Читать книгу Im Bann des Augenblicks - Uwe Bekemann - Страница 9
8 – Alex
Оглавление„Hallo Nina!“
Alex stand vor der Tür und begrüßte seine ehemalige Lebensgefährtin, als sei er nur für ein paar Tage fort gewesen.
Nina sah ihn für einen Moment einfach nur an, dann lächelte sie erleichtert.
„Danke Alex! Danke, dass du gekommen bist, so kurzfristig heute Abend!“
Sie ging auf ihn zu und umarmte ihn freundschaftlich.
Alex erwiderte ihre Umarmung und legte dann seine Hände auf ihre Schultern, während sie sich so weit von ihm löste, dass sie auf eine Armlänge auseinander standen.
„Gut siehst du aus“, schmeichelte er.
Nina lächelte kurz, sah verlegen auf den Boden und, mit einer schwungvollen Bewegung ihres Kopfes, dann wieder in sein Gesicht.
„Nun komm schon rein, Lügner! Du warst doch früher nicht so schnulzig!“, gab sie kokettierend zurück.
„Ich bin auch heute nicht schnulzig, nur unbeholfen vielleicht. Hättest du ein Patentrezept für eine Wiederbegegnung dieser Art gehabt, wenn du ich wärst?“
„Komm bitte mit durch!“, blieb sie Alex eine Antwort auf seine Frage schuldig.
Während sie ihn in die Wohnung führte, kam sie jedoch wieder darauf zurück.
„Wenn jemand von uns beiden einen Grund hat, unbeholfen zu sein, dann bin ich es. Nebenbei bemerkt wäre ich froh, wenn es nur Unbeholfenheit wäre, mit der ich zu kämpfen habe“, deutete sie ihre eigentlichen Probleme an.
„Ein gemütliches Zuhause hast du“, stellte Alex anerkennend fest, als er ihr Wohnzimmer betrat. Er hatte seine Blicke mit echtem Interesse umher schweifen lassen und sah sich nun auch im Wohnzimmer unverhohlen um.
„Es freut mich, dass es dir gefällt“, lächelte Nina. „Ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du gleich gekommen bist und mir hilfst, Alex!“
„Ist schon okay, du hattest dich schon bedankt, und einmal reicht!“, wehrte er ab. „Aber sag jetzt erst mal etwas genauer, worum es überhaupt geht! Du hattest am Telefon nur so vage Andeutungen gemacht.“
Nina wurde ernst. Seit ihrem Anruf bei Alex hatte sie Zeit gehabt, sich auf diese Situation vorzubereiten. Diese Zeit hatte ausgereicht. Sie war gefasst genug, um ihren Ex-Lebensgefährten einzuweihen.
„Ich habe großes Vertrauen in dich, Alex! Ich hoffe, dass ich es später nicht bereuen muss, dich um Hilfe gebeten zu haben“, begann sie.
„Ich kann dir nichts versprechen, Nina, aber ich werde mein Bestes geben. Du sprachst davon, dass du meine Hilfe als Computerkenner brauchst. Du hast mich gefragt, ob ich feststellen kann, von wo aus bestimmte Daten ins Internet gebracht werden.“
„Ich meine nicht nur mein Vertrauen in deine Kenntnisse, Alex. Es geht mehr um mein persönliches Vertrauen in deinen Charakter.“
„Also, Nina, was ist denn los? Ich verstehe bald gar nichts mehr. Rück mal langsam raus mit der Sprache, sag worum es geht!“
Er sah sie gespannt und fordernd zugleich an. Nina nahm seinen Blick auf und nickte.
„Es geht um pornografische Bilder im Internet“, ließ sie die Katze aus dem Sack.
„Es gibt viele davon, unzählige auf unzähligen Seiten“, gab Alex zurück.
„Ich meine nicht irgendwelche Bilder, sondern Bilder von mir!“
„Pornografische Bilder von dir?“
Alex war völlig überrascht.
„Ja, von mir, aber nicht freiwillig!“
„Nicht freiwillig?“
„Ja, nicht freiwillig!“, erklärte Nina energisch. „Es wurden gewaltsam pornografische Bilder von mir gemacht und ins Internet gestellt!“
„Dein Freund?“
Alexanders bisherige Überraschung wich einer offenen Bestürzung.
„Ach was! Doch nicht Benjamin!“
„Wer war es dann?“
„Ich habe dich um Hilfe gebeten, Alex, weil ich hoffe, dass du es für mich heraus bekommen kannst!“
„Verstehe! Wann ist das Ganze denn passiert?“
„Heute Nachmittag“.
„Was, ganz frisch? Und du gehst so nüchtern damit um?“
„Ich gehe inzwischen nüchtern damit um“, entgegnete Nina, wobei sie ihre besondere Betonung auf „inzwischen“ legte. „Das war zunächst heute Abend nicht so.“
„Verstehe! Aber unter welchen Umständen sind denn die Bilder von dir gemacht worden?“
„Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht so recht. Lass uns bitte nicht jetzt darüber reden!“
„In Ordnung, aber warum hilft dir dein Freund nicht in der Sache?“
„Er ist nicht da. Erst am übernächsten Wochenende kommt er aus Melbourne zurück. Ich will aber auch nicht, dass er etwas von der Sache erfährt! Ich weiß nicht, wie er darauf reagieren würde.“
„Danke für dein Vertrauen, Nina!“
Nina lächelte.
„Möchtest du einen Kaffee?“
„Nein, danke! Ich möchte nichts trinken!“
„Dann setz dich an meinen PC und mach schon!“, forderte sie ihn freundlich, aber bestimmt auf.
Alex nickte kurz zustimmend und nahm zugleich auf dem vor dem Schreibtisch stehenden Drehstuhl Platz. Der PC war bereits eingeschaltet.
„Hast du die Adresse, unter der die Bilder im Netz zu erreichen sind?“
„Ja, natürlich, sie steht auf einem Notizzettel.“
Nina zog eine Schublade des Schreibtisches auf, deren einziger Inhalt der auf dem Boden liegende Zettel war, dessen Eintragungen aus der Hand ihrer Mutter stammten.
„Er sollte hier nicht so offen herumliegen“, rechtfertigte sie seine Behandlung wie einen Gegenstand von gewissem Wert.
„Die Adresse ist...“, begann Nina, wurde aber von Alex unterbrochen.
„Zeig bitte mal her! Es geht besser, wenn ich sie selbst lesen kann.“
Er streckte Nina fordernd seine geöffnete Hand entgegen. Sie zögerte kurz, hielt ihm den zwischen die ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger geklemmten Notizzettel dann aber doch hin.
„Dann wollen wir mal!“
Alex griff ohne Zögern zu. Er musterte die notierte Internetadresse kurz und sah dann zu Nina auf, die sich direkt neben ihn gestellt hatte, um sich einen freien Blick auf den Bildschirm zu verschaffen.
„Die Dateien sind ganz wahrscheinlich auf dem Server eines Anbieters von kostenlosem Speicherplatz im Web abgelegt. Solchen Speicherplatz kann man recht anonym erlangen.“
Er runzelte die Stirn und setzte dann fort: „Die Eingabe eines falschen Namens ist bei den meisten Anbietern ohne Konsequenz. Ich kenne diesen Anbieter nicht, kann auch nicht sagen, wo er beziehungsweise von welchem Land aus er am Markt ist. Das Land geht aus der Adresse nicht hervor. Die Abkürzung com hinter dem Punkt“, er hielt den Zettel in seiner Linken und deutete mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den Punkt zwischen dem ersten und dem zweiten Teil der Internetadresse, „wird regelmäßig von kommerziell ausgerichteten Anbietern genutzt und ist eben keine Landeskennung. Aber das weißt du ja sicherlich, nicht wahr?“
„Aber du sagtest doch, dass es sich eventuell sogar um einen Anbieter handelt, der kostenlos Speicherplatz bereit stellt, also gerade nicht kommerziell arbeitet.“
„Kostenloser Speicherplatz und kommerzielle Angebote schließen einander nicht aus. Der Speicher wird in diesen Fällen zwar kostenlos zur Verfügung gestellt, andere Dienste daneben aber nur kostenpflichtig. Auch gibt es Speicherplatz regelmäßig nur für Private kostenlos; Kommerzielle aber müssen bezahlen. Darüber hinaus machen diese Anbieter ihr Geld auch mit Werbung, die eingeblendet wird und natürlich von den Werbenden bezahlt werden muss.“
„Dann kann der Server also irgendwo auf der Welt stehen und wir haben keine Anhaltspunkte, von wo aus die Bilder nun verbreitet werden?“, zeigte sich Nina enttäuscht.
„Grundsätzlich können die Bilder tatsächlich von überall auf der Erde verbreitet werden, da hast du Recht. Noch haben wir nur wenige Anhaltspunkte, aber wir werden gleich versuchen, Näheres heraus zu bekommen. Der erste Namensteil der Adresse könnte darauf hindeuten, dass der Anbieter des Speicherplatzes aus dem englischsprachigen Raum stammt.“
„Aber so viel hilft uns dies nicht, wenn deine Vermutung zutrifft, denn Englisch spricht man über die Welt verteilt.“
„Stimmt! Aber warte nur ab! Wir werden gleich mehr wissen, ich bin mir ganz sicher.“
„Aber wie willst du denn mehr herausbekommen können?“
Nina war skeptisch, trotz ihrer bangen Hoffnung, die sich mehr und mehr an Alexanders Zuversicht aufrichtete.
„Also gut, ich versuche es mal mit einfachen Worten zu erklären.“
Alex erkannte, dass Nina ungeachtet der von ihr geschilderten Erlebnisse durchaus in der Lage war und auch das Bedürfnis hatte, mehr über die Möglichkeiten zu erfahren, die sich ihnen boten. Vielleicht war aber gerade auch dieses Verhalten ihre Methode, sich mit der Situation zu arrangieren.
„Hinter jeder Domain wie beispielsweise www.nina-lange.de verbirgt sich eine so genannte IP-Nummer, die eigentliche Internetadresse, die den jeweiligen mit dem Netz verbundenen Computer weltweit genau bezeichnet und anhand derer ein Computer eindeutig identifiziert werden kann. Jede IP besteht aus einer Reihe durch Punkte getrennter Zahlen, die jeweils Werte zwischen 0 und 255 annehmen können. Die Router, das sind Rechner, die unterwegs die Daten immer wieder auf den richtigen Weg dirigieren müssen, lesen diese Zahlen von links nach rechts. Die erste Zahl sagt dem Router, zu welchem Netzwerk in welchem Land die Adresse gehört. Jede weitere Zahl führt dann geografisch näher zum Zielrechner, der die Daten empfangen soll. Dieser wird durch die letzte Zahl der IP eindeutig bestimmt.“
Er wartete einen Moment, um Nina Gelegenheit für Fragen zu bieten. Als sie jedoch schwieg, fuhr er fort.
„Ich habe eine Software auf CD mitgebracht, mit der wir auf recht einfachem Weg die IP des Computers, auf dem deine Bilder liegen, erfahren können. Zieh dir den Sessel von dort herüber und setz dich neben mich, damit du gut sehen kannst.“
Er deutete kurz weiter in den Raum hinein.
„Es macht mich nämlich nervös, wenn jemand neben mir steht, während ich sitze.“
Er wartete, bis Nina neben ihm Platz genommen hatte.
„Ich installiere zunächst das Programm. Es wird nicht lange dauern.“
„Du kannst jetzt aber nicht den Computer finden, der dem Verbreiter meiner Bilder gehört, oder?“ fragte Nina.
„Stimmt!“, bestätigte Alex. „Jetzt geht es erst mal nur um den Rechner, auf dem die Bilder gespeichert sind, also um den Rechner des Speicherplatzanbieters.“
Nina sah ihre Hoffnung getrübt, alsbald mehr über ihren Peiniger erfahren zu können, aber immerhin würde sich vielleicht eine Spur zu ihm finden lassen.
„So, fertig“, meinte Alex einige Klicks und Augenblicke später. „Ich starte nun das Route-Info-Programm.“
Es öffnete sich ein kleines Fenster auf dem Bildschirm, das Alex mit der Maus in den rechten unteren Teil des Bildschirms verschob.
„Ich ärgere mich jedes Mal darüber, dass dieses Fenster immer mitten auf dem Bildschirm auftaucht und die Sicht auf die Webinhalte versperrt. Hier hätte man von den Programmierern bessere Arbeit erwarten können!“
Ninas sachliches Interesse ging nicht so weit, dass es Alexanders Einschätzung zur Fähigkeit der Programmierer seines Programms in diesem Moment umfasste. Inzwischen war sie wieder so angespannt, dass Sie über den Kommentar ihres ehemaligen Lebensgefährten schlicht hinweg hörte.
Dieser tippte nun in Sekundenschnelle die Adresse vom Notizzettel in das Eingabefenster des Browsers ab, ohne die Eingabe jedoch mit dem Betätigen der Entertaste abzuschließen. Er wandte sich wieder Nina zu, indem er den Oberkörper drehte. Dabei lächelte er, doch es war ihm anzumerken, dass er dadurch das auch ihn ergreifende unangenehme Gefühl überspielen wollte.
„Ich müsste lügen, wenn ich erklären sollte, dass ich ohne jede freudvolle Erwartung der Dinge harre, die gleich kommen werden, aber....“
Es wurde ihm sofort bewusst, dass er sein Unwohlsein und seine Unbeholfenheit mit Taktlosigkeit zu überspielen versucht hatte, und deshalb brach er ab. Nina quittierte seinen Ausspruch zwar nur mit einem leeren Gesichtsausdruck, doch er kannte sie immer noch gut genug, um zu wissen, dass er ihre Gefühle sehr verletzt hatte. Er beeilte sich deshalb mit dem Versuch, die Lage zu korrigieren.
„Entschuldige bitte, ich wollte dies gar nicht so sagen, habe es auch nicht böse gemeint! Okay, du kannst dich absolut auf mich verlassen! Ich sehe, gucke aber nicht richtig hin und vergesse alles sofort! Wir ziehen die Sache jetzt durch und ich helfe dir als Freund, einfach als Freund! Schluss, aus basta!“
Er freute sich über ihr angedeutetes Lächeln und widmete sich sogleich wieder dem PC, bestätigte seine Eingabe von Sekunden zuvor durch das Drücken der Entertaste und sah zu, wie die Passwortabfrage geladen wurde.
„Tabufrei ist das Passwort, alles klein geschrieben“, meinte Nina.
Alex tippte es ein und bestätigte erneut mit der Entertaste.
Bald darauf erschien das Erste aus der Reihe der Nina bereits bekannten Bilder.
Nina wirkte äußerlich ruhig, sah aber tief atmend auf den Bildschirm. Wie schon zuvor, als sie sich im Beisein ihrer Mutter die Bilder ansehen musste, rannen Tränen ihre Wangen hinab.
Alex ließ sich vom Browser den HTML-Code der Seite anzeigen, sodass das Bild vom Bildschirm verschwand. Nach kurzem prüfenden Blick versuchte er Nina mit seinen Erkenntnissen zu trösten.
„Ein Profi ist das Schwein, das die Seite erstellt hat, nicht. Die Passwortabfrage hat er ganz sicher nur irgendwo geklaut und in seine Seite kopiert. Zudem hat er mit einem von Amateuren häufig verwendeten HTML-Editor gearbeitet. Einige grundlegende Kenntnisse von der Programmiersprache HTML muss er allerdings doch haben, denn er hat Befehle eingefügt, die der Editor nicht unterstützt. Zum Beispiel teilt er Suchmaschinen mit, dass sie die Seite nicht in ihren Katalog aufzunehmen sollen. Wenn er seinen Schmutz nicht manuell bei Suchmaschinen eingetragen hat, was aus dem Zusammenhang heraus hier keinen Sinn machen würde, dann wird zumindest zurzeit kaum jemand im Netz darauf treffen.“
Er schloss das Fenster mit dem HTML-Code, sodass nun wieder das Bild von Nina erschien. Sein kurzer Mausklick auf den „<Weiter>“-Button darunter öffnete das nächste Fenster, welches er mit einem weiteren Mausklick auf volle Bildschirmgröße erweiterte. Ohne weitere Kommentare prüfte Alex wiederum den HTML-Code und klickte sich sodann mit immer wieder gleichen Prüfschritten an insgesamt zehn Bildern vorbei, die allesamt Nina in pornografischen Positionen zeigten.
Nina hatte sich aus Alexanders Sicht erstaunlich gut unter Kontrolle. Es rannen ihr zwar weiterhin Tränen die geröteten Wangen hinunter, doch sie saß völlig bewegungs- und geräuschlos neben ihm.
„Keine der Seiten wird normalerweise, wie schon gesagt, zurzeit von den Suchmaschinen in deren jeweiligen eigenen Index übernommen“, versuchte er seine Ex-Gefährtin mit betont ruhiger Stimme zu trösten, nachdem er das letzte Bild taktvoll durch Laden einer unverfänglichen fremden Seite vom Bildschirm beseitigt hatte.
„Mal sehen, was das Route-Info-Programm zur Herkunft der Dateien sagen kann.“
Mit einigen Mausklicks verschaffte er sich Zugang zu den Informationen, die das Programm während des Surfens gesammelt hatte.
„Das ist einerseits ungewöhnlich, andererseits aber wohl sogar typisch“, meinte er kurz darauf, während er sich ihr wieder zuwandte.
„Es handelt sich um einen philippinischen Server. Die Seiten kommen, was ich ganz eindeutig erkennen kann, aus Manila. Da hat jemand Vorkehrungen getroffen, dass man ihm allenfalls nur unter größten Schwierigkeiten habhaft werden kann. Der englische Begriff in der Adresse täuscht also.“
„Aber was bedeutet dies für mich? Hat jemand die Bilder nach Manila transferiert, damit man sie dort auf den Server laden konnte?“
Nina nutzte zwar das Internet, hatte aber keine Vorstellung davon, wie Seiten dort eingestellt werden konnten.
„Ja und nein“, versuchte Alex zu erklären, ohne dabei Gefahr zu laufen, dozierend zu wirken. „Mit dem Browser oder auch mit einem so genannten FTP-Client, dies ist ein kleines Programm, das auf grundsätzlich jedem PC läuft, erfolgt gewöhnlich der Upload. Dies ist der Vorgang, bei dem eine Seite vom PC auf den Server übertragen wird. Dabei werden die zu veröffentlichenden Daten direkt in den eigenen Webspeicher überspielt und sind dann sofort weltweit für jeden Computer mit Anschluss an das Internet verfügbar. Derjenige, der die Seiten veröffentlicht hat, kann zum Beispiel in Deutschland in deinem Nachbarhaus gesessen und die Dateien, auch die Bilder, von dort direkt auf die Philippinen geschickt und auf diesem Weg ins Internet gestellt haben.“
„Ist das alles, was du feststellen kannst, oder bist du auch in der Lage, das Schwein zu identifizieren, das mir alles angetan hat?“
„Man kann theoretisch zumindest den Computer identifizieren, von dem aus auf die Seiten zugegriffen wird. Über den Computer kommt man in vielen Fällen auch zur Person des Nutzers selbst. Wir können versuchen, über den philippinischen Anbieter des Speicherplatzes an die Verbindungsdaten desjenigen heran zu kommen, der die Bilder übertragen hat.“
„Geht das denn so einfach?“, fragte Nina skeptisch.
„Nein, das geht überhaupt nicht einfach. Du müsstest nachweisen, dass du ein begründetes Interesse hast, die Daten zu erfahren. Ganz abgesehen von den Problemen, die sich daraus ergeben, dass der Typ international vorgegangen ist. Es wäre zweifelhaft, ob du überhaupt Erfolg haben würdest, und langwierig wäre die Sache obendrein.“
„Mit einem offiziellen Vorgehen würde ich wohl ohnehin vermutlich selbst dafür sorgen, dass was-weiß-ich-wie-viele Leute meine Bilder zu sehen bekommen.“
„Ja, wahrscheinlich würde ein offizielles Vorgehen exakt diese Konsequenz haben. Es gibt aber eine weitere Möglichkeit, die wir versuchen können.“
„Welche?“
„Ich kann versuchen, den Fremden zu erwischen, wenn er gerade online ist, um seine Daten zu ermitteln und mit diesen dann selbstständig bei seinem Provider nach ihm zu suchen.“
„Legal?“
„Illegal! Aber wirksam!“
„Würdest du das für mich tun?“
„Na klar! Ich muss aber eben den Moment abpassen, wenn er gerade online ist. Das kann ich aber nicht von hier aus machen, sondern benötige meinen eigenen Rechner dazu. Es wird ohnehin sicherlich eine Weile dauern, bis wir Erfolg haben werden. Wichtig ist eben nur, dass das Schwein online geht und möglichst zumindest kurz auf seine Seiten zurückgreift.“
„Auf meine Bilder also“, stellte Nina fest. Es war ein eigentümliches Gefühl, das in ihr aufstieg. Einerseits war die Vorstellung, dass ihre Nacktheit wieder den fremden Blicken ausgeliefert sein würde, verletzend, bedrückend und frustrierend zugleich, andererseits hatte die Hoffnung, dass sich der Fremde vielleicht gerade mit diesen Blicken ans Messer liefern würde, etwas geradezu Beglückendes.
„Freu dich darüber, dass er uns eben durch seine Blicke ins Netz gehen wird!“, stieß Alex in das gleiche Horn.
„Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen sollte, Alex!“
Alex sah sie dankbar an.
„So, es ist besser, wenn ich meine Zelte hier erst mal abbreche“, meinte er dann mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Er schloss das von ihm neu installierte Programm und entnahm dem CD-ROM-Laufwerk seine CD.
„Es ist schon spät. Sicherlich wirst du auch gleich zu Bett gehen wollen, oder?“, meinte er, während er sich ihr mit einer Vierteldrehung seines Stuhls zuwandte.
„Ich hoffe, dass ich schlafen kann“, gab Nina zurück.
„Willst du mir schnell noch erzählen, unter welchen Umständen das Schwein an deine Fotos gekommen ist?“
„Es sind nicht meine Fotos“, korrigierte ihn Nina. „Es sind Fotos, die gewaltsam von mir gemacht worden sind“, ergänzte sie mit besonderer Betonung des Wortes von.
„Ja, entschuldige bitte! Ich hatte es auch so gemeint. Und, willst du mir erzählen, wie der Kerl zu den Fotos von dir gekommen ist?“
Nina zögerte einen Moment mit ihrer Antwort. Dann drückte sie mit einem angedeuteten Schütteln ihres Kopfes ihre Ablehnung aus.
„Bitte nicht jetzt!“, bat sie dann, und ergänzte wie zum Trost: „Später, später vielleicht.“
„Ist in Ordnung, Nina!“
Alex erhob sich von seinem Drehstuhl, gab Nina, die noch saß, einen leichten freundschaftlichen Klaps auf ihren Oberarm und wandte sich zum Gehen.
„Kommst du mit zur Tür?“
„Ja, ich komme, natürlich!“
„Danke noch mal, Alex!“, meinte Nina zum Abschied, als er bereits im Treppenhaus und sie in der geöffneten Wohnungstür stand.
„Wir hören voneinander“, gab Alex zurück. „Ich melde mich.“
Alex ging, Nina sah ihm noch kurz nach, bis er die hinter der ersten Treppenbiegung verschwunden war, und kehrte in ihre Wohnung zurück.
Wieder allein im Wohnzimmer warf sie einen Blick aus dem Fenster nach unten auf die Straße, gerade als Alex aus dem Haus tretend auf dem Gehsteig erschien. Im Gehen warf er einen Blick zu ihr herauf und sie winkten sich flüchtig noch einmal zu. Dann erreichte Alex seinen am Straßenrand abgestellten Wagen, stieg ein und fuhr davon.
Zu diesem Zeitpunkte ahnte Nina noch nicht, dass ihr diese Abschiedsszene in besonderer Erinnerung bleiben würde.