Читать книгу Veza Canetti zwischen Leben und Werk - Vreni Amsler - Страница 52
D2.4 Die von Karl Kraus Verbannten im Salon Spitz
ОглавлениеIn einem weiteren Entwurf zu den Lebenserinnerungen, der verworfen wurde, schreibt Elias Canetti: „Sie war manchmal in Gesellschaften eingeladen, wo sie Künstler der unterschiedlichsten Art traf, besonders eine Verwandte von ihr, die in der Seilerstätte wohnte, empfing regelmässig interessante Gäste. Ich war auch eingeladen, doch ich ging nicht hin, weil sich da Leute einfanden, die mein Abgott verbannt hatte. Veza störte das nicht, so wenig wie die Lektüre von Heine, sie ging gern hin und wenn sie jemand dort mochte, war es ihr gleichgültig, was der Abgott über ihn gesagt hatte. Ich begann sie auszufragen und liess mir jeden Satz wiederholen, den sie im Gespräch mit andern gewechselt hatte. Es konnte lang dauern und wenn der beste Teil eines Besuches bei ihr damit vergangen war, packte mich die Wut und da ich sie nicht kränken mochte, entlud sich die Wut über mich selbst und ich machte mir die bittersten Vorwürfe.“385
Mit der Verwandten von ihr, die in der Seilerstätte wohnte, ist natürlich wiederum der Salon von Veza Taubners Tante, der Juweliersgattin Camilla Spitz-Calderon, gemeint. Es ist davon auszugehen, dass Elias Canetti mit Abgott Karl Kraus gemeint hat. Nun, Karl Kraus hatte 1926 eine grosse Schlammschlacht gegen Imre Békessy, den Herausgeber und Redakteur der österreichischen Tageszeitung Die Stunde, geführt. Die Stunde gilt als erste moderne Boulevardzeitung Österreichs, sie erschien von 1923 bis 1938 und publizierte durchaus auf der Linie der Sozialdemokratie. Die Stunde verfügte neben dem Chefredakteur Karl Tschuppik, der zuvor das Prager Tagblatt geleitet hatte, durchaus über sehr interessante Mitarbeiter wie den jungen Billy Wilder, Egon Friedell, Anton Kuh, Erik von Krünes oder Alexander Sandor Nadas und wurde schnell zur auflagenstärksten Zeitung im Lande.386