Читать книгу Veza Canetti zwischen Leben und Werk - Vreni Amsler - Страница 57
E1. Bohèmenhafter Künstlersalon Trude Schmidl-Waehner
Оглавление„Als Malerin und Grafikerin richtet sich Trude Waehner Anfang der 1920er Jahre ein Atelier im Elternhaus ein, welches zum Treffpunkt für Künstler, Gelehrte, Schriftsteller und Kunsthistoriker wird. Die Kunsthistoriker Ernst Kris und Ernst H. Buschbeck, der Mathematiker Karl Menger, der Nationalökonom und Soziologe Otto Neurath, der Philosoph Karl Popper und viele andere zählen zu den ständigen Besuchern dieser Treffen.“416 Desgleichen schreibt Paul Lützeler in Hermann Broch und die Moderne: „Einen bohèmenhaften Künstlersalon in Wien führte Trude Waehner in der elterlichen Wohnung im achten Bezirk. (…) auch im New Yorker Exil gehörte sie zum Freundeskreis Brochs.“417
Trude Schmidl-Waehner (1900–1979) scheint nicht nur Hermann Broch, sondern genauso Veza Canetti gut gekannt zu haben, wie drei Briefe Veza Canettis an Trude Schmidl-Waehner im Österreichischen Literaturarchiv sowie der Einsatz von Trude Schmidl-Waehner für die Affidavits der beiden Canettis für ein Exil in den USA deutlich machen.418 Veza Canetti schreibt an Trude Schmidl-Waehner: „I always had great admiration for your vitality and acitve mind, I’m sure your book will succeed and Broch would never praise your ideas, without cause.“419
Sie fügt in diesem Brief in seltener Offenheit an, wie zunehmend kritisch sie ihre eigene Rolle im Leben gesehen haben muss: „What concerns myself, all my masts are broken, and I myself am my greatest disappointment. On your very interesting views about art (I think you are perfectly right.) I am forbidden to comment, for that is where Canetti comes in. He has for same time forsaken poetry and dedicates himself entirely to the work of his life, his Mass-Psychology …“420 Die Briefe Veza Canettis an Trude Schmidl-Waehner in New York drehen sich jedoch sonst vor allem um die Verlagsproblematik im Exil allgemein und spezifisch den Roman Die Blendung betreffend. Dies hat seinen Grund darin, wie aus einem Brief von Trude Schmidl-Waehner in Exilarchiv in Frankfurt hervorgeht, dass Elias Canetti noch im März 1938 für den österreichischen Werkbund – eingeladen von Prof. Josef Frank, Oskar Kokoschka und Trude Schmidl-Waehner – einen Vortrag über den Roman Die Blendung hätte halten sollen.421 Genaues in Bezug auf die schriftstellerischen Tätigkeiten Elias Canettis weiss Trude Schmidl-Waehner indessen nicht, auch nicht über den Inhalt des Romans Die Blendung. Sie irrt sich zudem, wenn sie meint, Elias Canetti hätte schon viele kleinere Arbeiten in Zeitschriften publiziert, da verwechselt sie ihn wohl mit Veza Canetti. Vielleicht hat dieses Vorkommnis seinen Grund darin, dass Trude Schmidl-Waehner ab 1928 an der Kunstklasse von Paul Klee in Dessau studierte. Bereits 1933 musste sie allerdings wieder nach Österreich zurückkehren, weil sie sich in Deutschland sehr kritisch gegen den Faschismus geäussert hatte.422 Womöglich wollte Schmidl-Waehner aber auch Veza Canettis Arbeiten, die in erster Linie in linken Organen veröffentlicht worden waren, gar nicht erwähnen, um ein allfälliges Affidavit für die USA nicht zu gefährden.
Der Sarkasmus in den Briefen Veza Canettis an die Freundin in Amerika – „And its about time. For to me personally something outrageous happened: – I grew old. What concerns Canetti, he is still young, though his health is poor“423 – sowie das Einbringen von Respekt und Bewunderung gegenüber dem Werk der fast gleichaltrigen Trude Schmidl-Waehner offenbaren mehr Vertrautheit zwischen den beiden Frauen, als es allein aufgrund der Briefe rund um das Affidavit für die USA zu erwarten gewesen wäre. Veza Canetti schreibt beispielsweise an Trude Schmidl-Waehner im Mai 1944: „I have a very egoistic project with you, when we meet again, I want you to portray Canetti.“424 Aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sind keine Kontakte zwischen den beiden Frauen bekannt. Trude Schmidl-Waehner muss in den 50er Jahren die Vereinigten Staaten verlassen haben, daraufhin auf einem Bauerngut in Frankreich und später in Venedig gelebt haben, bevor sie nach Wien zurückkehrte.425 Wohnhaus und Atelier in der Buchfeldgasse in Wien – ihr Elternhaus, das sie beim Gang ins Exil fluchtartig verlassen musste –, konnte sie nach dem Zweiten Weltkrieg nur mit langwierigen juristischen Mitteln zurückerkämpfen. Nicht vollständig geklärt ist das unrühmliche Verhalten Heimito von Doderers im Streit um das Wohnobjekt Buchfeldgasse, hatte er doch das Atelier von Trude Schmidl-Waehner zusammen mit Albert Paris Gütersloh schon 1938 bezogen, so wollte er es bei der Rückkehr von Trude Schmidl-Waehner nach Ende des Krieges vorerst nicht an die rechtmässige Besitzerin zurückgeben.426
Der Salon von Trude Schmidl-Waehner in der Zeit des Roten Wien verbindet die Welt der Künstler, Dichter mit der Welt der Wissenschaftler, wie die Gästeliste zeigt, die einerseits zwischen dem Wissenschaftstheoretiker und Soziologen Otto Neurath, dem Mathematiker Karl Menger, dem Philosophen Karl Popper sowie den Kunsthistorikern Ernst Kris, Hans Tietze, dem Architekten Josef Frank und den Dichtern Hermann Broch, Veza und Elias Canetti und weiteren changiert. Eine etwas kryptische Aufzeichnung Elias Canettis aus dem Jahr 1984, die Exilzeit in Hampstead betreffend, macht deutlich, dass dieser den Leuten des Wiener Kreises sehr kritisch gegenübergestanden ist: „Immer wieder gerät er an die Geschichte der Wiener Täter: Popper, Wittgenstein, jetzt sogar Neurath. (Dieser: ein Physiker als eine Art von Neanderthaler.)“427 Ganz unverständlich ist in dieser Reihe von Namen der Hass auf Otto Neurath, hat sich doch Veza Canetti mit dessen Felicitologie in ihrem literarischen Werk auseinandergesetzt. Otto Neurath hat sich nicht nur als Mitglied des Wiener Kreises und als einer der Verfasser der Wissenschaftlichen Weltauffassung einen Namen gemacht, sondern er gilt als Sozialist der ersten Stunde, war er de facto bereits in der Bayerischen Räterepublik tätig gewesen und hat sich danach sehr für den Austromarxismus engagiert.
Im Gegensatz zum Salon von Trude Schmidl-Waehner war der Salon Spitz mit hoher Wahrscheinlichkeit eher geprägt von der Journalisten-Zunft und von Dichtern der Wiener Moderne oder des Jung Wien.