Читать книгу Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband) - Uwe Anton - Страница 9

Оглавление

Kapitel 4

Indras Netz

JOURNEE, Bordzeit 15. März 1312 NGZ

Rhodans Stimme klang gar nicht amüsiert, aber durch die Reihen der Menschen in der Zentrale ging ein Auflachen.

Es klang nicht einmal gezwungen. Als Tess die Zentrale betrat, hatte sie sofort eine extrem starke Spannung wahrgenommen. Irgend etwas war passiert – die JOURNEE war aus dem Hyperraum in den Normalraum gestürzt –, und niemand schien den Grund dafür zu kennen.

Normans Auftreten mochte zwar ungelegen kommen, aber es hatte diese Spannung zumindest für einen Augenblick aufgelöst.

Tess lächelte verlegen und warf Benjameen, der die Zentrale kurz nach ihr betreten hatte, einen verzweifelten Blick zu. Sie hatte die Wissenschaftliche Leitung der Mission inne. Sie konnte doch nicht einfach mal eben kurz gehen und die Lagebesprechung verpassen, um ihr Haustier zurück in die Kabine zu bringen ...

Benjameen war Stellvertretender Missionsleiter. Er konnte es sich auch nicht leisten, den Krisengipfel zu versäumen.

Norman rieb sich noch immer an ihrem Bein.

Sie ging in die Hocke. »Norman«, flüsterte sie, »jetzt sei schön brav und geh zurück in die Kabine!«

Der kleine Klonelefant sah sie aus großen Augen an – und hob den Rüssel, um erneut ein klägliches, schrecklich schiefes Trompeten auszustoßen.

»Können wir fortfahren?«, fragte Rhodan. Seine Stimme klang allmählich sehr ungehalten.

»Bitte, Norman«, flüsterte Tess und schwor sich, demnächst darauf zu achten, dass der kleine Elefant nicht einfach so aus der Kabine entwischen konnte.

Zu ihrer grenzenlosen Verwunderung drehte ihr Haustier sich um und watschelte auf den kurzen Säulenbeinen zum Schott. Zischend öffnete es sich vor ihm, und der Kleine entschwand ihren Blicken. Sie fragte sich, ob Norman tatsächlich direkt zu ihrer Kabine zurückkehren oder durch die JOURNEE streifen und noch mehr Unsinn anstellen würde, verdrängte den Gedanken dann und konzentrierte sich auf Rhodan.

»Also noch einmal von vorn«, sagte der Resident. »Zim, was genau ist geschehen?«

Die Stimme des jungen Emotionauten klang seltsam geistesabwesend. Tess konnte seine Augen nicht sehen, bezweifelte jedoch nicht, dass sie genauso entrückt schauten.

»Die JOURNEE hat rund zwei Komma eins Millionen Lichtjahre zurückgelegt«, sagte er und stockte sofort wieder. Offensichtlich wusste er nicht, wie er anfangen sollte. Oder er hatte auch keine Erklärung für das, was soeben geschehen war. »Mit der Höchstgeschwindigkeit von neunzig Millionen Überlicht, abgesehen von fünf Etappen über je dreißigtausend Lichtjahre mit einem Überlicht-Faktor von zweihundert Millionen ...« Er hielt endgültig inne.

»Vielleicht erweist es sich noch einmal als wichtig«, sagte Rhodan. »Die Distanz vom Hayok-Sternenfenster bis hierher beträgt exakt 2.129.456 Lichtjahre. Wir haben die Randbereiche von Andromeda erreicht.«

»Ich kann es nicht erklären«, gestand November ein. »Ich habe so etwas noch nie erlebt. Die JOURNEE flog auf Anweisung des Residenten mit einem Überlicht-Faktor von knapp neunzig Millionen, also fast mit der regulären Höchstgeschwindigkeit ...«

»Niemand macht dir einen Vorwurf, Zim«, warf Rhodan ein. Er verstand sich darauf, Zwischentöne zu deuten.

»Und plötzlich sind wir einfach aus dem Hyperraum geworfen worden!«

»Ist das Metagrav-Triebwerk ausgefallen?«, fragte Benjameen.

»Nein.« Tess war überzeugt, dass Zim unter der SERT-Haube den Kopf schüttelte. »Zum einen hätte ich das gespürt. Weil wir uns dicht vor Andromeda befanden, bin ich diese Metagrav-Etappe mit SERT geflogen. Zum anderen habe ich eine Analyse durchgeführt. Das Triebwerk arbeitet einwandfrei, es ist völlig in Ordnung. Nein, irgendetwas hat uns aus dem Hyperraum geworfen!«

»Was?«, fragte Rhodan.

Der Emotionaut antwortete nicht. Hatte darauf keine Antwort.

»Und wieso«, fuhr der Resident fort, »haben wir diesen Ruck, der durch das Schiff ging, trotz der Andruckabsorber so deutlich wahrgenommen?«

Tess hörte nur noch mit halbem Ohr hin. »Cita«, sagte sie.

Die Leiterin der Abteilung Funk und Ortung überspielte ihr sämtliche Daten auf ihre Station, die sie bislang gesammelt hatte.

Die Monochrom-Mutantin konzentrierte sich auf den hyperphysikalischen Bereich.

Kalup, rezitierte sie im Geiste die ersten Sätze der ersten Vorlesung, die sie während ihres Studiums besucht hatte. Einheit des hyperenergetischen Spektrums, deren niederfrequente Bereiche die hyperphysikalischen Äquivalente der vier konventionellen Fundamentalkräfte widerspiegeln.

Vor ihrem inneren Auge sah sie die entsprechende Textseite des Lehrdatenspeichers. 7,214 mal zehn hoch acht bis 3,607 mal zehn hoch elf Kalup mit einer Bandbreite von 360.000 Mega-Kalup ist der Bereich der Hyperelektromagnetik. Im fast 62 Millionen Mega-Kalup breiten Band von 6,854 mal zehn hoch zwölf bis 6,854 mal zehn hoch 13 Kalup ist die durch die Hyperbarie verkörperte Hyper-Gravitation angesiedelt. Mit einer Bandbreite von ca. 4,2 Milliarden Mega-Kalup ist der ultrahochfrequente Bereich von Hyper-Psi – 8,657 mal zehn hoch 13 bis 4,329 mal zehn hoch 15 Kalup – noch weitgehend unerforscht, gleiches gilt für die noch höheren Frequenzen oberhalb von zehn hoch 16 Kalup.

»Da ist etwas«, sagte sie. »Eine Oszillation im ultrahochfrequenten Bereich. Aber sie entzieht sich jeder Interpretation durch sämtliche Theorien, die unser Verständnis von Hyperphysik ausmachen. Ich kann nicht einmal ansatzweise sagen, worum es sich handelt, jedenfalls nicht ohne umfassende Messungen und Untersuchungen.«

»Bestätigung«, sagte Cita Aringa leicht beleidigt. »Genau das habe ich ebenfalls angemessen. Ich weiß auch nicht, was es ist, aber ich habe den Eindruck, es wird von Sekunde zu Sekunde stärker.«

»Stärker?«, fragte Rhodan.

»Ja«, sagte die Plophoserin.

»Rein aus dem Bauch heraus«, sagte Tess. »Eine noch nicht belegbare Vermutung. Aber was, wenn Andromeda von einer unbekannten Barriere umgeben ist ...? Sie könnte zwar natürlichen Ursprungs sein, lässt aber aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine technologisch überlegene Kultur schließen, die sie absichtlich errichtet hat. Oder gerade zu errichten im Begriff ist.«

»Eine Barriere«, wiederholte Cita Aringa, »die wahrscheinlich noch im Aufbau begriffen ist. Sobald sie sich endgültig ausgebildet hat, werden wir sie nicht mehr durchbrechen können.«

Tess sah zu Rhodan hinüber. »Ich glaube nicht«, sagte der Resident, »dass diese Barriere, falls es denn eine ist, einen natürlichen Ursprung hat. Und falls sie künstlichen Ursprungs ist, lässt sie auf jeden Fall auf eine Macht schließen, die uns technologisch weit überlegen sein dürfte. Und das beunruhigt mich gewaltig.«

»Es scheint«, sagte Coa Sebastian, »als sei unsere Reise nun zu Ende.«

Rhodan sah die Kommandantin der JOURNEE an. »Allein die Existenz dieses Widerstands bestärkt mich darin, weiterhin der Spur zu folgen. Ich kann mir nun endgültig sicher sein, dass Kiriaades Bitte um Hilfe berechtigt ist. Wir müssen herausfinden, was in Andromeda geschehen ist oder gerade geschieht. Kiriaade ist jedenfalls kein Hirngespinst, wie einige hier an Bord vielleicht noch immer glauben mögen, das ist nun klar.«

Coa Sebastian schwieg eine geraume Weile, senkte dann den Blick und nickte. »Deine Schlussfolgerung erscheint mir logisch.«

»Noch etwas«, fuhr der Resident fort. »Andromeda liegt mehr oder weniger vor Terras Haustür. Das unermessliche Leid, von dem Kiriaade kündete ... könnte es auch unsere Heimatgalaxis bedrohen?«

»Aber was ist das für ein Widerstand?«, fragte Tess. Eine rein rhetorische Frage, die hauptsächlich dazu dienen sollte, die aufkommende Spannung zwischen Perry Rhodan und Coa Sebastian abzubauen. »Ein Widerstand, der bis in den Hyperraum wirkt?«

»Wir werden versuchen, es herauszufinden«, sagte Rhodan. »Aber erst später. Wenn dieser Widerstand stärker wird, bleibt uns nicht mehr viel Zeit, ihn zu durchbrechen. Wir haben keine andere Wahl. Zim, gehe ich recht in der Annahme, dass wir, als wir aus dem Hyperraum stürzten, lediglich mit den vier Haupt-Metagravtriebwerken geflogen sind?«

»Ja«, bestätigte der Emotionaut.

»Die JOURNEE hat noch etwas mehr zu bieten.«

Tess war klar, worauf der Resident hinauswollte. Auf die vier Neben-Metagrav-Triebwerke ... und auf das Grigoroff-Triebwerk im Andockmodul mit zwei separaten, mittlerweile wieder gefluteten Hochleistungs-Gravitrafspeichern und einem Überlicht-Faktor von zweihundert Millionen ...

»Können wir diesen Widerstand durchbrechen, Zim?«

Der junge Emotionaut zögerte. »Ich weiß es nicht, Perry«, antwortete er schließlich.

»Wir werden es versuchen. Zim, eine kurze Überlichtetappe von eintausend Lichtjahren in Richtung heimatliche Galaxis. Dann laden wir die Gravitrafspeicher auf, wenden und fliegen mit einem Überlichtfaktor von zehn Millionen Lichtjahren wieder den alten Kurs in Richtung Andromeda. Halte dich für weitere Anweisungen bereit.«

»Einverstanden«, sagte Zim November, und Tess glaubte den Ruck zu spüren, mit dem die JOURNEE sich in Bewegung setzte.

Was eigentlich nur Minuten dauerte, zog sich zu Ewigkeiten hin.

Tausend Lichtjahre ... ein Katzensprung zu den über zwei Millionen, die sie bereits zurückgelegt hatten, der auch mit deutlich geringerer Überlichtgeschwindigkeit kaum ins Gewicht fiel.

Tess versuchte, sich auf ihre Instrumente zu konzentrieren. Sie wusste, was sie konnte. Sie war mittlerweile eine erstklassige Hyperphysikerin.

Wenn ein Schiff während des Überlichtflugs in den Normalraum zurückfiel, war irgendetwas nicht in Ordnung. Dann war irgendetwas fürchterlich schief gegangen.

Und nicht nur mit dem Schiff. Auch mit ihr war etwas geschehen. Sie hatte es ganz deutlich am eigenen Leib gespürt.

Im eigenen Leib.

Es fiel ihr schwer, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Ihre Gedanken glitten kurz ab.

In dem Augenblick, in dem die JOURNEE in den Normalraum zurück gestürzt war, hatte sich in ihrem Körper etwas verändert.

Sie wusste nicht, was, und auch nicht, wie es geschehen war. Nur, dass es geschehen war. Es war nicht nur ein Gefühl, es war eine Gewissheit. Sie kannte ihren Körper ganz genau, und es bestand nicht der geringste Zweifel. Gerade eben, vor wenigen Minuten, war es geschehen.

In ihrem Körper.

Sie horchte in sich hinein.

Es war unbegreiflich. Genauso unbegreiflich wie dieser gesamte Flug, den sie seit acht Tagen über sich ergehen ließen. Ein Flug, dessen Sinn und Zweck eigentlich genauso unmöglich war wie das, was ihr soeben widerfahren war.

Es kann nicht sein, dachte sie erneut. Es ist völlig unmöglich.

Aber es war so.

Sie war Monochrom-Mutantin gewesen.

Sie sah die Welt zwar nicht mehr nur schwarzweiß, war aber noch immer unfruchtbar gewesen.

Bis zu dem Augenblick, in dem die JOURNEE aus dem Hyperraum gerissen worden war. Sie lauschte noch einmal in sich hinein, achtete auf das, was sich in ihrem Körper tat.

Sie war nicht mehr unfruchtbar. Sie spürte es ganz genau, in diesem Augenblick entstanden Eizellen in ihrem Eierstock, und einige blieben dort, und andere wanderten schon den Eileiter hinab, erreichten die Gebärmutter und warteten dort auf die Spermien, die bald kommen würden.

Sehr bald.

Benjameen würde vor Freude außer sich sein.

Es ist unglaublich, dachte Tess. Ich weiß nicht, was geschehen ist, aber jetzt kann ich Benjameen ein Geschenk machen, mit dem er nie hätte rechnen können.

Ein Kind.

Es ist unglaublich.

Sie wusste nur nicht, ob es gut war.

Denn irgendetwas war passiert. Die JOURNEE war in den Normalraum zurückgestürzt, und das konnte eigentlich nichts Gutes bedeuten. Was war in diesem Augenblick geschehen? Was hatte dieses unerklärliche Phänomen mit ihrem Körper, in ihrem Körper angerichtet?

Benjameen kehrte zurück. Er hatte kurz nach Norman gesehen, wechselte sich dabei mit ihr ab.

Der Arkonide sah müde und ausgelaugt aus. Aber auch, wenn er sich gern ausgeruht hätte, es zog ihn trotzdem in die Zentrale. Der Durchbruchversuch war in die entscheidende Phase getreten, und er wollte sie auf keinen Fall verpassen. Er blinzelte ihr zu – Norman schläft selig in seinem Körbchen! –, damit sie wusste, dass alles in Ordnung war. Das Wohl ihres Hauselefanten lag ihnen am Herzen, sie waren für ihn verantwortlich.

Tess düstere Ahnung wurde im nächsten Augenblick eindrucksvoll bestätigt. Ein leichter Ruck ging durch das Schiff.

Jetzt fängt es an, dachte Tess.

Die Frage war nur – was fing an?

Eigentlich hatte Norman strengste Anweisung, im Quartier zu bleiben. In der Hauptzentrale herrschte rege Betriebsamkeit, der Vorstoß nach Andromeda erforderte von allen Beteiligten höchste Aufmerksamkeit. Der kleine Klonelefant spürte deutlich die Nervosität und Anspannung, die über der Mannschaft lag.

Er versuchte zu schlafen, wachte aber schon nach ein paar Minuten wieder auf. Er sah sich um und stellte fest, dass niemand da war. Ein Leckerchen lag vor ihm auf dem Boden. Erfreut griff er mit dem Rüssel danach und ließ es sich schmecken.

Leider war der Keks schnell gegessen, und ein zweiter war nicht zu finden. Tess war nicht sehr großzügig mit den Zusatzleckerchen. Sie meinte immer, er müsse auf seine Figur achten. Sie hatte ihn sogar einmal auf Diät gesetzt, aber dabei war er so unleidlich geworden, dass sie den Versuch schnell wieder aufgegeben hatte. Wie hatte Tess einmal gesagt? »Ein hungriger Klonelefant kommt auf die unmöglichsten Ideen, um seinen Appetit zu stillen.«

Plötzlich schmeckten ihm sogar Benjameens Lieblingssocken, die achtlos hingeworfen auf dem Boden lagen. Und wenn der Magen richtig laut grummelte und rumorte, machte er nicht mal vor Dekorationsgegenständen halt.

Hatte Tess einmal gesagt.

Und sie hatte auch einmal gesagt, dass Elefanten eigentlich im Stehen schliefen und nicht in einem Körbchen. Nun, das mochte für richtige Elefanten gelten, aber nicht für kleine indische Klonelefanten. Er würde für nichts auf der Welt auf sein Körbchen verzichten.

Nach einer erfolglosen Suche, die er auf das gesamte Quartier ausdehnte, blieb Norman unschlüssig vor der verschlossenen Tür stehen. Er wusste, das sie auf sein Tröten reagierte und sich öffnete. Doch Tess hatte ihm nach dem Aufstehen klar gemacht, dass er heute in der Kabine bleiben sollte. Wenn er brav war, würde er nach Schichtende von ihr eine Belohnung bekommen, einen dieser wohlschmeckenden Kekse, die leider viel, viel zu klein waren.

Doch Norman wusste, dass auch einige Besatzungsmitglieder Kekse in ihren Overalltaschen mit sich trugen. Oft genug füttern sie ihn heimlich, denn ihnen war bekannt, dass Tess es nicht gern sah. Wenn er nun auf den Gang hinaustrat, könnte er Glück haben und würde mit Keksen verwöhnt werden.

Er konnte aber auch Pech haben, und Tess erwischte ihn. Dann würde sie mit ihm schimpfen, und es gäbe keine Belohnung. Doch die Aussicht auf weitere Leckerchen war zu verlockend. Norman trötete, schräg und schief, wie immer. Geräuschlos glitt die Tür auf.

Langsam watschelte er über den Gang. Es war niemand zu sehen. Dieser Teil des Schiffs war wie ausgestorben.

Er überlegte kurz, ob er es auf einem anderen Deck versuchen sollte. Es gab ja diese seltsamen Schächte, in denen man schwerelos wurde und ganz nach Belieben nach oben oder unten schweben konnte. Anfangs hatte er sich gesträubt, sie zu betreten, da es ihm unheimlich vorgekommen war, jeden Boden unter den Füßen zu verlieren, doch als Ben ihn dann einfach einmal in einen solchen Schacht mitgenommen hatte, hatte es ihm sogar richtig Spaß gemacht, gewichtslos nach oben oder unten zu treiben, und mittlerweile genoss er es geradezu, diese Schächte zu benutzen.

Aber der Gedanke, auf ein anderes Deck zu schweben, behagte ihm nicht. Wenn Tess oder Ben ihn dabei erwischten ...

Nachdem er noch ein paar Meter zurückgelegt hatte und noch immer kein Leckerchen in Sicht war, wurde ihm etwas mulmig zumute. Er überlegte, ob er umkehren sollte. Dieser wichtige Zweibeiner Rhodan hatte sich ja richtig echauffiert, als er in der Zentrale aufgetaucht war. In dieser Hinsicht war Vorsicht die Mutter der Porzellankiste, und er wollte nicht unbedingt einen Porzellanladen betreten. Und außerdem ... aus irgendeinem Grund waren alle an Bord furchtbar nervös.

Als er sich gerade umdrehen wollte, öffnete sich vor ihm eine Kabinentür, und ein Zweibeiner trat in den Gang.

Norman kannte ihn. Es war Bi Natham Sariocc. Dieser Name war so ungewöhnlich, dass er ihn sich eingeprägt hatte. Norman entfuhr ein heiseres Tröten.

Der ungewöhnliche Zweibeiner sah ihn. »Hallo, Norman. Ganz allein unterwegs? Na, heute hat wohl keiner Zeit für dich?«

Der kleine, schlanke, drahtige Mann ging in die Knie und kraulte Norman ausgiebig am Ohr.

Die Gelegenheit! Norman suchte mit dem Rüssel nach Taschen mit Füllung, am besten essbarer.

Bi Natham lachte. »Du hast wohl immer Hunger? Irgendwie erinnerst du mich an einen alten Freund. Der konnte auch den ganzen Tag essen.«

Gebannt starrte Norman auf die Hand des Hyperphysikers, die in einer Tasche verschwand. Es konnte sich nur um einen Keks handeln, den er gleich hingehalten bekam. Erstaunt trötete er, als er feststellte, dass der Zweibeiner nur einen kleinen Datenspeicher hervorgeholt hatte.

»Wo habe ich es denn ... Ah, hier ist es ja. Corin Dazom, Epsaler, wissenschaftliche Abteilung, Merkur. Ist leider vor einigen Jahren verstorben. Wenn ich mich recht erinnere, hatte er graue Augen, genau wie du, mein kleiner Freund. Und er hatte auch so eine dicke Haut.«

Einen Augenblick lang wirkte sein Gesicht ziemlich nachdenklich, dann schob er den schnüffelnden Rüssel, der gerade den Speicher in Reichweite bekam, sanft zur Seite.

Aus einer anderen der vielen Taschen seiner Bordmontur zauberte Bi Natham einen Obstwürfel, den er selbst gern aß.

»Hier, das schmeckt dir wohl besser als mein Speichergerät.« Er hielt ihm den Würfel hin.

Vorsichtig schnupperte Norman daran, dann sah er den Mann an, schnupperte wieder an dem Obstkonzentrat und sah wieder zu Bi.

»Was ist? Das ist dir wohl zu gesund? Die haben dich hier mit dem ungesunden Essen schon ganz verdorben. Elefanten sind Vegetarier, hauptsächlich Blattfresser, gebackene Kekse wachsen nicht auf Bäumen. Etwas anderes habe ich leider nicht.«

Noch immer hielt er Norman den Obstwürfel hin. Er leckte sich über das Mäulchen, aber der Geruch des Konzentrats erinnerte ihn an den von Benjameens Socken. Die waren ihm damals auch nicht bekommen. Zwei Tage lang hatte er Bauchweh gehabt. Das läge an den Synthifasern, hatte Tess gesagt, die seien natürlich völlig künstlich und somit schwer, wenn überhaupt verdaulich.

Von jenem Tag an musste Benjameen seine Socken übrigens immer an einen Ort legen, der für Normans Rüssel unerreichbar war.

»Tut mir wirklich Leid, aber ich habe sonst nichts dabei. Ich bin eigentlich immer sozusagen auf asketischer Minimaldiät.« Mit diesen Worten steckte sich Bi Natham das Würfelkonzentrat in den Mund.

Norman schluckte. Hoffentlich bekam der Terraner keine Magenprobleme. Wenn der wüsste, wie schlecht es ihm damals ergangen war ...

»Ich muss jetzt leider gehen. Die Pflicht ruft. Vielleicht hat ein anderer passendere Kost für dich. Mach's gut.«

Norman sah ihm nach, wie er um eine Ecke verschwand. Dann machte er sich auf den Rückweg.

Diesmal hatte er außergewöhnliches Glück. Er wusste, er musste nur auf andere Zweibeiner als Tess und Benjameen treffen, und die meisten steckten ihm etwas zu. Nur dieser Rhodan nicht, der ihn immer aus der Zentrale schicken wollte. Alle anderen sahen das wohl nicht so eng mit seinem angeblichen Gewichtsproblem.

Jedenfalls liefen ihm, kurz bevor er sein Quartier erreicht hatte, drei weitere Besatzungsmitglieder über den Weg.

Sie schienen sich wirklich zu freuen, ihn zu sehen. Sie lachten viel und streichelten ihn. Norman hatte den Eindruck, dass seine Anwesenheit ihre Anspannung etwas löste.

Und alle hatten Kekse für ihn.

Aber richtig schön wurde der Tag erst, als Tess in die Kabine zurückkehrte, um nach ihm zu sehen, und er von ihr noch eine weitere Belohnung bekam.

Weil er so brav gewesen war und sie ihn so lange allein gelassen hatten.

Das war doppeltes Glück. Und da sage noch jemand, der Himmel eines indischen Klonelefanten läge in seiner Kabine!

Bi Natham Sariocc sah dem sich trollenden Norman hinterher. Man erzählte sich wahre Wunderdinge über diesen Elefanten. Welche exotischen Welten er schon betreten, wie er Benjameen und Tess und sogar Perry Rhodan schon auf gefährlichen Missionen gerettet hatte ... Sicherlich war einiges davon stark übertrieben, doch selbst, wenn nur ein Körnchen Wahrheit daran war, konnte Bi verstehen, wieso das stets schwarz gekleidete Pärchen den Klonelefanten auch auf diese Mission mitgenommen hatte.

Er machte sich auf den Weg zu den wissenschaftlichen Abteilungen der JOURNEE. Der Spürkreuzer hatte einen Durchmesser von 100 Metern. Im Vergleich zu einem Schiff der ENTDECKER-Klasse mit 1800 Metern Durchmesser, etwa der LEIF ERIKSSON, ihrem Mutterschiff, mutete dies klein, wenn nicht sogar schon winzig an, aber der Eindruck täuschte.

Die JOURNEE verfügte über 21 Decks, die von Antigravschächten verbunden wurden. Hier auf Deck 13, dem Kommandodeck, waren es insgesamt elf.

Außer der Zentrale, der Messe und der Cafeteria, die gleichzeitig als Konferenzraum benutzt wurde, beherbergte dieses Deck noch 30 Kabinen. In 24 davon waren die drei Schichten der Zentrale-Crew untergebracht, sechs dienten zur freien Belegung durch wichtige Gäste. In Kabine 25 waren zum Beispiel Tess, Benjameen und Norman untergebracht. Kabine 30 konnte nach besonderer Herrichtung auch von nicht Sauerstoff atmenden Fremdlebewesen benutzt werden. Acht Radial- beziehungsweise Speichengänge sowie drei Ringgänge, ein innerer, ein mittlerer und ein äußerer, ermöglichten es, von jeder Kabine aus die Zentrale, aber auch die Messe und den Konferenzraum schnell zu erreichen.

Als leitender Hyperphysiker der JOURNEE war er in Kabine vier untergebracht, direkt am inneren Ringgang neben einer der vier Schleusen, die in die Zentrale führten. Auch wenn Tess Qumisha die wissenschaftliche Leitung der Mission übernommen hatte, hatte er sein Quartier natürlich nicht verlassen müssen.

Bi ging zum nächsten Antigravschacht und betrat ihn. Sein Körper schien plötzlich schwerelos zu werden. Er schwebte nach oben und verließ den Schacht auf Deck 15.

Auch hier gab es elf Antigravschächte. Über zehn konnte man die Decks 12 und 14 erreichen, einer führte direkt zu Deck 17, in dem der Permanentzapfer untergebracht war, der die JOURNEE mit Energie versorgte. Neben 48 Kabinen von jeweils 32 bis 78 Quadratmetern Fläche befanden sich in der Mitte des Decks die Aggregate des Transmitters von Deck 14. Auch dieses Deck verfügte über drei Ringgänge.

Als Bi die wissenschaftliche Abteilung betrat, musste er erneut an Corin Dazom denken, den Epsaler, der im Forschungszentrum Merkur-Alpha ums Leben gekommen war. Als Buddhist glaubte er an die Wiedergeburt, aber es war natürlich Unsinn, einen kleinen Elefanten als Reinkarnation seines alten Freundes zu sehen. Zumal es sich um ein geklontes Wesen handelte.

Die wissenschaftliche Abteilung verlief auf Deck 15 der JOURNEE ringförmig entlang der Außenhaut des Schiffes und vereinnahmte ein Viertel der Gesamtfläche der ganz außen liegenden Räumlichkeiten; in den restlichen drei Vierteln von etwa 1875 Quadratmetern Fläche war die Medostation untergebracht.

Außer ihm war niemand hier; die JOURNEE kämpfte in diesem Augenblick förmlich um jede Lichtsekunde im Hyperraum, und alle Besatzungsmitglieder waren mittlerweile auf ihren Stationen. Es kam ihm so still wie in einem Grab vor. Die einzige Ausnahme war das stete, dumpfe Brummen der Antriebsmaschinen des Schiffes, das er sonst bewusst so gut wie niemals wahrnahm; für ihn ein Anzeichen, dass der Flug des Spürkreuzers alles andere als normal verlief.

Aber darum kümmerten sich andere. Jeder auf seinem Platz, dachte er. Und der seine war eindeutig hier.

Er betrat einen Arbeitsraum, den eigentlich nur er benutzte. Die Hyperphysik war noch immer eine Wissenschaft, die mehr Fragen aufwarf, als sie beantworten konnte, und Kollegen anderer Fachrichtungen schienen ihn zu meiden, kaum Wert auf eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zu legen.

»Syntron«, sagte er, »bereite zwei Versuchsanordnungen vor. Erstens: Nimm eine Strangeness-Bestimmung der Umgebung vor. Suche nach den geringsten Abweichungen. Gleichzeitig baust du Simulationen auf. Ich möchte herausfinden, ob es möglich ist, dass die Strangeness sich lokal verändern kann.«

»Lokal in einem Universum?«, hakte die Laborsyntronik nach. »Strangeness ist der Wert, der Paralleluniversen durch individuelle Zuordnung eindeutig unterscheid- und theoretisch ansteuerbar macht. Jedes Paralleluniversum wird als Ereignis mit eigenem Strangeness-Wert angesehen. Da dieser innerhalb eines bestimmten Universums konstant ist, spricht man auch von einer Strangeness-Konstante. Ein absoluter Wert der Strangeness lässt sich nicht definieren, nur Strangeness-Unterschiede können messtechnisch bestimmt werden. Wenn dem Standarduniversum der Wert null zugeordnet ist, sind Paralleluniversen von ihm um so weiter entfernt, je mehr ihr Strangeness-Wert von null verschieden ist. Solch eine lokale Veränderung ist eigentlich nur im Zusammenhang mit extrauniversellen Eingriffen denkbar.«

Bi Natham Sariocc seufzte. »Strangeness-Veränderungen können nur durch die Messung universeller Konstanten nachgewiesen werden, etwa der Lichtgeschwindigkeit oder des Planckschen Wirkungsquantums. Überprüfe sämtliche Konstanten, die zur Bestimmung der Strangeness herangezogen werden, und simuliere gleichzeitig Möglichkeiten, wie diese Konstanten durch Eingriffe von außen manipuliert werden könnten. Beziehe dich nicht auf bereits bekannte Möglichkeiten.«

Der Syntron zögerte nur fast unmerklich, doch Bi nahm das winzige Zaudern trotzdem wahr. Wollte die Rechnereinheit damit etwa einen Protest gegen seine augenscheinlich sinnlose Anordnung ausdrücken?

Er verwarf den Gedanken wieder.

Die JOURNEE war aus dem Hyperraumflug geworfen worden und kämpfte nun gegen eine Barriere an, die ihr weiteres Vordringen verhindern wollte. Ein theoretischer Background über solch einen Fall war so gut wie nicht vorhanden, doch es war durchaus möglich, dass der Aspekt eines Paralleluniversums in die Betrachtung des Phänomens hineinspielte.

Trotzdem war ihm klar, dass ihn praktisch jedes andere Besatzungsmitglied wegen dieser Anweisung unverzüglich für verrückt erklärt hätte. Und er hätte jederzeit zugegeben, selbst nicht zu wissen, was genau er hier tat.

Hätte ihn jemand gefragt; doch er war allein in der Wissenschaftlichen Station.

Das tiefe Brummen der Triebwerke schien sich in Vibrationen zu verwandeln, die das gesamte Schiff leicht schwingen ließen.

»Die zweite Versuchsanordnung«, fuhr er fort. »Wie könnte man den ultrahochfrequenten Bereich von Hyper-Psi von 4,329 mal 10 hoch 15 Kalup durch Verwendung von Howalgonium oder anderer Substanzen veranlassen, in einen Frequenzbereich von 10 hoch 16 zu schnellen?«

Damit warf er genau die Frage auf, die die Hyperphysik seit Jahrhunderten zu klären versuchte – erfolglos.

Dann wandte er sich dem Gegenstand zu, wegen dem er eigentlich hierher gekommen war.

Die Uhr mit dem fein ziselierten vergoldeten Gehäuse lag auf einer Arbeitsfläche. Als Terra-Nostalgiker mit einem Faible für die Vergangenheit seiner Heimatwelt und vor allem der Region, aus der er stammte und der er sich nun zugehörig fühlte, hatte er die Geschichte dieses Relikts über die Jahrtausende hinweg zurückverfolgt.

Die Erde war zwar schon mehrmals ent- und wieder bevölkert worden, doch Bi Natham Sariocc war in dem ehemaligen Bundesstaat Indien geboren worden und aufgewachsen; er fühlte sich als Inder. Auch diese Uhr stammte von dort. Als in seiner Jugend Ausgrabungen in seiner Heimatstadt stattfanden, hatte er sie gefunden, und sie hatte ihn dermaßen fasziniert, dass er sie einfach behalten hatte.

In mühevoller Kleinarbeit hatte er sie restauriert und nach uralten Vorlagen zahlreiche Teile eigens hergestellt. Ihre Herkunft war schier unglaublich. Im 19. Jahrhundert alter Zeitrechnung hatte ein englischer Adliger namens Sir Rupert Edward Challenger diese Taschenuhr seinem nur dem Namen nach bekannten Führer auf einer Expedition in unzugängliche Gebiete des indischen Subkontinents geschenkt. Fast sechshundert Jahre lang verblieb sie im Besitz der Nachkommen dieses Mannes, bis die Erde dann während des Dolan-Angriffs im September 2437 stark verwüstet worden war. Ihr damaliger Besitzer hatte sie jedoch, zusammen mit anderen wertvollen Erinnerungsstücken und Dokumenten, in einem Safe aufbewahrt, der dann wiederum fast zweieinhalb Jahrtausende später zwar verschüttet, aber ansonsten unbeschädigt aufgefunden worden war.

Bi warf einen Blick auf die Holoprojektionen, die die Abteilungssyntronik zur Vorbereitung der Versuchsanordnung erzeugt hatte, und konzentrierte sich wieder auf sich selbst. Möge ich glücklich und zufrieden leben ...

Er spürte sofort, dass es ihm auch jetzt nicht gelingen würde, im eigentlichen Sinne zu meditieren. Wenn er die Augen schloss, sah er die Taschenuhr mit ihrem anachronistischen Zeiger, und der Zeiger sprang in einem asynchronen Rhythmus immer wieder vor und zurück ...

Bi Natham Sariocc versuchte, sich zumindest in eine gewisse Trance zu versetzen. Er ignorierte das immer stärker werdende Vibrieren, das von der JOURNEE ausging, und atmete tief und gleichmäßig ein.

Plötzlich vernahm er ein Ticken. Es schien völlig stetig und gleichmäßig zu sein, doch seine Sinne waren dermaßen geschärft, dass er Sekunden später eine erste Unregelmäßigkeit hörte: Es wurde lauter.

Und dann unrhythmisch.

Und stockte schließlich ganz.

Nur um im nächsten Augenblick wieder einzusetzen, und zwar so laut und durchdringend, dass es sich mit den Vibrationen der JOURNEE vereinigte und zum Stampfen der Schiffsantriebe wurde, die gegen irgendetwas ankämpften, das sie vielleicht nicht bezwingen konnten.

Die Taschenuhr füllte nun das gesamte Blickfeld des Hyperphysikers aus. Plötzlich wurde sie durchsichtig, und er konnte ihr Inneres sehen: ein augenscheinliches Chaos von Zahnrädchen, die jedoch wohlgeordnet ineinander griffen, die so straff gespannte Feder, dass sie jeden Moment aus ihrer Fassung zu springen drohte.

Dann war die vergoldete Hülle wieder so fest und undurchlässig wie zuvor. Abrupt klappte der Deckel auf, und Bis Blick folgte den feinen Ziselierungen, und sie wurden größer und größer, verwandelten sich in Rillen, in Erdspalten, dann in Schluchten, die Flüsse Kilometer tief in den Boden gegraben hatten, in einen güldenen, fein ziselierten Grand Canyon ...

Nein, dachte Bi. Was geschieht hier? Ich verliere mich in der Uhr, werde niemals in die Wirklichkeit zurückfinden ...

Er suchte einen ruhigen Pol in sich selbst, einen Ort, in den er sich zurückziehen konnte, die Kraft finden würde, um diesen Wahnsinn zu überstehen.

Denn es war Wahnsinn. Wenn er nur wüsste, was mit der JOURNEE geschah ... Der Spürkreuzer versuchte, die Barriere zu durchbrechen, die Andromeda umgab, und offensichtlich kam es dabei zu Effekten, von denen Bi sich nicht die geringste Vorstellung machen konnte. Nur ihre Auswirkungen bekam er mit.

Hyperphysikalische Effekte?

Wahrscheinlich. Aber er konnte sich nicht bewegen, nicht einmal sprechen, war nicht imstande, sie irgendwie zu untersuchen.

Ein Garten, dachte er. Ziehe dich in einen Garten zurück. Dort findest du Ruhe und Ausgeglichenheit, wie bislang immer in deinem Leben. Betrachte die Blumen um dich herum, die nicht in mit dem Lineal gezogenen Beeten wachsen, es ist ein Naturgarten, so widersinnig dieses Wort auch sein mag, rieche ihren Duft, erfreue dich an ihrer Farbenpracht, und Tiere besuchen diesen Garten und stellen das Spiel der unendlichen Vielfalt der Schöpfung unter Beweis. Dort, im dichten Würgepflanzengewächs an diesem Baum nisten Vögel, die an diesem wunderschönen Morgen zwitschern, und da huscht ein Eichhörnchen den Stamm hinauf, um Nüsse für den Winter zu sammeln ...

Und dann zwitscherten die Vögel längst nicht mehr, sondern trällerten, um die Abenddämmerung willkommen zu heißen, und bauten weiter an ihrem Nest, und die possierlichen Eichhörnchen entdeckten den Nistplatz, und Vogeleier waren eine Delikatesse für sie, und eine Katze schlich heran, und sie verschmähte zwar kein Eichhörnchen, wartete aber lieber darauf, dass die kleinen Vöglein ausschlüpften, doch dann trampelte ein Klonelefanten durch den Garten, verscheuchte zwar das Eichhörnchen und die Katze, aber auch die Vogeleltern, die ihre Küken füttern wollten ...

Nein, dachte Bi.

Und öffnete die Augen.

Die Taschenuhr wirbelte um ihn herum, verlor abrupt ihre Konsistenz, zerfloss, als bestünde sie nicht mehr aus vergoldetem Metall, sondern aus Sirup, der erhitzt und immer dünnflüssiger wurde, und eine brennende Giraffe trabte an der Uhr vorbei, und das stete Ticken wurde lauter und lauter, und Bis Blick fiel in die Uhr, auf das Ziffernblatt. Die Bewegung der Zeiger stoppte. Sie wanderten mit einem Mal rückwärts, dann ruckartig wieder vorwärts, und schließlich rasten sie in scheinbar extremer Beschleunigung vorwärts und rückwärts zugleich. Und ihre Bewegungslinien verharrten dabei, blieben wie ein Nachbild bestehen und bildeten eine Art Netzwerk ...

Indras Netz, dachte der Buddhist. Ein endloses Netz von Fäden, bei dem die waagerechten durch den Raum und die senkrechten durch die Zeit verliefen. Und an jedem Kreuzungspunkt war ein Individuum in Gestalt einer Kristallperle zu finden. Das große Licht des absoluten Seins erleuchtete und durchdrang jede Perle. Darüber hinaus spiegelte jede Perle nicht nur das Licht einer jeden anderen im Netz, sondern auch jede Spiegelung jeder Spiegelung, womit die vollkommene Verbundenheit von allem mit allem entstand ...

Der Moralische Kode, dachte der Hyperphysiker. Er enthielt in seinen Psionischen Informationsquanten und Kosmonukleotiden sämtliche Aspekte der möglichen Entwicklung aller Universen, mochten sie als einander parallel, vergangen oder zukünftig erscheinen.

Ich muss hier heraus, dachte der Mensch mit dem kreatürlichen Überlebenstrieb. Gleich wird es zu spät sein. Gleich werde ich jeden Halt verloren haben.

Das Vibrieren der JOURNEE wurde so schmerzhaft, dass es Bis Gehirn zu sprengen schien. Einen Augenblick lang hatte er die irrwitzige Befürchtung, als Klonelefant wiedergeboren zu werden, dann löste sich die Welt um ihn herum auf, und er fiel in den entsetzlichen Abgrund unter der Uhr, und kein Faden des Netzes fing ihn auf, und er schrie und schrie ...

Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband)

Подняться наверх