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E. Salons – Künstlerzirkel

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Auf der einen Seite hatten Frauen nach dem Ersten Weltkrieg viel mehr Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen: „Der Kampf um die Emanzipation zeigt nach dem Ersten Weltkrieg erste Erfolge, die Frauen erhalten das Wahlrecht, viele Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten stehen ihnen in der Ersten Republik offen“411, auf der anderen Seite funktionierten viele gesellschaftlich relevante Begegnungsorte wie vermutlich auch der Salon Spitz nach alten Regeln. So dass Elias Canetti treffsicher das Bild Vezas als Analogie zum kultur- und gesellschaftspolitisch geprägten Bild einer Frau des 19. Jahrhunderts, der Bildikone Nanna von Anselm Feuerbach, hier einsetzen konnte. Gleichsam die Thematik erweiternd hat Elias Canetti in seinen Publizierten und Unpublizierten Lebenserinnerungen das Bild Ländliches Konzert Anselm von Feuerbachs gleich mehrfach verwendet. Dieses Bild, das das ältliche ungarische Fräulein in der Pension in Frankfurt so begeistert haben muss, und zwar nicht als Bild, sondern aufgrund der Tatsache, dass der tatsächlich noch sehr junge Elias Canetti ausgerechnet dieses Bild zwischen die Bilder der vielen Nannas von Feuerbach an die Wand geheftet hatte. „Frl. Adler (…) eine ungarische alte Jungfer, die über das ‚Konzert‘ von Feuerbach, den ich in unserem Wohnzimmer aufgehängt hatte, in Entzücken geriet.“412 Genau dieses Bild mit den zwei Musikern und den zwei nackten Musen deutet auf einen Sachverhalt hin, der über das ikonografisch bei Feuerbach Gezeigte hinausweist. Hält doch nicht der zweite Musiker die Flöte in der Hand, sondern die den beiden zugewandte Muse. Entsprechend führt Elias Canetti hinsichtlich der Ebenbildlichkeit von Veza und Nanna dann weiter ins Treffen: „Wenn sie auch keine Malerin war, obwohl sie schon früh eine Anlage dazu gezeigt hatte, so war sie doch immerhin gemalt, und zwar von einem Maler, der lange vor ihrer Zeit gelebt hatte. Seine Nana sah man damals überall reproduziert, sie war beinahe so beliebt wie später die Sonnenblumen von Van Gogh.“413

Kurz gesagt, wenn schon Nanna beziehungsweise Veza keine Malerin ist, dann aber mindestens das Bild oder die Muse eines Malers. Exakt diese Gegebenheit nimmt Elias Canetti auf, wenn er anfangs der 90er Jahre rückblickend in einem Text über Vezas Schreiben notiert: „Sie war in allen manuellen Dingen äusserster Geschicklichkeit, sie nähte, sie schrieb, sie malte, als wäre es nichts.“414 Die Erwähnung von Schreiben in dieser seriellen Aufzählung weist wiederum auf das Bild der Muse zurück, die die Flöte in der Hand hält, jedoch mindestens auf dem Bild nicht spielt. Im Kontrast dazu steht die Erzählung Pastora von Veza Canetti. Mit der Figur der Pastora und ihrer ästhetischen Gleichsetzung mit der Nanna von Anselm Feuerbach eröffnete Veza Canetti nicht nur den sozialkritischen Diskurs um die Magd oder Kontoristin an sich, sondern damit auch den Diskurs um die Figur der Muse allgemein und den um die Nanna insbesondere.

Vollends anders als Elias Canetti werten Gürtler und Schmid-Bortenschlager hingegen die Rolle von Frauen in verschiedenen Salons der Zwischenkriegszeit. Sie schreiben entsprechend in ihrem Band Erfolg und Verfolgung bezüglich der österreichischen Schriftstellerinnen von 1918–1945: „Autorinnen nehmen ihren Platz in den Künstlerzirkeln von Wien, München oder Berlin ein (…) wo sie die traditionelle Rolle der Freundin wichtiger Männer spielen, wo ihre intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten aber auch Anerkennung finden.“415 Ganz so optimistisch gibt sich Veza Canetti selbst zur Szene der Salons nicht, wenn sie im Theaterstück Der Tiger nur zwei unabhängige Künstlerinnen im Salon der Opernsängerin Pasta auftreten lässt: die junge Bildhauerin Diana sowie die Tänzerin Buff. Die Gäste des Salons Spitz wie auch des Salons von Pasta, der explizit in den Worten der Autorin im Alten Wien angesiedelt ist, lassen ausserdem nicht auf einen dezidiert linken Salon oder Künstlerzirkel schliessen.

Es lassen sich zudem zwei weitere Künstlerzirkel nachweisen, in denen Veza Taubner verkehrt haben muss und die ebenfalls Affinitäten zu den Salons des Alten Wien zeigen, nämlich der Salon von Trude Schmidl-Waehner und das Künstleratelier von Carry Hauser mit der Officina Vindobonensis.

Veza Canetti zwischen Leben und Werk

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