sie ihm hineinhelfen.
Er mochte den Raumanzug nicht. Das Ding zwickte und zwackte fürchterlich.
Zuerst hatte er sich nicht daran gestört, dass sie die Kabinentür so manipuliert hatten, dass sie sich auf sein Tröten nicht mehr öffnete, und geschlafen. Doch dann ließ ihn irgendetwas aufhorchen, seine Ohren standen plötzlich auf Empfang.
Draußen auf dem Gang unterhielten sich zwei Menschen.
Einmal wach geworden, war in Norman der Unternehmungsdrang in Richtung Nahrungsaufnahme geweckt. Sein Rüssel hob sich witternd. Wo hatte Tess die Leckerbissen hingelegt? Er liebte diese kleinen Kekse, die so herrlich schmeckten. Nein, was Tess sagte, stimmte schon. Er gierte nach ihnen.
Sonst war er ja eher ruhig und gemütlich, doch nun machte er sich schnuppernd eiligst auf den Weg in Richtung Hygienezelle. Die Spur, die er aufgenommen hatte, ließ nur einen Schluss zu. Dort waren diese äußerst leckeren Kekse versteckt.
Doch er fand nichts außer verkleckerter Zahnpasta, die ihn zurückschrecken ließ, nachdem er einmal daran geschnuppert hatte. Was für ein entsetzlicher Gestank! Schnaubend verließ er diesen Ort der eigentümlichen Gerüche.
Auch das Durchsuchen des Betts blieb erfolglos. Er schnüffelte mit dem Rüssel kurz unter dem Laken, aber das brachte ihm nur eine Niesattacke ein.
Die Leckerbissen blieben verschwunden.
Allmählich wurde er unruhig. Tess hatte ihn doch nicht vergessen? Ein entsetzlicher Gedanke ...
War das, was er tief in seinem Magen spürte, tatsächlich Hunger? Er griff zum letzten Mittel. Mit den Vorderfüßen stellte er sich auf einen dieser seltsamen Stühle, die manchmal da waren und manchmal nicht, um einen Blick auf den Tisch zu erhaschen.
Diese Position war für ihn sehr unbequem, und er konnte nur ein paar Sekunden lang so verharren. In einem Augenwinkel glaubte er, einen Keks zu erblicken. Doch als er seinen Rüssel danach ausstrecken wollte, rutschte mit lautem Poltern das Möbelstück unter ihm weg.
Erschrocken trötete er auf. Unsanft landete er auf seinem Hinterteil – und stieß protestierend den nächsten Tröter aus. Sehnsüchtig starrte er nach oben, aber die Tischplatte ragte über ihm wie eine unüberwindliche Mauer. Sein ausgestreckter Rüssel erreichte gerade die Unterseite der Platte. Was darauf lag, hätte ebenso gut im Schrank lagern können. Dieser Keks war für ihn unerreichbar! Was hatte Tess sich nur dabei gedacht?
Aber er konnte tröten, so viel er wollte, es nutzte nichts, er kam nicht an den Keks heran.
Plötzlich ging die Kabinentür auf. Zwei Besatzungsmitglieder stürzten herein. Beinahe wären sie über ihn gestolpert.
»Ich kann nicht sehen, dass hier jemand in Not ist.«
»Aber es hörte sich wirklich so an! Wie ein erstickter Hilferuf, ganz merkwürdig.«
Die beiden sahen sich um. Norman versuchte, mit einem erneuten Tröten die beiden auf seine Notlage aufmerksam zu machen.
»Da hast du deinen Hilferuf! Der kleine Kerl gibt diese Töne von sich.«
»Ob er mal wohin muss, Zetus?«
»Keine Ahnung. Ich kenne mich mit Klonelefanten nicht aus.«
Der Keks lockte auf dem Tisch. Norman lief um einen der Männer herum und stupste ihn mit dem Rüssel an.
»Ich wette, der muss mal.«
»Ja, aber damit kenne ich mich wirklich nicht aus. Wir rufen besser Tess, die weiß sicher, was zu tun ist.«
»Okay.« Der Mann drückte auf ein paar Knöpfe an einem seltsamen Gerät. »Mist«, sagte er dann. »Weder Tess noch Benjameen sind zu erreichen. Rhodan hat sie zu einer Konferenz beordert. Normans dringende Bedürfnisse sind wohl zweitrangig.« Die beiden Männer sahen sich an.
»Geh doch einfach mit ihm in die Hygienezelle, der weiß schon, was er tun muss.«
Achselzuckend versuchte Zetus, ihn in die betreffende Räumlichkeit zu schieben. Doch daran erinnerte er sich mit Grausen, der scharfe Zahnpastageruch hing ihm noch im Rüssel. Er war zwar klein, doch mit allen vier Beinen stemmte er sich gegen die Schiebeversuche des Menschen.
»Maron, da will er wohl gar nicht hin. Vielleicht hat er so eine Art Töpfchen, weißt du, wie kleine Kinder?«
»Tja, gut möglich, aber ich sehe auf Anhieb nichts in dieser Kabine, was danach aussieht. Und ich will keine Konferenz unterbrechen, um Tess nach dem Töpfchen für ihren Elefanten zu fragen.«
Zetus lachte. »Das wär' doch mal was! Aber dafür riskieren wir eine Pfütze in ihrem Quartier.«
Normans heiseres Tröten riss sie aus ihrem Gespräch. Er versuchte erneut, mit dem Rüssel an die Tischplatte zu gelangen.
Über Zetus' Gesicht ging ein Grinsen. »Ich glaube, der Kleine hat ganz andere Gelüste. Auf dem Tisch liegt etwas, sicher ein kleiner Appetithappen für den Guten.«
Er trat an den Tisch und nahm das braune, keksartige Objekt der Begierde in die Hand.
Als Norman den Leckerbissen erblickte, war es mit seiner Zurückhaltung vorbei. Er drückte sich an Zetus' Beine und angelte mit dem Rüssel nach dem Keks.
»Junge, der hat aber Hunger. Was ich gehört habe, war wohl doch ein Hilferuf.«
Lachend sahen die beiden zu, wie Norman sich genüsslich den Keks ins Maul schob und mit geschlossenen Augen kaute. »Man könnte meinen, er isst eine Spezialität unseres Küchenchefs.«
»Na, viel besser schmecken die auch nicht.«
Sie kraulten Norman noch einmal am Kopf und verließen ihn dann. Traurig blickte er ihnen nach. Irgendwie mochte er sie.
Eigentlich mochte Norman jeden. Und wenn man ihm einen Keks gab und ihn dann noch kraulte, mochte er diese komischen Menschen umso mehr.
Die ganze Aufregung hatte ihn müde gemacht. Er setzte sich in sein Körbchen, drückte das Kissen platt und war Sekunden später eingeschlafen.
Als Tess und Benjameen in ihre Kabine zurückkehrten, wunderten sie sich nur, wie der Keks vom Tisch verschwunden war. Nachdenklich betrachteten sie Norman, der friedlich schnorchelnd auf seinem Lieblingskissen im Körbchen lag.
An Bord der KHOME TAZ ...
Etwas lag in der Luft.
Takegath spürte es genau, und sein Instinkt hatte ihn in dieser Hinsicht noch nie getrogen.
Etwas braute sich zusammen.
Es war still im Äther. Zu still.
Er ließ sein Taktikhirn die internen Funkverbindungen überprüfen. Praktisch alle Gy Enäi hatten diese Anschlüsse eingebaut. Eine wunderschöne Sache, zum Beispiel bei einem planetaren Einsatz. Mit Hilfe dieser Verbindungen konnte Takegath jeden seiner Kämpfer lokalisieren und gegebenenfalls gedankenschnell umdirigieren. Bei denjenigen, die entsprechend vercybert worden waren, deren Sinnesorgane über einen internen Knoten-Chip mit der Funkanlage verdrahtet waren, konnte er sogar durch ihre Augen sehen und durch ihre Ohren hören.
Dadurch hatte er seine Besatzungsmitglieder natürlich auch an Bord der KHOME TAZ ganz gut unter Kontrolle.
Aber das Taktikhirn entdeckte nichts Außergewöhnliches. Das hatte jedoch nichts zu bedeuten; wer einigermaßen geschickt war, konnte die Verbindung trennen, ohne dass Takegath sofort davon erfuhr. Nach ein paar Stunden würde er die Manipulation natürlich entdecken, aber dann konnte es schon zu spät sein.
Die Mannschaft kam ihm viel zu unruhig vor. Sie schien auf etwas zu warten, geradezu zu lauern. Takegath dachte kurz an eine Meuterei, verwarf den Gedanken aber wieder. Zum einen ging es seinen Leuten dafür noch viel zu gut; sie waren bei weitem noch nicht verzweifelt genug, um solch einen Schritt zu wagen. Zum anderen wussten sie, dass er sich gegen jegliche solcher Versuche abgesichert hatte. Und zum Dritten war ihnen klar, dass der Gelbe Meister sie bestrafen würde, wenn sie seine Pläne störten. Takegath spielte eine wichtige Rolle in diesen Plänen. Und ihrer aller Herr und Meister kannte nur eine Strafe: den Tod.
Nein, falls ihm wirklich eine Überraschung bevorstand, dann die Aktion eines Einzelnen, der zu spüren glaubte, dass sein Vitalenergiespeicher jeden Augenblick die Arbeit einstellen konnte.
Vielleicht war er aber auch nur übermäßig misstrauisch und bildete sich das alles nur ein. Vielleicht war die Mannschaft auch nur unzufrieden, weil sie sich nicht an den Überfällen auf die Welten dieser Galaxis beteiligen, nicht töten konnte.
Takegath ließ die KHOME TAZ nun schon seit einigen Tagen am Rand von Hathorjan kreuzen. Bislang jedoch vergeblich. Sie hatten jenes nur 100 Meter durchmessende Raumschiff, das durch die Barriere in die Galaxis eingedrungen war, noch nicht aufspüren und damit natürlich auch noch nicht vernichten können.
Takegath hätte die Tatsache ignorieren können, nichts leichter als das. Aber etwas an dem Umstand, dass sie gerade in diesem einen Fall nicht den Sieg davongetragen hatten, weckte in ihm ein tief sitzendes Misstrauen. Dieses Schiff musste ein Geheimnis haben, und Geheimnisse stellten eine potenzielle Gefahr für den Gelben Meister und seine Pläne dar.
Er schreckte aus seinen Überlegungen hoch. Wieder war es nur eine winzige Geste gewesen, ein verstohlener Blick, den ein Besatzungsmitglied einem anderen zugeworfen hatte.
Ja, sie wissen etwas, dachte der Kommandant, und sie warten auf etwas.
Er ließ den Blick über die Gy Enäi gleiten, die Ewigen Diener, die gerade in der Zentrale Dienst taten.
Diwva und Bahpi, seine Gespielinnen? Nein, sie hatten seine letzte Warnung beherzigt. Und in der vergangenen Nacht hatten sie sich ihm geradezu unterworfen, jeden seiner Wünsche erahnt, bevor er ihm Ausdruck verleihen konnte. Und sich Zeit gelassen, viel Zeit ...
Aph Kismati? Auch er schied aus. Er hatte sich in den letzten Tagen kaum noch konfigurieren können, obwohl er unglücklich mit seiner derzeitigen Erscheinung war, und würde den nächsten Versuch, Takegath vom Kommandosessel zu stoßen, erst wagen, wenn er glaubte, den optimalen Körper gefunden zu haben.
Chi-Lopi, der dritte Bordingenieur? So gut konnte der anderthalb Meter lange Wurm mit den kurzen Arm- und Beinstummeln sich nicht verstellen. Ihm lag nichts an einer Position, die sofort den Neid und die Missgunst aller anderen Besatzungsmitglieder herausfordern würde. Er war einfach zu schwach.
Drigad, das große Insekt mit den acht Beinen, dessen Chininpanzer von einem zweiten aus künstlichen Segmenten überzogen wurde? Er erfüllte sein Pflicht, sprach aber kaum mit den anderen, hielt sich für sich, ließ keinen an sich heran. Wenn er etwas im Schilde führte, hätte er es für sich behalten, und die anderen würden nicht auf etwas warten.
Gramter Pees, der vierarmige Gadoner, das rundliche Reptil, das körperlich schwach und behäbig wirkte, ständig aus der Puste zu geraten schien, sich aber optimal mit hochwertiger Cyberware aufgerüstet hatte und eventuelle Unzulänglichkeiten durch eine Verschlagenheit ausglich, wie selbst Takegath sie nur selten erlebt hatte? Und das bei einer sonstigen geistigen Einfältigkeit, wie sie wohl auch einzigartig an Bord war?
Marleye Elis, die Vogelscheuche, ein klapperdürres Vogelwesen, kaum weniger verschlagen und intrigant als Pees, mit einer hohen, kreischenden Stimme, die eine gefährliche Waffe war, da sie Zellwände auflösen konnte?
Oder Chissu Trella Greb, ein tonnenförmiges Wesen mit kurzen, dicken Beinen, fetter, schwarzer, lederartiger Haut, ein Klatschmaul wie kein zweites an Bord der KHOME TAZ, verlogen und ebenfalls intrigant, aber mit einer Bauernschläue ausgestattet, die dafür sorgte, dass es nie in die Schusslinie geriet und stets andere die Drecksarbeit erledigten?
Diese drei hockten ständig zusammen, schmiedeten Pläne, versuchten, andere Besatzungsmitglieder in Verruf zu bringen und Unfrieden zu stiften.
Eigentlich war Takegath dankbar, dass er sie an Bord hatte. Sie belebten den Alltag, hielten die anderen bei Laune und sorgten für etwas Abwechslung. Er sah sie eher als Störenfriede denn als echte Gefahr an. Doch falls sie spürten, dass ihre Vitalenergiespeicher fast leer waren und sie bald sterben würden, wenn sie kein De'Ro'Collo bekamen, würden sie vielleicht nicht nur Intrigen schmieden und andere aufhetzen, sondern auch handeln.
»Kommandant, sollten wir nicht ...«
Er fuhr herum. Bahpis respektvoll gegurrte Frage hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. Die Orterin verstummte erschrocken.
Takegath tadelte sich. Er war unaufmerksam gewesen, hatte nicht mitbekommen, dass seine Gespielin den Mund öffnete. Solch ein Fehler könnte ihn vor ernsthafte Probleme stellen.
»Ja ...?«, sagte er gedehnt.
»Sollten wir nicht allmählich ins Zentrum der Galaxis fliegen und dort ein paar Welten überfallen?«
»Wir bleiben hier«, lehnte er ab. »Hier am Rand von Hathorjan. Und warten auf das Schiff, das uns entkommen ist.«
Die Tatsache, dass das Schiff an der kürzesten Verbindungslinie zwischen Andromeda und der nächstgelegenen Galaxis aufgetaucht war, ließ auf eine Verbindung zu eben jener Sterneninsel schließen. Einen anderen Hinweis auf die Herkunft des Schiffes hatte Takegath nicht. Also musste er alles auf dieses Indiz setzen und hoffen, dass das Schiff ein zweites Mal an derselben Stelle auftauchen würde.
Drigad klickte enttäuscht mit dem vorderen Fühlerpaar, und Gramter Pees schlug wütend mit der Faust auf seine Konsole und stieß sich von ihr ab, und Diwva schaute überrascht auf und ...
Jetzt, dachte Takegath, jetzt. Sein Instinkt schrie ihn geradezu an, vorsichtig zu sein.
»Kommandant, ich habe hier ...« setzte Diwva an und verstummte sofort wieder, und Pees wirbelte herum und sprang ihn an.
Der Angriff kam zwar unvermittelt, aber nicht völlig überraschend. Takegath schalt sich einen Narren. Trotz seiner ausgefeilten Modifikationen hatte er die Attacke zu spät bemerkt, und seine Überheblichkeit wäre ihn fast teuer zu stehen gekommen. Die Möglichkeit, dass ausgerechnet der weichliche Gramter Pees gegen ihn vorgehen würde, hatte er eigentlich überhaupt nicht in Betracht gezogen. Aber Pees war einfältig; Elis und Greb hatten ihn wahrscheinlich zu dieser Tat überredet. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Pees die treibende Kraft hinter dem Anschlag war.
Immerhin war Takegath in der Tat eine Zehntelsekunde lang überrascht. Dieser Zeitraum genügte seinem Gegner zwar, ihn zu Boden zu stoßen, reichte aber nicht aus, um das eigentliche Ziel zu erreichen: den Kommandanten der KHOME TAZ mit einem Schlag auszuschalten.
Takegath riss den rechten Arm hoch und schlug die geschuppte Faust zurück, die einen tödlichen Hieb gegen seine Kehle führen wollte.
Überrascht stellte er fest, dass Pees gar nicht so schwach war, wie er angenommen hatte. Wahrscheinlich hatte das Echsenwesen sich in AMBULANZ insgeheim modifizieren lassen.
Ich muss auf der Hut sein!, dachte er. Vor allem, falls Pees und die beiden anderen gemeinsame Sache machen und sie zu seinen Gunsten eingreifen sollten.
Er schob Pees ein Stück zurück und sah schnell zu Elis und Grab hinüber. Schon ihre Körpersprache verriet, dass seine Vermutung zutraf. Vorgebeugt standen sie da, ebenfalls sprungbereit. Aber noch wagten sie es nicht, die Hand gegen ihn zu heben. Sie wollten abwarten, wie Pees sich schlug.
Feiglinge, dachte er.
Er aktivierte seine Implantate und drückte Pees scheinbar mühelos noch weiter zurück. In Wirklichkeit bedurfte es dazu aber doch schon eines gewaltigen Kraftaufwands, den er sich aber auf keinen Fall anmerken lassen wollte.
»Ist es so schlimm?«, spottete er. »Spürst du, wie es zu Ende geht? Brauchst du das De'Ro'Collo so dringend?« Mit einem höhnischen Lächeln sah er Pees zum ersten Mal ins Gesicht.
Zwei stahlblaue, lidlose Augen starrten ihn an. Das reptiloide, von grau-blauen Schuppen bedeckte Antlitz war vor Anstrengung verzerrt. Der Mund war mit messerscharfen Zähnen bestückt, die schon für sich eine tödliche Waffe waren.
»Ich hätte dir noch fünf Jahre gegeben«, fuhr er fort. »Aber wenn du mich jetzt besiegst, hast du dir das De'Ro'Collo redlich verdient.«
Mit einem lauten Knurren schlug Pees erneut zu. Gleichzeitig senkte er den Kopf, und die spitzen Zähne kamen Takegaths Kehle sehr nah. Die Faust des Reptils verfehlte seine mechanische Augenlinse nur knapp.
Zumindest hatte Gramter Pees seine Hausaufgaben gemacht. Oder Elis und Grab hatten das für ihn erledigt. Offensichtlich hatten sie sich über die kybernetischen Implantate ihres Kommandanten genau informiert. Vielleicht hatten sie auch nur zu oft die verschiedenen Geräte bei ihrem tödlichen Einsatz beobachtet.
Takegath erkannte, dass seine rotierende Kameralinse eine Schwachstelle war. Bei ihrem Ausfall wäre er nicht mehr in der Lage, seine Position in jede Richtung abzusichern; dann wäre er sozusagen halb blind.
Vielleicht war es doch ein Fehler, AMBULANZ keine neuen Modifikationen mehr vornehmen zu lassen ...
Takegath erkannte die Absicht seines Gegners. Er schaltete auf Pees' Funkfrequenz um.
»Das kannst du dir sparen«, knurrte die Echse. »Ich habe mich von der Verbindung abgekabelt.«
»Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.« Pees war größer und schwerer als Takegath, und seine vier Arme stellten einen beträchtlichen Vorteil dar. Mit dem oberen Armpaar drückte er die Schultern des Kommandanten gegen den Boden, mit dem unteren versuchte er, einen Schlag zu landen. Wenn er seinen Körper jetzt noch gezielt und klug aufgerüstet hatte, hatte Takegath es mit einem fast gleichwertigen Gegner zu tun.
Pees grunzte wütend auf und setzte zu weiteren Hieben an, die Takegath jedoch mühelos abwehren konnte.
Der Gadoner ist wirklich dumm, dachte der Kommandant. Warum hält er meine Schultern und nicht meine Arme fest? Dann hätte er doch schon längst seine Schläge landen können ... »Sehr geschickt von dir, Gramter.« Takegath fuhr die Klingen seiner Fingerspitzen aus, riss den rechten Arm hoch und trieb die Faust in Pees' Bauch. Natürlich hatte er sich über die Eigenarten und Schwachstellen seiner Besatzungsmitglieder informiert, und er wusste, dass die Reptilwesen an dieser Stelle sehr empfindlich waren.
Doch Pees zeigte keine Reaktion.
Er hat sich tatsächlich klug aufgerüstet!
Dann unterlief Pees sein erster Fehler. Nein, eigentlich sein zweiter. Der erste war der Angriff auf seinen Kommandanten gewesen.
Er versuchte nicht mehr, Takegath mit Schlägen der beiden unteren Arme einzudecken, sondern griff mit einer Hand nach der ärmellosen Jacke des Kommandanten, in deren Tasche er das De'Ro'Collo vermutete. Mit den drei anderen Armen drückte er Takegath weiterhin zu Boden.
Er muss seinen kompletten Biotorso gegen Implantate ausgetauscht haben ... Anders konnte Takegath sich nicht erklären, warum Pees nicht auf seine Attacken reagierte. Er fuhr die Klingen wieder ein.
Takegath ahnte plötzlich, dass Pees ihm durchaus gefährlich werden konnte. Er musste auf andere Weise gegen ihn vorgehen. »Du kannst das Droc haben, nimm es dir. Deine Entschlossenheit imponiert mir. Vielleicht befördere ich dich sogar.«
Der Gadoner lachte heiser auf. Er atmete schon schwer. »Erzähl mir nichts! Du gibst niemandem davon ab. Ich bekomme es nur, wenn ich dich besiege und töte. Nur einer von uns kann diesen Kampf überleben. Du oder ich. Und einer von uns muss sterben.«
Genau, dachte Takegath. Aber das werde nicht ich sein.
Er drückte Pees' Hand von der Jackentasche zurück, griff hinein und zog eine der Phiolen heraus. »Hier, Gramter!« Er hob die Hand. »Hier ist es!«
Die Droge schimmerte unter dem Kunststoff verlockend in der kalten Beleuchtung der Zentrale.
Pees starrte auf Takegaths Hand, auf die Substanz, die sein Leben verlängern, sein Leiden verhindern konnte. Er schien den Blick nicht von ihr lösen zu können.
»Du bist dumm, Pees. Wenn einer so ein Ende verdient hat, dann du. Schluss mit dem grausamen Spiel.« Takegath drückte seine modifizierte Hand gegen den Hals seines Gegners. Die implantierte Strahlenwaffe funktionierte einwandfrei.
Schreiend lockerte Pees seinen Griff, und Takegath warf den Gadoner endgültig zurück. Stöhnend rollte Pees sich auf den Rücken. Die Arme hatte er noch immer nach der Flasche mit dem De'Ro'Collo ausgestreckt.
Die rechte Gesichtshälfte, der Hals und der Nacken des Echsenwesens waren eine einzige verschmorte Wunde, aus der die Haut Blasen schlug. Takegath baute sich breitbeinig über dem Sterbenden auf und sah zu den anderen Besatzungsmitgliedern hinüber. Niemand rührte sich, auch Elis und Greb nicht.
Er musterte die beiden Freundinnen seines unterlegenen Gegners. »Habt ihr etwas zu sagen?«
Beide wandten den Blick von ihm ab und studierten Daten auf ihren Konsolen. Takegath bemerkte, dass sich auf dem Boden zwischen Elis' Beinen eine grünlich schimmernde, übel riechende Pfütze gebildet hatte.
Der Kommandant beugte sich zu Pees hinab. »Immerhin warst du so klug, dich nicht mit Strahlenwaffen aufzurüsten«, flüsterte er. »Denn die kannst du an Bord der KHOME TAZ nicht gegen deinen Kommandanten einsetzen.« Er verzog den Mund zu einem leichten Grinsen. »Sieh es einfach positiv. Ich erspare dir einen elenden Tod.« Er zielte auf den Kopf des Reptilwesens und drückte ab. Diesmal hatte er die Waffe auf die höchste Intensität eingestellt. »Und AMBULANZ wird dein Gehirn nicht bekommen.«
Als die Reinigungsroboter anrollten, um die kopflose Leiche zu entsorgen, drehte Takegath sich zu Diwva um. »Du hast was?«
Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. »Was ...?«
»Du wolltest etwas melden«, sagte er geduldig. »Vor diesem höchst überflüssigen Zwischenfall.«
Sie starrte auf ihre Konsole und nickte dann. »Ja. Ich habe den Reflex eines Schiffes in der Ortung, das ungefähr dem gesuchten Muster entsprechen könnte.«
Takegath knurrte leise auf. Seine Gespielin zuckte zusammen.
Diwva und Bahpi meldeten ihm nicht zum ersten Mal solch einen Reflex. Sie hatten alle diese Ortungen überprüft, doch es hatte sich immer um andere Raumer gehandelt, einmal sogar um ein 1800 Meter durchmessendes Superschlachtschiff der Tefroder.
»Schon wieder?«, fragte er.
»Ich dachte, dich interessiert, dass ... dass die Ortung bei diesem Schiff praktisch auf genau jene Stelle verweist, die an der direkten Verbindungslinie zwischen Hathorjan und der Nachbargalaxis liegt.«
Takegath horchte auf. Was hatte er zu verlieren? Selbst, wenn es sich wieder um einen Fehlalarm handeln sollte, konnte er der Besatzung eine Freude machen und das Raumschiff vernichten lassen. Eine Abwechslung war dringend nötig, sonst würden vielleicht noch andere auf die Idee kommen, auf die Gramter Pees, Marleye Elis und Chissu Trella Greb gekommen waren.
»Kurs setzen!«, befahl er. »Hoffen wir, dass es sich endlich um die gesuchte Einheit handelt.«