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Z4. Schnittstelle Pseudonym/Ghostwriting

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Die Verwendung von unbekannten Pseudonymen durch Veza Canetti für viele weitere eigene Texte sowie Übersetzungen bleibt vorläufig ein Forschungsdesiderat.

Dass Pseudonyme von Veza Canetti wahrscheinlich auch gewählt wurden, um ihr näheres Umfeld darüber zu täuschen, mit was sie Geld verdiente, macht folgende Passage aus einem Brief von Veza an Georges Canetti aus dem Jahre 1947 deutlich: „Ich les weiter für Hutchinson, doch da es nicht viel einbringt, werd ich ein Drama von Robert Neumann ins Deutsche übersetzen. Dein Bruder sieht es wie eine Degradation an, dass seine Frau einen solchen Stümper übersetzt, wie denkst Du darüber?“ (BaG 298) Da kein Werk Robert Neumanns – mit dem die Autorin befreundet war – mit einem der bekannten Pseudonyme Veza Canettis oder gar mit ihrem richtigen Namen erschienen ist und Robert Neumann einige Übersetzungen seiner Bücher aus dem Englischen ins Deutsche auch gleich selbst besorgt hat, ist davon auszugehen, dass Veza Canetti mit hoher Wahrscheinlichkeit Texte Neumanns übersetzt hat, ohne dass ihr Name angegeben wurde. Beispielsweise lässt sich der Übersetzername Melanie Steinmetz für Robert Neumanns Roman Bibiana Santis oder Der Weg einer Frau aus dem Jahr 1950 keiner realen Person zuordnen.496 Denkbar wäre zudem, dass die Übersetzung von Robert Neumanns Scene in Passing ins Deutsche durch Veza Canetti erfolgt ist, der deutsche Weller-Verlag nennt die Übersetzung eine „Eigenübertragung“497 und meint damit vielleicht Robert Neumann selbst. Diese Angelegenheit zeigt, dass Veza Canetti allenfalls zur Verdeckung ihrer eigenen Identität auf die Namensnennung – bei Übersetzungen – verzichtet haben könnte.

Etwas anders liegt wohl der Fall bei der Übersetzung Wolf solent498 von John Cowper Powys für Dr. Richard Hoffmann für den Zsolnay-Verlag, hier hat Veza Taubner höchstwahrscheinlich in dessen Übersetzerbüro als Angestellte ohne Recht auf Namensnennung übersetzt.

Weshalb Veza Canettis Übersetzername nicht auf den im Namen von Elias Canetti für den Malik-Verlag übersetzten Werken Upton Sinclairs erscheint, gerade im Roman Alkohol müssen ja grössere Teile von ihr stammen,499 ist unbekannt. Der originelle Name für das Übersetzerkollektiv, Elias Canetti, Veza Magd-Canetti, hätte bestimmt für Furore in der Übersetzer-Szene gesorgt.

Wenn aus dem Mix der Verwendung von Pseudonymen und der Nichtverwendung von Pseudonymen für Übersetzungen – sprich Verwendung von Namen realer Personen wie Elias Canetti, Robert Neumann und Dr. Hoffmann – ein Rückschluss auf das Verwenden von Pseudonymen für die eigenen literarischen Produktionen Veza Canettis gezogen werden soll, ist davon auszugehen, dass literarische Texte der Dichterin nicht nur unter Pseudonymen, sondern auch unter dem Namen anderer realer Autoren oder Autorinnen erschienen sind. Daraus ergäbe sich dann die Frage, welcher Vielschreiber aus den 20er Jahren sich ein Ghostwriting durch Veza Taubner geleistet hat. Wer käme aus dem Umfeld der Schriftstellerin überhaupt in Frage, kann oder muss es ein Dichter gewesen sein, oder ist allenfalls auch ein Ghostwriting für einen Journalisten denkbar? Zu den vielschreibenden, erfolgreichen Dichtern aus dem persönlichen Umfeld Veza Taubners – beide mit sozialistischem Einschlag – gehören zum Beispiel Robert Neumann und Hermann Kesten.

Gerade der verschollene Kaspar-Hauser-Roman Veza Taubners lässt viel Spielraum für Spekulationen in verschiedene Richtungen offen. Eine dieser Spekulationen betrifft die von Robert Neumann geplante Serie von Kaspar-Hauser-Novels für das Radio BBC. Die erste Novel, die 1941 ausgestrahlt werden sollte, aus politischen Gründen jedoch nicht zustande kam, könnte aus der Feder von Veza Canetti stammen und in ihrer Dichte sehr gut eine Miniatur des Kaspar-Hauser-Romans darstellen, ein Verfahren, das Veza Canetti auch in umgekehrter Richtung gut beherrscht hat. Das parabelartige Geschehen der Erzählung weist im Duktus der Figurenrede und dem Blick auf Frauen auf Veza Canetti hin, die Rahmenhandlung könnte möglicherweise vom Ersten auf den Zweiten Weltkrieg hin angepasst worden sein.500

Mit Kaspar-Hauser-Roman könnte aber ebenso der Roman eines Autors mit Namen Kaspar Hauser gemeint sein. Diese Fährte führt tatsächlich zu dem in den 20er Jahren allseits bekannten Pseudonym Kaspar Hauser, das, wie bereits erwähnt, von Kurt Tucholsky verwendet wurde. Ein weiterer unbekannter Autor oder eine Autorin – also nicht Tucholsky – verwendet dieses Pseudonym für Stücke, die 1922 für das Proletarische Kasperletheater geschrieben wurden; es handelt sich um die Stücke Die entartete Prinzess und Kasperle als Spitzel. Diese Fährte wird akzentuiert dadurch, dass Veza Taubner das Pseudonym von Kurt Tucholskys Nachfolger bei der Wochenzeitschrift Die Weltbühne, Carl von Ossietzky, verwendet. Ossietzky verwendet das Pseudonym Thomas Murner unverändert, Veza Taubner hingegen spielt mit dem Namen Murner, indem sie wechselweise die Vornamen Martin, Martha, Martina davorsetzt.

Veza Canetti zwischen Leben und Werk

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