Читать книгу Die Regeln - Velominati - Страница 14

Оглавление

REGEL #12 //

DIE KORREKTE ANZAHL RÄDER, DIE MAN BESITZEN SOLLTE, LAUTET N+1

Während drei die minimale Anzahl von Fahrrädern ist, die man besitzen sollte, lautet die korrekte Anzahl N+1, wobei N für die Zahl der derzeit im Besitz befindlichen Räder steht. Diese Gleichung lässt sich auch umformen in S-1, wobei S für die Zahl der in deinem Besitz befindlichen Räder steht, die dazu führt, dass dein Partner bzw. deine Partnerin sich von dir trennt.

Ich möchte mir einen neuen Cyclocross-Rahmen kaufen. Meine Freundin unterstützt das, obwohl sie weiß, dass ich schon einen Cyclocrosser habe. Ganz zu schweigen von den drei Rennrädern, meinem Rad für Besorgungen in der Stadt und dem MTB. Da sie selbst Radsportlerin ist, besitzt sie natürlich ebenfalls drei Rennräder und ein paar Räder fürs Gelände.

Nichtsdestotrotz hat sie die entscheidende Stimme in unserem Haushaltsausschuss, und alle derartigen Käufe müssen von besagtem Ausschuss abgesegnet werden. Was unserem Entscheidungssystem an Bürokratie vielleicht fehlen mag, macht es mit akribischer Prüfung locker wett: Es ist nicht übertrieben, dass ich sehr erleichtert bin, dass ich letztlich die Zustimmung des Ausschusses erhalten habe.

Genau genommen, freut aber auch meine Freundin sich auf die Neuanschaffung. Der fragliche Rahmenbauer ist nämlich ein kleiner exquisiter Shop im Nordwesten der USA, und wenn sie im Nordwesten der USA was gut können, dann kleine exquisite Shops. Nach einer langen Diskussion darüber, ob eine Gruppo-, Group-san- oder Bro-Set-Ausstattung dieses besondere Rad beehren soll, sprach sie einen Satz aus, der mein Herz so sehr in Wallung brachte, dass mir die Luft wegblieb: »Danach gehe ich davon aus, dass wir diese Fahrradkauf-Sache mal für eine Weile auf Eis legen und uns auf unsere anderen Prioritäten konzentrieren können, nicht wahr?« Das war keine Frage, auch wenn es so formuliert war.

Bilder von herrlichen 29ern und Zeitfahrmaschinen zogen vor meinem geistigen Auge vorüber, während ich mich beeilte, zustimmend zu nicken. Bei Licht betrachtet sträube ich mich ja gar nicht dagegen, mich mal auf »andere« Prioritäten zu konzentrieren. Aber ehrlich gesagt verstehe ich nicht so recht, was sie mit dieser Formulierung meint. Bisher hatte ich gedacht, das 29er und die Zeitfahrmaschine wären die anderen Prioritäten.

Wir Velominati lieben unsere Räder. Ein Fahrrad ist für uns mehr als nur einfach ein Handwerkszeug; jede Maschine, die wir fahren, hilft uns, eine Verbindung zur V herzustellen, die einen unauslöschlichen Eindruck in unserer Psyche hinterlässt. Wir betrachten kein Rad als Selbstverständlichkeit, und wir verstehen, dass ein Rad, das nicht gefahren wird, ein Rad ist, das nicht wertgeschätzt wird – und dass ein Rad, das nicht wertgeschätzt wird, womöglich das Traurigste ist, was man sich auf Erden vorstellen kann.

Nichtsdestotrotz sehnen wir uns immer nach einem weiteren Rad. Vielleicht ist es eine tief verwurzelte Störung, die sich aus unserem genetischen Erbe als Jäger und Sammler erklärt. Vielleicht ist es auch eine mysteriöse Spielart des Stockholm-Syndroms, der wir anheimgefallen sind, so dass wir einer Maschine, die letztlich nicht viel mehr tut, als uns auf primitive Weise leiden zu lassen, einen überweltlichen Wert beimessen.

In den Stall kommen mir ausschließlich Räder, die zuvor sorgsam ausgewählt, zusammengestellt und montiert wurden. Den ganzen Sommer zwischen der sechsten und siebten Klasse habe ich miese Gelegenheitsjobs übernommen, um mir mein erstes richtiges Rennrad kaufen zu können. Kurz danach begann ich, es nach meinen Vorstellungen anzupassen. Ich montierte einen Cinelli-Vorbau und einen Drop-in-Lenker von Scott, den ich mit Benotto-Lenkerband umwickelte, sofern man etwas, was ganz ohne selbstklebende Fläche auskommt, tatsächlich so nennen kann. Kurz darauf kaufte ich ein Paar Time-Pedale und bald darauf einen Selle San Marco Regal-Sattel. In den wenigen kurzen Monaten, in denen ich das Rad nun besaß, verwandelte es sich in etwas, das nicht mehr als die Maschine zu erkennen war, die ich aus dem örtlichen Fahrradgeschäft geschoben hatte.

Ich liebte dieses Rad. Ich fuhr es, bis es auseinanderfiel. Und als es auseinanderfiel, reparierte ich es oder kaufte neue Teile, um jene zu ersetzen, die unrettbar hinüber waren. Ich fuhr es beinahe zwanzig Jahre lang, und einige seiner Komponenten leben sozusagen im Hospiz an einem meiner jetzigen Räder weiter.

Jedes Rad, das ich seither besessen habe, begann mit dem Kauf eines Rahmens und entwickelte sich peu à peu zu einem prächtigen Ross, ein jedes mit seiner eigenen Geschichte, die von knappen Budgets und langen Phasen vorfreudigen Wartens erzählt.

2003 nahmen mein Velomihottie und ich an der L’Etape du Tour teil, einem jährlichen Radmarathon, der von den Veranstaltern der Tour de France auf die Beine gestellt wird und Normalsterblichen die Chance gibt, eine Bergetappe der jeweiligen Ausgabe der Tour als Jedermannrennen zu bestreiten. In jenem Jahr führte die Strecke von Pau nach Bayonne. 220 Kilometer, erst über drei Pyrenäenpässe, dann 80 Kilometer bergab vom letzten Gipfel hinab ins Ziel. Das ganze Frühjahr über trainierten wir wie die Bescheuerten. Unsere Trainingstagebücher waren voll mit Einträgen, die von 200 Tageskilometern und mehr kündeten.

Ein paar Tage nach der L’Etape kehrten wir an die Strecke zurück, um mitzuerleben, wie die richtige Tour de France über dieselben Straßen führte. Wir schauten vom Straßenrand aus zu, wie das Feld vorbeikam, bevor wir in ein Dorf-Café mit dem treffenden Namen Calamity Jane umzogen. Dort verfolgten wir den Rest der Etappe auf einem Fernseher, dessen Antenne ständige Aufmerksamkeit von den Angestellten der Bar verlangte und der den Patron des Ladens jedes Mal zu Anfeuerungsrufen animierte, sobald auf dem kleinen Bildschirm mal kurzzeitig ein klares Bild zu erkennen war. Tyler Hamilton gewann an diesem Tag die Etappe auf dem Prototyp eines Rades, das später das Cervélo R3 werden sollte.

Sieben Jahre lang träumte ich davon, ein Rad wie das zu besitzen, mit dem Hamilton auf den Straßen, die wir beide flüchtig geteilt hatten, zum Sieg gefahren war – sein späteres Dopinggeständnis hin oder her. Als schließlich der Tag gekommen war, an dem ich mein Bein über das Oberrohr meines eigenen R3 werfen konnte, hatte ich das Gefühl, neu geboren zu sein. Der krönende Abschluss so vieler Träume, die in diesem ganz besonderen Moment zusammenliefen, lässt sich vielleicht am besten damit beschreiben, was Wissenschaftler als Singularität bezeichnen: ein bestimmter Punkt, an dem die physikalischen Gesetze, wie wir sie kennen, nicht mehr über die Ereignisse herrschen, wenn wir sie sehen. Geteilt durch null, um es mit dem Taschenrechner auszudrücken.

Ein Freund von mir baute den Rahmen, den ich derzeit fahre und im Rennen benutze und der mich in die vielleicht vulgärste und elementarste Form des Radrennsports einführte: Cyclocross. Vermenge Radrennen, Trailrunning, Minigolf und Fight Club zu einer einzigen Sportart und du hast eine ungefähre Ahnung davon, worum es geht. Füge dann noch etwas Morast und Alkohol hinzu, und das Bild nimmt langsam Konturen an. Ich liebe den Cyclocrosser, den ich derzeit fahre und er ist unverwechselbar. Fotos von den Rennen, an denen ich teilnehme, offenbaren immer einen riesigen orange lackierten Rahmen, der bei den Laufpassagen, wenn die Räder geschultert werden, alle anderen Räder um einen Meter überragt.

Dieses Rad hat jedoch ein paar traumatische Erlebnisse gehabt, die durch meine Inkompetenz als Querfeldein-Rennfahrer ausgelöst wurden, und es leidet auch darunter, eher ein Schwergewicht zu sein. Was den Radsport betrifft, bin ich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass ich mir zwar selbst ein wenig Gewicht zu viel zugestehen kann, aber niemals meinem Rad.

In einem Sport, der von einem verlangt, sein Rad während eines Rennens mehrere Dutzend Mal hochzuheben, bin ich naturgemäß ein großer Fan federleichter Maschinen. Was mich zu meiner anfänglichen Bemerkung zurückbringt: Ich möchte mir einen neuen Cyclocross-Rahmen kaufen.

Und sobald diese Sehnsucht gestillt ist, gehe ich auf die Jagd nach einem 29er und einer Zeitfahrmaschine. Und wenn das erfolgreich war, habe ich ja immer noch kein einziges Rad mit Titanrahmen. Und wenn ich mir ein 29er kaufe, wird es entweder ein Hardtail oder vollgefedert sein, was bedeutet, dass ich entweder noch kein vollgefedertes 29er oder kein 29er Hardtail habe. Und ich bezweifle, dass eins davon aus Titan ist.

Ich habe gehört, dass sich Titan großartig fährt und dass es, wenn man erst mal ein Titanrad hat, keine Notwendigkeit mehr gibt, sich noch mal ein neues Rad zu kaufen. Wer das behauptet, hat offenbar keine Ahnung. Seit wann geht es um so etwas wie Notwendigkeit?


Die Regeln

Подняться наверх