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F. Angelpunkt Vorlesung Karl Kraus

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Gut dokumentiert durch die Publizierten Lebenserinnerungen von Elias Canetti ist Veza Taubners Besuch der Vorlesungen von Karl Kraus für das Jahr 1924, sie muss aber schon längere Zeit zu den Zuhörern gehört haben. Genaueres ist dazu leider nicht bekannt. „Sie war wie ich von Karl Kraus gefangen, wir gingen zusammen in seine Vorlesungen, und las, im Gegensatz zu mir, der ich sehr fanatisch war, ruhig ihren Heine weiter. Sie war überhaupt nicht zu beeinflussen.“462 Elias Canetti scheint hingegen weit ins Exil hinein der Welt Karl Kraus’ verhaftet geblieben zu sein, wie verschiedene unpublizierte Aufzeichnungen offenbaren. Gut zu belegen sind im literarischen Werk von Veza Canetti hingegen intertextuelle Bezüge zu Karl Kraus’ Werk, beispielsweise die Themen das Kreuzsymbol oder die Musik als Diskussionsform unter anderen.

Dagmar Lorenz schreibt: „Veza Canetti was closely associated with Kraus and his circles.“463 Da fast alle Wiener Dichter, Künstler, Journalisten in irgendeiner Phase ihres Lebens oder regelmässig Karl Kraus’ Fackel gelesen haben oder seine Vorlesungen besuchten, ist akkurat dies, eine intensivere Freundschaft mit Karl Kraus, vorerst mit keiner konkreten Quelle zu belegen. Alle Indizien weisen eher darauf hin, dass Veza Taubner nicht zum engeren Freundeskreis um Karl Kraus gehört haben muss, ganz auszuschliessen ist dies indessen nicht. Bestimmt haben jedoch die Vorlesungen Karl Kraus’ für Veza Canetti – wie für sämtliche Intellektuellen Wiens – als Katalysator zum Kennenlernen von neuen interessanten Leuten aus den Bereichen Kultur und Politik gewirkt. Bei Elias Canetti werden allerdings nur Hans Asriel und Hermann Broch explizit erwähnt.

„Die Wildheit in Vezas Geschichten, das was sie heute so erstaunlich macht, kommt natürlich von Karl Kraus. Dasselbe, wenn auch auf etwas andere Weise, geschah mit mir. Soweit wir als Schreibende verwandt erscheinen, ist das durch den gemeinsamen Ursprung zu erklären. In einer Vorlesung von Karl Kraus haben wir uns kennen gelernt und sind sehr lange darin geblieben.“464 Wie bereits in Veza Canetti im Kontext des Austromarxismus erläutert, kann der Einfluss Karl Kraus’ auf die literarischen Darstellungsmethoden von Veza Canetti auf komplett verschiedenen Ebenen und in divergenten Perspektiven gezeigt werden. Beispielsweise gehen Veza Canettis viel angewandtes „Ausreden lassen“ oder die „fremde Wortmanier als Perspektive und Position“ auf Karl Kraus zurück und damit indirekt sogar auf Johann Nestroy.465 Weiter sind „Polyphonie“, „Montagetechnik“ und „Totalität“466 sowie Methodik der „Absolut-Satire“ im Spannungsbereich der „Zitatenmontage“467 bei Veza Canetti im Zusammenhang mit dem Werk von Karl Kraus zu sehen. Die Autorin hat sich ausserdem mit aus heutiger Perspektive ziemlich speziellen Ideen von Karl Kraus auseinandergesetzt, beispielsweise der „Operette oder die finale Struktur von Kunst“, wie das anhand des Theaterstückes Der Tiger nachgewiesen werden kann.468 Veza Canetti lässt im Theaterstück Der Palankin nicht nur Pasta, die Sängerin und Saloniere, die Operettenmethodik des Diskurses wie von Karl Kraus als Theorie eingebracht anwenden, sondern lässt in der Tat kurz vor dem Höhepunkt dieses Geschehens den Bildhauer Holle ein Originalzitat von Karl Kraus in die Diskussion unter den Künstlern einwerfen: „Wart Frieda Schanz, nennst noch einmal statt B ö c k lin Böck l i n du mich, dann nehm ich ein Stöcklin und heb dir auf dein Dichterunterröcklin …“ Der angefangene Satz wird daraufhin vom Dichter Tell mit den Worten beendet: „Ich heisse nicht Böck l i n, ich heisse B ö c klin.“ (DF 118)469

Dieser eher satirischen Auseinandersetzung mit Karl Kraus stehen aber auch ernstere Themen gegenüber, wenn Veza Canetti zum Beispiel im Drama Der Oger oder dem gleichnamigen Kapitel im Roman Die gelbe Strasse elementare Auseinandersetzungsstrategien aus dem mit viel Aufwand in der Fackel besprochenen Ehebruchprozess P aufnimmt.470 Zudem kann gezeigt werden, dass Veza Canetti die Fotografie mit dem gekreuzigten Jesus, dem das Kreuz von einer Granate weggesprengt worden war, die Karl Kraus gleich mehrfach abgebildet und besprochen hatte, als Ausgangspunkt für eine neu zu denkende Ethik und einen damit einhergehenden Menschenrechtsdiskurs verwendet hat.471 In der intertextuellen Aufnahme dieser etwas speziellen Kreuzmetaphorik Karl Kraus’ zieht Veza Canetti mit Hermann Broch gleich.

Veza Canetti zwischen Leben und Werk

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