Читать книгу Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband) - Uwe Anton - Страница 12
ОглавлениеKapitel 7
Kein gutes Omen
Cyrdan, 16. März 1312 NGZ
Perry Rhodan konnte nicht sagen, welcher Schmerz schlimmer war. Der im Bein, der in der Brust, der in der Schulter, der an der Stirn.
Er korrigierte sich sofort. Eigentlich war es kein Schmerz, eher ein dumpfes Gefühl, das ihm verriet, dass an diesen Stellen mit seinem Körper etwas nicht in Ordnung war. Schmerzhafter war da schon das Pochen des Zellaktivators in der Schulter.
Das Gerät, das die Superintelligenz ES ihm verliehen hatte, sendete nicht nur eine auf ihn abgestimmte hyperenergetische Schwingung aus, die eine permanente Aktivierung des individuellen genetischen Kodes bewirkte, ihm also die relative Unsterblichkeit verlieh. Aktivatorträger konnten nur durch Gewalteinwirkung oder durch Ausfall oder Verlust des Geräts sterben.
Neben dem völligen Stopp der biologischen Alterung regenerierte der Zellaktivator auch verbrauchte Kräfte des Trägers innerhalb kürzester Zeit und heilte Wunden durch beschleunigte Zellregenerierung. Außerdem führte er eine fast vollständige Immunität gegen Bakterien, Viren und Gifte herbei.
Wenn der Zellaktivator dermaßen heftig pochte, arbeitete er mit voller Kraft. Und das konnte nur bedeuten, dass es seinem Träger nicht allzu gut ging. Also konnte er davon ausgehen, dass das dumpfe Unbehagen, das er verspürte, tatsächlich ein Schmerz war, der durch ein Medikament gedämpft wurde.
Der Terraner öffnete die Augen und schloss sie sofort wieder. Alles drehte sich um ihn. Aber er hatte einen kurzen Blick auf seine Umgebung erhascht. Eine Umgebung, die ihm gleichzeitig fremd und doch vertraut war.
Solche Umgebungen sahen immer irgendwie anders aus, und doch immer irgendwie gleich.
Hohe, helle, meist weiße Zimmer. Eine zweckmäßige Einrichtung – vielleicht ein hässlicher Tisch mit ein paar unbequemen Stühlen – mit immer wieder ähnlichen, immer wieder lächerlichen Bemühungen, sie mit einer persönlichen Note aufzulockern. Uninspirierte Bilder noch uninspirierterer vermeintlicher Künstler an den Wänden, oder billige Drucke wahrer Klassiker. Blumen oder Körbe mit Früchten auf den nüchternen, spartanischen Tischen. Tafeln mit religiösen Sprüchen, die auch dann noch Hoffnung machen sollten, wenn längst keine Hoffnung mehr war. Und die leichte Fälle auf den richtigen Weg führen sollten. Sei uns dankbar, denn wir kümmern uns um dich, und vergelte es uns, wie wir es uns wünschen ...
Herrgott, dachte Rhodan, daran hat sich seit dreitausend Jahren nichts geändert. Weder hier in Andromeda noch in der Milchstraße.
Er lag in einem Krankenhausbett.
Dann wusste er plötzlich, was ihn geweckt hatte. Ein kalter Finger zerrte an seinen nackten Zehen.
Er öffnete erneut die Augen, ganz langsam diesmal, und krallte sich gleichzeitig in das dafür eigentlich viel zu glatte Laken des Bettes, um Halt zu haben, das Schwindelgefühl zu vermeiden.
Es funktionierte. Diesmal drehte sich die Welt nicht um ihn.
Jedenfalls nicht so schnell.
Er wollte es nicht darauf ankommen lassen und schloss die Augen schnell wieder, um keine ungewollte Reaktion heraufzubeschwören, doch diesmal hatte er immerhin etwas mehr erkannt.
Er hatte kein Einzelzimmer. Er lag in einem großen Saal, der ihm wie das Aufwachzimmer einer Notaufnahme vorkam, und er war nicht allein. Acht oder zehn Besatzungsmitglieder der JOURNEE waren ebenfalls hier untergebracht worden.
Er hatte Benjameen da Jacinta erkannt, und Bruno Thomkin, und Maron Chian, und Zetus Ti, und ... und einige mehr. Sie alle schienen schwer verletzt zu sein, teils übelst zugerichtet, aber sie alle erweckten irgendwie den Eindruck, als würden sie es schaffen. Medomonitore verzeichneten ihre Vitaldaten, und keiner der Werte schien in einem übermäßig kritischen Bereich zu liegen.
Der kalte Finger zerrte erneut an seinen Zehen. Die Berührung war ungewohnt, aber keineswegs unangenehm. Und so kalt war der Finger gar nicht. Rhodan vermutete, dass er Fieber hatte und deshalb eine ganz normale Körpertemperatur völlig falsch einschätzte.
Er wagte es, öffnete die Augen erneut und schaute an seinem Körper entlang. Ein dunkelbraunes Etwas rollte sich um seinen nackten Fuß, der unter der Bettdecke hervorlugte, und zerrte nun noch heftiger daran.
»Norman«, murmelte er und versuchte, sich auf die Ellbogen aufzurichten. Er wusste nicht, woher er die Kraft nahm, doch irgendwie gelang es ihm.
Norman schien höchst erfreut zu sein, den Klang seines Namens vernommen zu haben, und trabte an dem Bett entlang, bis er mit dem Rüssel Perrys Gesicht berühren konnte. Rhodan ließ es geschehen, tastete mit einer Hand nach dem kleinen indischen Klonelefanten, fühlte warme Haut ... und zuckte dann zurück.
Er drehte den Kopf. Normans Rüssel war von einer dicken Schicht Bioplastmasse umgeben. Es sah aus, als sei der Rüssel abgerissen und biotechnisch wieder angeschweißt worden.
»Norman«, murmelte Rhodan, »was ist mit dir passiert?«
Was war überhaupt geschehen?
Die Tür des Raums wurde geöffnet, und ein Mediker steckte den Kopf herein. Er sah, dass Rhodan wach war, lächelte etwas peinlich berührt und nickte hektisch. »Ich schicke sofort die diensthabende Chirurgin zu dir.«
Rhodan erkannte die Sprache des Mannes sofort. Tefroda. Er hatte sie schon vor Jahrtausenden mit Hilfe einer Hypnoschulung gelernt und seitdem nicht mehr vergessen.
»Warte«, sagte Rhodan, »ich möchte ...«
Doch der Mann hatte die Tür schon wieder zugezogen.
Ich bin in Andromeda, dachte der Resident, und das war ein Tefroder.
Er fühlte sich erleichtert. Er wusste nicht genau, was geschehen war, hatte das Bewusstsein verloren, als Zim November die JOURNEE in den Hyperraum gebracht hatte, bevor dieses riesige Schlachtschiff zum zweiten Mal mit der Intervallkanone auf sie feuern konnte, aber es hätte wesentlich schlimmer kommen können.
Offenbar waren sie von Tefrodern geborgen worden. Hätten Wasserstoff atmende Maahks sie gerettet, wären sie medizinisch bestimmt nicht so gut versorgt worden.
Tefroder waren nicht mehr und nicht weniger als Brüder der Menschheit. Sie stammten, genau wie die Terraner, von den Lemurern ab, der so genannten Ersten Menschheit.
Vor über 50.000 Jahren waren sie die führende Macht innerhalb der Milchstraße gewesen. Keimzelle ihres Sternenreichs war die Erde gewesen, damals Lemur genannt. Nachdem sie in einem galaxisweiten, über 100 Jahre währenden Krieg eine Niederlage erlitten hatten, konnte sich ein Großteil der überlebenden Lemurer durch die von ihnen geschaffenen Sonnentransmitter nach Andromeda in Sicherheit bringen.
Dort war es ihnen dank ihrer überragenden Technik innerhalb relativ kurzer Zeit gelungen, die Galaxis zu erobern und die dortigen Völker zu unterwerfen. Aufgrund von Manipulationen ihrer späteren verbrecherischen, diktatorischen Herrscher, der Meister der Insel, hatten sie ihre Geschichte schließlich weitestgehend vergessen und sich Tefroder genannt.
Die Tür wurde wieder aufgerissen, und eine ganze Horde Mediker stürmte herein. Sie alle sahen aus wie Menschen von der Erde. Auffällig waren lediglich die samtbraune Hautfarbe, die durchgehend dunkelbraunen bis tiefschwarzen Haare und ihr Gesichtsschnitt, der Rhodan an den der nordischen Völkergruppen auf der Erde des 20. Jahrhunderts erinnerte.
Sie verteilten sich auf die Patienten, und Rhodan stellte fest, dass er ausgesprochenes Glück gehabt hatte. Zumindest, was das Äußere der ihn behandelnden Ärztin betraf.
Die Frau war noch jung, eigentlich viel zu jung für ihren Beruf. Rhodan schätzte sie auf 20, 25 Jahre. Sie war verhältnismäßig klein, dazu schlank. Ihr dunkelbraunes Haar war fingerkurz geschnitten, ihre Haut dunkel gebräunt. Rhodan fiel seltsamerweise sofort auf, dass sie sehr schlanke, feingliedrige Hände hatte.
»Ich bin Raye Corona«, sagte sie. Sie kam Rhodan ruhig und besonnen vor, eher in sich gekehrt, vielleicht im Grunde ihrer Seele eine träumerische Romantikerin, die diese Seite jedoch angesichts ihres sicherlich harten Alltags ständig verdrängen musste. »Ich bin Chirurgin und habe dich behandelt. Mach dir keine Sorgen, du wirst völlig wiederhergestellt werden.«
»Und die anderen?«, fragte Rhodan. »Wie geht es den anderen?«
Der Blick der wunderschönen, hellbraunen Mandelaugen schien sich kurz zu verschleiern. »Nicht alle haben so viel Glück gehabt.«
»Wie viele?«, fragte Rhodan. »Wie viele sind bei dem Absturz gestorben?«
»Fünf.«
»Wer?«
Bedauernd zuckte die junge Chirurgin mit den Achseln. »Wir haben noch keine Zeit gehabt, uns um Namenslisten oder Ähnliches zu kümmern. Wir mussten die Verletzten versorgen.«
»Ich verstehe«, sagte Rhodan. Und dachte: Tess. Benjameen. Und all die anderen ... Wer von ihnen hat es nicht geschafft?
»Ihr seid auf Cyrdan. Euer Pilot hat Großes geleistet und das Schiff im letzten Augenblick abgebremst. Daraufhin konnten wir das Schiff mit Traktorstrahlen abfangen. Sonst hätten wir es abschießen müssen. Bei einem unkontrollierten Absturz hättet ihr unsere gesamte Welt zerstört.«
»Cyrdan?«, wiederholte Perry.
»Ein tefrodähnlicher Planet am Rand von Hathorjan.«
»Hathorjan ... der Eigenname von Andromeda.«
Die Ärztin musterte ihn mit einem seltsamen Blick, nickte dann aber.
»Wir sind also in Andromeda?«
»Ja, natürlich.«
»Ich möchte dich bitten, die örtlichen Behörden zu informieren, dass ich erwacht bin. Ich habe einige Mitteilungen von möglicherweise riesiger Tragweite zu machen. Ist euch zum Beispiel bekannt, dass ein gewaltiges Schlachtschiff unbekannter Herkunft in Andromeda ... in Hathorjan sein Unwesen treibt?«
»Ganz ruhig«, sagte Raye Corona. »Selbstverständlich ist uns deine Identität bekannt. Du bist Perry Rhodan, der Terranische Resident der Liga Freier Terraner aus der Milchstraße. Wir haben dich sofort erkannt, und Admiral Venk Kethmero befindet sich schon auf dem Weg hierher.«
»Admiral Venk Kethmero?«
Raye Corona nickte nur und schickte sich an, ihn zu untersuchen.
Gerade eben war die Dunkelheit noch undurchdringlich gewesen. Zim November wusste, dass er sich täuschte, aber es schien etwas heller geworden zu sein.
Und es war auch nicht mehr grabesstill. Klänge drangen in sein Bewusstsein, fremdartige Klänge, die in sein Innerstes zu greifen und es zu berühren schienen und etwas in ihm auslösten, das er nicht ganz verstand. Rhythmische, aber auch meditative Töne, die ihn völlig überwältigten und ihm gleichzeitig einen tiefen Blick in sich selbst, aber auch einen Einblick in die unendliche Vielfalt und den Wert der Schöpfung vermittelten.
Die Stimme, die er dann vernahm, war sehr angenehm, sanft und hell, volltönend und vibrierend, und unter normalen Umständen hätte er sich bestimmt gefreut, sie zu hören, doch er konnte ihr kaum verzeihen, dass sie den Wohlklang der leisen Musik störte.
Zuerst verstand die Bedeutung der Wörter nicht, doch dann wurden die Laute langsam klarer. Interkosmo, dachte er. Das ist Interkosmo, die lingua franca der Milchstraße.
Ich bin in Andromeda. Entweder, sie benutzt einen Translator, oder sie hat sich mit einer Hypnoschulung in Interkosmo unterweisen lassen.
Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück, schoss wie ein starker Schmerz durch seinen Kopf. Er stöhnte auf. Bilder stürzten auf ihn ein, erschlugen ihn fast, albtraumhafte Bilder von der Zentrale der JOURNEE, während des Angriffs, während des Absturzes ... Rhodan und Benjameen, Olacca und Norman ...
Er ließ die Augen geschlossen, hoffte darauf, dass die Dunkelheit zurückkehrte, doch die sich immer wiederholenden Szenen brannten sich geradezu in seine Lider ein.
Ich muss stark sein. Die anderen brauchen mich. Als Emotionaut trug er große Verantwortung. Seine seelische Belastbarkeit musste weit höher als die anderer Besatzungsmitglieder sein.
Die Schmerzen in seinem Körper, das hämmernde Pochen in seinem Schädel waren zu ertragen. Doch die Gedanken an die anderen, an ihr Schicksal, machten ihm schwer zu schaffen. An die Verletzten und Toten ...
Wieder erklang diese Stimme, diesmal näher. »Kannst du mich hören?«
Zim November öffnete die Augen. Helles Licht blendete ihn. Die unbekannte Frau – der Tonhöhe zufolge musste es eine sein – hatte sein Blinzeln wohl bemerkt, denn sofort wurde es dunkler.
»Wenn du mich verstehst, nicke bitte.«
Der erste Pilot der JOURNEE versuchte es, doch ein stechender Schmerz verriet ihm, dass er wohl schwerer verletzt war, als er dachte.
»Gut. Das Schlimmste hast du überstanden. Wir werden noch ein paar Tests durchführen.«
Unwillkürlich zuckte er zusammen.
»Keine Angst, es wird nicht weh tun.«
Zims Augen hatten sich mittlerweile an das Dämmerlicht gewöhnt. Er sah hohe, helle Wände, Monitore, Messgeräte und diverse andere Apparaturen, die nur einen Schluss zuließen: Er befand sich in einem Krankenzimmer.
Die unbekannte Frau hatte ihm den Rücken zugewandt. Ihr schlanker Körper steckte in einem fast hautengen, hellgrünen Overall.
»Was ist mit ...« Zim wollte nach den anderen fragen, doch seine Kehle war wie ausgedörrt. Ein Hustenanfall schüttelte ihn, das Brennen in seinem Hals wurde noch schlimmer.
»Warte, ich gebe dir etwas zu trinken, dann wird es besser.« Die Frau drehte sich um, beugte sich zu Zim hinab und hielt ihm eine Phiole mit einer bläulichen Flüssigkeit an die Lippen. Dankbar saugte er an dem Röhrchen. Die Frau war ihm so nah, dass er den Duft ihrer Haut wahrnehmen konnte.
»Mein Name ist Raye Corona. Den anderen geht es den Umständen entsprechend gut.« Sie lächelte.
Zim schluckte nervös, starrte wie hypnotisiert in ihre braunen Augen. Das Lächeln spiegelte sich in ihnen wider. Sanfte, braune Mandelaugen in einem sanften, gebräunten Gesicht. Ihre schlanken Hände hielten noch immer die Phiole an seinen Mund.
Er verschluckte sich, hustete erneut. »Danke, mehr schaffe ich nicht ...«
Aber das war nur die halbe Wahrheit.
Dieses Gesicht ...
Er schaute in das schönste Gesicht, das er je gesehen hatte.
Ihre Blicke lösten sich voneinander. Zim bedauerte bereits, mit seinen Worten diesen flüchtigen Moment der Innigkeit gestört zu haben. Doch Raye legte nun die rechte Hand auf seine Stirn.
Sie war wohltuend kühl.
»Deine Körperfunktionen sind fast wieder im normalen Bereich.«
Zim musste sich beherrschen, um nicht nach dieser Hand zu greifen, sie festzuhalten und nie wieder loszulassen. Ein leichter Hauch von Parfüm lag in der Luft; Raye duftete nach Pfirsich.
»Ich werde jetzt die Tests vornehmen. Wie gesagt, du wirst nichts spüren.«
Das sagen alle Ärzte, dachte Zim, aber ihr glaubte er seltsamerweise.
Sie wandte sich den Maschinen zu. Einen Moment lang befürchtete Zim fast, dass sie seinem Blick auswich.
Warum? Hatte er sich schon verraten?
»Du bist ... Tefroderin?«, fragte er, nur um irgendetwas zu sagen.
»Ja. Und Chirurgin.«
Sie ist nur wenig älter als ich, dachte Zim. Und diese Augen ... Der Blick dieser großen Augen ...
Sie hatte kurzes, braunes Haar, und sie kam ihm vor wie das vollendete Werk eines begnadeten Künstlers. Sie bewegte sich mit der Eleganz einer Tänzerin. Zim spürte die Sensibilität, die sie ausstrahlte.
Seine Gedanken verwirrten ihn. Er kannte diese Frau erst seit ein paar Minuten, und doch schien es ihm, als wäre er mit ihr schon so vertraut wie mit keinem anderen Menschen. Nicht einmal wie früher mit Julie. Selbst ihr Name war in seinen Ohren wie eine Melodie, die er schon lange kannte.
Raye Corona ...
So lächerlich es sein mochte, Zim wurde immer deutlicher bewusst, dass diese Begegnung vielleicht die wichtigste seines Lebens sein würde. Vor wenigen Minuten hatte er nicht einmal gewusst, dass es Raye überhaupt gab, aber jetzt ...
Er verstand sich selbst nicht mehr.
O doch. Er verstand sehr gut. Ihre Anwesenheit machte ihn glücklich, der Duft ihrer Haut betörte ihn.
»Schon fertig! Deine Biokurve zeigt gute Werte. In zwei Tagen wirst du vollkommen genesen sein.«
Wieder dieser Blick ihrer Augen.
»Ich bin Zim November. Ich danke dir für alles, was du für uns getan hast.«
Ihm wurde klar, dass er seine Gefühle nicht in Worte fassen konnte. Alles, was er sagen wollte, kam ihm albern vor.
»Das war doch selbstverständlich.«
Wieder dieses Lächeln ... Zim verlor sich in der Tiefe ihrer Augen. Dieser Moment könnte ewig währen, alles um ihn herum war plötzlich unwichtig geworden. Es gab nur Raye und ihn.
Ein Summen riss ihn aus seinen Wunschvorstellungen.
Raye sah ihm noch einmal in die Augen. »Ich werde gebraucht. Ich sehe später noch einmal nach dir. Ruh dich jetzt aus, Zim.« Sie drehte sich zur Tür um.
»Warte«, flüsterte er. »Bitte warte ...«
»Ja ...?«
Er wollte nicht, dass sie ging. Er wollte, das sie bei ihm blieb.
Für immer.
Aber sie würde gehen, wenn er jetzt nicht irgendetwas zu ihr sagte.
Nur ... was?
»Diese Musik«, krächzte er schließlich. »Was ist das für eine Musik?«
Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ein Stück von Lasky Baty.«
»Lasky Baty?«
»Ja. Seine meditative Musik beeindruckt mich tief.«
»Du bist also ein Fan von ihm?«
»Das könnte man sagen. Warum fragst du? Gefällt dir die Musik auch?«
Er nickte so energisch, dass es wieder schmerzte. Sie wird gehen, wenn du nicht noch etwas sagst ... Er suchte verzweifelt nach einer Frage, die auch nur rudimentären Sinn ergab. »Kennst du ihn persönlich?«
»Wen? Lasky Baty?«
Diesmal nickte er nicht. »Ja.«
Sie lachte auf. Glockenhell, wie es ihm schien. »Nein. Wie kommst du denn darauf? Niemand hat Lasky Baty jemals persönlich gesehen, lediglich sein Bild kursiert in den Medien.«
»Niemand kennt Lasky Baty?«
Er hatte es wohl übertrieben, und sie hatte sein Spiel durchschaut. »Ich muss jetzt wirklich gehen«, sagte sie und verließ das Zimmer durch die leise aufgleitende Tür.
Er war allein. Sie hatte ihn verlassen.
Zim, mahnte er sich, hör auf damit. Du bist kein pubertierender Teenager. Es ist lächerlich. Es gibt keine Liebe auf den ersten Blick.
Zim schloss die Augen. Fast gegen seinen Willen entstand ihr Bild in seinem Kopf. Wie sie seinen Namen ausgesprochen hatte ... Es war fast ein Flüstern gewesen.
Lächerlich, dachte er erneut, doch in sein himmelhohes Glück mischte sich plötzlich abgrundtiefe Verzweiflung.
Würde sie seine Gefühle erwidern? Hatte sie vielleicht schon einen Partner? Und wie sollte er Raye sagen, was er für sie empfand? Wie sollte er ihr klar machen, dass er sie liebte?
Mit schwerem Herzen öffnete er die Augen wieder und starrte an die weiße Decke, als könnte er dort die Antworten auf seine Fragen finden.
Rhodan vermochte Admiral Kethmeros Alter nicht zu schätzen. Er war vielleicht 50, vielleicht aber auch 150 Jahre alt. Wahrscheinlich lag die Wahrheit irgendwo dazwischen, und er war um die 100 Jahre alt.
Doch das sah man ihm nicht an. Er war hochgewachsen, schlank und drahtig. Sein Haar war voll und dunkelbraun, das Gesicht fast faltenfrei. Es war das Gesicht eines Fünfzigjährigen, zumindest, was die Spannkraft und das energische Leuchten der Augen betraf.
»Resident«, sagte er. »Ich habe schon viel von dir gehört. Die Kunde von deinen Taten ist auch in Hathorjan den Nachrichtenmedien immer eine Schlagzeile wert.«
»Ich von dir leider noch nicht«, entgegnete Rhodan offen.
Der Admiral lächelte schwach. »Das verwundert mich nicht. Ich bin nur der militärische Oberbefehlshaber einer tefrodischen Kolonialwelt, von der du wohl auch noch nie gehört hast.«
Rhodan nickte erleichtert. Er hatte den Admiral von vornherein richtig eingeschätzt. Kethmero war kein Mann, dem man Honig um den Bart schmieren musste. Er kannte keine Eitelkeit, war nur an Ergebnissen interessiert. Ein typischer Militär, aber offensichtlich einer der besseren Sorte.
Das Krankenbett erzitterte leicht, als Rhodan auf einen Knopf drückte und die integrierte Kopfstütze mit Massagefunktion aufrichtete. Er lag mittlerweile in einem Schwebebett, und man hatte ihn in ein Einzelzimmer mit einer großen Terrasse umquartiert, die einen herrlichen Blick auf einen See, einen Gezeitenwall und ein dahinter liegendes, riesiges Binnenmeer bot. Unter dem Diffusschirm, der Rhodans Körper verhüllte, führten weitere Automaten Behandlungen oder Massagen durch, um ihn so schnell wie möglich wiederherzustellen.
»Die JOURNEE ist wahrscheinlich nur noch Schrott?«, fragte er.
Der Admiral zögerte kurz. Er schien zu überlegen, ob er klarstellen sollte, dass er hier die Fragen stellte, verzichtete dann aber darauf, vielleicht aus Respekt vor dem hohen Amt seines Gasts, vielleicht, weil auch diese Fragen besprochen werden mussten und sie nur wertvolle Zeit verloren, wenn er versuchte, seine Position durchzusetzen.
»Das Raumschiff ist zwar schwer beschädigt, aber reparaturfähig. Mit einer Ausnahme: Das in dem MERZ-Modul befindliche Zusatztriebwerk ist tatsächlich nur noch Schrott. Wir haben das Modul bereits abgekoppelt.«
Einen Augenblick lang fragte Rhodan sich, ob der Admiral die Wahrheit sprach. Das Zusatztriebwerk war das Nonplusultra terranischer Technologie. Er bezweifelte, dass die Tefroder über etwas Vergleichbares verfügten. Vielleicht hatten sie es als Strandgut ausgebaut und untersuchten es nun in einem ihrer Technologiezentren, um es irgendwann nachbauen zu können.
Keine gute Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, tadelte er sich. »Zwar schade, aber die JOURNEE kann problemlos mit offener Modulbucht fliegen.«
»Die internen Reparaturmechanismen haben die Arbeit aufgenommen. Diejenigen Besatzungsmitglieder, die beim Absturz das meiste Glück hatten und nur leicht oder gar nicht verletzt wurden, befinden sich bereits in der JOURNEE. Unsere Techniker unterstützen die Schiffsautomatiken und deine Leute nach besten Kräften. Cyrdan wird sämtliche Materialien zur Verfügung stellen, die deine Leute brauchen. Wir schätzen, dass dein Schiff in zwei Tagen wieder flugfähig sein wird.«
»So schnell?« Die Schäden, die Rhodan in Erinnerung hatte, hätten ihn eher an zwei Wochen oder zwei Monate denken lassen. »Ich danke dir.« Aber ganz selbstlos wird diese Hilfe wohl nicht sein ...
»Ich möchte dich nun bitten, mir zu berichten, was geschehen ist. Wieso ist die JOURNEE über Cyrdan abgestürzt?«
Und Rhodan berichtete, von der Barriere um Andromeda und dem Angriff des 1100 Meter langen Schlachtschiffs unmittelbar, nachdem sie diese Barriere durchbrochen hatten.
Der Admiral wartete geduldig, bis er geendet hatte, unterbrach ihn kein einziges Mal mit einer Zwischenfrage. Dann nickte er einer Ordonnanz zu, und die junge Frau aktivierte einen Projektor und rief ein Hologramm auf.
Es stellte ein Schlachtschiff dar, das fast identisch mit dem war, das die JOURNEE schwer beschädigt hatte. Lediglich die zahlreichen Auswüchse und Aufbauten, die ihren Angreifer ausgezeichnet hatten, fehlten bei diesem Modell.
Und dann erkannte Rhodan anhand der beigefügten Daten einen weiteren Unterschied: Das Schiff in der holografischen Darstellung war nicht 1100, sondern 2200 Meter lang. Es war kein bloßes Schlachtschiff mehr, sondern ein wahres Superschlachtschiff.
»Ja«, bestätigte Rhodan. »Das Schiff, das uns angegriffen hat, war nur halb so lang und verfügte über seltsame Aufbauten, ansonsten sind die Modellreihen identisch.«
»Wir haben zahlreiche dieser Schiffe gesichtet. Bei der Grundform weisen sie stets das gleiche Baumuster auf, doch es gibt sie in vier verschiedenen Größen. Außer diesen beiden Typklassen gibt es noch Kreuzer mit fünfhundertfünfzig und Beiboote mit zweiundzwanzig Metern Länge. Aber wir haben noch nie eins mit Aufbauten gesehen, alle anderen Schiffe des Typs hatten eine glatte Hülle.«
»Dann kommt diesem Schlachtschiff, das uns an der galaktischen Grenze angegriffen hat, vielleicht eine besondere Bedeutung zu.«
»Gut möglich. Wir nennen diese Raumer übrigens Kastun-Schiffe.«
Kastun, dachte Rhodan. Seine Hypnoschulung in Tefroda, der Einheitssprache aller Tefroder-Welten, lag zwar schon lange zurück, aber was man einmal auf diese Weise gelernt hatte, vergaß man nicht. Kastun war der tefrodische Begriff für Schädlinge aller Art.
Rhodan beschloss, zur Sache zu kommen. »Was ist hier in Andromeda ...« – er korrigierte sich und benutzte den Eigennamen der Tefroder für ihre Galaxis – »... in Hathorjan geschehen? Wo kommen diese Schiffe her, weshalb haben sie diese Barriere um die Galaxis errichtet, was ist das für eine Barriere, und weshalb hat dieses Schiff uns angegriffen?«
»Das«, sagte Admiral Kethmero, »sind genau die Fragen, die wir uns auch stellen.«
»Die Kastun-Schiffe«, fuhr der Admiral fort, »wurden zum ersten Mal vor einigen Wochen gesichtet. Zuerst wichen sie jeder Begegnung aus, entfernten sich, wenn unsere Raumer Kurs auf sie nahmen. Dann tauchten sie plötzlich über einigen unserer Welten auf, griffen sie an und verschwanden sofort wieder. Wir wissen nicht, woher sie kommen oder welche Ziele ihre Überfälle haben. Seit einem Tag nun – seit dem Tag, an dem ihr nach Hathorjan durchgebrochen seid! – sind die Kastun-Schlachtschiffe in die Offensive gegangen und zeigen ihr wahres Gesicht.«
»Siehst du da einen Zusammenhang?«, fragte Rhodan. »Könnte unser Auftauchen zu dieser Verhaltensänderung beigetragen haben? Und was meinst du mit wahres Gesicht?«
»Wir wissen nicht genau, wie viele Schiffe die Fremden haben, aber es könnten durchaus einige Hunderttausend sein ...«
Rhodan schnappte unwillkürlich nach Luft. »Wo kommen diese Schiffe so plötzlich her? Wo hielten sie sich verborgen? Stammen sie aus Andromeda oder aus einer anderen Galaxis?«
Der Admiral zuckte mit den Achseln. »Auch das wissen wir nicht. Jedenfalls greifen die Kastun-Schiffe in ganz Hathorjan nun alle Raumschiffe an, die sie finden können, gleich welcher Herkunft. Unsere Raumflotten und die der Maahks wurden allein am heutigen Tag deutlich dezimiert, die stärksten Kontingente verbergen sich sogar, um einer vorzeitigen Entscheidungsschlacht zu entgehen.«
»Du stehst mit dem Oberkommando auf Tefrod in Verbindung?«
»Natürlich. Ich habe meine Raumflotte von fünfzig Schiffen rings um Cyrdan zusammengezogen, um die Bevölkerung im Fall eines Falles schützen zu können. Denn die Kastun greifen nun auch verstärkt Planeten an. Keines unserer Schiffe lässt sich mehr im freien Raum sehen, keines riskiert die Vernichtung durch die Kastun ... und keines möchte eins der brennenden Schiffe nach Cyrdan locken, denn sie sind unseren Einheiten weit überlegen, und es gibt praktisch keine Verteidigung gegen sie.«
Rhodan seufzte schwer. Nun gewann das unendliche Leid, von dem Kiriaade gesprochen hatte, eine konkrete Bedeutung. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass sie ihn wegen dieser Vorfälle um Hilfe gebeten hatte.
Doch was sollte er tun? Er verfügte noch nicht einmal über ein flugfähiges Raumschiff. »Und die Barriere?«, fragte er.
Admiral Kethmero schüttelte den Kopf. »Bis du davon berichtet hast, wussten wir noch nicht einmal, dass es eine solche Barriere überhaupt gibt.«
»Unsere Wissenschaftler konnten ihre Natur nicht entschlüsseln ... noch nicht.«
»Eins ist mir noch nicht ganz klar«, sagte der Admiral. »Wieso bist du ausgerechnet jetzt, in dieser für uns so schweren Stunde, nach Hathorjan gekommen? Unser Oberkommando ist durchaus darüber informiert, dass die Lage in der Milchstraße kritisch ist und es jeden Augenblick zu einem Angriff des Reiches Tradom kommen könnte ...«
»Nicht jeden Augenblick. Unsere Strategen gehen davon aus, dass der Gegner mehrere Wochen brauchen wird, um sich neu zu organisieren. Aber um auf deine Frage zurückzukommen ... Auch dahinter steht ein Geheimnis, das vielleicht genauso bedeutsam wie die Herkunft der Kastun-Schiffe ist ...«
Rhodan berichtete dem Admiral von dem geheimnisvollen Hilferuf des Wesens Kiriaade, den er empfangen hatte. »Kiriaade muss gewusst haben, dass die fremden Kriegsschiffe auftauchen würden«, schloss er. »Und Kiriaade weiß noch mehr, dessen bin ich mir sicher. Wer immer mich gerufen hat, er scheint davon auszugehen, dass die Völker von Andromeda die Gefahr allein nicht bewältigen werden können.«
Kethmero nickte düster. »Ein Indiz dafür ist die Barriere am Rand von Hathorjan ... Die unbekannte Macht versucht, unsere Sterneninsel von der Außenwelt abzuschotten.«
»Das sehe ich genauso.«
Der Admiral beugte sich vor. »Aber wer oder was ist diese Kiriaade, die dich um Hilfe gebeten hat?«
Rhodan seufzte erneut. »Ich hatte gehofft, du könntest mir das sagen.«
Der Tefroder runzelte die Stirn, schüttelte dann den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer Kiriaade sein könnte, was hinter ihrem Auftritt steckt, weshalb sie ausgerechnet dich hierher gelockt hat. Ich habe noch nie von einem solchen Wesen gehört. Aber ich werde meine Leute darauf ansetzen. Wenn der Begriff Kiriaade irgendwo in Hathorjan bekannt sein sollte, werden sie es herausfinden. Vielleicht bringen ja schon die kommenden Tage Aufschluss.«
»Ja«, sagte der Resident. Aber er hatte nicht die geringste Hoffnung, dass Kethmeros Ermittlungen Früchte tragen würden.
»Und nun zu den guten Nachrichten«, sagte Raye Corona, die gerade auf die Terrasse getreten war und die letzten Sätze des Gesprächs mitbekommen hatte. »Ich habe die Untersuchung deiner Leute abgeschlossen. Zweiunddreißig deiner Besatzungsmitglieder konnten entlassen werden und befinden sich wieder an Bord der JOURNEE. Von den anderen schwebt keiner mehr in Lebensgefahr. In spätestens zwei Tagen werden sie wieder hergestellt sein, und du kannst auf alle fünfundsiebzig Angehörigen deiner Besatzung zurückgreifen. Ihr habt übrigens einen sehr netten ersten Piloten.«
Fragend sah Rhodan sie an. »Ich danke dir«, sagte er, als sie nicht darauf reagierte. »Auch dafür, dass ihr euch sogar um Norman gekümmert habt.«
»Um Norman?«
»Den indischen Klonelefanten.«
Raye Corona lächelte verlegen. »Ach so. Nun ja ... wir hätten uns auf jeden Fall um ihn gekümmert, aber, um ganz ehrlich zu sein ... wir haben ihn für ein Intelligenzwesen und Mitglied deiner Besatzung gehalten. Für einen ...« – sie warf einen kurzen Blick auf einen Datenträger – »... Unither. Erst, als er aus der Narkose erwachte, bemerkten wir unseren Irrtum. Ist es auf terranischen Raumschiffen üblich, Haustiere mit auf große Fahrt zu nehmen?«
Rhodan schüttelte den Kopf und lächelte schwach. Aber das Lächeln geriet gequält.
Am liebsten hätte er geseufzt.
75 Besatzungsmitglieder ... 75 von 80.
Fünf Terraner hatten das Leben verloren, noch bevor ihre Mission überhaupt richtig begonnen hatte.
Das war kein gutes Omen.
Wirklich nicht.
An Bord der KHOME TAZ ...
In Situationen wie diesen beglückwünschte Takegath sich stets ob seines Einfallsreichtums, Diwva und Bahpi auch in einem ganz bestimmten Bereich mit völlig unterschiedlichen Modifikationen ausgestattet zu haben. Das erhöhte seinen Genuss beträchtlich.
Er hatte das Taktikhirn ausgeschaltet, um sich Diwva und Bahpi gänzlich hingeben zu können. Jede logische Analyse wäre nun völlig unangebracht. Er war der Kommandant der KHOME TAZ; er musste seine Leute unter Kontrolle halten und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Pläne des Gelben Meisters so schnell wie möglich umgesetzt wurden. Aber er konnte nicht 26 Stunden am Bordtag aktiv sein; selbst er benötigte dann und wann etwas Entspannung, um neue Kräfte zu tanken und das lange, schier endlose Warten etwas erträglicher zu gestalten.
Wie so oft stellte er schon nach kurzer Zeit fest, dass Diwvas Modifikationen einfach zu gut geraten waren. Es ging alles viel zu schnell. »Das reicht«, knurrte er und stieß sie grob von sich herunter. »Bahpi!«
Schmollend rollte Diwva sich auf den Rücken. Schwer atmend blieb sie liegen. Ihre derzeitige Persönlichkeits-Matrize war darauf ausgerichtet, ihm höchste Lust zu verschaffen, und das konnte sie am besten, wenn sie diese Lust ebenfalls empfand. Takegath beachtete sie nicht mehr und konzentrierte sich auf Bahpi, die sich nun begierig auf ihn schwang.
»Nicht bewegen!«, stöhnte er. »Ich will, dass es lange dauert!«
Rein körperlich unterschied Bahpi sich nicht im Geringsten von Diwva. Er ließ den Blick über ihren geschmeidigen, für seinen Geschmack perfekt proportionierten Körper gleiten. Seltsam, dachte er, seit Jahrtausenden verfüge ich nun über einen modifizierten Körper, dessen Qualitäten ich schon früh zu schätzen gelernt habe, und doch erfreue ich mich immer wieder am Anblick einer äußerlich unmodifizierten, humanoiden Gestalt, die einer idealisierten Frau meiner Spezies nachempfunden ist.
Der übermäßig kräftige Druck von Bahpis Schenkeln erinnerte ihn daran, dass seine Gespielinnen doch modifiziert waren, wenngleich nur innerlich. Er legte eine Hand um ihr Knie und fuhr die Klingen aus den Fingerspitzen aus, nur ein paar Millimeter. Er wollte Bahpi nicht verletzen, sie nur daran erinnern, dass sie seine Anweisungen genau zu befolgen hatte. »Langsamer!«, befahl er.
Sie schrie leise auf, wohl mehr vor Überraschung als vor Schmerz. Die Spitzen der Klingen drückten sich nur in ihre Haut, hatten sie nicht durchbohrt. Sofort erschlaffte der Druck ihrer Schenkel.
»Gut so.« Nun konnte Takegath sich völlig auf die wichtigste ihrer inneren Modifikationen konzentrieren. Besser gesagt auf diejenige, die in diesem Augenblick die wichtigste für ihn war. Er tastete mit der anderen Hand nach Diwva, bis er ihre samtene Haut unter seinen Fingerkuppen spürte, und schloss die Augen.
Bahpi saß nun reglos rittlings auf ihm, arbeitete für sein Empfinden jedoch noch immer zu schnell. Oder lag es nur daran, dass er geradezu ausgehungert nach ihren Fertigkeiten war, weil er sich allzu lange nicht mehr mit den beiden hatte beschäftigen können? Fast ununterbrochen war seine Anwesenheit in der Zentrale erforderlich gewesen. Dieses kleine Schiff, das die Barriere durchbrochen hatte und dann doch der geballten Feuerkraft der KHOME TAZ entkommen war ... Es stellte auf jeden Fall eine Störung der Pläne des Gelben Meisters dar. Eine wie große, ließ sich noch nicht absehen. Aber vernachlässigen durfte er diese mögliche Gefahr nicht.
Ob es der Gedanke an die bevorstehende Jagd war, an das Töten des Feindes, das ihren unweigerlichen Höhepunkt darstellen würde, oder einfach nur Bahpis Geschick, ihn glücklich zu machen, plötzlich konnte er sich nicht mehr beherrschen. Schreiend bäumte er sich auf. Er gab sich dem Gefühl hin, kostete es aus, ließ es dann verebben, bis zum letzten Augenblick. Aber bevor die große Entspannung einsetzen und Bahpi den Druck ihrer Schenkel wieder verstärken konnte, um sich selbst die ersehnte Erfüllung zu verschaffen, warf er sie endgültig von sich ab. Sie prallte so heftig mit dem Kopf gegen die Kabinenwand, dass sie leise wimmernd und benommen liegen blieb.
Seine Hand zuckte vor und schloss sich um ihren schlanken, wohlgeformten Hals. »Langsam, habe ich gesagt!«, fauchte er. »Das ging viel zu schnell!«
Diesmal fuhr er die scharfen Klingen auf volle Länge aus. Sie schossen um die zarte Haut des Halses herum und verharrten Millimeter vor der Kabinenwand.
»Ich ... ich ...« Die Orterin wollte ihn gurrend besänftigen, bekam jedoch nur dieses eine Wort heraus. Er verstärkte den Griff seiner Finger.
Ihr Gesicht verfärbte sich bläulich, und perlender Schaum trat vor ihre Lippen. Einen Moment lang drohten ihre Augen aus den Höhlen zu quellen, dann aktivierten sich automatisch Bestandteile ihrer Module, und ihre Züge normalisierten sich wieder.
Er ließ sie los. »Verbessere die Kontrolle über deine Modifikationen!«, befahl er und fuhr zu Diwva herum.
Die Cheforterin kniete nackt auf dem Boden und tastete vorsichtig an dem Bettgestell entlang. »Gib dir keine Mühe«, sagte er. »Du weißt doch, dass die gesamte Kabineneinrichtung aus Formenergie besteht und jedes Mal anders aussieht!«
Diwva fuhr hoch. Schneller, als sie trotz ihrer Reaktionsbeschleuniger-Systeme reagieren konnte, packte er sie am Nacken und zwang ihren Kopf gegen seinen nackten Bauch. »Was suchst du, meine Hübsche?«
»Ni... nichts.«
Er lachte leise auf und zog die Klingen zurück. Dabei ritzten sie ganz, ganz leicht ihre Haut ein.
Natürlich log sie. Als er sie im Augenblick seiner Erfüllung losgelassen hatte, hatte sie sich blitzschnell vom Bett gerollt und mit der Untersuchung seiner Kabine begonnen. Sie hatte damit gerechnet, dass Bahpi und er noch wesentlich länger beschäftigt waren. Aber die Unfähigkeit ihrer ... Schwester hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.
»Nichts?«, wiederholte er höhnisch. »Nichts? Könnte es nicht sein, dass du diesen absurden Gerüchten der Mannschaft Glauben schenkst?«
»Welchen Gerüchten?« Sie wagte sich nicht zu rühren; nicht, so lange sein taktisches Gehirn deaktiviert war. Takegath wusste, dass die Künstliche Intelligenz bei der gesamten Besatzung als gefühllos und daher bei weitem nicht so grausam sadistisch wie sein biologisches Bewusstsein galt.
»Ja«, säuselte er übermäßig freundlich. »Welchen Gerüchten? Es schwirren übermäßig viele durch die KHOME TAZ, nicht wahr? Wie wäre es denn mit dem, ich hätte in meiner Kabine einen riesigen Vorrat De'Ro'Collo versteckt? Oder mit dem, ich hätte mich abgesichert, und meine Kabine wäre eine einzige Todesfalle, in der schon zahlreiche Besatzungsmitglieder ums Leben gekommen sind, die mich bestehlen wollten?«
Diwva schwieg. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Bahpi mittlerweile wieder zu sich gekommen war und sich langsam auf dem Bett aufrichtete.
»Habe ich nicht immer gut für euch gesorgt?«, sagte er. »Hat es euch je an irgendetwas gemangelt? Behandle ich euch nicht mit Freundlichkeit und Hochachtung?«
Als seine Cheforterin noch immer nichts sagte, stieß er sie mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, zu Boden. Nur ihren Reaktionsbeschleunigern war zu verdanken, dass sie sich nicht schwer verletzte. Er fuhr zu Bahpi herum. »Versucht das nie wieder«, fauchte er. »Schnüffelt nie wieder in meiner Kabine herum, und wagt es ja nicht, mich zu bestehlen!«
Genug des elenden Spiels!, dachte er und aktivierte seine Taktik-KI. Sein Zorn ließ abrupt nach.
»Zieht euch an!«, herrschte er die beiden nicht zu unterscheidenden Frauen an. Am liebsten hätte er sie hochkant aus der Kabine geworfen, doch wie der Zufall es wollte, wäre just in diesem Augenblick vielleicht ein anderes Besatzungsmitglied vorbei gekommen, und er gönnte es keinem – keinem! –, seine beiden Gespielinnen nackt zu sehen.
Er wartete, bis ihre Monturen halbwegs ihre Blößen bedeckten, und stieß sie dann unsanft hinaus. Nachdem sich die Kabinentür zischend geschlossen hatte, verriegelte er sie und aktivierte sämtliche Sicherheitssysteme.
Dann trat er in die Hygienezelle, entschied sich für eine Schalldusche mit Warmluftmassage und versuchte, sich zu entspannen.
Doch die Erinnerung an das erfüllende, wenn auch viel zu schnell beendete Zusammensein mit Diwva und Bahpi verblich fast sofort. Vor seinem inneren Auge verblasste die samtene Haut der beiden, wurde härter und blauer, so hart und so rötlichblau wie eine Raumschiffhülle ...
Kommandant Takegath fluchte leise auf. Konnte er diesen Vorfall denn nicht einmal eine Stunde lang vergessen?
Nein.
Er konnte ihn nicht einmal eine Sekunde lang vergessen.
Ein nur 100 Meter durchmessendes Kugelraumschiff hatte die sich manifestierende Barriere rings um Hathorjan durchbrochen. Er wusste nicht, woher dieses Schiff kam oder was es hier in dieser Galaxis bezweckte.
Doch schon allein die Tatsache, dass dieses kleine Raumschiff einerseits die entstehende Barriere überhaupt durchdringen konnte, andererseits einem Schlachtschiff wie der KHOME TAZ widerstanden hatte, machte es zu einer Bedrohung für den Gelben Meister.
So etwas hatte Takegath noch nicht erlebt. In all den Jahrtausenden seines Lebens nicht.
Mit ruckhaften Bewegungen schaltete er die Dusche aus und verließ die Zelle.
Er holte eine neue Montur aus einem Lagerfach. Die Folie aus dünnem Metall war einerseits biegsam genug, um sich seinen Bewegungen anpassen zu können, andererseits jedoch so steif, dass keine Falten in seine offen liegenden Mechaniken geraten konnten. Er schlüpfte in ein Unterleibchen mit weiten, halblangen Ärmeln, unregelmäßig gefleckt in stumpfen Rot-, Braun- und Bronzetönen, und dann in eine locker sitzende, schlammig grüne Hose mit weiten, bis über die Knie reichenden Ärmeln und großen Seitentaschen. Darüber streifte er eine ärmellose Jacke mit zahlreichen aufgesetzten Taschen, deren Oberfläche aus millimetergroßen, matt schimmernden, grünlichen bis silbernen Punkten zusammengesetzt zu sein schienen. Zuletzt zog er schwarze Stiefel mit spiegelnden Absätzen und scharfen Spitzen an. Die Schäfte schlossen sich selbsttätig um seine Waden, so dass keine Verschlüsse mehr zu erkennen waren.
Dann öffnete er ein anderes, mehrfach gesichertes Lagerfach, nahm einige Phiolen De'Ro'Collo heraus und schob sie in die rechte Brusttasche seiner Kombination.
Nachdenklich blickte er auf das Messer, das auf einem kleinen Tisch aus Formenergie lag; dann heftete er es an seinen Gürtel. Seine Klinge war kaum handlang, aber sauber gepflegt, der Griff aus billigem Kunststoff etwas mürbe, aber Takegath behandelte das Messer mit Ehrfurcht.
Bevor er die Kabine verließ, aktivierte er sämtliche Todesfallen.
Als Takegath die Zentrale betrat, hatten Diwva und Bahpi ihren Posten wieder aufgenommen. Seit die Barriere sich endgültig geschlossen hatte, hielten sie sich fast immer beide hinter der Ortungskonsole auf.
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Wahrscheinlich konnten sie es kaum noch erwarten, genau wie der Rest der Mannschaft.
Takegath hatte Verständnis dafür. Die Stimmung an Bord wurde immer schlechter. Wenn der Gelbe Meister nicht bald erwachte, würde es für sie alle zu spät sein.
Auch für ihn. Er würde am längsten durchhalten, doch irgendwann würde auch seine Zeit ablaufen.
»Status?«, sagte er.
Diwva warf ihm einen gelangweilten Blick zu. »Wir patrouillieren noch immer im Randbereich der Galaxis«, sagte sie ihm, was er schon wusste. Ein Blick auf die Holos hatte genügt, um das herauszufinden. »Und wir halten nach Kräften Ausschau nach einem Raumschiff, das die Spezifikationen des Raumers erfüllt, der uns entkommen ist ... dieses winzigen Schiffchens, das wir nicht zur Strecke bringen konnten.« Ihre Stimme troff vor Spott.
Sie will es mir heimzahlen, dachte der Kommandant. Weil ich sie in meiner Kabine so hart angefasst habe. Sie will mich vor der Mannschaft der KHOME TAZ ein wenig lächerlich machen und mir die Schuld für dieses Versagen geben.
Er überlegte, aus der Fülle der gespeicherten Persönlichkeits-Matrizen ein anderes Charakterbild für sie abzurufen, sah dann aber doch davon ab. Wenn er diese Situation nicht ohne technische Hilfsmittel bewältigen konnte, war es an der Zeit, als Kommandant abzudanken.
»Bist du sicher, dass du deine Aufgabe auch gewissenhaft ausgeführt hast?«, fragte er.
Es wurde totenstill in der Zentrale. Die Besatzungsmitglieder warfen sich zuerst Blicke zu und rührten sich dann gar nicht mehr. Keiner wusste, wie Takegath reagieren würde. Und keiner wollte zufällig seinen Zorn herausfordern.
»Ich bin mir sicher, Kommandant«, säuselte Diwva nun sehr freundlich. Sie ahnte, dass sie Gefahr lief, den Bogen zu überspannen. Ein Seitenhieb mochte noch angehen, aber ernsthaft herausfordern wollte sie ihn auf keinen Fall. »Wir haben einige Ortungen gehabt. Alles Kugelraumer, wie das Schiff, das wir suchen. Aber leider nicht dieses Schiff.« Mit einer Handbewegung rief sie zahlreiche Hologramme auf.
Takegath nahm auf dem Kommandantensessel Platz, beugte sich vor und betrachtete die Holos. Ja, durchweg Kugelraumer. Zwei sogar mit einem Durchmesser von einhundert Metern, allerdings Schiffe mit Ringwulst. Und der gesuchte Raumer hatte keinen gehabt.
Fehlortungen, dachte er. Auch die Tefroder, eine der vorherrschenden Spezies Hathorjans, verwendeten Kugelraumer. Und es war wirklich kein Wunder, dass es hier am Rand der Galaxis nur so vor tefrodischen Schiffen wimmelte.
Er lächelte schwach.
Sie versuchten, aus ihrer Heimat zu fliehen. Früher oder später würden sie einsehen, dass dieser Versuch sinnlos war, aber bis dahin würden sie immer wieder gegen die Barriere anrennen.
Er ließ den Blick über die Angehörigen der Zentralebesatzung gleiten.
Nein, dachte er, es steht wirklich nicht zum Besten mit uns.
Er musste die Mannschaft unbedingt bei Stimmung halten. Ihre Laune war angesichts des anhaltenden Halbschlafes des Gelben Meisters chronisch auf einem Tiefpunkt angelangt. Sie benötigten dringend die Auffrischung ihrer Unsterblichkeit!
Aber er hätte sich selbst belogen, hätte er sich eingeredet, er würde das, was er nun befehlen würde, nur für die Mannschaft tun. So ehrlich war er zu sich schon.
Er war ein Kopfjäger. Und die Kopfjäger empfanden Freude am Töten, der Helfer in der Kantine, der die Teller in die Spülmaschine räumte, genauso wie der Kommandant. Es lag im innersten Wesen der Kopfjäger, sich mit vollständiger Hingabe auf ihre Opfer zu konzentrieren. Das gejagte Wild am Ende hinzurichten ... das war ein orgiastisches Gefühl, das jeden Einzelnen von ihnen antrieb. Ein Gefühl, das womöglich noch berauschender war als das, was er gerade mit Diwva und Bahpi erlebt hatte.
Und die beiden genossen dieses Gefühl genau wie er und der Kantinenhelfer.
Er und seine Mannschaft waren die einzigen Beauftragten des Gelben Meisters in Hathorjan, die unabhängig vom Schattenspiegel agieren konnten. Deshalb agierten sie als Einzige auch unabhängig von ihrem Meister. Das musste auch so sein – denn der Gelbe Meister hatte sie oft genug schon außerhalb der Reichweite des Schattenspiegels eingesetzt, in den Galaxien seiner Feinde.
Völlig willkürlich suchte er zwei Schiffe aus. »Zuerst das Superschlachtschiff der Tefroder mit dem Durchmesser von achtzehnhundert Metern«, sagte er. »Und dann den Frachter mit dem Durchmesser von sechshundert.«
Der Pilot setzte den ersten Kurs.
Die KHOME TAZ stürzte unvermittelt neben dem Schweren Kampfschiff der Tefroder aus dem Hyperraum. Auf ein Handzeichen des Kommandanten wurden die Schutzschirme und Waffensysteme hochgefahren. Der tefrodische Raumer befand sich in Reichweite der tödlichen Geschütze.
Takegath ließ dem gegnerischen Kommandanten Zeit.
Zeit, die Schutzschirme aufzubauen.
Zeit, die Waffen hochzufahren.
Zeit, einen Kurs zu setzen.
Er überließ dem Superschlachtschiff sogar die Wahl – Angriffs- oder Fluchtkurs.
Er spürte, wie die Zentralebesatzung immer nervöser wurde.
Und er genoss ihre Ungeduld.
Die Tefroder waren feige. Sie setzten einen Fluchtkurs.
»Hier ist nichts für den Gelben Meister zu holen«, sagte Takegath. »Feuer!«
Zwei Sekunden später war das Superschlachtschiff der Tefroder kosmischer Staub.
Die Angehörigen der Zentralebesatzung lachten laut auf, und Takegath spürte, wie der Heiterkeitsausbruch ihre Anspannung abschwächte, wie sie sich freuten, dem Sinn ihres Daseins gedient zu haben.
Ausgezeichnet, dachte er. Ausgezeichnet. Sie fressen den Knochen, den ich ihnen hinwerfe.
Der Kommandant des Frachters reagierte zu Takegaths Überraschung völlig anders.
Das Schiff verfügte nur über schwache Schutzschirme, so gut wie keine Bewaffnung und Triebwerke, die auf Ausdauer, aber nicht auf Schnelligkeit ausgelegt waren. Doch der Kommandant des Schiffes ließ die Schirme hochfahren, die wenigen Waffen aktivieren und einen neutralen Kurs setzen, der nicht als Angriffskurs gewertet werden konnte, aber den Frachter dennoch näher an die KHOME TAZ brachte.
In Reichweite der erbärmlich schwachen Waffen.
Der Kommandant des Frachters hatte Mut.
Hier ist vielleicht etwas zu holen, dachte Takegath.
»Wir werden angesprochen«, sagte Diwva. »Ein holografischer Funkspruch auf einem allgemeinen Kanal.«
»Ins zentrale Hologramm«, sagte Takegath.
Ein Tefroder bildete sich aus, dreidimensional, so echt, als stünde er in persona vor ihm. »Ihr seid unerlaubt in unserer Territorium eingedrungen«, sagte er. »Wir fordern euch auf, unseren Herrschaftsbereich zu verlassen.«
Er hat wirklich Mut, dachte Takegath. »Und sonst?«, sagte er. »Werdet ihr uns abschießen?«
»Wir möchten mit euch sprechen«, sagte der Tefroder.
Takegath atmete tief durch. »Habt ihr irgendwelche Qualifikationen, die dich in irgendeiner Hinsicht berechtigen, mit uns zu sprechen?«
»Ich habe siegreich im Krieg gegen die ...«
Takegath senkte die Hand, und Diwva unterbrach die Verbindung. »Ja«, sagte er. »Diwva, zwei Funksprüche. Die Gorthazi sollen kommen, und die ...«
»Ich weiß«, sagte sie. »Schon erledigt.«
»Mir liegt viel an einem klinisch sauberen Eingriff. Ein Streifschuss. Nur eine Seite des Frachters wird in Mitleidenschaft gezogen. Das Schiff wird danach manövrierunfähig sein. Ist das möglich?«
»Natürlich. Ziel erfasst.«
»Feuer.«
Der Frachter wurde in der Holoprojektion von einem roten Strahl berührt, und seine rechte Seite verwandelte sich abrupt in kosmischen Staub. Das Schiff geriet ins Trudeln, drehte sich wie irrwitzig um seine eigene Achse, wurde dabei langsamer, da seine Masse kontinuierlich schwand. Eine Wolke dehnte sich am Rand der Barriere aus, schien verzweifelt um ihre Existenz im Raum-Zeit-Kontinuum zu kämpfen, zerfiel aber zusehends in Partikel, die weniger waren als der intergalaktische Staub zwischen den Galaxien.
Im Inneren des Frachters kam es zu Explosionen, die durch den Treffer ausgelöst worden waren.
»Wir gehen rein«, sagte Takegath. »Wer will den Trupp führen?«
Das jubelnde Gebrüll der Zentralebesatzung schmerzte in seinen Ohren. Er dämpfte die Empfindlichkeit seiner Rezeptoren. Das haben sie gebraucht. Das lenkt sie von den Vitalenergiespeichern ab.
Am liebsten hätte er seine Leute selbst angeführt, doch seine Intuition riet ihm, lieber auf die Erfüllung zu verzichten, die das Töten ihm gab. Jede Zerstreuung besserte die Stimmung der Crew, und einen würdigen Gegner würde er an Bord des Frachters sowieso nicht finden.
»Chi-Lopi«, entschied er.
Der Dritte Bordingenieur trat vor. Er war unumstritten der beste Erkunder der Truppe. Sein anderthalb Meter langer, schmaler Körper steckte in einem kybernetischen Exoskelett. Er ging auf drei in gleicher Höhe angeordneten kurzen Beinstummeln. Die drei Arme waren kaum länger. Seine dunkelbraune Haut glänzte feucht. Am vorderen Körperende konnte Takegath drei kleine, knopfartige Augen ausmachen. Er wusste, dass sich am hinteren drei weitere befanden, ansonsten wies der Körper des Gy Enäi keinerlei weitere Sinnesorgane auf.
Der Meisterdieb aus dem Volk der Mhool war erst vor relativ kurzer Zeit zu den Kopfjägern gestoßen. Sein Leib enthielt nur soviel Cyberware, wie zum Datenaustausch zwischen seinem Gehirn beziehungsweise Nervensystem und dem Exoskelett nötig war. Das wiederum bestand aus 31 Modulen unterschiedlicher Größe, die untereinander nahezu unbeschränkt kombinierbar und sehr schnell umgruppierbar waren. Sie enthielten Motoren, künstliche Muskeln, Datenleitungen, Aufnahmegeräte, eine Funkanlage, Signalverstärker, miniaturisierte Waffen, Werkzeuge und noch einige andere Bodyware mehr. Dadurch konnte Chi-Lopi, dessen Körper leicht und äußerst biegsam war, nahezu jede äußere Form annehmen, was ihn zum Anführer der Entergruppe prädestinierte.
Chi-Lopi stand nicht nur wegen dieser bei Außeneinsätzen sehr wertvollen Eigenschaften hoch in Takegaths Gunst; er zeigte auch keinerlei Ambitionen, eine höhere Stellung in der Hierarchie der Kopfjäger zu erreichen. Der Kommandant vertraute ihm natürlich nicht, aber er fühlte sich von ihm bei weitem nicht so herausgefordert oder bedroht wie von anderen Angehörigen seiner Crew.
»Du machst klar Schiff«, fuhr er fort. »Den Kommandanten lässt du leben, alle anderen werden getötet. Und du wirst in dem Frachter eine kleine Überraschung zurücklassen ...«
An Bord des wrackgeschossenen Frachters war es zu keinen Zwischenfällen gekommen. Takegath hatte keine Verluste zu beklagen. Nicht, dass er mit welchen gerechnet hätte. Dazu kannte er seine Leute zu gut. Die Besatzung des Kugelraumers hatte keinen nennenswerten Widerstand geleistet.
Dafür kam es bei der Rückkehr der Entermannschaft an Bord der KHOME TAZ zu einem Ereignis, das Takegath nachhaltig daran erinnerte, wie ernst die Lage mittlerweile war.
Vor seinen Augen brach einer der Kopfjäger in der Zentrale zusammen.
Jetzt geht es richtig los, dachte der Kommandant. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Wenn der Gelbe Meister nicht bald aus seinem Halbschlaf erwacht ...
Einen Augenblick lang schien der Kopfjäger zu erstarren, als sei jedes Leben aus ihm gewichen, doch dann kehrte es noch einmal in den Körper zurück, loderte ein letztes Mal hell auf.
Der Gy Enäi stürzte und rollte auf den Rücken, krümmte sich zusammen. Die kybernetischen Implantate seiner Arme und Beine knirschten laut, als die Gliedmaßen sich wie unter furchtbaren Krämpfen buchstäblich verbogen. Der Druck der gepeinigten Muskeln wurde so stark, dass eins der Module aus dem Fleisch gesprengt wurde und in hohem Bogen durch die Zentrale flog.
Blutfontänen schossen aus Nase und Mund des Besatzungsmitglieds und versiegten dann wieder. Takegath kannte es nicht mit Namen. Die KHOME TAZ hatte noch 120 Besatzungsmitglieder, und er hielt sich von den niedrigeren Rängen fern.
Aber ihm war klar, was soeben geschehen war. Der Vitalenergiespeicher im Körper des Unteroffiziers gab nicht mehr ausreichend Energie ab. Früher oder später würde das jedem von ihnen passieren.
Der Kommandant wusste genau, wie der Kopfjäger sich fühlte. Auch er hatte bereits mit mehreren Schwächeanfällen zu kämpfen gehabt.
Doch er verfügte als Einziger an Bord über einen Vorrat an De'Ro'Collo ...
Er kannte das Gefühl gut, mit dem die Droge vom Magen in den Blutkreislauf transportiert wurde, dabei die Muskeln und Nerven streifte, bis ins Innerste der Zellkerne eindrang, die irgendwie entleert zu sein und sich unter einem unvorstellbaren und unbeschreiblichen Mangel zusammenzuziehen schienen ...! Immer, wenn der Schmerz schier unerträglich zu werden, der Körper nur noch eine ausgetrocknete Hülle zu sein schien, die jeden Augenblick zu implodieren drohte, füllte das De'Ro'Collo die Leere wieder aus und führte einen Energieschub herbei, der die schrecklichsten akuten Symptome lindern konnte.
Aber auch das De'Ro'Collo würde nicht ewig helfen; irgendwann würde es auch für ihn vorbei sein. Bislang aber hatte er sich aber jedes Mal mit der Droge über die Schwäche hinweghelfen können.
Er tastete unauffällig an seine rechte Brusttasche und atmete erleichtert auf, als er die Phiolen der Droge unter seinen Fingern spürte.
Während der Unteroffizier sich auf dem Boden wand, lachte er leise auf. Ich bin zu gut für die anderen. Takegath nahm die Hand wieder von der Brusttasche.
Der Körper des Unteroffiziers verlor weitere Implantate. Sie wurden nicht mehr aus ihm herausgesprengt, sie fielen einfach aus der Haut, als wäre das Fleisch schon in Verwesung übergegangen und hätte jeden Zusammenhalt verloren.
Takegath wusste, welche Schmerzen der Unteroffizier haben musste. Trotzdem gelang es ihm noch einmal, sich auf die Knie aufzurichten. Sein Gesicht war eine verzerrte Maske, die nicht im Geringsten an den Gy Enäi erinnerte, der noch vor einer Stunde vor dem Kommandanten gestanden und sich gefreut hatte, die Besatzung des tefrodischen Frachters niedermetzeln zu können.
Der Sterbende öffnete den Mund, doch nur Schaum trat über seine Lippen. Er versuchte, Worte, Sätze zu bilden, doch der Schaum schlug lediglich Blasen, die platzten und übel riechende Flüssigkeit über Kinn und Hals des Unteroffiziers verteilten.
Er hält sich lange, dachte Takegath. Schön.
Der Unteroffizier brach wieder zusammen und wälzte sich auf dem Boden, wand sich geradezu, doch als hätte dieser Sturz Kräfte freigesetzt, die vorher die halbwegs aufrechte Haltung beansprucht hatte, gelang es ihm nun, Worte über die Lippen zu bringen.
»Hilf mir!«, krächzte er. »Du kannst mich retten. Ich werde dir mit meinem Leben dienen ...«
Rührend, dachte Takegath. Er fleht mich geradezu um Hilfe an. Hat er nichts gelernt?
»Bitte ...«
Wie theatralisch. Warum kann er sein Ende nicht einfach akzeptieren?
Der Kommandant griff sich erneut an die Brusttasche. Einerseits wollte er sich überzeugen, dass er tatsächlich einige Phiolen De'Ro'Collo eingesteckt hatte, andererseits stand zu befürchten, dass der Sterbende seine letzten Kräfte mobilisieren und ihn angreifen würde, so unwahrscheinlich das auch anmuten mochte. Aber die Todesangst verlieh einem ungeahnte Kräfte, und Takegath hatte in dieser Hinsicht schon einiges erlebt.
Er wandte den Kopf ab und lächelte schwach. Er war der Kommandant. Er hatte die Macht. Er hätte lügen müssen, hätte er abstreiten wollen, dass diese Position ihn mit einer gewissen Zufriedenheit erfüllte. Oder Genugtuung. Er war nun einmal der Beste. Seit wie vielen Jahrhunderten hatte er sich gegen alle Rivalen behaupten können?
Ungerührt überhörte er das Flehen des Sterbenden.
Andererseits ... Dieses Schicksal stand auch ihm bevor, falls der Gelbe Meister nicht rechtzeitig erwachte ...
Der Todeskampf dauerte für Takegaths Geschmack viel zu kurz. Schon nach wenigen Minuten war es vorbei. Endlich lag der Kopfjäger still da.
Reinigungsroboter schwirrten surrend aus Nischen in den Wänden. Einige säuberten den Boden und die Wände der Zentrale, andere legten ein Traktorfeld um den Toten und hoben ihn hoch, um ihn zur AMBULANZ zu schaffen.
Takegath mochte nicht darüber nachdenken, was dort mit ihm geschehen würde. Zu helfen war dem Unteroffizier nicht mehr. Die Leiche hatte allerdings noch einiges an Implantaten zu bieten, das AMBULANZ ausschlachten konnte. Aber keine Organe mehr, und auch kein noch durchblutetes Gehirn. Der Körper des Toten würde rasend schnell zu Staub zerfallen.
»An die Arbeit!«, herrschte er seine Leute an. »Habt ihr es schon vergessen? Wir müssen unbedingt diesen Kugelraumer finden!«