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REGEL #58 //

UNTERSTÜTZE DEINEN RADLADEN VOR ORT

Kauf niemals Fahrräder, Teile oder Zubehör online. Ins Radsportgeschäft vor Ort zu latschen, unzählige Fragen zu stellen, die wertvolle Zeit des Personals zu beanspruchen, nur um dann hinterher im Internet einzukaufen, ist ungefähr so, als würdest du ein Bier mit deinem besten Freund trinken, bevor du mit seiner Frau in die Kiste hüpfst. Wenn du dir unbedingt irgendwelche Komponenten im Netz besorgen musst, sei darauf vorbereitet, alles selbst zu montieren und zu warten. Wer einen Radladen mit im Netz gekauften Teilen betritt und erwartet, dass man ihm den Krempel ans Rad baut, sollte wenigstens bereit sein, einen vernünftigen Preis für diese Dienstleistung zu bezahlen und dem Schrauber ein ordentliches Trinkgeld zuzustecken.

Als wir selbst unsere Reise auf der Straße von La Vie Velominatus begannen, suchten wir an einem besonderen Ort Rat und Inspiration: im lokalen Radsportgeschäft. Es war wie ein Zufluchtsort für uns und unsereins. Wir konnten dort hingehen, um schmachtend die allerneuesten Rennmaschinen und Komponenten anzustarren; wir konnten dort in Magazinen über die großartigen Heldentaten außergewöhnlicher Männer in fernen Ländern lesen; wir konnten dort über das Geschehen in der lokalen Radsport-Szene diskutieren oder darüber, wer die neue Zehnfach-Gruppe gekauft hat, die letzte Woche neu reingekommen war. Es war ein Zufluchtsort, an dem wir uns akzeptiert fühlten, an dem wir nicht als Außenseiter einer Gesellschaft angesehen wurden, die im Allgemeinen mehr an halslosen Quadratschädeln in American-Football-Montur interessiert war als an schmächtigen Hungerhaken in hautengem Lycra.

Der Besitzer des Ladens war normalerweise ein älterer Herr, womöglich zu seiner Zeit ein Amateurrennfahrer von nationaler Klasse, der immer noch bei Vereinsrennen auftauchte, ordentlich Druck unter den Hufen hatte und auf einer Maschine saß, die vor zwanzig Jahren ein absolutes Topmodell gewesen war, nun aber von den jungen Schnöseln als vorsintflutliches Relikt belächelt wurde. An Renntagen konnte er ihnen immer noch eine gute Portion reinster V servieren, und obschon sie weiter über sein Rad spotteten, hatten sie doch Hochachtung vor seiner Fähigkeit, 15 Kilo Stahl in einem Affenzahn über die Strecke zu wuchten. Während die Falten in seinem Gesicht von einem langen Leben zeugten, das er der Sonne und dem Wind ausgesetzt und stets am Anschlag fahrend verbracht hatte, sahen seine Beine aus, als gehörten sie einem Mann, der viele Jahrzehnte jünger war als er. Glatt wie Seide, hart wie Stein, Adern wie schwere Blutschläuche, die zu einem Pferdeherzen führen.

Mit dem Siegeszug des Internets wurden diese Doyens des Radsports immer seltener und drohten bald sogar auszusterben. Immer noch wurden neue Radläden eröffnet, aber das Personal war nun viel jünger und die Chefs hatten einen völlig anderen Hintergrund: Waren es früher Radsportler gewesen, die alles über ihr Fach wussten, aber oft nicht viel von Buchhaltung und Controlling verstanden, so waren es nun in erster Linie Absolventen der Betriebswirtschaftslehre, die wohl in ihrer Freizeit auch ein bisschen Rad fuhren. Das Sortiment verlagerte sich von reinrassigen Rennmaschinen hin zu allgemeineren Fortbewegungsmitteln mit zwei Rädern. Radfahren stellte für die neuen Ladenbesitzer weniger eine Passion oder Lebensart dar als vielmehr nur eine Form der Körperertüchtigung und der Fortbewegung. In solchen Läden eine Campagnolo-Kette zu kaufen, war ein Unterfangen, bei dem man ausdruckslosen Blicken und albernen Fragen ausgesetzt war. Das Geschäft im Internet boomte, ein Online-Shop nach dem nächsten machte auf. Diese konnten dank geringerer Fixkosten mit deutlich günstigeren Preisen locken, so dass Verbraucher vor eine Wahl gestellt wurden, die vielen von ihnen mit Blick auf die Geldbörse sehr einfach fiel, selbst wenn mancher ein ungutes Gefühl dabei behielt.

Der loyale Kunde hingegen ließ sich davon nicht beirren, mied weiterhin die Online-Shops und besuchte regelmäßig seine Lieblings-Radläden. Zeit im örtlichen Radsportgeschäft zu verbringen und dort Teil der lokalen Fahrradkultur zu sein, war genauso wichtig, wie dort seine Räder zu kaufen. Außerdem kostete es nichts. Radsport-Foren im Internet waren einfach nicht dasselbe wie eine echte, persönliche Diskussion über das Aufkommen von Carbonrahmen oder die Regenwahrscheinlichkeit bei Paris–Roubaix am Sonntag. Die neuesten Komponenten hatten wir nun natürlich längst schon geraume Zeit vorher im Internet gesehen, bevor unser Händler sie in seinen Regalen ausstellen konnte, aber da wir nun mal treue Seelen sind, warteten wir artig, bis sie auf der Liste seines Großhändlers auftauchten, gaben dann unsere Bestellung auf und bezahlten den aufgerufenen Preis, natürlich abzüglich des Freunde- und Stammkundenrabatts. Einige Zeit später würde das Teil ankommen, wir würden einen Anruf erhalten, daraufhin mit unserem Rad im Laden aufkreuzen, alles kostenlos dranschrauben lassen und uns noch am selben Tag glücklich damit auf den Weg machen. Wir wussten, dass die Teile richtig montiert und eingestellt waren, und ebenso wussten wir, dass die Garantie greifen würde, sollte doch mal irgendetwas nicht passen oder vorzeitig den Geist aufgeben.

Beim Einkaufen im Internet fallen die Erfahrung und Expertise der kampferprobten Schrauber und Servicemitarbeiter eines echten Radladens komplett weg. Die ganzen Schnäppchenjäger lesen nur »Schaltwerk zum Sonderpreis« und klicken auf »in den Warenkorb«. Wenn das Teil ein paar Tage später eintrifft und sie keine Ahnung haben, wie sie es dranbauen sollen oder so einstellen können, dass es sich über alle Ritzel bewegt, stapfen sie ins nächste Radsportgeschäft und verlangen Hilfe. Wenn man ihnen dort verklickert, dass ein 8-fach-Schaltwerk mit kurzem Käfig nicht mit einer 9-fach-MTB-Kassette funktioniert, sind sie entweder peinlich berührt oder geradeheraus empört. Ein wenig Klartext an die Adresse dieser bedauernswerten Gestalten sei also gestattet: Es ist bestimmt nicht die Schuld des Radladens, wenn ihr euren Arsch nicht von eurem Ellbogen unterscheiden könnt. Werdet nicht unverschämt, wenn man euch erklärt, dass ihr ein neues Schaltwerk kaufen müsst. Und wenn ihr im Internet zufällig doch das passende Teil bekommen habt, staunt keine Bauklötze, wenn man euch mitteilt, dass der freundliche Mechaniker einen angemessenen Obolus für seine Schrauberdienste berechnen muss. Die Leute betreiben schließlich keine Wohltätigkeitsorganisation.


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