Читать книгу Im Bann des Augenblicks - Uwe Bekemann - Страница 28

27 – Brauer und Thiel in der Bauverwaltung

Оглавление

Pünktlich gegen 14.00 Uhr wurde die Tür zum Vorzimmer des städtischen Beigeordneten Dr. von Braunefeld nach kurzem Klopfen geöffnet und zwei gut gekleidete Herren traten ein.

„Einen schönen guten Tag, Kripo Dortmund, Brauer mein Name“, stellte sich der Polizeibeamte vor. „Der Herr Dr. von Braunefeld erwartet meinen Kollegen, Herrn Thiel, und mich“, ergänzte er, mit einer angedeuteten Armbewegung auf seinen Begleiter verweisend, während dieser die Tür hinter ihnen schloss.

Frau Hemmersbach erhob sich von ihrem Schreibtischstuhl und wollte gerade den Gruß erwidern sowie dann die Besucher ihrem Chef ankündigen, als dieser die Polizeibeamten bereits aus seinem Büro heraus durch die geöffnete Tür zu sich herein rief.

„Treten Sie ein, meine Herren! Ich erwarte Sie bereits.“

Er kam ihnen mit kurzen schnellen Schritten entgegen und nahm sie bereits an der Bürotür mit einem Händedruck in Empfang.

„Frau Hemmersbach, machen Sie uns doch bitte einen Kaffee, ja?“, bat er seine Bürokraft, bevor er die Tür zum Vorzimmer hinter seinen Gästen schloss.

„So, meine Herren, nehmen Sie bitte Platz!“

Mit einer einladenden Geste seiner rechten Hand geleitete er die Polizisten zu einem ovalen eichenen Konferenztisch, der in Fensternähe stand und so groß war, dass mindestens zehn Personen bequem an ihm sitzen und Materialien vor sich darauf legen konnten.

„Eine üble Nachricht haben Sie mir da übermittelt“, steuerte er kurz darauf ohne Umschweife auf den Gesprächsanlass zu, sobald die Polizisten seiner Aufforderung nachgekommen waren und auch er sich gesetzt hatte.

„Eine ganz üble Geschichte!“, wiederholte er seine Einleitung und steigerte seine Wertung dabei. „ Wir sind alle tief betroffen. Die Frau Lange war uns immer eine hochgeschätzte und liebenswerte Kollegin. Bitte berichten Sie mir!“

Bis jetzt hatten beide Polizisten ihre Blicke umher schweifen lassen, sich dabei einen Eindruck vom großflächigen Amtszimmer des städtischen Beigeordneten verschaffend, das zwar die Nüchternheit ausstrahlte, wie sie wohl jedem öffentlichen Dienstzimmer eigen ist, aber dennoch auch einen persönlichen Stil verriet. Insbesondere die über die Wände verteilten Drucke von Böckstiegel-Werken zogen die Blicke der Besucher an.

Der Beamte, der sich beim Eintreten in das Vorzimmer mit dem Namen Brauer vorgestellt hatte, nahm nun Blickkontakt zu Dr. von Braunefeld auf.

„Ja, das ist es, eine üble Geschichte“, bestätigte er, um dann aber sogleich Dr. von Braunefelds Erwartungen zu dämpfen.

„Aber so ganz viel gibt es da noch nicht zu berichten“, meinte er. „Mitgebracht aber haben wir einige Fragen und die Hoffnung, mehr Aufschluss über die Vorgänge auch über ein Kennenlernen der Verhältnisse am Arbeitsplatz der Frau Lange zu erhalten. Fakt ist, dass Frau Lange heute Morgen von ihrer Tochter tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden ist. Der genaue Todeszeitpunkt steht noch nicht fest, weil die Ergebnisse einer angeordneten Obduktion noch nicht vorliegen. Nach Einschätzung des Arztes, der den Totenschein ausgestellt hat, dürfte der Tod am gestrigen Abend etwa zwischen 21 Uhr und 23 Uhr eingetreten sein.“

„Wie ist Frau Lange zu Tode gekommen?“, nutzte Dr. von Braunefeld eine kurze Sprechpause Brauers. Die Betroffenheit, die ihn überkommen hatte, war ihm deutlich anzumerken.

„Wie ich schon sagte, liegen die Ergebnisse der Obduktion, die allein und sicher Aufschluss über die Todesursache geben kann, noch nicht vor, aber der Körper der Frau Lange weist deutliche Anzeichen körperlicher Gewalt auf. Eine schwere Kopfverletzung zeigt an, dass sie niedergeschlagen worden sein muss, wahrscheinlich mit einem stumpfen Gegenstand.“

„Gibt es schon Anhaltspunkte auf den oder die Täter?“

„Unsere Ermittlungen stecken noch in den Anfängen“, entgegnete Brauer, „und um alle denkbaren Ansätze zu verfolgen, sind wir auch an Sie mit unserer Gesprächsbitte herangetreten. Gibt es irgendwelche dienstlichen Dinge, die in Zusammenhang mit dem Tode stehen können? Hat Frau Lange eventuelle Äußerungen getätigt, die bei heutiger Betrachtung, also im Nachhinein, in einem speziellen Licht stehen können, oder ist Ihnen im Verhalten der Frau Lange etwas Besonderes aufgefallen? Können sich vielleicht auch Zusammenhänge mit ihren dienstlichen Aufgabenstellungen ergeben?“

Dr. von Braunefeld spitzte seinen Mund, während er nachdachte, schüttelte dann leicht den Kopf und meinte: „Nein, ehrlich gesagt, habe ich keinerlei Auffälligkeiten bemerkt. Erzählt hat Frau Lange nichts dergleichen und sie war auch mit keinen Belangen dienstlich betraut, die über den Rahmen des einfachen Alltagsgeschäfts, Routine also, hinausgingen. Es ist allerdings nicht verwunderlich, dass Frau Lange mir gegenüber keine persönlichen Äußerungen gemacht hat. Derartige Gespräche dürften wohl allenfalls mit unserer Frau Hemmersbach stattgefunden haben, die sie ja bereits beim Eintreten in mein Vorzimmer kennen gelernt haben. Frau Hemmersbach und Frau Lange arbeiteten täglich stundenlang zusammen in einem Büro. Da wird schon die eine oder andere persönliche Angelegenheit besprochen worden sein.“

„Wir hatten uns schon so etwas gedacht“, meinte Brauer. „Wir möchten auf jeden Fall im Anschluss an unser Gespräch auch noch ein paar Worte mit Frau Hemmersbach wechseln. Zudem würden wir gern einen Blick auf und in den Schreibtisch der Frau Lange werfen, wenn Sie gestatten.“

„Betrachten Sie sich als von mir zu einer Durchsuchung des Schreibtisches eingeladen“, ließ Dr. von Braunefeld keinen Zweifel daran, dass er die Ermittlungen bestmöglich zu unterstützen trachtete.

„Der Schreibtisch wird verschlossen sein, aber ich bin im Besitz eines zweiten Schlüssels.“

„Beschreiben Sie uns aber zuvor bitte die Aufgaben, die Frau Lange übertragen waren! Dabei interessieren uns auch die Personen, mit denen sie Kontakt halten musste, und zwar städtische Bedienstete, Bedienstete anderer Behörden wie auch Bürger“, bat Brauer.

„Die Aufgaben der Frau Lange waren solche, die üblicherweise Büroleiterinnen obliegen“, begann Dr. von Braunefeld. „Sie nahm den vollständigen Telefondienst für mich wahr, geleitete Besucher zu mir beziehungsweise unterband den Besuch, wenn ich beispielsweise nicht gestört werden durfte. Sie verwaltete meine Termine, sehr gut übrigens; ich habe aufgrund ihrer Sorgfalt nie einen Termin verpasst und war zudem immer gut vorbereitet, weil sie mir jeden nahenden Termin immer ausreichend früh angekündigt hat. Nicht vergessen werden darf, dass sie die an uns gerichtete Post von der Poststelle abholte und dabei unsere Ausgangspost mit auf den Weg brachte. Sie betreute das E-Mailpostfach des Dezernates und erledigte alle am PC anfallenden Arbeiten, beim Erstellen von Schreiben angefangen und dem Arbeiten mit der Tabellenkalkulation und dem Erarbeiten von Präsentationen längst noch nicht aufgehört. Sie sehen, Frau Lange war eine Mitarbeiterin, wie man sie sich nur wünschen kann. In Teilen wurde sie von Frau Hemmersbach unterstützt.“

„Und welche Kontakte zu Personen pflegte sie dabei?“, fragte Brauer nach.

„Eine Eingrenzung ist in keiner Weise möglich“, gab Dr. von Braunefeld zurück. „So gut wie alle Personen, die mit mir sprechen wollten, sowohl persönlich als auch telefonisch, mussten an Frau Lange vorbei. Sie hatte dem entsprechend Kontakt zu allen Personen, mit denen ich selbst Kontakt hatte, und dabei handelt es sich um eine stattliche Anzahl. Und darüber hinaus mit all denen, die von ihr nicht bis hin zu mir weitergeleitet worden sind, oder die von vornherein nur mit ihr, nicht mit mir, zu tun hatten. Sie sehen, es gibt da wirklich keine Eingrenzung.“

Brauer kräuselte enttäuscht die Stirn, und meinte dann nach kurzer Pause: „Wir müssen sehen, ob uns dies in der Sache weiterbringen kann. Zunächst klingen Ihre Ausführungen eher ernüchternd.“

„Es tut mir leid, dass ich Ihnen insoweit keine gute Hilfe sein kann“, bedauerte Dr. von Braunefeld. „Wenn mir trotz allem noch etwas einfallen oder auffallen sollte, was für Sie von Interesse sein könnte, so werde ich Sie selbstverständlich umgehend darüber informieren.“

„Mit dieser Zusage kommen Sie einer Bitte von uns zuvor“, lächelte Brauer, von mehrmaligem leichten Kopfnicken des Kollegen Thiel begleitet.

Es entstand eine kurze Pause, während der offensichtlich alle Anwesenden überlegten, ob es noch etwas anzusprechen galt.

Thiel, der bis jetzt nur aufmerksamer, aber schweigender Begleiter des Gespräches zwischen Dr. von Braunefeld und Brauer gewesen war, unterbrach die Stille, indem er sich fragend seinem Kollegen zuwendete: „Damit sind wir eigentlich durch, oder?“

Brauer bestätigte die Einschätzung seines Kollegen.

„Möchten Sie nun mit Frau Hemmersbach sprechen, sodass ich sie herein bitten soll?“

Die beiden Polizisten sahen sich kurz schweigend an. Offensichtlich wollten sie sich auf diese Weise wortlos abstimmen. So nickte Thiel seinem Kollegen denn auch kurz zu.

„Ja, holen Sie Frau Hemmersbach doch bitte herein!“, bat Brauer sodann.

„Dr. von Braunefeld erhob sich sogleich, ging zur Tür zum Vorzimmer und öffnete sie, wobei ein lautes Schlaggeräusch sein kraftvolles Niederdrücken des Türgriffes begleitete.

„Frau Hemmersbach, kommen Sie doch bitte einmal herein. Die beiden Herren von der Polizei möchten gern ein paar Fragen an Sie richten.“

„Ja, ich komme, der Kaffee ist noch nicht ganz fertig, ich muss ihn gleich nachholen“, gab die Angesprochene zurück. Sie unterbrach ihre Arbeit und ging respektvoll an ihrem wartenden Chef vorbei in dessen Büro. Unsicher blieb sie kurz nach dem Eintreten stehen und wartete auf die Aufforderung, sich zu setzen.

Sowohl Brauer als auch Thiel hatten sich von ihren Stühlen erhoben, um Frau Hemmersbach höflich zu empfangen.

„Neben Sie bitte Platz, Frau Hemmersbach, und versuchen Sie den Kollegen von der Kripo bestmöglich zu helfen!“, forderte Dr. von Braunefeld seine Mitarbeiterin auf, wobei er einen Stuhl bereit rückte und ihr den Platz mit einer einladenden Handbewegung zuwies.

Frau Hemmersbach bedankte sich, begab sich zum Konferenztisch, ging um den ihr angebotenen Stuhl herum und zog ihn sich dann so zurecht, dass sie darauf Platz nehmen konnte. Die beiden Polizisten hatten ihre Plätze inzwischen ebenfalls wieder eingenommen. Sie zögerten noch einen Moment, bis sich auch Dr. von Braunefeld wieder gesetzt hatte. Sodann nahm wiederum Brauer das Gespräch auf.

„Ja, Frau Hemmersbach, den traurigen Anlass unseres Besuchs hat man Ihnen sicherlich inzwischen mitgeteilt“, begann er, um dann dennoch, von wiederkehrendem Kopfnicken der Angesprochenen begleitet, einen kurzen Abriss des Sachstandes zu geben.

„Ihre Kollegin, die Frau Lange, ist, und darauf deuten alle bislang bekannten Umstände hin, von einem oder mehreren Tätern getötet worden. Unsere Ermittlungen gehen in alle Richtungen, und dabei erhoffen wir uns auch Erkenntnisse, die sich in Zusammenhang mit der Dienstausübung der Frau Lange ergeben können. Gibt es irgendwelche Dinge, die Ihnen von Frau Lange erzählt worden sind und die für uns von Interesse sein könnten, haben Sie zuletzt vielleicht auch irgendwelche Auffälligkeiten in ihrem Verhalten beobachtet?“

Frau Hemmersbach war die nervöse Anspannung, unter der sie stand, deutlich anzumerken. Ihre Hände zitterten und sie hatte eine Sitzhaltung eingenommen, die beinahe schon als zusammengekauert bezeichnet werden konnte. Noch ehe ein einziges Wort über ihre Lippen gekommen war, begann sie leise zu weinen.

„Entschuldigen Sie bitte!“, bat sie und drückte mit beiden Händen ein noch zusammengefaltetes Papiertaschentuch, das sie schon länger in der linken Hand gehalten haben musste, auf ihre Augen. Es vergingen einige Sekunden, bis sie sich wieder etwas gefasst hatte.

„Es tut mir leid, aber Frau Langes Schicksal hat mich doch ziemlich mitgenommen“, schluchzte sie.

„Lassen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen, um mit uns sprechen zu können“, nahm Brauer der Situation den empfundenen Zeitdruck.

„Ich werde inzwischen für den Kaffee sorgen“, lenkte Dr. von Braunefeld vom Thema ab. „Er müsste inzwischen fertig sein. Warum soll ich nicht einmal für die Versorgung zuständig sein?“, ergänzte er mit einer Frage, auf die er keine Antwort erwartete. „Ein Kaffee wird uns allen gut tun.“

Er holte, von den schweigenden Polizisten dabei beobachtet, vier Tassen mit den dazu gehörenden Untertassen aus einem Büroschrank an der dem Fenster gegenüber liegenden Zimmerwand und verteilte sie auf dem Tisch.

„Moment bitte, es fehlen noch der Kaffee, Milch und Zucker. Ich bin sogleich zurück.“ Er verschwand im Vorzimmer, um kurz darauf mit einem gefüllten Tablett in den Händen wieder zu erscheinen.

„Milch und Zucker nehmen Sie sich bitte selbst“, bat er, während er den Kaffee, jeweils mit einem „Danke“ quittiert, in die Tassen schenkte.

„So, Frau Hemmersbach, dann genehmigen Sie sich jetzt erst einmal einen guten Schluck, und dann wird es sicher gehen, nicht wahr?“, redete er seiner Mitarbeiterin gut zu.

Brauer wartete ab, bis sich die Angesprochene bedient hatte, und wiederholte dann seine Frage von zuvor.

„Also, Frau Hemmersbach, sind Ihnen irgendwelche Besonderheiten aufgefallen oder hat Frau Lange Bemerkenswertes erzählt?“

„Nein, da war gar nichts. Es war alles wie immer. Sie hat auch nichts von Problemen erzählt oder so.“

Nur ein gelegentliches reflexhaftes Schluchzen, das gewöhnlich einem Weinen folgt, erinnerte noch an ihre Erschütterung wenige Augenblicke zuvor.

„Sie sind ganz sicher, dass Sie nichts übersehen?“, bohrte Brauer nach.

„Ja, da war wirklich nichts. Ich würde es erzählen, wenn da etwas gewesen wäre.“

„Hat Ihnen Frau Lange eventuell etwas über Bekanntschaften erzählt, vielleicht auch über neue Bekannte? Da sie geschieden und allein lebend war, könnte sie jemanden neu kennen gelernt haben.“

Frau Hemmersbach schüttelte bedächtig den Kopf, wobei sie ihre Lippen leicht aufeinander presste, was ihrem Gesicht den Ausdruck hilflosen Bedauerns verlieh.

„Hat sie vielleicht Andeutungen gemacht, wie sie den gestrigen Abend verbringen wollte?“

Brauer gab die Hoffnung nicht auf, vielleicht doch einen Hinweis aus dem Mund der jungen Frau zu erhalten.

„Nein, über diese Dinge haben wir ohnehin nie gesprochen“, wurde er erneut von Frau Hemmersbach enttäuscht. „Eigentlich wollte Frau Lange über solche privaten Belange nie mit mir reden. Vielleicht lag es auch daran, dass sie deutlich älter war als ich. Ich weiß eigentlich nur von ihr, dass sie geschieden war und eine erwachsene Tochter hatte. Wenn sie selten etwas über die Freizeitgestaltung oder über einen Urlaub erzählt hat, kam nie etwas über andere Personen darin vor. Ich weiß nur, dass sie gestern irgendetwas vorhatte, denn sie hatte es eilig, in den Feierabend zu kommen. Dies war etwas ungewöhnlich. Aber das ist auch wirklich absolut alles, was ich erzählen kann.“

„Gut, Frau Hemmersbach“, meinte Brauer nach einer kurzen Pause, während der er sich erneut über einen wortlosen Blickkontakt mit seinem Kollegen verständigt hatte, „das soll es für den Moment gewesen sein. Wenn wir doch noch Fragen an Sie haben sollten, melden wir uns wieder bei Ihnen. Vielen Dank zunächst!“

„Wir würden nun gern den Schreibtisch der Frau Lange in Augenschein nehmen, wenn Sie gestatten“, wandte sich Brauer nun wieder an Dr. von Braunefeld.

„Ja, natürlich gern, ich hole schnell den Schlüssel, den ich in meinem eigenen Schreibtisch verwahre“, gab der Angesprochene zurück.“

Während sich Dr. von Braunefeld erhob und seinem Schreibtisch zustrebte, standen auch die beiden Polizisten und Frau Hemmersbach auf und gingen voraus ins Vorzimmer. Thiel begann sogleich die penibel aufgeräumte Arbeitsfläche des Tisches zu inspizieren. Er nahm einen offen auf der Oberfläche liegenden Tischkalender zur Hand, blätterte oberflächlich, aber zugleich konzentriert einige Seiten durch und wandte sich dann Dr. von Braunefeld zu, der soeben mit dem Schlüssel in der Hand wieder im Vorzimmer erschien.

„Den Kalender würde ich gern zur Auswertung mitnehmen.“

Dr. von Braunefeld hielt einen Moment inne, überlegte kurz und erteilte dann sein Einverständnis.

„Ja, machen Sie nur. Frau Hemmersbach, kopieren Sie bitte zunächst die beschriebenen Seiten“, bat er seine Mitarbeiterin.

„Dies wird nicht nötig sein“, wandte Thiel ein, der den Kalender offensichtlich nicht aus den Augen verlieren wollte. „Spätestens morgen am späten Vormittag erhalten Sie den Kalender zurück, oder Kopien davon. Es ist aber nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie einen Blick hinein werfen, um sich eventuelle eigene Termine zu notieren.“

Leicht irritiert ob des Misstrauens, das der Polizist zu hegen schien, nahm Dr. von Braunefeld den Kalender aus dessen ihm entgegen gestreckten Hand, um ihn sogleich an Frau Hemmersbach weiter zu reichen.

„Bitte nehmen Sie Platz, Frau Hemmersbach, und erledigen Sie das für mich!“

Daraufhin machte er wenige Schritte hinter den Schreibtisch der Frau Lange, stützte vornüber gebeugt mit dem linken Arm seinen massigen Körper auf dem Schreibtisch ab, steckte den Schlüssel in das Schloss und entriegelte den Schreibtisch mit einem leichten Dreh. Ein ausgeklügelter Mechanismus sorgte dafür, dass alle Schubladen und Fächer des Schreibtisches über ein einziges Schloss ver- und entriegelt werden konnten.

„Bitte sehr, meine Herren“, forderte er die Polizisten zum Tätigwerden auf, während er sich wieder aufrichtete. „Bedienen Sie sich!“

Während Dr. von Braunefeld den Platz hinter dem Schreibtisch frei machte, beeilte sich Brauer, diesen einzunehmen. Sie begegneten sich exakt an der schmalsten Stelle des Durchgangs zwischen den Schreibtischen der Bürokräfte und zwängten sich aneinander vorbei.

Brauer öffnete die oberste Schublade auf der linken Schreibtischseite.

„Hier scheint Frau Lange ihre persönlichen Dinge aufbewahrt zu haben“, meinte er, nachdem er einen kurzen Blick hinein geworfen hatte. „Außer Kästchen mit Teebeuteln, einer Tasse und verschiedenen Hygieneartikeln sehe ich nichts.“

Er schob die Schublade wieder zu, um sogleich die nächste zu öffnen, in der sich ebenso wie in den beiden darauf folgenden nichts außer dienstlichen Utensilien wie Vordrucken, Druckerbedarf, Diktiergerät mit Kassetten, Disketten und CD-ROMs befanden.

„Die Inhalte der Datenträger, die hier am Arbeitsplatz eingesetzt worden sind, sollten wir auswerten, aber ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass sie uns Anhaltspunkte für die Aufklärung des Falles bieten“, meinte Brauer, wobei er Dr. von Braunefeld kurz ins Gesicht sah. „Aber vielleicht haben wir mit den Schubladen auf der anderen Schreibtischseite mehr Glück.“

Die von Brauer nun ins Visier genommenen Schubladen waren offensichtlich tiefer, weshalb nur drei statt deren vier auf der anderen Seite Platz gefunden hatten. Brauer zog die oberste Schublade auf und sah sogleich etwas, was sein Interesse erweckte, denn er legte den Kopf schräg, offensichtlich um etwas besser lesen zu können, und las dann, während er in die Schublade griff und einen großformatigen und dicken Umschlag heraus nahm, laut vor: „An die Submissionsstelle der Stadt Dortmund, Angebotsunterlagen der Firma,“ er zog das A in Firma in die Länge, während er den Umschlag drehte und die Absenderangabe auf der Rückseite las, „Dobau für den Bau der,“ wiederum zögerte er, drehte den Umschlag zurück auf die Vorderseite, stellte den Kopf schräg und richtete sein Augenmerk auf einen Stempelaufdruck am linken unteren Rand des Umschlags, „Stadthalle Dortmund. Der Eingangsvermerk weist den 18.9., also den vorgestrigen Dienstag, als Abgabedatum aus.“

Dr. von Braunefeld war seine Überraschung deutlich anzumerken.

„Moment, Moment, Moment“, bot er dem Polizisten Einhalt, wobei er das dritte Moment lang dehnte. „Zeigen Sie mal bitte her“, forderte er ihn mit ausgestrecktem Arm zur Übergabe des Umschlags auf. Als er ihn erhalten hatte, drehte er den Umschlag ungläubig in den Händen hin und her.

„Sie haben Recht“, meinte er dann. „Es handelt sich tatsächlich um Angebotsunterlagen zum Stadthallenbau. Ich kann es kaum glauben. Die Unterlagen müssten jetzt eigentlich schon längst in der Submissionsstelle vorliegen. Die Eröffnungsverhandlung war bereits gestern. Dieses Angebot der Firma Dobau kann dabei kaum berücksichtigt worden sein, obwohl es offenbar rechtzeitig bei der Stadt Dortmund eingereicht worden ist. Das darf doch wohl nicht wahr sein!“

„Entschuldigen Sie bitte eine Nachfrage!“, meldete sich Thiel zu Wort. „Mir sind diese Begriffe nicht so recht geläufig. Was bitte ist eine Submissionsstelle und was ist eine Eröffnungsverhandlung?“

Dr. von Braunefeld zögerte einen Moment und senkte den Kopf dann so weit, dass sein Kinn den Oberkörper berührte. Er überlegte, wie er die Zusammenhänge erklären konnte. Sodann holte er tief Luft und begann: „Eine Submission ist ein Verfahrensschritt bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in einem Ausschreibungsverfahren. Eingegangene Angebote der verschiedenen Bieter werden zunächst verschlossen verwahrt, bis die Frist zur Angebotsabgabe abgelaufen ist. Dann werden zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Angebote geöffnet, und zwar in der Submissionsstelle. Diese ist bei der Stadt Dortmund im Bauamt eingerichtet. Der Begriff der Submission bezeichnet die Eröffnung der Angebote. Diese Eröffnung der Angebote erfolgt in der so genannten Eröffnungsverhandlung, bei der zunächst festgestellt wird, ob die Angebote ordentlich verschlossen und äußerlich gekennzeichnet sind, und ob sie fristgemäß eingegangen sind. Dann werden sie eröffnet. Diese Vorgänge werden protokolliert, und zwar in einer Niederschrift, in der dann auch weitere Angaben zu den eingegangenen Angeboten festgehalten werden.“

„Verstehe ich es richtig, dass dieses Angebot der Firma Dobau nicht zur Eröffnungsverhandlung vorgelegen hat und deshalb die Firma den Auftrag nicht bekommen kann?“, fragte Thiel nach.

„Grundsätzlich ja, hier aber wahrscheinlich nicht“, gab Dr. von Braunefeld zurück. „Ausweislich des Eingangsdatums vom 18.9., also am Tage des Fristablaufs, hat das Angebot rechtzeitig vorgelegen. Der Sachverhalt wird noch weiter zu prüfen sein, aber es dürfte wohl darauf hinauslaufen, dass es noch in die Wertung einbezogen werden muss.“

„Der Auftrag über den Bau der Stadthalle ist noch nicht erteilt?“, fragte Brauer nach.

„Nein“, gab Dr. von Braunefeld zurück. „So schnell geht das nicht. Nach der Öffnung und Prüfung der Angebote erfolgt erst die Wertung und später erst der Zuschlag. So weit sind wir in diesem Verfahren, wie schon gesagt, längst noch nicht.“

„Welche Erklärung mag es dafür geben, dass der Umschlag im Schreibtisch der Frau Lange lag?“, richtete Brauer seine nächste Frage an den städtischen Beigeordneten, der diese jedoch an Frau Hemmersbach weitergab.

„Ich habe keine Erklärung dafür. Wie sieht es mit Ihnen aus, Frau Hemmersbach?“

Die junge Bürokraft, die noch immer damit beschäftigt war, im Kalender der Frau Lange notierte Termine auf ein separates Blatt zu übertragen, hatte bislang den Eindruck erweckt, als sei sie den Abläufen im Zimmer nicht gefolgt, unterbrach ihre Arbeit nun und sah kurz auf.

„Wofür bitte eine Erklärung, Herr Dr. von Braunefeld?“, fragte sie ihren Chef. Inzwischen hatte sie sich vollständig von ihrer Weinattacke noch Minuten zuvor erholt und wirkte sicher und gefasst.

„Also, für den Umschlag mit Submissionsunterlagen der Firma Dobau im Schreibtisch der Frau Lange natürlich!“ Dr. von Braunefeld streckte ihr demonstrativ mit beiden Händen den Umschlag entgegen. Er konnte seine Ungeduld kaum verbergen.

„Ach, den Umschlag meinen Sie! Gut, dass Sie ihn gefunden haben. Ich hätte ihn wahrscheinlich vergessen. Ein Vertreter der Firma Dobau hat ihn, warten sie gerade bitte!“

Sie unterbrach sich und sah mit leicht gekräuselter Stirn auf den Kalender, der zu ihrer Linken an einer Schnur an der Wand hing, um dann ihren abgebrochenen Satz fortzusetzen.

„Am Dienstag, nachmittags, vorgestern also, hier bei Frau Lange abgegeben. Sie wollte ihn sogleich persönlich zur Submissionsstelle bringen, hat dort vorher aber anrufen wollen und niemand mehr erreicht. Sie hat den Umschlag deshalb in ihrem Schreibtisch eingeschlossen, um ihn gleich am Mittwoch, gestern also, zur Submissionsstelle zu bringen.“

Dr. von Braunefeld hatte merklich große Mühe, seine Fassung zu bewahren. Wortlos schaute er seiner Mitarbeiterin sekundenlang ins Gesicht. Frau Hemmersbach hielt seinem Blick nur kurz stand, sah dann auf den Boden und errötete. Die augenblickliche Stille wurde von Herrn Brauer unterbrochen, der Frau Hemmersbach dadurch erlöste.

„Ist es vorstellbar, dass der Firma Dobau durch die Unterdrückung ihres Angebotes vorsätzlich ein Nachteil zugefügt werden sollte?“, richtete er seine Frage an Dr. von Braunefeld.

„Wenn es denn ein Nachteil ist, meine Herren“, gab der vorsichtig und doch zugleich auch vielsagend zurück. „Kommen Sie doch bitte noch einmal mit mir in mein Büro!“

Den Umschlag weiter in der linken Hand haltend geleitete er seine Gäste mit einer einladenden Geste seines rechten Arms in sein Arbeitszimmer. Nachdem zuletzt auch er eingetreten war, drückte er die Tür zum Vorzimmer ins Schloss und bat die Polizisten, noch einmal Platz zu nehmen.

„Einen Augenblick bitte!“, meinte er dann. „Ich führe ein kurzes Telefonat, dann sehen wir weiter.“

Während die Polizisten der Einladung folgten und ihre Plätze von vorhin einnahmen, setzte sich Dr. von Braunefeld auf den Drehsessel hinter seinem Schreibtisch, wählte eine offensichtlich auf eine Kurzwahltaste gespeicherte Telefonnummer, führte dann den Hörer zum Ohr und lehnte sich im Sessel zurück.

„Ja, Dr. von Braunefeld,“ meldete er sich kurz darauf, als sein Gesprächspartner abgehoben hatte.

„Herr Sendscheidt, gestern war doch die Eröffnungsverhandlung für unser Stadthallenprojekt. Sie müssen bitte gerade schnell für mich nachsehen, wer alles der Verhandlung beigewohnt hat.“

Offenbar konnte der angesprochene Herr Sendscheidt die erbetene Auskunft ohne Nachlesen geben, denn Dr. von Braunefeld fuhr unvermittelt fort: „Das ist ja ganz hervorragend! Dann mal los!“

Mehrfach quittierte er die Auskünfte des Gegenüber mit einem langgezogenen Ja, wobei er die Stimme jeweils zum Wortende hin hob.

„Wer war der Vertreter der Dobau?“, fragte er dann.

Den ihm übermittelten Namen notierte er auf einem hastig gegriffenen Zettel, wobei er den Hörer zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt hielt. Sodann nahm er ihn wieder zur Hand, bedankte sich und wollte sich verabschieden, als sein Gesprächspartner offensichtlich eine weitere Information übermittelte.

„Das ist ja hochinteressant!“, hörten die beiden Polizisten Dr. von Braunefeld ausrufen, und warteten in der Folge noch gespannter auf die Auflösung, die Dr. von Braunefeld ihnen in Kürze geben würde.

„Besten Dank, und behandeln Sie unser Gespräch uneingeschränkt vertraulich!“

Dr. von Braunefeld legte den Hörer auf die Gabel zurück, erhob sich aus seinem Drehsessel und ging auffällig gemächlich zum Besprechungstisch hinüber, an welchem die Polizisten auf ihn warteten, und setzte sich zu ihnen.

„Hier stinkt etwas zum Himmel!“, steigerte er die Erwartung seiner Gäste noch weiter, um dann fortzusetzen: „Der Geschäftsführer der Dobau, Zimmermann heißt er, war bei der Eröffnungsverhandlung anwesend. Anders als bei Vergaben allgemeiner Lieferungen und Leistungen ist die Anwesenheit der Bieter bei der Eröffnung der Angebote zugelassen, wenn Bauleistungen nach einer Ausschreibung vergeben werden sollen.“

„Und dies bedeutet?“, fragte Brauer nach.

„Dies bedeutet, dass die Bieter im Zuge der Eröffnung der Angebote bestimmte Informationen auch über die Inhalte der Konkurrenzangebote erhalten, und zwar zumindest die Höhe der ungeprüften Angebotssummen.“

„Ich verstehe“, warf Brauer ein, „dann hätte dem Geschäftsführer der Dobau auffallen müssen, dass das Angebot seiner Firma fehlte.“

„Ist es auch,“ entgegnete Dr. von Braunefeld. „Er hat auf das Fehlen aufmerksam gemacht und einen entsprechenden Eintrag in der Niederschrift erwirkt.“

„Er konnte also darauf vertrauen, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um das fehlende Angebot ausfindig zu machen“, schloss Brauer, um dann fortzufahren: „Aber mir ist nicht klar, wo ich nun einen Ansatzpunkt für verwerfliches Handeln entdecken soll. Sie scheinen einen bestimmten schlimmen Verdacht zu hegen, Dr. von Braunefeld. Worauf wollen Sie hinaus?“

Der Angesprochene presste für einen Moment die Lippen aufeinander, um sie dann, ebenfalls nur für einen Augenblick, an einen Kussmund erinnernd zu formen. Es war offensichtlich, dass er innerlich mit sich rang.

„Gut“, meinte er dann, „oder nicht gut! Manchmal muss man aber auch betont bösgläubig sein, wenn man alle denkbaren Erklärungsalternativen erkennen möchte. Ebenso möglich ist es, dass es zum Zeitpunkt der Eröffnungsverhandlung noch gar kein Angebot der Firma Dobau gab. Da der Geschäftsführer von den ungeprüften Endsummen der Konkurrenten im Rahmen der Eröffnungsverhandlung Kenntnis erhielt, konnte er seelenruhig im Anschluss daran sein auf die Konkurrenzangebote abgestimmtes eigenes Angebot schreiben und so bester Hoffnung sein, als günstigster Bieter den Zuschlag zu erhalten.“

Brauer, der den Erklärungsversuch Dr. von Braunefelds nun erst tatsächlich verstanden hatte, nutzte eine Atempause des städtischen Beigeordneten, um dessen Ausführungen fortzusetzen.

„Voraussetzung war, dass er einen Komplizen oder eine Komplizin in der Verwaltung hatte, der oder die dafür sorgte, dass ein entsprechender Eingangsstempel den rechtzeitigen Eingang des Angebotes bestätigte und ein Vertreter der Firma zur Wahrung des Scheins bei der Eröffnungsverhandlung auf das Fehlen seines Angebotes aufmerksam machte.“

„Exakt!“, bestätigte Dr. von Braunefeld anerkennend. „Und dann wäre, ich mag es kaum glauben, unsere Frau Lange eventuell eine direkte Beteiligte am bösen Tun gewesen.“

„Ja, vielleicht“, bestätigte Brauer. „Es stellt sich dann die Frage, wie sich aus einer solchen Konstellation ein Mordmotiv ergeben kann, das uns dann vielleicht zum Mörder führt.“

„Zunächst aber muss ein wichtiges Indiz für das Zutreffen unseres Erklärungsversuches festgestellt werden. Wenn nämlich das Angebot der Dobau nicht das Günstigste ist, greift der Erklärungsansatz nicht mehr, es sei denn, dass die Prüfung und Wertung der anderen Angebote zu einer Korrektur in Form einer deutlichen Reduzierung der ursprünglich in der Eröffnungsverhandlung bekannt gegebenen Gesamtsummen führt.“

„Wir müssen die Inhalte des Angebotes erfahren“, stellte Brauer fest.

„Meine Herren,“ sprach Dr. von Braunefeld seine Gäste förmlich an, „ich werde persönlich dafür sorgen, dass dieses Angebot schnellstmöglich im vorgesehenen Verfahren eröffnet wird. Ich werde es wie meinen Augapfel hüten, damit es Ihnen als Beweismittel zur Verfügung steht, wenn es denn als solches von Ihnen benötigt werden sollte. Auf jeden Fall werde ich Sie schnellstmöglich über die Angebotsinhalte in Kenntnis setzen."

„Eine Sache noch!“, warf Thiel ein. „Entweder ist unser erster Verdacht schon von vornherein völlig abwegig, oder die Frau Hemmersbach steckt mit in der Sache drin!“

„Wie kommen Sie darauf?“, fragte Dr. von Braunefeld überrascht.

„Ganz einfach“, gab Thiel zurück. „Wenn der Umschlag, wie sie sagt, am Dienstag eingegangen ist, war der Eingang rechtzeitig vor der Submission und der Verdacht der Angebotsmanipulation wäre falsch. Wenn der Umschlag aber am Mittwoch, also nach Fristablauf und womöglich sogar nach der Submission eingegangen sein sollte, hat sie gelogen, warum auch immer."

Dr. von Braunefeld nahm den Gedanken auf und führte ihn fort. „Wenn aber der Umschlag rechtzeitig eingegangen sein sollte, dann stellt sich die Frage, warum Frau Lange ihn nicht sofort am Mittwochmorgen weitergeleitet hat. Es passt in keiner Weise zu ihrer Zuverlässigkeit und Erfahrung, den Umschlag den ganzen Mittwoch über im Schreibtisch liegen zu lassen. Die Tatsache, dass der Umschlag am Mittwoch zum Feierabend im Schreibtisch der Frau Lange lag, spricht meines Erachtens deutlich dafür, dass er erst am Mittwoch eingegangen ist.“

„Sodass wir die von Ihnen herausgestellte Zuverlässigkeit der Frau Lange schwer in Zweifel ziehen müssten“, ergänzte Brauer, „denn der auf Dienstag lautende Eingangsvermerk auf einem am Mittwoch eingegangenen Umschlag wäre schlichtweg böse Manipulation. Und mit der Rolle der Frau Hemmersbach müssen wir uns auch noch näher befassen. Nun haben wir doch noch die erhofften Anhaltspunkte für nähere Ermittlungen erhalten!“

Brauer nickte dem städtischen Beigeordneten zufrieden zu und rückte seinen Stuhl zurück, um sich zum Aufbruch erheben zu können.

„Ach, Herr Dr. von Braunefeld, eine kurze Frage noch“.

Thiel bat um einen kurzen Einhalt, um dann fortzusetzen: „Die angewählten Telefonnummern der von der Stadt Dortmund nach außen geführten Gespräche werden doch sicher gespeichert und für eine gewisse Zeit vorgehalten, oder?“

„Das ist richtig“, bestätigte Dr. von Braunefeld. „Für den Zeitraum eines Jahres werden die Nummern automatisch elektronisch aufbewahrt. Sie werden allgemein zu Nachweiszwecken vorgehalten, aber auch benötigt, um eine Abrechnung von Privatgesprächen sicherzustellen, die unter Umständen über die dienstliche Leitung geführt werden mussten.“

„Dann wäre es also möglich festzustellen, ob von Ihrem Vorzimmer aus Gespräche mit der Firma Dobau geführt worden sind?“

„Ja, das ist unter Abstimmung mit dem Datenschutzbeauftragten ohne weiteres möglich. Im vorliegenden Fall rechne ich diesbezüglich mit keinerlei Vorbehalten und werde deshalb umgehend eine Auswertung veranlassen können. Sie hören von mir!“

Im Bann des Augenblicks

Подняться наверх