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14 – Ringen um Widerstandskraft
Оглавление„Was will ich hier? Warum tue ich mir das an?“
Schon in Sichtweite der Lagerhalle, die seit gestern so sehr mit den schlimmsten Erlebnissen verbunden war, die sie jemals gemacht hatte, unterbrach sie ihren Weg. Sie warf einen Blick zurück, am vorgelagerten Fabrikgebäude vorbei zur Straße, wo sie ihren VW Polo direkt hinter der Einfahrt zu diesem Grundstück abgestellt hatte. Sie konnte ihn noch sehen!
„Ich könnte doch einfach einsteigen und davon fahren!“
Ihr Blick wanderte zur Halle zurück und suchte die Tür, durch die sie gestern ins Freie geflüchtet war.
„Niemand auf der Erde wird mich dazu bringen, noch ein einziges Mal durch diese Tür zu gehen!“, bestätigte sie sich, während sie sich wieder in Bewegung setzte, der Halle entgegen.
Das Gebäude erschien ihr nicht so dunkel und trist wie gestern, eher sogar hell, verwahrlost zwar, aber hell.
Es waren miteinander streitende Gefühle, die ihr Gemüt bestimmten. Das Gebäude hatte nichts Bedrohliches an sich, wirkte hell und nur gewöhnlich, und dennoch verspürte sie eine unbeschreibliche Angst, die sich gerade mit dieser Halle verband. Es war nicht das Gebäude, das für ihre Pein, die gestern ihren Anfang genommen hatte, verantwortlich war, sondern es waren die Dinge, die ihr darin widerfahren waren, die ihr ein Verbrecher angetan hatte. Einer oder sogar mehrere!
Im weiter zurück liegenden Teil der Fassade bemerkte sie mehrere eingeworfene Scheiben in den Oberlichtern, die den Leerstand wie kaum ein anderes Gebäudemerkmal nach außen demonstrierten. Das trügerische Wetter leistete seinen Beitrag dazu, dass der Ort nicht nur wie gestern Tristesse ausstrahlte, sondern mit einem gewissen Maß guten Willens sogar als pittoresk bezeichnet werden konnte.
„Industrieidylle, Charme einer dem Abriss geweihten Industriebaracke“, bemerkte sie, und es fiel ihr auf, dass ihr diese pathetische Beschreibung half, den selbst verursachten Stress der Situation zu beherrschen.
Vereinzelte Sonnenstrahlen zwängten sich durch den wolkenverhangenen Himmel und tauchten die Gebäudefront in ein unruhiges Licht.
„Es ist schön hell hier, ganz anders als vorhin in der Tiefgarage“, stellte sie fest.
Erneut hielt sie inne, als sie das Gebäude erreichte. Ihr Auto war aus ihrem Sichtfeld verschwunden, wurde von der vorspringenden Ecke des eben passierten Gebäudes verdeckt. Sie war froh, dass sie den unvermeidlichen Besuch in der Tiefgarage hinter sich hatte und wieder über ihr Auto verfügen konnte. Trotz der Beleuchtung war es nie wirklich hell dort. Heute aber war ihr dies besonders aufgefallen, hatte sie das diffuse Licht als besonders bedrückend empfunden. Zu allem Überfluss hatte sie gestern (war es wirklich erst gestern gewesen?) keinen Frauenparkplatz im Bereich nahe der Parkhausaufsicht gefunden und ihren Wagen gezwungenermaßen in einem besonders dunklen Winkel geparkt. So war ihr nichts anderes übrig geblieben, als alle Vorbehalte und Ängste zur Seite zu schieben und in das Halbdunkel einzutauchen, wie sie den Gang in das Zwielicht empfunden hatte. Allenfalls selten hatte sie sich früher schon einmal so beeilt, das Parkhaus wieder zu verlassen. Noch nie aber hatte sie sich auf dem Weg zu ihrem Auto schon einmal so oft umgesehen und vergewissert, dass sie nicht verfolgt wurde. Sie hatte ihr Auto unversehrt vorgefunden, sogar verschlossen. Zuvor hatte sie sich nicht mehr daran erinnern können, ob sie gestern noch zum Aufschließen des Wagens gekommen war.
Es hatte sicherlich keinen Grund dafür gegeben, doch nach dem Einsteigen hatte sie sofort den Verschlussknopf nach unten gedrückt, um kein Öffnen der Tür von außen zuzulassen und vor dem plötzlichen Zusteigen eines womöglich unvermittelt auftauchenden Fremden geschützt zu sein. Es war zwar niemand zu sehen gewesen, der hierfür überhaupt in Betracht gekommen wäre, aber dies hatte sie nicht an ihrer Vorsichtsmaßnahme gehindert. Nie zuvor war sie so froh wie heute gewesen, das Ausfahrtticket, das sie diesmal am Kassenautomaten den Wert von zwei Tageskarten gekostet hatte, in den Schlitz des Schrankenautomaten stecken zu können. Es war wie eine Befreiung gewesen, als sich die Schranke unverzüglich gehoben und die Ausfahrt freigegeben hatte.
Und was hatte sie veranlasst, unverzüglich wieder zu dieser Halle zu fahren, statt nach Hause, an den Ort also, an dem ihre Pein begonnen hatte?
„Hat sie nicht!“, verbesserte sie sich gedanklich sofort. „In der Tiefgarage hat alles angefangen, und die liegt längst hinter mir!“
Sie stand vor der massiven Tür, durch die sie gestern noch aus der Halle geflüchtet war. Woher kam diese Anziehungskraft, die das Gebäudeinnere auf sie ausübte? War es normal, wenn sich ein Opfer einer solchen Tat, wie sie ihr widerfahren war, bereits einen Tag später freiwillig und aus eigenem Antrieb wieder am Ort des schrecklichen Geschehens einfand?
„Man sagt dem Täter nach, dass er an den Tatort zurückkehrt, nicht dem Opfer!“, ging es ihr durch den Kopf.
„Das ist normal! Das ist normal, und das ist meine Art, mit der ganzen Sache fertig zu werden!“
Entschlossen umfasste sie den Handgriff, drückte ihn nach unten und zog die sich nach außen öffnende Tür von deren Quietschen begleitet auf. Ihre Erinnerung hatte ihr vorgegaukelt, dass diese schwergängiger war, als sie dies jetzt tatsächlich empfand.
Einige Sekunden und ein paar Schritte später fand sie sich in der Halle stehend wieder. In ihrem Rücken fiel die Tür geräuschvoll ins Schloss, die sie nach dem Aufziehen unbeachtet offen stehen gelassen hatte. Bei dem Knall fuhr sie zusammen, obwohl er eigentlich nicht unerwartet kommen konnte, da er sich sowohl durch den abnehmenden Schein des durch die Öffnung einfallenden Lichts als auch durch das unvermittelt wieder auftretende Quietschen angekündigt hatte. Das in der Halle herrschende Zwielicht hatte sie in sich aufgenommen und nötigte ihr einen Moment des Wartens ab, damit sich ihre Pupillen an die Verhältnisse anpassen konnten. In ihrer Erinnerung hatte das Gebäude nur auf der Längsseite, durch die sie es jetzt wieder betreten hatte, eine lange Reihe von Oberlichtern gehabt. Tatsächlich aber glich die zweite Längsseite der ersten wie ein Ei dem anderen und auch in deren oberer Fensterreihe waren mehrere Scheiben eingeworfen. Der Wind sorgte für ein unbeständiges Heulen und war auch für einen leichten Luftzug verantwortlich, den Nina in ihrem Gesicht spürte.
„Außer mir ist niemand hier!“, sagte sie sich. Ihr Herz hatte unvermittelt wie wild zu schlagen begonnen und ihre Beine zitterten.
Ein gelegentliches Knacken, das von verschiedenen Stellen der Dachkonstruktion ausging, war eine Zeit lang das einzige Geräusch, das neben dem leisen Heulen des Windes an ihre Ohren drang.
Sie musste mindestens eine Minute so dagestanden haben, als ihr die Unschlüssigkeit bewusst wurde, die sie an dieser Stelle festzuhalten schien. Sollte sie weiter in die Halle hinein gehen, vielleicht zu jener Stelle, an der sie gestern zu sich gekommen war, oder konnte sie jetzt diesen Ort schleunigst wieder verlassen?
„Ich kann gehen! Nichts hält mich hier fest! Ich habe es mir und diesem Dreckskerl bewiesen, dass ich mich nicht unterkriegen lasse!“
Am entfernten Kopfende des Gebäudes lehnten großflächige, scheinbar aus Holz gefertigte Platten schräg an der Wand. In der benachbarten Hallenecke stand für Nina nicht weiter definierbares Gerümpel herum, beim Leerräumen der Halle vergessen, oder vielleicht hatte sich jemand auch seines Unrats entledigt, vom unverschlossenen Gebäude hierzu eingeladen.
Ein plötzliches Rascheln aus der Gerümpelecke riss sie aus ihren Gedanken. Sie starrte hinüber, konnte aber keinen Grund für das Geräusch erkennen. Ob es hier Ratten gab? Bestimmt gab es hier Ratten! Sie mochte diese Tiere nicht, ekelte sich vor deren langem nacktem Schwanz.
„Gestern habe ich dort vorn am Boden gelegen, ebenfalls nackt!“, wunderte sie sich über die abstruse Assoziation, die ihr gestresstes Gehirn ihr zumutete.
„Bestimmt gibt es Ratten hier! Sie finden hier Unterschlupf und in der Umgebung wird es sicher auch genug zu fressen für sie geben.“
Ein Schauer überzog ihren Körper.
„Den Täter zieht es an den Tatort zurück!“, fiel ihr erneut ein, und diesmal empfand sie Angst bei diesem Gedanken, eine beklemmende Angst. Was würde sein, wenn sich dieser Spruch auch in ihrem Fall erfüllen würde, vielleicht in den nächsten Minuten? Niemand würde erscheinen, schon gar nicht jetzt und schon gar nicht der Täter! Es würde für ihn viel zu gefährlich sein, nochmals an diesem Ort aufzutauchen. Und wenn er etwas verloren hatte, es hier vermutete, vielleicht auch einfach nur etwas vermisste?
Sie zwang sich diese Gedanken abzuschütteln. Sie war allein in diesem Gebäude und sie würde allein bleiben!
Vorsichtig, beinahe verzagt und an jemanden erinnernd, der prüfend über das Eis eines Teiches schleicht, drang sie tiefer in die Halle ein, der Stelle entgegen, die von ihrem Blut markiert war, an der sie gestern zu sich gekommen war. Ein weiterer Schauer lief ihren Rücken hinunter, als sie den Blutfleck erreichte, sodass sie sich mehrmals schütteln musste. Rattenkot! Es war ganz eindeutig frischer Rattenkot, der neben und sogar auf ihrem Blut lag! Die Viecher mussten sich von dessen Geruch leiten lassen haben, immer auf der Suche nach etwas Fressbarem. Angewidert starrte Nina auf den Boden. Sie hatte Recht gehabt! Hier gab es Ratten!
Das Geräusch einer ins Schloss geworfenen Autotür ließ sie aufschrecken und herumfahren. Es gab keinen Zweifel, sie hatte sich nicht verhört! Der Wagen musste vor der Halle stehen, so wie es sich angehört hatte, aber sie hatte doch kein Motorengeräusch vernommen!
„Keine richtigen Fenster, nur Oberlichter, durch die man nicht nach draußen gucken kann!“, stellte sie die für sie verheerenden Konsequenzen der Hallenbauweise fest. Saß sie in der Falle? Was kam da auf sie zu? Erfüllte sich jetzt doch der Spruch von dem Täter und dem Tatort?
„Keine Panik, Nina!“, rang sie um ihre Beherrschung und einen kühlen Kopf. Jeden Moment konnte die Tür, durch die sie selbst gerade eben erst eingetreten war, von außen geöffnet werden, jeden Moment konnte es auch ihr gestriger Peiniger sein, der erschien!
„Ich muss mich verstecken!“, hämmerte es in ihrem Kopf. „Dort drüben am Kopfende, hinter den Platten!“
Aber dort waren die Ratten! Es war außerdem zu weit bis dort! Mit tapsenden kleinen Schritten huschte sie hinter eine Säule, die einen mächtigen Stahlträger trug, auf dem seinerseits die Last des Daches ruhte. Sie würde sich nicht gut genug dahinter verbergen können! Die Säule war viel zu schmal, als dass sie ihren Körper vollständig verdecken konnte. Aber sie war nahe und deshalb schnellstens erreichbar gewesen. Zumindest einen kurzfristigen Schutz vor Blicken würde sie bieten, wenn jemand in die Halle treten würde und sich seine Augen zunächst an das diffuse Licht würden gewöhnen müssen. Wenn sich dann doch jemand nähern würde, müsste sie im geeigneten Moment aus ihrem Notversteck springen und loslaufen. Sie würde die Überraschung des Fremden ausnutzen, um nach draußen und der belebten Straße entgegen zu flüchten!
Ihr Herz raste und ihr Atem ging stoßweise, während sie Sekunde um Sekunde ausharrte, ängstlich lauschend, ob irgendwelche Geräusche das Erscheinen eines Menschen ankündigten oder anzeigten.
„Warum habe ich das gemacht?“, warf sie sich vor. „Ich trage ganz allein die Schuld daran, was hier jetzt passiert! Wie konnte ich nur so dumm sein?“
Sie wartete und wartete, aber es tat sich nichts. Langsam keimte die Hoffnung in ihr auf, dass sie sich verhört hatte, oder dass zwar vielleicht jemand mit seinem Auto vor der Halle erschienen war, aber ohne jede Absicht, diese auch zu betreten. Dann würde es auf keinen Fall der Dreckskerl von gestern sein!
Als zwei oder drei Minuten vergangen sein mochten, wagte sie sich hinter der Säule hervor und schlich mit schnellen kurzen Schritten dem Eingang entgegen, immer darauf gefasst, dass darin doch noch plötzlich jemand auftauchen und sie vielleicht sogar ihrem Peiniger gegenüberstehen würde. Für einen Augenblick verharrte sie, als sie ihr Ziel erreichte, um zu horchen. Als sie nichts Verdächtiges vernahm, drückte sie vorsichtig den Griff nach unten und die Tür einen Spalt breit auf, durch den sie nach draußen lugen konnte. Es war nichts zu sehen! Sie stieß ihren Fluchtweg ganz auf und trat ins Freie. Auf dem Areal vor dem Gebäude hatte sich nichts verändert. Kein Auto war auf der Freifläche zu sehen. Lediglich in der Einfahrt zum Grundstück stand ein Lieferwagen, der vorhin dort noch nicht gestanden hatte. Dessen Fahrer musste sie so erschreckt haben, als er die Tür ins Schloss geworfen hatte und der wahrscheinlich an den Wänden der umliegenden Gebäude mehrfach gebrochene Schall in die leere Halle gedrungen war.
Sie war froh, als sie wenige Sekunden später wieder in ihrem Auto saß und sie dessen Fahrertür hinter sich zuziehen konnte. Ihr Herzschlag hatte sich wieder etwas beruhigt und auch ihre Atmung normalisierte sich. Eine Weile blieb sie regungslos sitzen, in Gedanken noch einmal die vergangenen Minuten durchgehend. Je länger sie nachdachte desto bewusster wurde ihr das Risiko, das sie grundlos eingegangen war. Nein, es war nicht grundlos gewesen! Es war ihre Art gewesen, die Erlebnisse zu bewältigen. Sie war stolz auf sich, stolz auf ihren Mut und ihren Antrieb, dem Dreckskerl schon einen Tag nach dessen Tat die Stirn zu bieten!
Sie hätte allerdings nicht einmal Hilfe herbeirufen können, wenn sie in der Halle in einem Versteck gefangen gewesen wäre, stellte sie mit einem Blick auf ihr Handy fest, das auf dem Beifahrersitz lag.
„Ein Anruf in Abwesenheit“ war auf dem Display zu lesen. Es würde nicht die gestrige Nachricht ihrer Mutter gemeint sein, denn diese hatte sie bereits gelöscht. Sie nahm das Gerät zur Hand, tippte die Nummer zum Abhören ihrer Mobilbox ein und wartete auf das Abspielen der Nachricht.
„Ich bin´s, Mutti! Ich mache mir Sorgen um dich! Ich hatte dich schon in deiner Wohnung zu erreichen versucht. Bitte ruf so bald wie möglich an! Bis gleich!“
Die Stimme ihrer Mutter klang so aufgeregt wie gestern, so aufgeregt, wie dies auch der Text der hinterlassenen Nachricht anzuzeigen schien. Nina trennte die Verbindung, um sofort die Dienstnummer ihrer Mutter anzuwählen.
„Stadt Dortmund, Büro Dr. von Braunefeld, Lange, guten Tag!“, meldete sich diese schon nach dem ersten Rufzeichen.
„Ich bin´s, Mutti, Nina! Du hattest auf meine Mailbox gesprochen.“
„Ja, Nina, schön dass du anrufst! Ich hatte mir Sorgen um dich gemacht, weil ich dich nirgendwo erreichen konnte, weder bei dir zu Hause noch auf dem Handy. Ist alles in Ordnung bei dir?“
„Ja, Mutti, es ist alles in Ordnung! Und bei dir?“
„Auch! Mach dir keine Sorgen! Ich habe viel zu tun. Du weißt schon! Wo bist du? Bist du unterwegs?“
„Du wirst nicht glauben, wo ich bin!“, spannte sie ihre Mutter auf die Folter, um jedoch unverzüglich fortzusetzen.
„Ich bin an der Berliner Straße!“
„Du willst doch wohl nicht in die ...!“, entsetzte sich Erika Lange, und die plötzliche Erregung ließ sie die Bezeichnung des Ortes vergessen, dem ihre Tochter fern bleiben sollte.
„In die Lagerhalle meinst du sicher, wo es passiert ist!“, half Nina aus, um sogleich fortzusetzen, bevor ihre Mutter antworten konnte.
„Mach dir keine Sorgen, Mutti! Ich war schon drinnen und bin heil wieder herausgekommen. Ich sitze jetzt in meinem Auto, fühle mich besser als noch vorhin und werde gleich nach dem Ende unseres Gesprächs nach Hause fahren.“
Erika Lange atmete schwer. Ihre Sorge und Erregung waren deutlich zu spüren.
„Nina, du bist verrückt! Was hast du dir bloß dabei gedacht?“, zeigte sie sich fassungslos.
„Lass gut sein, Mutti! Ich musste mir einfach diese Genugtuung verschaffen. Es ist doch auch alles gutgegangen! Vorher habe ich mein Auto aus der Tiefgarage geholt. Dort war mir wirklich sehr unwohl und ich war froh, als ich endlich nach draußen fahren konnte.“
Ihre Mutter schien sich langsam wieder zu beruhigen.
„Was hast du noch vor? Mach bloß nicht noch so etwas Verrücktes!“, drang sie auf Nina ein.
„Ich fahre jetzt, wie gesagt, nach Hause. Um 11 Uhr habe ich einen Termin bei meiner Gynäkologin. ich muss mich deshalb etwas beeilen, damit ich rechtzeitig fertig bin.“
„Bei deiner Gynäkologin? Du meinst, dass gestern ...?“, sorgte sich ihre Mutter und vermied den Satz zu vollenden, indem sie das letzte Wort in die Länge zog.
„Nein, Mutti, meine ich nicht! Ich habe aber trotzdem um einen Untersuchungstermin gebeten. Ich fühle mich nicht arbeitsfähig und möchte mir dies attestieren lassen.“
„Gut, Nina, ich habe heute noch eine ganze Reihe von Erledigungen vor mir und werde deshalb eher selten hier an meinem Arbeitsplatz zu erreichen sein. Bitte versuch es auf meinem Handy, wenn etwas sein sollte!“
„Wir telefonieren heute Abend, wenn du wieder zu Hause bist, Mutti?“
Erika Lange zögerte für einen Moment.
„Ist gut, machen wir es so, Nina!“, meinte sie dann. „Ich rufe dich an! Ich möchte nicht, dass meine Leitung zum Festnetz besetzt ist, und werde deshalb mein Handy benutzen. Der Typ wird sich heute Abend wieder melden. Versuch du es später dann bitte nicht auch noch, es sei denn, dass es etwas Wichtiges zu besprechen geben sollte!“
„Ja, kannst du schon sagen, wann du mich heute Abend anrufen wirst?“
„Vielleicht so gegen sechs Uhr, wenn es dir recht ist. Du meldest dich aber bitte auf jeden Fall vorher bei mir, wenn die Untersuchung durch deine Gynäkologin zu etwas Besonderem führen sollte, ja?“
„Mache ich! Sorg dich nicht, es ist alles in Ordnung! Ich muss jetzt fahren. Pass du bitte gut auf dich auf, Mutti!“
„Ja, mache ich auch! Bis nachher!“
„Bis nachher!“
Nina trennte die Verbindung, sah noch ganz in Gedanken für einen Augenblick auf das Handy, ohne es wirklich wahrzunehmen, bevor sie es wieder auf den Beifahrersitz legte, den Motor startete und sich auf den Weg nach Hause machte.