Читать книгу Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband) - Uwe Anton - Страница 14
ОглавлениеKapitel 9
Undurchdringliche, unnatürliche Dunkelheit
JOURNEE, Bordzeit 19. März 1312 NGZ
Als die JOURNEE aus dem Hyperraum fiel, jaulten die Alarmsirenen auf. Es hätte der Warnung durch die Syntronik nicht bedurft, ein Blick auf die Ortungsholos verriet Rhodan alles.
Alles und doch gar nichts.
So weit die Taster und Orter hinausblicken konnten, war der Weltraum um den Spürkreuzer schwarz.
Es war eine alles umfassende Dunkelheit, eine undurchdringliche, eine wirklich vollkommene.
Rhodan war öfter im Leerraum zwischen Galaxien gewesen, als er sich erinnern konnte. Im Leerraum zwischen der Milchstraße und Andromeda, im Leerraum zwischen unvorstellbar weit entfernten Sterneninseln, zu denen der Flug mehrere Jahre dauerte. Er hatte mit seinen Schiffen unzählige Orientierungsstopps im Nichts zwischen weit entfernten Galaxien eingelegt.
Aber noch nie hatte er eine solch perfekte, absolute Schwärze gesehen.
»Was ist hier geschehen?«, fragte er leise. Seine Stimme kam ihm völlig fremd vor. Plötzlich wurde er sich bewusst, dass es in der Zentrale der JOURNEE völlig still war. Niemand sagte ein Wort, alle starrten fassungslos auf das, was die Holos ihnen zeigten. Oder auch nicht zeigten. »Wo sind wir hier?«
Cita Aringa räusperte sich. »Genau dort, wo wir sein sollten. Einen Lichttag vom Rand der Barriere entfernt. Ich habe die Positionsdaten überprüft. Während des Flugs sind keinerlei Störungen oder Abnormalitäten aufgetreten.«
Der Resident lachte leise auf. Ihm war klar, dass Zim November sich nicht einfach verflogen und sie in irgendeine transdimensionale Dunkelkammer befördert hatte. »Alle Stationen doppelt besetzen«, befahl er. »Ich brauche dringend konkrete Daten!«
»Verstanden, Perry«, sagte Coa Sebastian und teilte ihre Leute ein.
Rhodan starrte weiterhin in das undurchdringliche Schwarz, das die Ortungsholos unverändert zeigten. Es kam ihm vor wie die Substanz einer anderen Welt, in die es sie auf unerklärliche Weise verschlagen hatte.
Dabei schien ihr Rückflug in die Milchstraße anfangs durchaus unter einem guten Stern zu stehen. Die JOURNEE war von Cyrdan gestartet und hatte den Rand von Andromeda erreicht, ohne angefochten zu werden. Keines der Kastun-Schlachtschiffe hatte sich sehen lassen, lediglich zahllose Funknachrichten von Scharmützeln und Schlachten und ungezählte Notrufe aus allen Ecken der Galaxis wiesen die Besatzung des terranischen Spürkreuzers darauf hin, dass die kürzlich noch friedliche Sterneninsel unvermittelt zum Schauplatz eines grausamen Krieges geworden war.
Eines Krieges, der unermessliches Leid über die Bewohner einer ganzen Galaxis bringt, dachte Rhodan.
Sie hatten mehrere Zwischenstopps eingelegt, als sie sich ihrem Ziel näherten, Messungen vorgenommen, Daten gesammelt. Die Barriere war eindeutig noch vorhanden, ließ sich aber hyperphysikalisch noch immer nicht näher bestimmen. Die letzte kurze Flugetappe hatte sie dann bis auf eine Lichtwoche an die imaginäre Linie herangebracht, rund 5000 Lichtjahre jenseits der Grenze von Andromeda. Und dann ... das!
Undurchdringliche, unnatürliche Dunkelheit.
»Wir haben die ersten Ortungsdaten analysiert«, riss Cita Aringa ihn aus seinen Gedanken. »Wir befinden uns in einem ganz normalen Leerraum am Rand einer Galaxie. Keinerlei Auffälligkeiten, bis auf eine ... es gibt hier offensichtlich kein Licht.«
Fragend sah Rhodan die Orterin an.
»Ich kann es nicht besser erklären«, sagte die Plophoserin. »Etwas scheint zu verhindern, dass das Licht sich hierher ausbreiten kann. Dieser Effekt hat keinerlei Auswirkungen auf die Schiffssysteme.«
»Die JOURNEE ist also voll einsatzfähig?«
»Genauso einsatzfähig, wie sie es war, bevor wir an diesem Ort in den Normalraum zurückgefallen sind.«
»Dann werden wir es versuchen«, entschied Rhodan. »Zim, setze einen Kurs. Volle Kraft voraus, auf die Barriere zu. Wir werden sie jetzt durchbrechen!«
Es war genau wie beim ersten Mal.
Genau wie vor vier Tagen, als es ihnen mit letzter Kraft gelungen war, die Barriere in umgekehrter Richtung zu überwinden.
Aber diesmal schienen sie nicht so viel Glück zu haben.
Die Triebwerke dröhnten, die Zentrale der JOURNEE vibrierte, die Ortungsholos zeigten ein rötliches Wabern und Pulsieren, das Rhodan unwillkürlich an die Labilzone eines Antitemporalen Gezeitenfelds erinnerte.
Und die JOURNEE schien keinen Meter voranzukommen.
Dasselbe Phänomen wie beim Einflug nach Andromeda, dachte Rhodan, der nicht definierbare Widerstand, wie eine Wand aus Gummi, die sich dem Kreuzer entgegenstellt ...
»Wir haben keine Chance!«, rief Bruno Thomkin, Leiter der Abteilung Technik. »Triebwerke bei einhundertundsieben Prozent! Sie fliegen uns jeden Augenblick um die Ohren!«
»Kein sichtbares Vorankommen!« Coa Sebastian blickte von ihrer Konsole auf. »Der Raum scheint sich zu verdicken! Der unsichtbare Widerstand, den wir beim ersten Mal nur mit größter Mühe überwinden konnten, hat sich zu einer undurchdringlichen Barriere verstärkt! Die JOURNEE bleibt darin einfach hängen!«
Rhodan sah zu Zim November hinüber. Der junge Emotionaut saß starr in seinem Sessel. Unter der SERT-Haube schienen Schweißtropfen sein Gesicht hinabzurinnen; sein Kinn schimmerte feucht.
Er ist das Schiff, dachte Rhodan. Und er geht lieber mit ihm unter, als den Versuch abzubrechen.
»Triebwerke bei einhundertundelf Prozent!«
Die Vibrationen wurden so stark, dass der Resident befürchtete, von seinem Sessel geworfen zu werden. Überrascht bemerkte er, dass er sich schon seit geraumer Zeit an den Lehnen festklammern musste; seine Knöchel traten weiß hervor.
Schlagartig verstummte das Kreischen von Metall, das Dröhnen mächtiger Aggregate, das Summen der Energie, das glockenlaute Schwingen der Schiffszelle. Zim November erschlaffte auf seinem Sessel; jegliche Anspannung schien seinen Körper verlassen zu haben.
»Kurswechsel!«, befahl er. »Es ist mir nicht gelungen, die Grenze zu durchstoßen. Ich habe das Manöver im letzten Moment abgebrochen, bevor die JOURNEE erneut Schaden nehmen konnte.« Seine Stimme klang verzerrt, als koste es ihn unerträgliche Überwindung, dieses Eingeständnis zu machen.
»Wie ist das möglich?«, sagte die Kommandantin. »Hat jemand eine Erklärung dafür?«
Tess Qumisha blickte von ihrer Station auf, sah Coa Sebastian an und schüttelte stumm den Kopf. »Die Sachlage ist gänzlich unverständlich«, sagte sie, noch immer um Fassung ringend, »aber in ihren Folgen klar. Jegliche Verbindung nach außerhalb ist abgebrochen. Niemand kann Andromeda mehr verlassen, niemand kommt mehr in die Galaxis herein!«
Rhodan hatte den Eindruck, dass alle in der Zentrale ihn ansahen. Fragend, erwartungsvoll, hoffnungsvoll, als wäre es selbstverständlich, dass er die rettende Idee hatte.
»Wir geben noch nicht auf«, sagte er. »Wir versuchen es an einer anderen Stelle noch einmal. Vielleicht ist die Barriere dort noch durchlässig. Zim, setze einen Kurs über zweitausend Lichtjahre parallel zum Rand von Andromeda!«
»Ortung!«, sagte Cita Aringa, als die JOURNEE aus dem Hyperraum fiel. »Zwei Raumschiffe.« Mit einer Handbewegung projizierte die Plophoserin die Daten in den Hologlobus. »Entfernung etwa eine Lichtwoche.«
Den ersten Raumer konnte Rhodan sofort identifizieren. Es war ein kugelförmiges Handelsschiff mit Ringwulst und einem Durchmesser von 1800 Metern, ein Frachter, wie er sie auf Cyrdan zu Dutzenden gesehen hatte.
So ein Schiff wie das zweite hingegen hatte er noch nie zuvor gesehen.
Es handelte sich dabei um eine Art Kreuzgestänge, an dessen Enden jeweils – er warf einen Blick auf die Daten, die der Hologlobus nun einspielte – ein 110 Meter langes, an der dicksten Stelle 50 Meter durchmessendes, birnenförmiges Objekt aufgehängt war, dessen dicke Enden nach außen wiesen.
Insgesamt durchmaß das Schiff 270 Meter. Über dem Mittelkreuz ruhte auf einem Gestänge ein 50 Meter durchmessender, 30 Meter hoher Diskus, dessen Rand exakt mit den Spitzen der Birnenkörper endete.
Das Kreuzschiff – Rhodan prägte diesen Namen instinktiv – entfernte sich mit hoher Geschwindigkeit von dem tefrodischen Frachter. Es verblieb nur ein, zwei Sekunden in der Ortung, dann trat es in den Überlichtflug ein.
Rhodan vergrößerte die holografische Darstellung des Frachters.
Er schluckte heftig.
Das Schiff war nur noch ein Wrack. Ein Teil der Wölbung war regelrecht zerfetzt worden. Irgendeine Waffe hatte die äußeren dreihundert Meter der Kugel aufgelöst. Teilweise Dutzende von Metern dicke Risse zogen sich durch den Rest der Hülle. An zahlreichen Stellen, wohl auch im Schiffsinneren, hatten sich Explosionen ereignet. Dort glühte noch immer Metall nach.
»Treffer einer Intervallkanone«, stellte Vorua Zaruk fest. Ihre Stimme klang belegt. »Aber nur ein Streifschuss, sonst wäre von dem Frachter nur noch Staub übrig geblieben. Wahrscheinlich war das beabsichtigt ... man wollte den Kugelraumer nur wrack schießen, nicht zerstören.«
Rhodan nickte. Zu diesem Schluss war er auch gekommen. »Warum?«
Die Epsalerin zuckte mit den Achseln. »Da ist eine Vermutung genauso gut wie die andere.«
»Überlebende?«, fragte der Resident.
»Aus dieser Entfernung nicht feststellbar.«
»Wir gehen näher heran. Zim, bring uns mit einer kurzen Überlichtetappe direkt neben den Frachter.« Rhodan vergrößerte die Aufzeichnung des unbekannten Kreuzschiffs. »Läuft die Analyse?«
»Natürlich«, bestätigte Bruno Thomkin. »Aber wir hatten das Schiff nicht lange genug in der Ortung, um aussagefähige Schlüsse ziehen zu können. Leistungsfähige Triebwerke unbekannter Art, keinerlei Aussage über eine eventuelle Bewaffnung möglich.«
»Was hat es mit dem Diskuskörper und den birnenförmigen Körpern am Ende der Kreuzspeichen auf sich?«
Der Lunageborene hob die Schultern. »Die Syntronik arbeitet daran, aber ich bezweifle, dass viel dabei herauskommen wird.«
Die JOURNEE fiel in den Normalraum zurück, und Cita Aringa aktivierte die Geräte ihrer Konsole. »Die Individualtaster haben zwei Überlebende ausfindig gemacht.«
Rhodan räusperte sich. »Zwei Überlebende«, wiederholte er flüsternd. »Wie groß war die Besatzung? Sind dort Hunderte oder gar Tausende von Tefrodern gestorben?«
»Noch mehr«, sagte die Plophoserin leise. »An Bord befinden sich etwa zehntausend Leichen. Wahrscheinlich hat der Frachter Flüchtlinge aufgenommen und versuchte, Andromeda zu verlassen. Es ist ihm nicht gelungen ...«
Was ist hier geschehen?, dachte Rhodan. Haben die Angreifer das Schiff geentert und die Überlebenden des Beschusses mit der Intervallkanone dann einen nach dem anderen getötet? Warum? Weshalb haben sie den Frachter nicht direkt zerstört? Ein Kastun-Raumer wäre mühelos dazu imstande gewesen ...
Die Motive und die Gründe für das teilweise völlig unverständliche Vorgehen der Invasoren Andromedas blieben weiterhin im Dunkeln. Rhodan bezweifelte, dass er in dem Frachter irgendwelche Antworten auf seine Fragen finden würde.
»Wir gehen rein«, entschied er trotzdem.
Coa Sebastian sah ihn an.
»Wir müssen versuchen, den beiden Überlebenden zu helfen«, sagte der Aktivatorträger.
Die Kommandantin nickte. »Natürlich. Aber ich muss dich darauf hinweisen, dass das unbekannte Kreuzschiff uns geortet haben könnte. Wenn seine Besatzung gemeinsame Sache mit den Invasoren macht, müssen wir davon ausgehen, dass sie einen oder mehrere Kastun-Raumer über unser Erscheinen informiert hat. Und das heißt ...«
»Dass wir vielleicht bald unliebsamen Besuch bekommen werden«, vollendete Rhodan den Satz. »Was schlägst du vor, Coa? Sollen wir uns aus dem Staub machen und die beiden Überlebenden einfach sterben lassen?«
Coa Sebastian schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Aber ich sehe es als meine Pflicht an, dich auf mögliche Gefahren aufmerksam zu machen.«
»Zur Kenntnis genommen. Wir fliegen in Raumanzügen hinüber, bei der geringen Distanz lohnt es sich nicht, in einer Space-Jet überzusetzen. Doktor Serleach soll sich sofort in der Bodenschleuse in Deck eins einfinden. Und wir nehmen einen TARA und zwei Medoroboter mit.«
Die Scheinwerfer des TARA-V-UH-Roboters waren tastende Lichtfinger in einer schier undurchdringlichen Finsternis. Nur durch Risse in den Wänden konnte Rhodan in weiter Ferne, dort, wo die Intervallkanonen des Angreifers den Frachter gestreift hatten, ein rötliches Glimmen ausmachen. Dort glühte noch immer Metall. Die exakt gesteuerten und enggebündelten Hyperfelder der Kanone hatten beim Auftreffen auf das Ziel eine ungeheure, wenn auch rein mechanische Wirkung erzielt und die Materie, aus dem das Raumschiff bestand, geradezu zertrümmert. Daraufhin war es zur Explosion von Meilern und Konvertern gekommen, die dann weitere Verwüstungen angerichtet hatte.
Der zweieinhalb Meter große, kegelförmige Koloss mit dem halbkugelförmigen Kopf rückte etwa zwanzig Zentimeter über dem Boden auf Prallfeldkissen vor. Er hatte sowohl den dreifach gestaffelten Paratron-Schutzschirm als auch die Waffen aktiviert: Desintegratoren, Transformkanonen, Thermokanonen, Impulsstrahler.
Noch in dieser Entfernung von der Einschlagstelle machte sich die verheerende Wirkung des Intervallgeschützes bemerkbar. Es zertrümmerte fast jedes bekannte Material, und dieser Prozess schien sich von der Hülle des Schiffes aus bis tief in das Innere fortgesetzt zu haben. Wo die Druckwellen des Prallfelds gegen die Wände des Korridors schlugen, durch den sie in den Frachter eindrangen, lösten sich kleine, dichte Wolken. Sie breiteten sich schnell in der annähernden Schwerelosigkeit aus, zerfielen jedoch schon nach wenigen Metern in einen dünnen, faserigen, gelblich schimmernden Nebel, der sich dann ganz langsam auf den Boden senkte.
Rhodan hatte den Eindruck, die Materie des Frachtraumers sei porös geworden. Die Außenmikros seines Galornenanzugs übertrugen ein unentwegtes Ächzen und Knirschen tief aus den Eingeweiden des Schiffes, als drohe es jede Sekunde einfach auseinanderzubrechen.
»TARA«, befahl Rhodan dem Kampfroboter. »Umschalten von Prallfeld auf Antigravtriebwerk.«
Das überschwere Gebilde aus Ynkelonium und Terkonitstahl befolgte die Anweisung umgehend, und der seltsame Effekt der Wolkenbildung ließ nach und hörte dann ganz auf. Das bestärkte Rhodan in seiner Meinung. Das Material, aus dem der Raumer bestand, schien auch in dieser Entfernung von der Einschlagstelle von den Intervallstrahlen dermaßen zersetzt worden zu sein, dass es nun von bloßen Druckwellen Schicht um Schicht abgeschabt und aufgelöst wurde.
Rhodan warf einen verstohlenen Blick auf den Bordarzt der JOURNEE und den beiden Medorobotern, die dicht hinter ihm flogen. Mimo Serleach schien sich gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen. Der Pikosyn seines SERUNS übernahm zwar seine Bewegungskoordination, aber das Gesicht, das der Resident unter der Helmscheibe sehen konnte, zeugte eher von Unsicherheit als von Zuversicht.
Kein Wunder, dachte er. Serleach hatte nicht gerade an besonders vielen Außeneinsätzen teilgenommen. »Die beiden Lebenszeichen?«
»Individualtaster weiterhin aktiviert«, antwortete der TARA. »Die Lebenszeichen sind noch vorhanden, werden aber schwächer.«
Der Resident musste sich auf die Lippe beißen, um den Roboter nicht anzuweisen, sich zu beeilen. Das hatte er getan, als sie in das wrackgeschossene Schiff eingedrungen waren. Rhodan wusste, dass er seine Programmierung befolgte und sich ihnen nicht auf dem kürzesten, sondern dem schnellsten Weg näherte.
»Entfernung achtzig Meter«, meldete der TARA und erhöhte seine Geschwindigkeit, als hätte er Rhodans Gedanken gelesen.
Der Korridor wurde enger. An einer Abzweigung bog der Kampfroboter ab und in einen noch engeren Gang ein. Rhodan verließ sich vollständig auf den Pikosyn des Galornenanzugs, der ihm alle Koordinationsaufgaben abnahm. Er flog haarscharf an Wänden und plötzlich daraus hervorragenden Schaltkästen, Aufbauten und Verstrebungen vorbei und musste doch nicht die geringste Angst haben, irgendwo hängen zu bleiben oder gegen ein Hindernis zu prallen. Dennoch verspürte er Beklemmung. Die immer schmaler werdenden Gänge, die immer tiefer in das Innere des Schiffes führten, schienen ihn in das Innere eines Grabs zu führen, aus dem es keine Rückkehr mehr gab.
Die Leiche tauchte unvermittelt vor Rhodan auf. Sie schwebte schräg auf halber Höhe des Gangs, die Füße berührten fast die Decke, die Kopfhaare den Boden. Langsam trieb sie ihnen entgegen.
Es war die einer Frau. Ihr Raumanzug war an mehreren Stellen aufgerissen, und kleine Blutstropfen quollen noch immer aus den Löchern. Die Rotation der Leiche verlieh ihnen eine gewisse Fliehkraft, und sie entfernten sich langsam von der Toten, prallten immer wieder gegeneinander und wurden wieder voneinander abgestoßen.
Der Spuk dauerte nur zwei, drei Sekunden, dann hatte der TARA die Tefroderin passiert, und sie wurde wieder von Dunkelheit vereinnahmt.
Mimo Serleach wurde langsamer. »Nein«, sagte Rhodan mit belegter Stimme. »Sie ist tot. Keinerlei Lebenszeichen mehr. Du kannst nichts mehr für sie tun. Wir müssen den beiden Überlebenden helfen.«
Der TARA bremste abrupt ab. »Erbitte Erlaubnis, Waffen einzusetzen. Die Verletzten befinden sich direkt hinter dieser Wand.«
Rhodan zögerte kurz. Er fragte sich, wie die Materie des Schiffes darauf reagieren würde.
Aber wenn er sowieso schon befürchtete, das Schiff könne sich jeden Augenblick in seine Bestandteile auflösen, waren die Minuten, die sie auf diese Weise gewannen, vielleicht entscheidend.
»Erlaubnis erteilt.«
Der Roboter richtete den Waffenarm auf die Wand. Ein Desintegratorstrahl umgab das Metall mit einem fünfdimensionalen Feld, das die elektrostatischen Anziehungskräfte neutralisierte, die den Zusammenhalt der Materie bewirkten, und das bestrahlte Objekt zerfiel in Ultrafeinstaub. Rhodan glaubte einen dünnen Schleier zu sehen und fühlte sich an den Nebel erinnert, den er kurz zuvor wahrgenommen hatte.
Der TARA setzte sich wieder in Bewegung und flog durch die Lücke, die er gerade geschaffen hatte. Er hatte dabei mit äußerster Präzision gearbeitet: Sein länglich-ovaler Körper passte genau hindurch. Lediglich an einer Stelle flackerte der Schutzschirm kurz auf, als er bereits zerfallende Materie berührte und verglühen ließ.
Rhodan folgte ihm und sah ein Bild des Grauens.
Bei dem etwa zwanzig Meter durchmessenden Raum schien es sich um eine Art Neben- oder Steuerzentrale zu handeln. Der Großteil der Einrichtung war zerstört, aber offensichtlich nicht durch die Einwirkung der Intervallkanone. Rhodan glaubte, an den Displays und Terminals Spuren von Impulsstrahlen zu erkennen. Er fragte sich, was sich hier abgespielt hatte.
Zahlreiche Leichen schwebten in der Luft. Anscheinend hatte die gesamte Besatzung des Frachters versucht, sich in diesen Raum zurückzuziehen.
Einigen war es nicht mehr gelungen, ihre Raumanzüge anzulegen oder zu schließen. Die Dekompression hatte sie grausam entstellt. Bei anderen waren die Anzüge beschädigt worden. Der gesamte Raum schien ein Meer aus Blut und Gewebeteilen zu sein, die der Resident nicht unbedingt einer näheren Untersuchung unterziehen wollte.
Die Individualtaster des TARAS identifizierten die beiden noch lebenden Tefroder sofort. Er schwebte zum Ersten, Dr. Serleach und ein Medorob folgten ihm. Der Arzt warf nur einen Blick auf den Mann, dann flog er zu dem zweiten Verletzten weiter, vor dem der Kampfroboter Position bezogen hatte.
Während der Medorob sich an die wahrscheinlich sinnlose Arbeit machte, kniete Rhodan neben dem Tefroder nieder. Der Mann hätte 70, aber auch 170 Jahre alt sein können, sein wettergegerbtes Gesicht mit der ledrigen Haut und das schlohweiße Haar unter der Helmscheibe ließen keine Rückschlüsse darauf zu. Im Licht der Scheinwerfer, die die Medorobs nun eingeschaltet hatten, wirkte es geisterhaft gelb.
Der Raumfahrer schien zu spüren, dass er nicht mehr allein war, und öffnete die Augen. Einen Moment lang war sein Blick ins Leere gerichtet, dann suchte er die fahle Illumination und blieb schließlich auf Rhodans Antlitz haften.
»Ich ... ich kenne dich«, sagte er. »Du kommst aus der Milchstraße, aber du bist auch in Andromeda sehr berühmt.«
»Was ist hier passiert?«, fragte Rhodan. »Wer hat euch angegriffen?«
Der Mann schien ihn gar nicht zu hören. »Meine Ahnen haben einmal in der Zentrumsnähe von Andromeda gewohnt«, fuhr er fort. »Die gütigen Meister der Insel haben sie immer vor den wilden Maahk-Horden beschützt. Doch dann kamen Barbaren aus der Nachbargalaxis, haben einen Krieg angezettelt und eine Kettenreaktion ausgelöst, bei der die Sonne des Systems meiner Vorfahren und alle Kolonialsysteme vernichtet wurden. Und angeführt wurden diese Barbaren von dir, Rhodan.«
Der Resident sagte nichts darauf. Der Alte war geistig verwirrt. Die Maahks waren niemals als wilde Horden über die Tefroder hergefallen, sondern von diesen angegriffen, in eine vorgelagerte Kleingalaxis deportiert und versklavt worden. Und die Meister der Insel waren nichts anderes als Verbrecher gewesen, die eine ganze Galaxis unterjocht und mit totalitärer Gewalt und Willkür beherrscht hatten.
Aber die Tatsache, dass Dr. Serleach diesen Patienten dem Medorobot überlassen und sich sofort dem anderen zugewandt hatte, ohne auch nur versucht zu haben, dem Ersten zu helfen, sprach Bände.
Rhodan wollte die letzten Minuten eines Sterbenden nicht mit der Wahrheit belasten. Er bedauerte nur, den Tefroder nicht berühren, ihm nicht wenigstens den Trost körperlicher Nähe spenden zu können. »Was ist hier passiert?«, wiederholte er sanft.
Der Tefroder sah sich um, als wisse er gar nicht, wo er sich befand. »Sie haben ihn mitgenommen«, sagte er dann.
»Wer?«, fragte der Resident. »Wer hat wen mitgenommen?«
»Den Kommandanten. Nachdem sie unser Schiff zusammengeschossen hatten, haben sie ihn mitgenommen. Seine Leiche ist einfach verschwunden. Sie haben ihn mitgenommen ... Warum tun sie das?«
Rhodan wusste nicht, was der Tefroder meinte. Weshalb sie das Schiff zerstört hatten, oder weshalb sie die Leiche des Kommandanten mitgenommen hatten?
»Ich weiß es nicht«, sagte er.
»Er war ein Kriegsheld«, flüsterte der Sterbende. Seine bislang völlig klare Stimme war von einem Augenblick zum anderen brüchig geworden. »Ein großer Kämpfer unseres Volkes. Längst im Ruhestand, aber trotzdem. Sie haben ihn mitgenommen, und mich haben sie ... haben sie ...« Seine Augen verdrehten sich, sein Atem ging plötzlich rasselnd. Zwei furchtbar schnarrende Züge, die Rhodan an ein Instrument erinnerten, aus dem mitten während des Spielens plötzlich die Luft entwich, ein dritter, ein vierter ... und dann keiner mehr.
Die Gestalt des Tefroders erschlaffte ruckartig.
Rhodan sah zu Mimo Serleach hinüber.
Der Bordarzt richtete sich gerade von seinem Patienten auf und schüttelte unter dem Raumhelm den Kopf. »Nichts mehr zu machen«, sagte er. »Ich ...«
»Energieemissionen«, unterbrach der TARA ihn. »Eine starke Energieentfaltung backbord an der Außenhülle des Frachters!«
Rhodan schaltete sofort. Eine Falle!, dachte er. Die Angreifer haben den wrackgeschossenen Raumer in eine Todesfalle umfunktioniert!
Er zeigte auf den Bordarzt. »Nimm ihn mit! Raus hier, so schnell wie möglich, unter Einsatz aller Mittel!«
Fesselfelder rissen Dr. Serleach hoch. Bevor der Mediker wusste, wie ihm geschah, hatten sie ihn mit rasender Geschwindigkeit zu dem TARA befördert. Dessen Paratronschirm erlosch für Sekundenbruchteile und baute sich sofort wieder auf. Serleach schrie auf. Wahrscheinlich befürchtete er, am Körper des Kampfroboters zu zerschellen, doch im letzten Augenblick wurde er mit brachialer Gewalt abgebremst und schien dann an der Hülle des TARA zu kleben.
Alles geschah gleichzeitig. Der Roboter aktivierte seine Triebwerke und riss die Waffenarme hoch. Eine kaum vorstellbare, von Energiespeicherbatterien und Matrix-Schwarzschild-Fusionsreaktoren gespeiste Vernichtungskraft erfasste ihr Ziel – Impulsstrahler, Desintegratoren, Hochenergiegeschütze, Rhodan bekam es nicht mehr mit.
Der TARA feuerte, und die Wand vor ihm löste sich auf und verglühte gleichzeitig. Schon setzte das High-Tech-Gebilde sich in Bewegung.
Moo! Aktiv-Modus!, dachte Rhodan. Bring mich hier raus!
Das auf der rechten Brustseite des Galornenanzugs angebrachte zentimeterdicke Relief, das Rhodan an eine Buddha-Figur von etwa zehn Zentimetern Höhe erinnerte, erwachte zum Leben. Es schien geradezu aus dem Anzug zu springen und bildete sich blitzschnell aus.
Rhodan hatte diesen speziell auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Anzug in der Galaxis Plantagoo von Kaif Chiriatha, der inzwischen umgekommenen Thoregon-Botin der Galornen, zum Geschenk gemacht bekommen. Er war nach dem Vorbild eines terranischen SERUN gefertigt worden und wies auch die SERUN-typischen Charakteristiken und Leistungsparameter auf. Das Geheimnis von Moo hatte er noch nicht ergründen können. Laut eigener Aussage war das jederzeit von ihm aktivierbare Zwitterwesen halb lebendiger, halb robotischer Natur.
»Folgen!«, sagte Moo, und der Galornenanzug wurde abrupt aktiv. Ohne selbst irgendetwas dazu zu tun, raste Rhodan durch die klaffenden Öffnungen in den Decken und Wänden des Frachters, die der TARA geschaffen hatte. Die Ortung verriet ihm, dass die beiden Medorobs ihm folgten.
Der TARA tauchte wieder in Rhodans optischer Erfassung auf. Er feuerte unablässig, um sich den kürzesten Weg durch das Innere des Frachters freizuschießen.
Rhodan konnte die Vibrationen, die sich durch den tefrodischen Frachter ausdehnten, trotz der Abschirmungen des Galornenanzugs deutlich wahrnehmen. Ein Zittern durchlief seinen Körper und machte ihn fast bewegungsunfähig.
Moo flog noch schneller durch die breite Schneise der Vernichtung, die der TARA gerissen hatte, und schlug dann dicht hinter ihm einen etwas anderen Kurs ein.
Rhodan bekam kaum mit, wie sie den Frachter verließen. Was auf dem Hinweg unter Wahrung jedweder gebotenen Vorsicht lange gedauert hatte, währte nun, unter Einsatz brachialster Kampfkraft, nur Sekunden.
Verwirrende Bilder jagten über Rhodans Helmdisplay. Der Frachter hinter ihm, die JOURNEE vor ihm, nachtschwarzer Leerraum zwischen den Sternen um ihn herum. Displays verrieten ihm, dass der Galornenanzug sämtliche verfügbaren Energien abzog und auf den Antrieb legte. Ein Ortungsbild zeigte den TARA mitsamt Dr. Serleach, die hinter ihm zurückblieben.
Die JOURNEE wurde rasend schnell größer, der Frachter rasend schnell kleiner, und plötzlich war das tefrodische Raumschiff gar kein halbes Wrack mehr, sondern eine neue Sonne, die unvermittelt hier am äußersten Rand von Andromeda entstanden war.
Und Rhodan wurde klar, dass die JOURNEE nicht nur subjektiv größer geworden war, weil er sich dem Schiff genähert hatte, sondern auch, weil sie sich praktisch vor ihn geschoben hatte, um ihn vor den Auswirkungen der Explosion abzuschirmen. Ihn und den TARA mit Dr. Serleach.
Rhodans Adrenalinspiegel war in unermessliche Höhen geschnellt, und die Rettung war fast ein Antihöhepunkt, der ihn körperlich schmerzte. Keine Druckwelle, die ihn durch die Schwärze des Alls schleuderte. Keine Feuerfront, die seine Schutzschirme fast überbelastete.
Gar nichts.
Ein Traktorstrahl erfasste ihn und zog ihn in den Rollo-Hangar der JOURNEE. Kurz darauf setzte der TARA mit Dr. Serleach neben ihm auf.
Erst Minuten später wurde ihm klar, wie knapp es gewesen war.
Die beiden Medoroboter hatten es nicht geschafft. Sie waren von den Energiegewalten der gezündeten Bomben erfasst und vernichtet worden.
Cyrdan, einige Stunden zuvor ...
Admiral Venk Kethmeros Miene kam Raye Corona unerklärlich düster vor.
Mit zurückgelegtem Kopf verfolgte er, wie die JOURNEE vom Raumhafen Elvulryl startete. Raye erfüllte dieser Aufbruch mit Hoffnung. Sie bezweifelte nicht, dass Perry Rhodan sein Versprechen halten und mit starker militärischer Hilfe für Hathorjan zurückkehren würde.
Und bis dahin würden sie durchhalten. Bei den Millionen Planeten dieser Galaxis war es äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Invasoren ausgerechnet Cyrdan als eines der nächsten Angriffsziele auswählen würden.
Admiral Kethmero schien den Start der JOURNEE jedoch mit einem höchst unguten Gefühl zu verfolgen.
Raye fragte sich sowieso, weshalb der Admiral sie zu der kurzen Verabschiedung auf dem Raumhafen gebeten hatte. Wollte er ihr damit seine Dankbarkeit für den glücklichen Umstand beweisen, dass sie zum richtigen Augenblick am richtigen Ort gewesen war und sich aufopfernd um die verletzten Besatzungsmitglieder der JOURNEE gekümmert hatte? Oder hegte er ein ganz anderes Interesse an ihr?
Sie wusste, sie war eine attraktive junge Frau. Jeder andere Gedanke wäre Heuchelei gewesen, eine Lüge. Man hatte es ihr oft genug gesagt. Und der Admiral war auch nur ein Mann.
Sie fand ihn ganz sympathisch, aber aus irgendeinem Grund ging ihr Zim November nicht aus dem Kopf. Der junge terranische Emotionaut war nicht nur süß, er ...
Sie seufzte leise. Eigentlich sollte sie den Start der JOURNEE mit Freude und Hoffnung verfolgen, doch unter diese Gefühle mischte sich auch Schmerz. Sie gestand es sich nicht gern ein, aber sie bedauerte, dass Zim sie verlassen musste.
Hast du dich etwa verliebt?
Sie unterdrückte den Gedanken und sah wieder den General an. Hatte er sich in sie verliebt?
Verliebt war vielleicht zu viel gesagt. Interessierte sie ihn? Wollte er sie gern näher kennen lernen?
Die JOURNEE verschwand in den Wolken über dem Turfin-Tiefland, und der Admiral drehte sich zu ihr um. »Trinken wir noch einen Ripperger?«
»Müsstest du nicht an Bord deines Flaggschiffs sein?«, konterte sie. »Schließlich könnten die Kastun-Schiffe jeden Augenblick über Cyrdan auftauchen ...«
»Meine Leute wissen, was sie zu tun haben«, sagte er, doch sein Blick verschleierte sich. »Außerdem gibt es hier Transmitter. Ich kann in einer halben Minute an Bord sein.«
Raye wurde klar, dass er nicht die Wahrheit sagte. Zumindest nicht die ganze. Natürlich konnte er in ein paar Sekunden an Bord seines Schiffes sein. Aber das würde auch nichts ändern. Ob mit oder ohne ihn ... die Flotte von fünfzig Raumern hatte gegen einen Angriff der Schädlinge keine Chance. Ihre einzige Hoffnung war, dass die Invasoren Cyrdan nicht angriffen.
»Gern«, sagte sie. »Wenn ich mir keine Gewissensbisse machen muss, dich von deiner Pflicht abzuhalten, trinke ich gern noch einen Ripperger mit dir.«
Admiral Kethmero lächelte. Er versuchte es zumindest. Raye fragte sich, ob es ihm überhaupt noch einmal gelingen würde, ein echtes Lächeln zu zeigen.
Und sie fragte sich, wo die JOURNEE gerade war.
Nein ... eigentlich fragte sie sich, wo Zim gerade war.
»Die JOURNEE ist soeben in den Überlichtflug eingetreten«, sagte Kethmero, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Hier hält uns also nichts mehr. Mein Gleiter steht da vorn. Und ich kenne ein ausgezeichnetes Restaurant in Athreel ...«
»Gern«, sagte Raye. Sie liebte die schwimmende Stadt. »Ich freue mich. Was für ein Restaurant schlägst ...«
Sie konnte den Satz nicht vollenden, denn in diesem Augenblick ging hoch oben am Himmel über dem Elvulryl-Raumhafen eine neue Sonne auf.
Es war noch heller Tag, und die Explosion am Zenit machte ihn noch heller, schier unerträglich hell, verbreitete zuerst Licht, dann strahlenden Schimmer, dann Wärme, dann eine Hitze, die ihre Haare versengte.
Bevor sie noch irgendetwas sagen oder reagieren konnte, wirbelte Admiral Kethmero herum und rannte los, lief, was seine Muskeln und Lungen hergaben, zu dem nächsten Terminal mit einem Transmitter.
Er muss an Bord seines Flaggschiffs, dachte Raye, er muss die Verteidigung unseres Heimatplaneten organisieren, er hat keine Wahl, er muss sich mit seinen fünfzig armseligen Schiffen der sechsunddreißigsten Außenrandflotte der entscheidenden Schlacht stellen, und wenn einer uns retten kann, dann er ...
Aber ein anderer Teil von ihr dachte etwas anderes. So viel bedeute ich ihm also. Er lässt mich einfach zurück. Er lässt mich einfach hier stehen wie ein Stück Vieh.
Zim hatte ihr wenigstens versprochen, zu ihr zurückzukehren. Einerseits glaubte sie nicht daran. Ja, der Emotionaut hatte sich in sie verliebt, das war ihr klar, vielleicht sogar heillos, Hals über Kopf, in sie verschossen, aber das war nur eine harmlose Schwärmerei, er war Terraner, er kam aus einer anderen Galaxis ...
Und was, wenn er es doch ernst meint?
Das spielte keine Rolle mehr. Raye wusste, die Flotte von Cyrdan hatte keine Chance. Kethmero konnte vielleicht noch ein paar Minuten herausholen, aber dann würde Cyrdan im Intervallfeuer der Invasoren untergehen, und mit dem Planeten all seine Bewohner ...
Aber wenn sie überlebte. Und dann ... wenn doch?
Dann hatte sie ernsthafte Schwierigkeiten.
Aber auch in der Milchstraße wurden gute Mediker gebraucht.
Ein Komet, ein Meteorit, eine Sternschnuppe, was auch immer, sauste mit einem hohen Pfeifen heran und schlug in das Terminal ein, in dem Kethmero gerade verschwunden war. Das Gebäude explodierte. Mit einem Mal regnete es nicht nur Feuer und Trümmerstücke vom Himmel, nein, der Boden von Cyrdan spuckte Lava empor, glutflüssige reine Hitze, die Kilometer entfernt an die Oberfläche schnellte und trotzdem ihre Haare versengte.
Raye sah sich um und rannte los. Normalerweise wurden Tausende von Raumschiffen hier be- oder entladen, gewartet, repariert oder auch nur lackiert, aber seit den Angriffen der Invasoren war die Raumfahrt geradezu zum Erliegen gekommen. Elvulryl konnte sich zurzeit ganzer zehn Schiffe rühmen, die hier auf ihren Start warteten.
Acht Frachter und zwei Passagier-Luxusliner.
Sie lief weiter, zu dem nächsten Schiff, einem 600 Meter durchmessenden Handelsraumer, einem alten Seelenverkäufer, der schon viel bessere Tage gesehen hatte. Und plötzlich bemerkte sie, dass sie nicht die Einzige war. Sie wusste nicht, wie viele Tefroder hier auf dem Raumhafen arbeiteten, aber es waren Zehn-, wenn nicht sogar Hunderttausende, die aus den Gebäuden stürmten und zu den zehn Raumschiffen liefen, die ihre Triebwerke hochfuhren, aber noch nicht starteten, als wüssten ihre Besatzungen, dass sie die letzte Hoffnung dieser Verzweifelten waren.
Oder schon tot und verloren. Ob sie nun hier auf Cyrdan untergingen oder in der Umlaufbahn von den Kastun-Schiffen abgeschossen wurden.
Raye wusste mit dem Gedanken, der ihr plötzlich kam, nichts anzufangen, und sie beachtete ihn auch nicht weiter. Aber falls sie diesen Angriff wider Erwarten überleben sollte, würde sie darüber nachdenken müssen.
Zim, es tut mir Leid, so Leid für dich.
Sie rannte, obwohl die Luft in ihren Lungen brannte. Sie rannte, obwohl ihre Muskeln schmerzten und sie sich am liebsten fallen gelassen hätte, liegen geblieben wäre, tödliche Giftgase eingeatmet hätte, die ihr ein kurzes, schmerzloses Ende bereiteten. Sie rannte und rannte, und Trümmerstücke schossen pfeifend und jaulend hinab und verfehlten sie nur um Meter, und die Luft war keine Luft mehr, sondern brennende Hitze, und eine dritte Sonne ging am Himmel auf, ein weiteres der fünfzig Schiffe, die Cyrdan verteidigen wollten, und sie fragte sich, wie viele schon weit draußen im All vernichtet worden waren, deren Trümmer sich nun durch den leeren Raum ausbreiteten und langsam erkalteten, während hier auf ihrer Heimatwelt ein brennendes Inferno seinen Siegeszug hielt.
Ein brennendes Inferno.
Brennende Schiffe.
Es war genau wie auf Rakusa.
Nein, dachte sie, nein. Nicht zweimal. Ich habe es einmal überlebt, ich habe es einmal überstanden, aber bitte kein zweites Mal.
Das ist nicht fair. Das ist, als würde ich den Mann, das Glück meines Lebens finden, und nach wenigen Jahren stirbt er, und ich brauche Jahre, um ein zweites Glück, einen zweiten Mann zu finden, und nach wenigen Jahren stirbt er auch, und woher soll ich die Kraft nehmen, es ein drittes Mal zu versuchen? Ich bin einundzwanzig Jahre alt, und Zim fliegt in die Milchstraße zurück, und sein Versprechen war eine harmlose Schwärmerei, und ich werde ihn nie wieder sehen ...
»Das ist nicht fair«, flüsterte sie. »Das ist nicht fair.«
Es war nicht fair, aber sie konnte nichts daran ändern. Es war nicht fair, dass das kosmische Trümmerstück sie traf, der Splitter einer Toilettenschüssel in irgendeiner Kabine eines Raumschiffs, in dem gerade 2000 Tefroder gestorben waren.
Es war wirklich nicht fair, und sie konnte wirklich nichts daran ändern.
Sie flog meterweit durch die Luft, und sie hatte den Eindruck, dass jemand sie auffing, aber das war reines Wunschdenken, und solch ein Glück hatte man nicht, und sie war nicht einmal traurig, dass es vorbei war. Ganz im Gegenteil, sie wünschte sich, dass es endlich erledigt war. Sie hatte den Mann ihres Lebens noch nicht gefunden, und sie würde keine Trauer empfinden, wenn sie ihn verlor.
Niemand würde sie verstehen, und sie verstand sich selbst nicht, aber der Verlust war schlimmer als alles andere. Lieber sterbe ich, dachte sie, als dass ich erlebe, wie jemand stirbt, den ich liebe.
Sie spürte, wie starke Arme sie packten, und sie fragte sich, ob sie sie in den Himmel oder in die Hölle trugen.
Aber das war ihr eigentlich gleichgültig. Es gab weder das eine noch das andere. Es gab nur eine endlose Leere, ein unendliches Nichts.
Zim, dachte sie, Zim, und tatsächlich bedauerte sie nur wegen Zim November, dass diese Leere, dieses Nichts, sie umfing und willkommen hieß.
Eher unfreiwillig ging sie darin auf.