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REGEL #11 //

NICHT DIE FAMILIE KOMMT AN ERSTER STELLE. ES IST DAS RAD

Sean Kelly wird nach dem Amstel Gold Race 1984 von einem Reporter interviewt. Da sieht er seine Frau an seinem Citroën AX lehnen. Er unterbricht das Interview, um ihr zu sagen, dass sie gefälligst vom Lack runtergehen soll, worauf sie nur achselzuckend meint: »In deinem Leben kommt halt das Auto an erster Stelle, dann das Rad und erst danach ich.« Instinktiv schnappt er zurück: »Da verwechselst du was. An erster Stelle kommt das Rad.«

Zunächst einige Hintergrundinfos zu Sean Kelly.

Sean Kelly hat während seiner gesamten Karriere nie gelächelt, auch nicht bei den vielen Gelegenheiten, bei denen er die Ziellinie als Sieger überquerte. Sieben Jungfrauen in neun Ländern fielen gleichzeitig in Ohnmacht, als er sich einmal erlaubte, einen kurzen Moment lang nicht finster dreinzublicken. Sean Kelly fuhr bekanntermaßen Räder des französischen Herstellers Vitus. Schöne Rahmen aus Aluminium- oder Carbon-Kevlar-Rohren, die alles, was ihnen an Steifigkeit vielleicht fehlte, mit ihrer Schönheit locker wieder wettmachten. Seine Teamkollegen erhielten jeweils einen Rahmen fürs Training und einen für die Rennen. Sean Kelly hingegen fraß seine Rahmen geradezu. Jeder einzelne hielt nur ein einziges Rennen, bevor er auf dem Schrottplatz landete.

Sean Kelly ist ein ehrlicher, fleißiger, Klartext redender Ire, sozusagen ein Destillat all der Grundzutaten, die den Radsport großartig machen. Im Ruhestand ist aus ihm noch ein verhältnismäßig jovialer Bursche geworden, zumindest munkelt man, dass er nun gelegentlich mal kichert, aber wenn seine Worte mit irgendetwas gewürzt sind, dann immer noch mit einer Marinade aus Pisse und Essig.


Sean Kelly reckt triumphierend die Arme in die Höhe, nachdem er Greg LeMond bei Mailand–Sanremo 1986 im Sprint geschlagen hat.

Geboren Mitte der 1950er Jahre im ländlichen Irland, wuchs er in einem Milieu auf, in dem harte Maloche bis zur Selbstaufgabe großgeschrieben wurde. Doch Kelly ließ sein vorbestimmtes Dasein als einfacher Landarbeiter hinter sich und entschied sich stattdessen dafür, einer der furchteinflößendsten Siegertypen zu werden, die unser Sport je erlebt hat. Es gibt zwar die Redewendung vom »Luck of the Irish«, aber im Falle Kellys muss man eher das Klischee vom »Glück des Tüchtigen« bemühen. Immer in Gedanken bei seinem Job als Radrennfahrer und ohne jeden Sinn für Humor – mit diesem Mann war buchstäblich nicht zu spaßen.

Kelly wurde in den 1970er Jahren Profi und zermalmte fortan systematisch jeden Fahrer, dessen Hinterrad sich in sein Blickfeld schob. Als einfacher Mann, der mit schwerer Arbeit auf schwierigem Boden aufgewachsen war, legte er wenig Wert auf technischen Fortschritt und ein zeitgemäßes Outfit. Lange nachdem das gesamte Peloton zu Klickpedalen gewechselt war, konnte man Kellys Position im dichtgedrängten Feld immer noch auf Anhieb am Glitzern des Sonnenlichts erkennen, das sich auf den Hakenpedalen spiegelte, denen er beharrlich die Treue hielt.

Bei Mailand–Sanremo 1991 überquerte der Italiener Moreno Argentin allein an der Spitze des Rennens den Gipfel des berühmten Poggio und fuhr einem sicheren Sieg entgegen. Vor ihm lagen nur noch drei Kilometer kurvenreiche Abfahrt und dann ein flacher Kilometer bis zum Ziel auf der Via Roma in Sanremo.

Es gab nur ein Problem: Sean Kelly war hinter ihm, und ein Sean Kelly macht keine halben Sachen. Vor allem aber ist Sean Kelly überzeugt, dass Bremsen nur etwas für Weicheier ist, und Sean Kelly ist kein Weichei. Argentin raste den Poggio hinab, als wäre er ein Dieb auf der Flucht und wollte nicht eingebuchtet werden. Aber Sean Kelly nahm diese Abfahrt, als würde er lieber sterben als verlieren. Kelly holte den Italiener auf dem letzten Kilometer ein und schlug ihn mit einem Blick von sorgsamer Nonchalance, ehe er seinen Zielsprint auch nur eröffnet hatte.

Siebzehn Jahre lang entriss Sean Kelly verdienten Fahrern höchsten Ranges zahllose prestigeträchtige Siege. Vom Anbeginn seiner Karriere bis zu deren Herbst gewann er Rennen durch List, Stärke, Nehmerqualitäten und unerschütterliche Entschlossenheit. Aber vor allem errang er seine Siege durch totale und vollständige Hingabe an seine Profession, an sein Handwerk.

Für ihn gab es nichts als das Rad. Nicht die Familie kam an erster Stelle, es war das Rad.


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