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REGEL #4 //

ALLES DREHT SICH UMS RAD

Es geht, absolut, ohne Frage, ganz eindeutig, um das Rad. Wer etwas anderes behauptet, ist offensichtlich ein Schwachkopf.

»Wenn ein Fahrrad sexy sein kann, dann ist dieses Fahrrad definitiv sexy.«

Ich stand stolz neben meiner neu aufgebauten Rennmaschine, einem Rad, von dem ich fast fünf Jahre lang geträumt hatte, immer in der Hoffnung, irgendwann ein Bein über seinen Sattel werfen zu dürfen.

Die Zusammenstellung des Rosses, bis hin zu seinen einzelnen Komponenten, war mühsam und aufwändig abgewogen und festgelegt und dann noch mal komplett neu durchdacht und überarbeitet worden, ehe ich mich daran wagte, überhaupt irgendein Teil zu kaufen. Also zum Teufel, ja, ein Fahrrad kann sexy sein. Und zur Hölle, ja, dieses Fahrrad war definitiv sexy.

Viel kann sich in der Zeit ändern, die es braucht, um ein Fahrrad aufzubauen. Es hatte mich über fünf Jahre gekostet, bis ich schließlich jenes Rad fertiggestellt hatte, das ich an diesem Tag meinen Freunden vorführte. Der Stand der Technik, das Material, das meine Idole fuhren, die gewünschte Lackierung des Rahmens – all diese Dinge hatten sich in einem fließenden Prozess immer wieder verändert wie Schlamm von Flanderns Äckern, der zwischen regennassen Pflastersteinen hinabrinnt.

Die Auswahl einer Komponente ist eine Entscheidung, die man sich über Wochen oder Monate hinweg erarbeiten muss, auch indem man sie immer wieder hartnäckig überdenkt und ausführlich mit jedem bespricht, der zu höflich ist, um wegzulaufen. Aber trotz all dieser Aufmerksamkeit, die man dem Thema widmet, unterläuft einem mitunter ein Fehler und das betreffende Teil muss gegen eines ausgetauscht werden, das sich besser anfühlt oder besser mit der Ästhetik des Rades harmoniert.

Und dabei sind entscheidende Elemente wie die Frage, für welche Rahmengröße man sich entscheidet, noch nicht mal angesprochen. Als Junge war ich immer Räder gefahren, die zu groß für mich waren – ich sollte gewissermaßen in sie hineinwachsen, während ich langsam erwachsen wurde (mitunter bekomme ich zu hören, dass dies bis heute nicht der Fall ist). Ich selbst war nicht scharf darauf gewesen, mal wieder einen zu großen Rahmen zu kaufen, aber wenn man einen zu kleinen Rahmen kauft, hat man ein ernsthaftes Problem, nämlich eines, für das es keine Lösung gibt. Monate des angestrengten Nachdenkens wurden daher nun dieser kritischen Entscheidung gewidmet, und zwar mit Hilfe von Geometrie- und Trigonometrie-Lehrbüchern von der Highschool, die ich wieder ausgrub und die mir unverzichtbare Unterstützung in der Frage boten, welche Rahmengröße mir zu den geeigneten Rohrmaßen und -winkeln verhelfen würde, damit ich mich vom Esel in ein Vollblut verwandeln konnte.

Selbst die Details, die sich zu einem späteren Zeitpunkt leicht noch ändern lassen, erfordern lange Überlegungen, ganz einfach, weil der allererste Eindruck, den du von einer neu aufgebauten Maschine bekommst, sich auf ewig in deine Psyche einbrennen wird. Wenn du versehentlich ein Lenkerband in der falschen Farbe oder einen falschen Sattel wählst, würde das einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, der sich nicht so leicht wegspülen lässt (obwohl dafür ein gut gehopftes Ale sicherlich ein brauchbarer Anfang wäre).

Sorgfältig wurde bei jeder Komponente darauf geachtet, wie sich die Kosten in Relation zu Gewicht und Langlebigkeit verhielten. Für mich als großen, schlaksigen Kerl ist der Flex des Rahmens von primärem Interesse, dennoch gehe ich, gerade auch angesichts des beträchtlichen Gesamtgewichts von Fahrer und Rad, beim Materialgewicht nicht leichtfertig Kompromisse ein. Die Herausforderung, eine vernünftige Balance zwischen diesen Faktoren herzustellen, war eine Reminiszenz an meinen Versuch, das Gleichgewicht zu halten, als ich das erste Mal ohne die helfende, stabilisierende Hand meines neben mir herlaufenden Vaters am Sattel fuhr.

Dieses spezielle Rad lebte ein halbes Jahrzehnt lang in meinem Herzen, bevor ich erstmals eines seiner Rohre berührte. Seit ich es besitze, lebt und wächst es mit mir, wird immer mal wieder ein wenig angepasst, um meiner Entwicklung als Fahrer gerecht zu werden oder den jeweiligen Bedingungen und Anforderungen bestmöglich zu entsprechen. Für Hochgebirgspässe, Kopfsteinpflaster oder Trainingsfahrten werden jeweils entsprechende Laufräder ausgewählt. Gepolstertes Lenkerband kommt zum Einsatz, um die Unvermeidbarkeit von ermüdeten Händen auf dem Pavé ein wenig zu lindern. Die Kassette wird in Abhängigkeit vom erwarteten Streckenprofil ausgetauscht. Und vielleicht am wichtigsten: Die Breite und das Profil der Reifen werden danach ausgesucht, wohin Asphalt und Schotter mich tragen könnten. Letzten Endes wird dieses Rad für immer in meinem Herzen weiterleben, auch wenn es schon längst aufgestiegen ist in den ewigen Schrotthaufen an den Hängen des Mount Velomis.

Wenn ich nur einen Bruchteil der Gedanken, die ich der Zusammenstellung, Pflege und Instandhaltung dieses Rades gewidmet habe, in meinen Job investiert hätte – oder auch in die Entwicklung meines Charakters –, wäre ich bestimmt längst ein sehr mächtiger Mann und steinreich noch dazu.

Aber das stört mich nicht im Geringsten. Denn alles dreht sich ums Rad.


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